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14.09.2023
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14.09.2023
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12.01.2023
Sozialversicherungspflicht: Ein Pilot ohne eigenes Flugzeug ist abhängig beschäftigt
Arbeitet ein Pilot "frei" als Flugzeugführer bei einem Unternehmen, das Wurstwaren herstellt und neben Kraftfahrzeugen auch ein Flugzeug besitzt, für eine Tagespauschale in Höhe von 120 Euro, so stellt die Rentenversicherung mit Recht eine "abhängige Beschäftigung" fest, wenn das Flugzeug nicht dem Mann gehört und er Beschäftigte des Unternehmens "für Geschäftszwecke" nach deren Planungen befördert. Die Unternehmensführung könne nicht argumentieren, der Pilot sei weder in den Betrieb integriert noch unterliege er Weisungen. Auch trägt der Mann kein unternehmerisches Risiko als "typisches Zeichen einer selbstständigen Tätigkeit". (Hessisches LSG, L 8 BA 65/21)
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12.01.2023
Arbeitsrecht: Tariflicher Urlaub verfällt meist am 31. März
Haben Beschäftigte bereits ihren gesetzlichen Urlaubsanspruch genommen (bei einer 5 Tage-Woche sind das 20 Urlaubstage) und werden sie dann lange krank, so verfallen die zusätzlich vertraglich vereinbarten Urlaubsansprüche im Regelfall am 31. März des Folgejahres. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass das gleichermaßen für Schwerbehinderte gilt, die regelmäßig Anspruch auf 25 „gesetzliche“ Urlaubstage haben. In dem konkreten Fall ging es um einen schwerbehinderten Arbeitnehmer, der insgesamt Anspruch auf 37 Tage Urlaub hatte (20 Tage gesetzlicher Mindesturlaub, 5 Tage wegen der Schwerbehinderung und weitere 12 Tage aus einer tariflichen Vereinbarung), und der in einem Jahr bereits 26 Tage Urlaub genommen hatte, bevor er knapp zehn Monate lang arbeitsunfähig krank wurde - und Mitte des Folgejahre in den Vorruhestand ging. Er forderte die Auszahlung von Urlaubstagen (zunächst von 11, später nur noch von 5 Tagen für die Schwerbehinderung) – vergeblich. Unverfallbar seien nur die gesetzlichen Ansprüche. Und die waren hier mit den genommenen 26 Tagen bereits abgegolten. (BAG, 9 AZR 353/21)
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10.01.2023
Verwaltungsrecht: Ist ein Friedhof in der Nähe, gibt es kein privates Urnengrab
Ein Ehepaar hat nicht das Recht, eine Genehmigung für einen privaten Bestattungsplatz in einer - den Eheleuten gehörenden - Hofkapelle zu erhalten. Einem Bürger stehe ein berechtigtes Interesse an einem Urnengrab auf dem eigenen Grundstück nicht zu. Das gelte insbesondere dann, wenn in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses der Eheleute der örtliche Friedhof liege, auf dem bereits eine Familiengrabstätte vorhanden ist. (OVG Rheinland-Pfalz, 7 A 10437/22)
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05.01.2023
Arbeitsrecht: Ver.di ist in der Pflegebranche tariffähig
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Gewerkschaft ver.di in der Pflegebranche tariffähig ist und damit auch entsprechende Tarifverträge abschließen kann. Ein Arbeitgeberverband für Pflegeeinrichtungen hatte vergeblich die Tariffähigkeit „mangels Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite“ bezweifelt. Die auf die Feststellung einer teilweisen Tarifunfähigkeit gerichtet Klage war unzulässig. Die Tariffähigkeit sei die rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen. Diese Fähigkeit sei für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich einer Vereinigung einheitlich und unteilbar. Somit gebe es keine teilweise, auf bestimmte Branchen, Regionen, Berufskreise oder Personengruppen beschränkte Tariffähigkeit einer Koalition. (BAG, 1 ABR 24/21)
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04.01.2023
Reiserecht: In Kenia sind Europäer ohne eigenes Gepäck aufgeschmissen
Fliegt eine Familie aus Deutschland nach Mombasa/Kenia, um dort den 50. Geburtstag eines mitreisenden Familienmitglieds zu feiern, so muss die Fluggesellschaft alle Schäden ersetzen, die der Familie dadurch entstanden sind, dass das Gepäck inklusive der Abendgarderobe für die Geburtstagsfeier erheblich verzögert am Zielort ankommt. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Airline weiß, dass der eingesetzte Flugzeugtyp - ist er voll mit Passagieren besetzt (was hier der Fall war) - nicht auch das komplette Gepäck aufladen kann beziehungsweise eine Landung auf dem Flughafen von Mombasa dann nicht möglich ist. Fluggesellschaften müssen die Kunden über derartige Besonderheiten aufklären. Kann das Gepäck nur stark verzögert ans Ziel transportiert werden, so müssen die Reisenden das vor der Buchung erfahren. Die Beförderungsleistung sei wertlos, weil die zeitnahe Gepäckbeförderung von wesentlicher Bedeutung war. Fehle einem Europäer das Gepäck in einem weniger entwickelten und kulturell fremden Land, so sei das sehr beeinträchtigend. Die Beschaffung von Ersatz erfordere – soweit überhaupt möglich – einen hohen Zeitaufwand. Der geplante Reisezweck sei nachhaltig gestört. (OLG Celle, 11 U 9/22)
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03.01.2023
Mietrecht: An eine «nur vorübergehende Vermietung» sind strenge Kriterien gebunden
Wird eine Wohnung nur „zum vorübergehenden Gebrauch“ vermietet, so haben die Mieter weder Kündigungsschutz noch können sie von der Mietpreisbremse profitieren. Auch andere Schutzvorschriften gelten dann nicht. Ein solcher „vorübergehender Gebrauch“ liegt aber nicht schon in einer vertraglichen Befristung. Es muss auch mit Blick auf den tatsächlichen Gebrauch klar sein, dass und wann genau das Mietverhältnis endet. Dadurch soll verhindert werden, dass der Mieterschutz ausgehebelt wird. Typische Fälle von vorübergehender Vermietung sind zum Beispiel die Vermietung von Hotelzimmern oder Ferienwohnungen sowie das Überlassen von Unterkünften für die Dauer einer Messe oder eine Unterbringung eines auswärtigen Monteurs. In dem konkreten Fall durfte deswegen einem Professor, der mit seiner Familie in Toronto lebt und sich für ein halbes Jahr studienhalber in der Bundesrepublik aufhält, keine Wohnung zum „nur vorübergehenden Gebrauch“ vermietet werden (LG Berlin, 65 S 36/21)
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22.12.2022
Verkehrsrecht: Eine Rettungsgasse muss sofort gebildet werden
Sobald auf einer Autobahn Fahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder zum Stillstand kommen, muss eine Rettungsgasse gebildet werden. Autofahrer haben keine „Überlegungsfrist“. Ist ein Autofahrer der Meinung, er sei erst nach einer gewissen Zeit des Stillstandes verpflichtet, eine solche Gasse zu bilden, so kann er dafür ein Bußgeld erhalten (hier in Höhe von 230 €, weil der Mann nicht sofort eine Rettungsgasse gebildet hatte, nachdem auf der Autobahn der Verkehr baustellenbedingt zum Stocken kam). Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse greife sofort. (OLG Oldenburg, 2 Ss (OWi) 137/22)
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21.12.2022
Eigentumswohnung: Gegen einen Durchbruch muss die ganze Gemeinschaft vorgehen
Ein einzelner Wohnungseigentümer kann nicht von einem anderen Wohnungseigentümer (oder dessen Mieter) die Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung verlangen. Das Klagerecht steht nur der Wohnungseigentümergemeinschaft zu. In dem konkreten Fall ging es darum, dass die Eigentümerin einer Erdgeschosswohnung einen Durchbruch zu den unter der Wohnung gelegen Kellerräumen plante. Eine Miteigentümerin im zweiten Obergeschoss hielt das für unzulässig und klagte auf Unterlassung - vergeblich. Solche Unterlassungsansprüche können nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden. Sollte diese sich weigern, gegen eine zweckwidrige Nutzung vorzugehen, so kann der Einzelne mit einer „Beschlussersetzungsklage ein Einschreiten beanspruchen“. (BGH, V ZR 86/21)
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20.12.2022
Kündigung: Darf ein Kirchenaustritt zum Jobverlust führen?
Arbeitete eine Hebamme jahrelang als Mitglied der Katholischen Kirche in einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft (hier ging es um die Caritas), bevor sie kündigt, aus der Kirche austritt und sich selbstständig macht, so darf die Tatsache, dass sie nicht mehr Mitglied der katholischen Kirche ist, später nicht dazu führen, nach einer Wiedereinstellung (bei der die Konfession keine Rolle spielte) wegen des Ausritts aus der Kirche die Kündigung zu erhalten. Das hat jedenfalls das Landearbeitsgericht Hamm jedenfalls mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen so gesehen. Das Bundesarbeitsgericht hat Zweifel - und bemüht den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Denn der Arbeitgeber beschäftigte eine andere konfessionslose Hebamme, die aber nie Mitglied in einer Kirche war. Der EuGH soll die Frage klären, ob die nationale Regelung aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen könne. (BAG, 2 AZR 130/21)
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19.12.2022
Reiserecht: Rollifahrer sind zu bevorzugen
Bucht ein Mann für sich und seine Frau im Internet einen Flug von Frankfurt am Main - über Budapest - nach St. Petersburg und sind die Eheleute auf jeweils einen Rollstuhl angewiesen, so muss ihnen Vorrang beim Ausstieg gewährt werden, wenn der erste Flug Verspätung hat und das Erreichen des Anschlussfluges in Gefahr ist. Das gelte auch dann, wenn die beiden einen „Rollibegleitservice“ nicht gebucht hatten. Haben sie aber im Flieger darum gebeten, wegen ihrer eingeschränkten Mobilität vorrangig aussteigen zu dürfen, und durften sie tatsächlich den Flieger erst verlassen, nachdem alle anderen Passagiere ausgestiegen waren, so muss die Airline die Kosten für Ersatztickets übernehmen, wenn der Anschluss verpasst wurde (hier ging es um rund 230 € pro Ticket). Luftfahrtunternehmen müssen Personen mit eingeschränkter Mobilität (und deren Begleitung) laut Fluggastrechteverordnung Vorrang bei der Beförderung einräumen. Das betreffe nicht nur das Boarding, sondern auch das „Deboarding“ – also den Ausstieg aus dem Flugzeug. Es habe kein Mitverschulden vorgelegen, indem die Umsteigezeit zu knapp bemessen gewesen wäre. Auch wenn sie langsamer seien als andere, hätten sie nicht vorhersehen müssen, dass eine Umsteigezeit von 45 Minuten nicht ausreichen könnte (LG Frankfurt am Main, 2-24 S 173/21)
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16.12.2022
Arbeitsrecht: Eine OP-Maske ist kein «Teil einer Schutzausrüstung»
Ein Mann, der als Reinigungskraft tätig ist und bei der Arbeit eine OP-Maske tragen musste (hier ging es um den Zeitraum von August 2020 bis Mai 2021, in dem der Arbeitgeber diese Anweisung im Rahmen der Corona-Schutzmaßnahmen gegeben hatte), kann dafür keine "Erschwerniszulage" durchsetzen. Das gelte auch dann, wenn der für ihn gültige Tarifvertrag vorsieht, dass bei "Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung" ein Zuschlag in Höhe von zehn Prozent zusteht, wenn "eine Atemschutzmaske" vorgeschrieben ist. Die vom Arbeitnehmer zu tragende OP-Maske ist aber nicht "Teil einer Schutzausrüstung". Sie diene vor allem dazu, andere Personen zu schützen - und weniger sich selbst. (BAG, 10 AZR 41/22)
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15.12.2022
Strafrecht: Im Knast gibt es kein Internet
Strafgefangene haben im Gefängnis grundsätzlich keinen Anspruch auf Zugang zum Internet. Ein Mann, der in einer Justizvollzugsanstalt sitzt, verlangte, dass ihm ein Tablet mit Internetzugang zur Verfügung gestellt werde oder er das Internet über eine „sichere Quelle“ nutzen dürfe. Die Leitung der JVA lehnte ab – zu Recht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe machte deutlich, dass Computer und ähnliche Geräte schon wegen der damit verbundenen Speichermöglichkeiten generell geeignet seien, die Sicherheit und Ordnung in einer Justizvollzugsanstalt zu gefährden. Außerdem sei im Justizvollzugsgesetzbuch (hier ging es um eine JVA in Baden-Württemberg) nur der Zugang zu Hörfunk und Fernsehen sowie Zeitungen und Zeitschriften geregelt. Ein Zugang zum Internet sei nicht vorgesehen. (OLG Karlsruhe, 2 Ws 55/22)
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15.12.2022
Schmerzensgeld: Eine halbe Stunde vor der OP kann nicht wirksam aufgeklärt werden
Wird eine Frau eine knappe halbe Stunde vor einer Augen-Operation über den geplanten Eingriff „aufgeklärt“, so ist ihre Einwilligung in den ärztlichen Eingriff nicht wirksam. Dazu müsse im Vorfeld „verständlich und ausführlich über die Risiken der OP aufgeklärt“ werden. Die Aufklärung muss so frühzeitig sein, dass dem Patienten für die Entscheidung genügend Bedenkzeit verbleibt. Ein „Aufklärungsgespräch“ quasi während der OP-Vorbereitung ist wegen des bestehenden Zeitdrucks grundsätzlich verspätet. Hier verschlechterte sich die Sehkraft der Frau nach der OP. Zwar konnte ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen werden. Allerdings war der Eingriff schon wegen der fehlenden wirksamen Einwilligung der Patientin rechtswidrig. Ihr wurden 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. (LG Frankenthal 4 O 147/21)
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13.12.2022
AGG: Auch über Ebay-Kleinanzeigen kann diskriminiert werden
Bewirbt sich ein Mann über Ebay-Kleinanzeigen auf eine Stellenanzeige, in der eine „Sekretärin gesucht“ wird, so kann er eine Entschädigungszahlung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verlangen, wenn er mit der Begründung abgelehnt wird, dass „eine Dame gesucht“ werde. Das gelte auch dann, wenn die Bewerbung formlos über das Internetportal „Ebay-Kleinanzeigen“ gelaufen ist. Der Bewerber kann wegen Diskriminierung wegen des Geschlechts drei Bruttomonatsgehälter gegen den Arbeitgeber als Entschädigung durchsetzen. Wer eine Stellenanzeige in Ebay-Kleinanzeigen veröffentliche, der müsse damit rechnen, dass sich die Bewerber über die Ebay-Kleinanzeigen-Chatfunktion bewerben und nicht auf klassische Weise schriftlich unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen. Angesichts des Anzeigentextes und der Antwort des Arbeitgebers im Chat sei klar, dass der Bewerber aufgrund seines Geschlechts benachteiligt worden sei. (LAG Schleswig-Holstein, 2 Sa 21/22)
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12.12.2022
Sozialhilfe: Kinderzuschlag gibt’s grundsätzlich nur für Erwerbsfähige
Lebt eine Mutter dreier unter 15-jähriger Kinder mit diesen und ihrem Ehemann in einem Haushalt und beziehen beide Elternteile Renten wegen voller Erwerbsminderung (bei einem Leistungsvermögen von unter 3 Stunden), so muss die Familienkasse der Agentur für Arbeit den „Kinderzuschlag“ nicht zahlen. Denn beide Elternteile sind wegen der mangelnden Erwerbsfähigkeit nicht leistungsberechtigt. Für den Bezug des Kinderzuschlags ist es aber Voraussetzung, hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein. Fehle diese Hilfebedürftigkeit, so könne auch kein Anspruch auf den Kinderzuschlag bestehen. (BSG, B 7/14 KG 1/21 R)
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09.12.2022
Mietrecht: Ob ein Hund «artgerecht» wohnt, hat den Vermieter nicht zu jucken
Auch in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung (hier mit einer Größe von 38 qm) darf ein Mieter einen Hund halten. Er hat gegenüber dem Vermieter einen "Anspruch auf Zustimmung". Das gelte auch für einen Boxer-Rüden. Zwar sei die Haltung eines solch großen Hundes nicht ideal mit Blick auf die artgerechte Haltung. Allerdings sei mietrechtlich nur von Bedeutung, ob die Wohnungsgröße "ausreicht". Das bejahte das Amtsgericht Köln. Für die Haltungserlaubnis sei die artgerechte Haltung unerheblich. (AmG Köln, 210 C 208/20)
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08.12.2022
Arbeitsrecht: Ein Vertrag muss unterschrieben sein - eigenhändig oder "qualifiziert"
Ein Arbeitsvertrag muss die vorgeschriebenen Formalitäten auch dann erfüllen, wenn er nur für wenige Tage befristet abgeschlossen wird. Zu den Formalitäten zählt auch die eigenhändige Unterschrift seitens des Arbeitgebers durch ihn selbst oder durch einen Bevollmächtigten. Wurde unter den Arbeitsvertrag lediglich eine eingescannte Version der Unterschrift des Geschäftsführers eingesetzt, so ist die Befristung ungültig. Hier ging es um einen wenige Tage dauernden Einsatz einer Messehostess. Auch die Tatsache, dass die Frau bereits mehr als 20-mal dieses Procedere beanstandungsfrei „mitgemacht“ habe, könne zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn sie schließlich doch dagegen angeht. Das Argument des Arbeitgebers, für die Einhaltung der Schriftform sei es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmerin vor Arbeitsaufnahme eine im Original unterschriebene Annahmeerklärung des Arbeitgebers zugehen müssen, zog nicht. Der hier vorliegende Scan genüge außerdem den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur nicht. (LAG Berlin-Brandenburg, 23 Sa 1133/21)
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07.12.2022
Mietrecht: Geringe Gebrauchsspuren müssen nicht von einem Maler überpinselt werden
Auch wenn es im Mietvertrag rechtmäßige Klauseln zum Thema "Schönheitsreparaturen" gibt, muss ein Mieter solche nicht durchführen, wenn lediglich geringe Abnutzungserscheinungen vorliegen. Es genüge, wenn die Räume insgesamt den Eindruck einer renovierten Wohnung hinterlassen. Ein Vermieter kann deswegen nicht vom Mieter verlangen, dass der den Maler bezahlt, den der Vermieter engagiert hat, um die - aus seiner Sicht - unzureichenden Schönheitsreparaturen des (ausgezogenen) Mieters auszubessern. (Hier störte den Vermieter der „schattige, nicht deckende Anstrich“ von Wänden und Decken.) Hat der Mieter jedoch vor Rückgabe der Wohnung „einen Dekorationszustand herbeigeführt“, der den Anforderungen des Mietvertrages entspricht, so sei eine fachgerechte Ausführung der Arbeiten nicht gleichzusetzen mit einer „Ausführung in Fachhandwerkerqualität“. Außerdem müssten Schönheitsreparaturen erst dann ausgeführt werden, wenn der Zustand der Mietsache „sich nicht mehr zum vertragsgemäßen Gebrauch eignet“. Das ist bei geringfügigen Gebrauchsspuren nicht der Fall. (LG Berlin, 65 S 264/20)
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06.12.2022
Reiserecht: Für Hitze an Bord gibt es kein Schmerzensgeld
Sitzt eine dreiköpfige Familie in einem Flieger, der von Brindisi/Italien nach Frankfurt am Main gehen soll und hatte der Flug bereits drei Stunden Verspätung, als der Pilot durchsagte, dass sich der Abflug weiter verschieben würde, so kann sie trotz der langen Zeit in der Kabine, in der es wegen einer ausgefallenen Klimaanlage sehr heiß war, kein Schmerzensgeld durchsetzen. Einige Passagiere hatten nach der Durchsage die Polizei gerufen, um aussteigen zu können. Das Flugzeug kehrte zum Terminal zurück und ließ Passagiere raus. Die drei stiegen nicht aus. Nach mehr als sechs Stunden Verspätung und einem zweistündigen Flug in dem „Brutkasten“ kamen sie an. Wegen der Verspätung zahlte die Airline jedem Familienmitglied eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro nach der EU-Fluggastrechteverordnung. Die Familie forderte außerdem ein Schmerzensgeld in Höhe von 650 Euro pro Person, weil die Temperatur im Flieger mehr als 50 Grad betragen habe und die Luft sehr schlecht gewesen sei - vergeblich. Zwar habe die Hitze in der Kabine die Passagiere sicherlich erheblich beeinträchtigt. Für ein Schmerzensgeld werde aber eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit vorausgesetzt. Das konnte die Familie nicht beweisen. Sie hätten weder Kreislaufprobleme noch Kopfschmerzen „im Ausmaß einer Gesundheitsverletzung“ belegt. (LG Frankfurt am Main, 2-24 S 16/20)
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05.12.2022
Verwaltungsrecht: Ein Attest muss vom Arzt persönlich unterschrieben werden
Weil ein ärztliches Attest eine „höchstpersönliche Wissenserklärung“ des Arztes ist, kann es nur dann wirksam sein, wenn es eigenhändig vom Arzt unterschrieben worden ist. Legt ein Student, der mehrfach durch die (Wiederholungs-)Prüfung zum Bachelor in Wirtschaftswissenschaften gefallen ist, ein ärztliches Attest vor, das ihn beim Prüfungsausschuss für eine weitere Nachprüfung „wegen Magen-Darm“ entschuldigen soll, so fällt er endgültig durch, wenn das Attest lediglich von einer Angestellten des Arztes „im Auftrag“ unterschrieben worden ist. Der Student habe keinen Anspruch auf Anerkennung eines Rücktrittsgrundes von der Prüfung. Das Attest sei nicht geeignet, den Nichtantritt zur Prüfung zu entschuldigen. (VwG Düsseldorf, 15 K 7677/20)
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02.12.2022
Verkehrsrecht: Nicht immer gibt es ein Fahrverbot nach einem Rotlichtverstoß
Grundsätzlich gibt es ein Fahrverbot sowie ein erhöhtes Bußgeld für Autofahrer, die eine Ampel trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase passieren, weil es sich um eine „grobe Pflichtverletzung“ handelt ("qualifizierter Rotlichtverstoß"). Das muss aber nicht zwingend gelten, wenn ein solcher Rotlichtverstoß in einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel begangen und niemand gefährdet wird. Dann könne von dem Fahrverbot abgesehen werden. (Der Einzelfall ist genau zu betrachten.) (Bayerisches OLG, 201 ObOWi 1543/21)
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01.12.2022
Verkehrsrecht: Auch zugelassener Auspuff darf nicht unnötig lärmen
Verursacht ein Motorradfahrer mit den manuell steuerbaren Klappen an seinem Auspuff (einer "Abgasklappensteuerungsanlage") mehrfach laute Auspuffgeräusche über jeweils knapp zehn Sekunden, so muss er wegen "Verursachung unnötigen Lärms" ein Bußgeld (hier in Höhe von 100 €) bezahlen. Er kann sich nicht mit der Begründung dagegen wehren, die Abgasanlage sei technisch einwandfrei und verfüge über eine gültige verkehrsrechtliche Zulassung. Er hat rücksichtslos gehandelt
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30.11.2022
Erbrecht: Auch Daten aus der iCloud dürfen eingesehen werden
Erben eines Mannes ist Zugang zum vollständigen Benutzerkonto seiner iCloud bei Apple und allen Inhalten dort zu gewähren. Digitale Hinterlassenschaften gehören zum Erbe. Sie dürfen nicht anders bewertet werden als beispielsweise normale Briefe. Erben haben gegenüber dem Anbieter (hier ging es um Apple Europa) Anspruch auf Zugangsgewährung. Dem stünde das „postmortale Persönlichkeitsrecht“ nicht entgegen. (Hier kam ein Familienvater im Ausland ums Leben und die Familie hoffte, in den Daten der iCloud Informationen darüber zu erhalten, wie es zum Tod des Mannes gekommen ist.) (LG Münster, 14 O 565/18)
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30.11.2022
Mietrecht: Treppen ohne Handläufe gehen gar nicht
Sind an den Treppen in einem mehrgeschossigen Mietshaus keine Handläufe angebracht und besteht deswegen ein erhöhtes Sturzrisiko, so muss der Vermieter diesen Missstand beseitigen. Denn es handele sich um eine "gesundheitsgefährdende Beschaffenheit der Wohnung" - obwohl der Mangel im Hausflur liegt. Das gelte auch dann, wenn über den vertragsgemäßen Zustand keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde und die Mieter die Wohnung "in Kenntnis dieser baulichen Beschaffenheit ohne Vorbehalt in Gebrauch genommen haben." (LG Berlin, 67 S 30/22)
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28.11.2022
Verwaltungsrecht: Mit Blutgerinnungsstörung keinen Polizeidienst aufnehmen
Leidet eine junge Frau an einer Blutgerinnungsstörung mit Thromboserisiko, so ist sie für die Einstellung in den Polizeidienst nicht geeignet. Polizistinnen und Polizisten müssen im Einsatz „uneingeschränkt einsetzbar seien“, was bei einer solchen Krankheit nicht gewährleistet sei. Hat die sie abweisende Berufsfachschule „in rechtlich nicht zu beanstandender Weise“ die spezifischen körperlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst vorgegeben und festgelegt, dass unter anderem Krankheiten des Blutes beziehungsweise der blutbildenden Organe sowie Gerinnungsstörungen mit Blutungs- oder Thromboserisiko die Polizeidiensttauglichkeit „grundsätzlich ausschließen“, so gibt es daran nichts zu beanstanden. (VwG Koblenz, 5 L 797/22.KO)
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25.11.2022
Eigentumswohnung: Ein Abstellverbot für E-Autos ist rechtswidrig
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hat nicht das Recht, einem Eigentümer zu untersagen, sein E-Auto in der Tiefgarage abzustellen. Ein solcher Beschluss verstößt gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung. Begründet die Gemeinschaft das „Abstell-Verbot“ mit einer höheren Brandgefahr von Elektrofahrzeugen, so reiche das nicht aus. Denn jeder einzelne Wohnungseigentümer habe ein individuelles Recht auf die Gestattung baulicher Maßnahmen, „die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen“. Ein Abstellverbot in der Tiefgarage würde dazu führen, dass dieses Recht ins Leere ginge, wenn jeder einzelne Wohnungseigentümer zwar die Installation einer Lademöglichkeit erzwingen, diese dann aber anschließend nicht nutzen könne. (AmG Wiesbaden, 92 C 2541/21)
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24.11.2022
Schmerzensgeld: Ein Permanent Make-up hat auch eine künstlerische Freiheit
Lässt sich ein Mann in einem Kosmetikstudio ein so genanntes Permanent Make-up für die Augenbrauen auftragen, so begründet eine „bloße Geschmacksabweichung“ keinen Mangel. Ist der Kunde nicht zufrieden und lässt er sich woanders korrigierend lasern, so kann er weder die Kosten für die Korrektur (hier rund 290 €) noch ein Schmerzensgeld (hier: 3.500 €) vom „Erstbehandler“ erhalten. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Kunde per Unterschrift unter anderem bestätigt hatte, dass vor der Pigmentierung das permanente Make-up vorgezeichnet und mittels Spiegel gezeigt worden sei. Gleiches gelte für die ungefähre Farbe. Außerdem habe er eine Art "Abnahme" für das Endergebnis unterzeichnet und auch die ausgemachten 280 Euro bezahlt. Außerdem habe eine Augenbrauenpigmentierung „neben der reinen handwerklichen Leistung auch künstlerische Aspekte“. Der Besteller habe grundsätzlich einen künstlerischen Gestaltungsspielraum des Unternehmers hinzunehmen. (OLG Frankfurt am Mainz, 17 U 116/21)
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23.11.2022
Arbeitsrecht: «Rund um die Uhr»-Betreuung muss auch so bezahlt werden
Eine bulgarische Staatsangehörige, die von einer deutschen Vermittlungsagentur für eine "24-Stunden-Pflege zu Hause" in den Haushalt einer 96jährigen Dame vermittelt wird, muss sich nicht damit abfinden, nur 30 Stunden in der Woche bezahlt zu bekommen. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitsvertrag diese Stundenzahl vorgibt. Ist gleichzeitig in einem Betreuungsvertrag vereinbart, eine "umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten" zu bieten, ist die Kraft tatsächlich regelmäßig von 6.00 Uhr in der Früh bis mindestens 22.00 Uhr abends im Einsatz und muss sie auch nachts raus, so muss ihr die "gesamte Zeit" bezahlt werden. Nachdem das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg aufgegeben hatte, sich die tatsächlichen Arbeits- und Bereitschaftszeiten anzuschauen, ist das LAG zu der Erkenntnis gekommen, dass nur ein kleiner Teil der Zeit nicht zu bezahlen ist. Dabei handele es sich um Zeiten, die die Dame mit Familienangehörigen in ihrer Wohnung oder im Restaurant verbracht hatte. (LAG Berlin-Brandenburg, 21 Sa 1900/19)
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22.11.2022
Steuerrecht: Geldwäscheverdacht gegen Oligarchen
Nach Geldwäscheverdachtsanzeigen im Zusammenhang mit Regierungsmitgliedern, Politikern und Oligarchen aus Russland und der Ukraine erkundigt sich die AfD-Fraktion in einer Kleinen Anfrage. Die Bundesregierung soll angeben, wie viele Geldwäscheverdachtsanzeigen in Zusammenhang mit Regierungsmitgliedern und in Zusammenhang mit Personen und Firmen, die mit diesen in Bezug stehen, bei der Financial Intelligence Unit vorliegen. Außerdem wird gefragt, auf welche Gesamtsumme sich die angezeigten Sachverhalte belaufen und welcher Art die betroffenen Vermögenswerte sind. (Bundestag, hib-Meldung vom 21.11.2022)
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18.11.2022
Handy am Steuer: Bloßes Festhalten ist nicht strafbar, aber...
Hält ein Autofahrer während der Fahrt am Steuer sein Mobiltelefon lediglich in der Hand, so erfüllt das noch nicht den Tatbestand „Handy am Steuer“. Dafür müsse auch die Benutzung des Mobiltelefons dazukommen. Das bloße „in-die-Hand-nehmen“ des Handys (um es beispielsweise woanders hinzulegen), ist nicht strafbar Nutzung. Allerdings können aus der Art und Weise, wie das Handy gehalten wird, Rückschlüsse auf die Nutzung gezogen werden. (So sprechen zum Beispiel ein sekundenlanges Blicken auf das Display oder Wisch- und-Sprechbewegungen für eine Bedienung des Geräts.) (OLG Oldenburg, 2 Ss (OWi) 102/19)
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17.11.2022
Verwaltungsrecht: Beim Kieferorthopäden herrscht Impfpflicht für die Mitarbeiter
Kann eine Mitarbeiterin einer Facharztpraxis für Kieferorthopädie nicht nachweisen, dass sie gegen Corona geimpft oder genesen ist, so kann der Landkreis ihr ein (befristetes) Tätigkeitsverbot aussprechen. Das Infektionsschutzgesetz sei in diesem Punkt verfassungskonform. Die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht bezüglich einer Covid-19-Immunität ist verfassungsgemäß. Das Gesundheitsamt dürfe den Schutz der von der Frau betreuten Patienten und der anderen Mitarbeiter Vorrang einräumen. (VwG Oldenburg, 7 B 2812/22)
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16.11.2022
Mietrecht: 160 Meter zur Mülltonne sind hinzunehmen
Hat ein Vermieter den Standort der Mülltonnen für die Mietwohnungen aus baulichen Gründen verlegen müssen, so dass die Mieter einen fast 160 Meter längeren Weg zu den Tonnen zurücklegen müssen, so dürfen sie deswegen nicht die Miete mindern. Das Amtsgericht Berlin-Lichtenberg ist der Meinung, dass der Weg "kaum ins Gewicht fällt". (AmG Berlin-Lichtenberg, 6 C 350/21)
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15.11.2022
Tierhalterhaftpflicht: Allen die «Anwesenheit eines Autos» führt nicht zur Mitschuld
Wendet ein Sportwagenfahrer seinen 300.000 Euro teuren Luxuswagen im Bereich einer Weide, auf der ein Esel steht, und beißt das Tier zweimal in das Heck des Autos, als es vorbeifährt, so kann die Tierhalterhaftpflicht-Versicherung des Besitzers des Esels nicht auf eine Mitschuld des Autofahrers bestehen und die Schadenersatzleistung verweigern beziehungsweise reduzieren. Auch die Betriebsgefahr des Autos sinke in einem solchen Fall auf „0“, weil die bloße "Anwesenheit" des Fahrzeugs nicht zu einem Mitverschulden führe. Auch war es nicht ersichtlich, dass der Esel durch Motoren- oder Fahrgeräusche aufgeschreckt worden sein könnte. Hat der Esel bereits zuvor schon einmal in ein Fahrzeug gebissen und hat der Besitzer den (zwar ausbruchsicheren, jedoch biegsamen) Zaun trotzdem nicht ausgebessert, so haftet er zu hundert Prozent. (LG Gießen, 4 O 110/17)
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14.11.2022
Arbeitsrecht: Branchenspezifisch geht's auch länger als 18 Monate "auf Zeit"
Unternehmen dürfen Zeitarbeiter auch über die gesetzliche Vorgabe von 18 Monaten hinaus einsetzen. Eine solche Regelung dürfen Tarifvertragsparteien innerhalb der Branche treffen. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gebe das her. In dem konkreten Fall ging es um einen Zeitarbeiter, der über einen Zeitraum von mehreren Jahren bei einem Autohersteller (hier: Mercedes-Benz) eingesetzt war und der der Meinung war, wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sei zwischen ihm und dem Unternehmen ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen - vergeblich. Nutzen Branchen die vom Gesetzgeber ermöglichte „Regelungsermächtigung“, so ist das nicht zu beanstanden. Auch die gesondert vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten sei ihm Rahmen. (BAG, 4 AZR 83/21)
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11.11.2022
Kündigung: Auch ein Christ darf über eine Leihmutterschaft nachdenken...
Lässt ein Domkantor einer evangelischen Kirche offen, ob er – zusammen mit seinem Ehemann – über eine Leihmutterschaft in Kolumbien Kinder „austragen“ lassen wird, so ist das kein Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Entlassung sei unverhältnismäßig, da der Musiker nicht gegen den Loyalitätsanspruch seines Arbeitgebers verstoßen habe. Ist das Vorhaben nur ein Gedankenprozess des Mannes, so reiche das nicht für den Verlust des Arbeitsplatzes. Das Argument der Kirche, das Verhalten „erschüttere die Glaubwürdigkeit der Kirche erheblich“ zog nicht. (ArG Braunschweig, 7 Ca 87/22)
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10.11.2022
Verwaltungsrecht: Ein Oberstudienrat wird besser bezahlt - und sollte auch mehr leisten
Weil Oberstudienräte an einem Gymnasium effizienter arbeiten als weniger erfahrene Gymnasiallehrer (zumindest sollten sie das), können sie keinen Zeitausgleich für Funktionsaufgaben erhalten, die sie neben dem Unterricht übernehmen. Auch werden sie nach der Besoldungsgruppe besser bezahlt als andere Gymnasiallehrer. In dem konkreten Fall verlangte ein Oberstudienrat einen Zeitausgleich unter anderem dafür, dass er die Fachkonferenzleitung des Faches Latein sowie die Organisation und Betreuung des Ganztagsangebots seiner Schule übernommen hatte – allerdings vergeblich. Denn Inhaber von Beförderungsämtern müssten grundsätzlich eine „überschaubare Mehrbelastung durch eine gesteigerte Effizienz und bessere Arbeitsorganisation ausgleichen können“. (Niedersächsisches OVG, 5 LB 133/20)
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09.11.2022
Arbeitsrecht: Nur geschützte Arbeitnehmer können wiedereingestellt werden
Einen so genannten Wiedereinstellungsanspruch können grundsätzlich nur Arbeitnehmer haben, die einen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießen. Wird eine Apotheke verkauft und einem Apothekenangestellten gekündigt, der seit mehr als 25 Jahren dort beschäftigt war, so hat er keinen Wiedereinstellungsanspruch, wenn er auf Kündigungsschutzklage verzichtet und die Apotheke mit verringerter Beschäftigtenzahl weitergeführt wird. (In dem Kaufvertrag hatte sich der neue Eigentümer verpflichtet, 3 Arbeitnehmer zu übernehmen.) Ein Wiedereinstellungsanspruch stehe nur den Arbeitnehmern zu, die sich gegen die Kündigung gewehrt hatten. (BAG, 8 AZR 845/15)
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08.11.2022
Schmerzensgeld: Ein «Bierbank-Fehlstand» muss schon bewiesen werden
Fällt ein Mann in einem Biergarten von einer Bierbank und verlangt er Schmerzensgeld und Schadenersatz vom Betreiber des Biergartens, weil die Bank nicht richtig aufgestellt gewesen sei und umkippte, so kann er damit nicht durchdringen, wenn er eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht belegen kann. In dem konkreten Fall verlangte der Mann „mindestens 500 Euro“ Schmerzensgeld und die Erstattung von Arztkosten in Höhe von knapp 1.000 Euro. Er hatte sich Schürfwunden und Prellungen zugezogen. (Hier kippte die Bank als die Tochter des Verletzten aufgestanden war. Macht der Schichtleiter des Biergartens jedoch glaubhaft, dass zu Schichtbeginn die Bier- und Biertische jeweils geordnet aufgestellt worden waren und kann der „Umgefallene“ nicht genau wiedergeben, wie die Bank tatsächlich gestanden hatte, so geht er leer aus.) (AmG München, 159 C 18386/21)
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07.11.2022
Wohngebäudeversicherung: Von einem Selbstbehalt profitieren alle - somit zahlen auch alle
Tritt ein Leitungswasserschaden innerhalb einer Eigentümergemeinschaft nur in einer Wohnung auf, so ist der Selbstbehalt, der in der Gebäudeversicherung für das Haus vereinbart worden ist, von allen Eigentümern zu begleichen. Denn im Regelfall ist es so, dass Selbstbehalte dafür sorgen, die Beiträge niedrig halten zu können, wovon in einer Eigentümergemeinschaft auch jeder profitiert. Bei einem Schaden in gemeinsam genutzten Bereichen, wie zum Beispiel im Treppenhaus, ist es auch so, dass – deckt die Versicherung die Kosten nicht komplett ab, weil es einen Selbstbehalt gibt - dieser von allen Eigentümern zu tragen ist. Das gemeinsam eingegangene Risiko müsse auch von allen gemeinsam getragen werden. (BGH, V ZR 69/21)
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04.11.2022
Krankenversicherung: Eine geringe Körpergröße ist keine Krankheit
Auch wenn eine junge Frau angibt, wegen ihrer geringen Körpergröße (von etwas weniger als 1,50 Meter) psychisch sehr zu leiden und im Alltag unter anderem wegen zu hohen Treppenstufen, Waschbecken oder Spiegeln behindert zu werden, so kann sie nicht von ihrer gesetzlichen Krankenkasse verlangen, dass die ihr operative Beinverlängerungen bezahlt. Es handele sich bei einer geringen Körpergröße nicht um eine Krankheit, die auf Kosten der Allgemeinheit zu behandeln sei. Für die Probleme im Alltag gebe es Hilfsmittel und die Möglichkeit, die Wohnungseinrichtung anzupassen. Psychische Beeinträchtigungen seien mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 183/21)
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03.11.2022
Sterbehilfe: Der Staat muss beim Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben nicht helfen
Auch schwerkranke Patienten mit Sterbewunsch (hier ging es um zwei Männer und eine Frau, die unter anderem an Krebs beziehungsweise Multipler Sklerose litten) haben gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) keinen Anspruch darauf, ein todbringendes Medikament (hier verlangten sie, das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital) kaufen zu dürfen, um ihre Leben beenden zu können. Es müsse der Weg über einen Arzt oder eine Sterbehilfeorganisation eingeschlagen werden. Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben könne nicht gegenüber dem Staat eingefordert werden. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 9 A 146/21 u. a.)
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02.11.2022
Betrug: Wer sich 1.000 Schmerzpflaster erschleicht, muss grundsätzlich in den Knast
Sucht ein Rentner über einen Zeitraum von drei Jahren immer wieder andere Ärzte auf, die ihm jeweils Schmerzpflaster verschreiben (seit einem Eingriff leidet er an einer „Schmerzproblematik“) und erschleicht er sich im Laufe der Zeit fast 1.000 Fentanyl-Pflaster mit einem Gesamtwert in Höhe von rund 20.000 Euro zu Lasten seiner gesetzlichen Krankenkasse, so kann er sich (inzwischen 65 Jahre alt) nicht gegen eine Freiheitsstrafe (hier ausgesprochen in Höhe von 1 Jahr und 7 Monaten auf Bewährung) wehren. Diese sei schuld- und tatangemessen. Letztlich habe er sich in 21 Fällen des Betrugs schuldig gemacht - jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Wegen seines Alters (inzwischen 65 Jahre alt) und wegen des vollumfassenden Geständnisses sei die Bewährung gerechtfertigt. (AmG München, 1125 Ls 362 Js 107777/21)
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31.10.2022
Verbraucherrecht/Schadenersatz: Auch ein "Billig-Handwerker" muss mangelfrei arbeiten
Übernimmt ein Handwerker den Auftrag, die drei Schornsteine eines Hauses zu sanieren, das einem Bekannten von ihm gehört, so muss er für die Ausbesserungsarbeiten geradestehen, wenn seine Sanierungsarbeiten „unstreitig mangelhaft“ sind. Das gelte auch dann, wenn er angibt, der Hauseigentümer habe gewusst, dass er kein „ausgebildeter und versierter Dachdecker“ sei, und dass es abgesprochen gewesen sei, die Arbeiten „kostengünstig mit vorhandenen Altmaterialien des Hauseigentümers“ durchzuführen. Ein Unternehmer ist immer verpflichtet, ein mangelfreies Werk herzustellen. Wenn ihm die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen, dann müsse er sie sich verschaffen. Der Unternehmer hätte darauf hinweisen müssen, dass mit den Altmaterialien ein mangelfreies Werk nicht hergestellt werden könne. Er muss die Kosten für die Mangelbeseitigung tragen. (OLG Rostock, 4 U 16/20)
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29.10.2022
Abschleppkosten: Die Standgebühren dürfen nicht ausufern
Parkt ein Fahrzeughalter seinen Wagen unberechtigt in einem privaten Innenhof eines Gebäudekomplexes, so darf das Auto abgeschleppt werden. Der Halter muss dann auch die Abschleppkosten (hier: 270 €) und die Standgebühren auf dem Gelände (15 € pro Tag) des Abschleppunternehmens bezahlen. Kommt es nach der Aufforderung des Autobesitzers an den Abschlepper, den Wagen herauszugeben, zum Streit, und steht das Auto schließlich 329 Tage auf dem Hof, so muss nicht die komplette Standzeit bezahlt werden (hier forderte der Abschleppunternehmer insgesamt rund 5.200 €). Es sei zwar richtig, dass der Halter für das Abschleppen bezahlen müsse, schließlich habe er durch sein Falschparken die Ursache gesetzt. Die Unterbringung auf dem Gelände der Abschleppfirma müsse allerdings nur so lange bezahlt werden, bis er unmissverständlich klargestellt habe, dass er sein Fahrzeug heraushaben wollte. Das Einbehalten sei zwar ein legitimes Mittel, um die Bezahlung der Abschleppkosten sicherzustellen. Nicht jedoch, um damit „Standgebühren“ zu verdienen. (OLG Rostock, 8 U 328/22)
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27.10.2022
Verwaltungsrecht/Verbraucherrecht: »Geflügel-Salami« darf keinen Schweine-Speck enthalten
Ist auf der Vorderseite einer Wurstverpackung lediglich der Aufdruck »Geflügel-Salami« zu lesen, so ist diese Bezeichnung irreführend für die Verbraucher, wenn das Produkt neben Putenfleisch auch Schweinespeck enthält. Das gelte auch dann, wenn auf der Rückseite der Verpackung in kleiner Schrift »mit Schweinespeck« zu lesen ist sowie eine Zutatenliste, in der der Speck ebenfalls aufgelistet ist. Die Erwartung der Verbraucher werde bei dem Produkt maßgeblich durch die Angabe auf der Verpackungs-Vorderseite beeinflusst. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 9 A 517/20)
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26.10.2022
Reiserecht: Hamburg und Hannover unterscheiden sich vom Flughafen nicht
Annullierungen von Flügen können – unter bestimmten Voraussetzungen – den Passagieren eine Ausgleichszahlung nach der EU-Fluggastrechteverordnung bescheren. Das gilt jedoch nicht, wenn ein Flug aus Gran Canaria wegen einer leichten Verspätung außerplanmäßig in Hannover landet und die Passagiere in Bussen zum eigentlichen Zielflughafen Hamburg gebracht werden. (In Hamburg war das Nachtflugverbot zu beachten.) Das Landgericht Hamburg verneinte einen Anspruch auf eine Entschädigung, weil der umgeleitete Flug nicht als „annulliert“ zu betrachten sei. Das könne nur dann der Fall sein, wenn auf einem anderen als dem ursprünglichen Zielflughafen gelandet wurde, „der nicht denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient“. Die Flughäfen Hannover und Hamburg bedienen dieselbe Region. Das Einzugsgebiet beider Flughäfen überschneide sich aufgrund ihrer Größe. Es sei unerheblich, dass sie sich in unterschiedlichen Bundesländern befinden. (LG Hamburg, 305 S 33/20)
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25.10.2022
Arbeitsrecht: Eine Bindungsklausel ist ok, aber...
Ermöglicht und bezahlt ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern die Teilnahme an beruflichen Weiterqualifizierungen, so kann er im Gegenzug verlangen, dass die Beschäftigten für eine bestimmte Mindestdauer dem Arbeitgeber treu bleiben - andernfalls sie verpflichtet sind, die Kosten für die Weiterbildung ganz oder teilweise zu erstatten. Allerdings darf dabei die Bindungsdauer nicht beliebig sein, sondern "angemessen und vertretbar". Außerdem ist eine solche Bindungsklausel unwirksam, die jedwedes vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (unabhängig von dessen Grund) mit einer Rückzahlungsverpflichtung verknüpft. Denn eine Eigenkündigung aus gesundheitlichen Gründen zum Beispiel dürfe nicht "bestraft" werden. (BAG, 9 AZR 260/21)
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22.10.2022
Mietrecht: Schönheitsreparaturen reichen nicht automatisch bis in den Keller
Ist eine Klausel zu den Schönheitsreparaturen im Rahmen eines Mietvertrages gültig, so gilt sie nicht automatisch auch für die Kellerräume. Zieht eine Mieterin aus der Wohnung aus, und muss sie streichen, so muss sie nicht auch automatisch im Keller zum Pinsel greifen. Lediglich in den Wohnräumen müssen derartige Arbeiten ausgeführt werden. In dem konkreten Fall ging es um mehr als 2.700 Euro, die ein Vermieter nach dem Auszug an Schadenersatz für die Renovierung der Kellerräume in Rechnung stellte. Nach Abzug der Kaution verblieben mehr 1.500 Euro. Die ehemalige Mieterin wehrte sich mit Erfolg. Sie habe Anspruch auf Rückzahlung der Kaution. Denn die Pflicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen könne nicht einfach auf die Kellerräume ausgeweitet werden, wenn keine entsprechende Vereinbarung getroffen worden ist. Der in Mietverträgen üblicherweise verwendete Terminus Schönheitsreparaturen bezieht sich nur auf Wohnräume. (AmG Homburg, 7 C 206/20 (17))
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19.10.2022
Reiserecht: Zwei Einzelbuchungen können die Entschädigungszahlung kosten
Grundsätzlich kann eine Entschädigungszahlung für Passagiere fällig werden, wenn ein Anschlussflug verpasst wird, und die Airline dafür verantwortlich gemacht werden kann. Das ist nicht immer einfach herauszufinden, wie folgender Fall zeigt. Zwei Reisende hatten ihren Anschluss-Flug von London nach Frankfurt am Main verpasst. Das Gepäck war nicht bis in die hessische Metropole durchgebucht worden, so dass durch die Warte- und Bearbeitungszeiten bei der erneuten Gepäck-Aufgabe der Flug nach Frankfurt ohne die beiden abhob. Es entstanden Mehrkosten für neue Tickets, die die Reisenden von der Fluggesellschaft erstattet verlangten. Außerdem forderten sie die Ausgleichszahlung wegen verspäteter Beförderung – vergeblich. Die Ausgleichszahlung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Ansprüche gegen die Airline können nur geltend gemacht werden, wenn der Flug über die Gesamtstrecke als einheitlicher Flug gebucht wurde. Das war hier nicht der Fall. Zwar erweckte die Buchungsbestätigung den äußerlichen Anschein, dass es sich bei den Teilstrecken um eine zusammenhängende Verbindung gehandelt hatte. Tatsächlich seien aber zwei einzelne Flüge gebucht worden. Das wurde mittels separater Buchungsnummern und Einzelpreise für die zwei Flüge deutlich. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 586/21)
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18.10.2022
Hartz IV: Kleine Trinkgelder dürfen schadlos kassiert werden
Bezieht eine Frau Hartz IV und arbeitet sie als Servicekraft in der Gastronomie, so muss sie sich Trinkgelder, die sie von Gästen kassiert, nur dann auf die Leistungen des Jobcenters anrechnen lassen, wenn sie ein Zehntel des Regelsatzes übersteigen. Ist das nicht der Fall (hier kam sie auf knapp 25 € im Monat), so darf das Trinkgeld nicht als „Erwerbseinkommen“ angerechnet werden. Vielmehr handele es sich dabei um eine Zuwendung, die Dritte erbringen, ohne dass hierfür eine rechtliche oder sittliche Verpflichtung besteht. Erst, wenn dieses „Zubrot“ die Lage der Frau derart günstig beeinflusst, dass daneben Sozialleistungen nicht gerechtfertigt wären, dürfte es angerechnet werden. (BSG, B 7/14 AS 75/20 R)
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17.10.2022
Mietrecht: Mieter dürfen schon mitreden, aber nicht alle gleichermaßen
Mieter haben Anspruch darauf, dass an ihrem Stellplatz eine Ladestation für ein Elektrofahrzeug errichtet werden muss. Sie dürfen auch bei der Entscheidung mitreden, welche Firma die Installation vornimmt. Das sei für den Vermieter unter Berücksichtigung der Mieterinteressen dann zumutbar, wenn es technisch ohne weiteres möglich ist. Das gelte unabhängig davon, ob zukünftig noch andere Mieter Ladestationen beantragen. Zwar gebe es kein „allgemeines Recht auf Gleichbehandlung aller Mieter“, willkürlich dürfen Entscheidungen allerdings auch nicht getroffen werden. (LG München I, 31 S 12015/21)
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15.10.2022
Mietrecht: Ein Nebenwohnsitz darf nicht untervermietet werden
Nutzt ein Mieter die Wohnung lediglich als Nebenwohnsitz, so kann er gegen seinen Vermieter nicht durchsetzen, die Wohnung untervermieten zu dürfen. Lediglich geringfügige Gebrauchs- und Komfortvorteile begründen kein berechtigtes Interesse an einer Untervermietung. Hier beabsichtigte ein Vermieter, zwei Zimmer seiner Drei-Zimmer-Wohnung in der Stadt unterzuvermieten. Er selbst wohnte in einer Doppelhaushälfte am Stadtrand. Der Vermieter hat dem zu Recht nicht zugestimmt. (LG Berlin, 67 S 286/21)
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12.10.2022
Verbraucherrecht: «Übersehenes» geht auf Werkstatts Kappe
Eine Kfz-Werkstatt muss einem Kunden Schadenersatz zahlen, wenn sie im Rahmen einer umfangreichen Reparatur dennoch einen Schaden übersieht und dementsprechend den Kunden auch nicht auf diesen - eigentlichen dringend nötigen - weiteren Reparaturbedarf des Autos hinweist, und wenige hundert Kilometer nach der Reparatur das Fahrzeug (hier ging es um einen SUV) einen Motortotalschaden erleidet. Die Werkstatt hatte hier umfangreiche Arbeiten am Motor durchgeführt: unter anderem hatte sie alle hydraulischen Ventilspielausgleichselemente und einen Kettenspanner erneuert. Den Zustand der zu diesem Zeitpunkt bereits stark austauschbedürftigen Steuerketten untersuchte sie jedoch nicht. Dieses Versäumnis muss sich die Werkstatt zuschreiben lassen. (In der Summe ergab sich hier, dass die Kosten, die dem Kunden ohnehin durch den Austausch der Steuerketten entstanden wären, vom Schadenersatz abgezogen werden dürfen. Im Ergebnis gab „nur“ eine Nutzungsausfallentschädigung (1.000 €) und die Erstattung der Kosten für ein zur Aufklärung privat eingeholtes Sachverständigengutachten (2.400 €). (OLG Düsseldorf, 21 U 43/18)
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11.10.2022
Schmerzensgeld: Minderjährige dürfen keine Shisha in einer Bar erhalten
Der Betreiber einer Shisha-Bar muss einem minderjährigen weiblichen Gast Schmerzensgeld zahlen, wenn die Mitarbeiter der Bar eine Shisha herausgegeben haben, ohne das Alter des Mädchens zu prüfen, die Minderjährige eine Kohlenmonoxid-Vergiftung erleidet und mehrere Tage stationär behandelt werden muss. Ein Betreiber eines Pubs sei „verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden“, so das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Auch die Tatsache, dass weder das Mädchen noch ihre Freundin, mit der sie die Bar zusammen aufgesucht hat, in die Benutzung der Shisha eingewiesen worden waren, muss sich der Barbetreiber zurechnen lassen. Denn nach dem Jugendschutz dürften in Gaststätten Tabakwaren nicht an Kinder oder Jugendliche abgegeben werden. Auch das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte dürfte ihnen nicht erlaubt werden. (Hier musste der Pub-Betreiber 6.400 € Schmerzensgeld zahlen.) (OLG Frankfurt am Main, 6 U 148/21)
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10.10.2022
Mietrecht: An die Tochter darf die Wohnung überlassen werden
Überlassen Mieter die Wohnung ihrer Tochter und nutzen sie die Wohnung lediglich als Zweitwohnung, so darf der Vermieter deswegen nicht den Mietvertrag kündigen. Verfügen die Mieter weiterhin über einen Schlüssel zur Wohnung und stehen sie dem Vermieter stets als Ansprechpartner zur Verfügung, so kann der Vermieter nicht die Räumung und die Herausgabe der Wohnung verlangen. Es handele sich nicht um eine "vertragswidrige Überlassung an einen Dritten". Zur Familie des Mieters bestehe "eine enge, unter dem Schutz der Verfassung stehende persönliche Beziehung". (AmG Berlin-Mitte, 123 C 5105/19)
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07.10.2022
Verfassungsrecht/Patientenrecht: Fixierungen nicht ohne richterlichen Beschluss
Weil die „Fixierung von Patienten einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person darstellt“, muss für jede Fixierung ein richterlicher Beschluss vorliegen. Das hat das Bundeverfassungsgericht entschieden. Die Regelungen dazu sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Mit dem Urteil des Gerichts gilt nun bundesweit, dass derartige Maßnahmen zumindest innerhalb kurzer Zeit von einem Gericht geprüft werden müssen. Anlass des Urteils waren zwei Fälle - einer aus Bayern, der andere aus Baden-Württemberg -, in denen zwei Männer jeweils in "Einrichtungen" mehrere Stunden lang "erlaubt gefesselt" worden waren. In beiden Fällen musste eine richterliche Zustimmung zu der Fixierung seinerzeit nicht eingeholt werden – eine Anordnung des Arztes reichte aus. Die Gesetze der Länder sahen das so vor. (Das ist inzwischen auch dort anders und die Gerichte müssen zügig eingeschaltet werden.) (BVfG, 2 BvR 309/15 u. a.)
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06.10.2022
Wohngebäudeversicherung: Wer den Herd voll aufdreht, handelt grob fahrlässig
Schaltet eine Hauseigentümerin vor Verlassen des Hauses eine Platte ihres Herds nicht „Aus“, sondern versehentlich auf höchste Stufe „An“, und kommt es zu einem Brand, so kann ihre Wohngebäudeversicherung die Leistung wegen grober Fahrlässigkeit kürzen. Ein solches „Vergreifen“ sei nicht nur als „fahrlässig“ einzustufen, da sich die Frau angesichts der „besonderen Gefährlichkeit eines Elektroherds“ per Blickkontakt hätte vergewissern müssen, dass der Herd auch tatsächlich ausgeschaltet war. Es könne nicht von einem „Augenblicksversagen“ ausgegangen werden, da weder eine besondere Eile noch eine Ablenkung durch eine außergewöhnliche (Not-)Situation vorlag. Die Versicherung durfte hier die Zahlung kürzen (in Höhe von 25 %). (Hanseatisches OLG in Bremen, 3 U 37/21)
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04.10.2022
Rentenversicherung: Ein Schreibtisch kann als Hilfsmittel bezahlt werden müssen
Erleidet ein Fertigungsleiter einen Bandscheibenvorfall und wird ihm (nach knapp 2-monatiger Arbeitsunfähigkeit) ärztlich attestiert, dass ein höhenverstellbarer Schreibtisch weitere Fehlzeiten vermeiden beziehungsweise erheblich reduzieren könne, so muss die Deutsche Rentenversicherung Bund einen solchen Schreibtisch finanzieren. Sie darf die Leistung nicht mit der Begründung ablehnen, dass die Erwerbsfähigkeit des Mannes „nicht erheblich gefährdet“ sei. Auch das Argument, dass der Arbeitgeber für die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit einem entsprechenden Schreibtisch verantwortlich sei, zog nicht. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers tatsächlich nicht gemindert. Aber durch die täglich sitzende Arbeitstätigkeit liege eine „hinreichend schwere Gefährdung“ vor. Der Schreibtisch gilt als Hilfsmittel zur Berufsausübung. (LSG Baden-Württemberg, L 2 R 2454/19)
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30.09.2022
Mietrecht: Auch auf einem einzigen Grundstück können zweierlei Verträge gelten
Hat ein Mieter zwei separate schriftliche Mietverträge über eine Wohnung und einen Stellplatz, so spreche die „tatsächliche Vermutung“ dafür, dass beide Verträge rechtlich selbstständig seien, so der Bundesgerichtshof. Das gelte auch dann, wenn der Stellplatz auf demselben Grundstück liegt wie die Wohnung. Nimmt der Stellplatzmietvertrag keinen Bezug zum Wohnraummietvertrag und sind die Kündigungsmöglichkeiten unterschiedlich, so ist von zwei separaten Mietverträgen auszugehen. (BGH, VIII ZR 94/20)
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29.09.2022
Arbeitsrecht: Übertreiben durften die Arbeitgeber trotz Corona-Angst nicht
Haben Arbeitgeber Beschäftigte nach der Rückkehr aus dem Urlaub (mit Blick auf Corona) für eine gewisse Zeit unbezahlt vom Betrieb ausgeschlossen, obwohl die behördliche Coronaquarantäneverordnung das nicht gefordert hatte (hier hatte der Arbeitgeber eine darüber hinaus gehende Regelung eingeführt), so müssen sie den Mitarbeitern Gehalt nachzahlen. In dem konkreten Fall ging es um einen Urlaubsrückkehrer aus der Türkei, der ein 14-tägiges Betretungsverbot für seinen Betrieb trotz negativer Coronatests erhalten hatte. Das gelte auch dann, wenn das Urlaubsland zu dem Zeitpunkt vom Robert Koch-Institut (RKI) als „Risikogebiet“ eingestuft worden war. Hatte der Mann jedoch einen negativen PCR-Test nach Abreise, einen bei Ankunft in Deutschland und zudem ein Attest vom Hausarzt, dass er „Covid-19- und beschwerdefrei“ sei, so durfte ihm der Zugang nicht verweigert werden. Der Arbeitgeber schulde „grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs“, weil er die „Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung“ selbst gesetzt habe. (BAG, 5 AZR 154/22)
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28.09.2022
Kündigung: Wer Trinkgelder für die Gemeinschaftskasse einbehält, der fliegt
Sind Trinkgelder in einem Kfz-Betrieb üblich, wenn Schrotthändler entsorgtes Material dort kostenlos abholen und wandern diese Gelder in eine gemeinschaftliche Trinkgeldkasse, so darf einem Kfz-Technikmeister fristlos gekündigt werden, der von einem Schrotthändler 235 Euro zugesteckt bekommen hat, und davon aber nur 70 Euro in die Gemeinschaftskasse abführt. Dadurch, dass er seinen Kollegen 165 Euro vorenthalten hat, habe er eine schwere Pflichtverletzung begangen. Verstrickt er sich danach in Ausreden, so ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt. (ArG Siegburg, 5 Ca 413/22)
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27.09.2022
Krankenversicherung: Auch eine Magenverkleinerung kann bezahlt werden, aber...
Ist eine Magenverkleinerung „medizinisch notwendig und erforderlich“, so muss die gesetzliche Krankenversicherung die kosten dafür übernehmen. Es sei nicht erforderlich, so das Bundessozialgericht, dass vor einer Magenverkleinerungsoperation alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Als „erforderlich“ gelte eine solche OP bereits dann, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse der Operation am gesunden Organ gegenüber den zu erwartenden Resultaten anderer Behandlungsmöglichkeiten (wie zum Beispiel einer konservativen Therapie zur Behandlung der Fettleibigkeit) „eindeutig überlegen ist“. (Dabei ist zu beachten, dass es bei der Frage, ob solche Kosten von einer gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden müssen, immer auf den Einzelfall ankommt.) (BSG, B 1 KR 19/21 R)
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26.09.2022
Verkehrsrecht: Mit einem SUV ist "über Rot" schlimmer als mit einem normalen Auto
Fährt ein SUV-Fahrer (SUV steht für "Sport Utility Vehicle") in einen durch eine Ampel geregelten Kreuzungsbereich ein, obwohl die Ampel bereits länger als 1,1 Sekunden "Rot" zeigte, so ist das Bußgeld mit Blick auf die Größe des Fahrzeugs zu erhöhen. Weil das Fahrzeug von seiner Bauart von normalen Kraftfahrzeugen in der Art abweicht, dass es über eine erhöhte Bodenfreiheit verfügt, besteht eine erhöhte Betriebsgefahr. Die kastenförmige Bauweise und die hohe Frontpartie bringen eine größere Verletzungsgefahr für querende Verkehrsteilnehmer. Denn diese sollen durch die Ampelregelung ja eigentlich geschützt werden. (AmG Frankfurt am Main, 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22)
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23.09.2022
Mietrecht: Um Druck auszuüben, darf der Mieter nur an laufenden Zahlungen sparen
Verweigert der Vermieter dem Mieter zu Unrecht die Belegeinsicht für die Betriebskostenabrechnung, so hat der Mieter dennoch keinen Anspruch darauf, bereits geleistete Betriebskostenpauschalen erstatten zu bekommen. Mieter können in einem laufenden Mietverhältnis die Rückzahlung der auf die vereinbarten Nebenkosten geleisteten Abschlagszahlungen auch dann nicht verlangen, wenn der Vermieter die Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen verweigert. Mieter können aber die laufenden Nebenkostenvorauszahlungen stoppen, und um sich schadlos zu halten und Druck auf den Vermieter auszuüben. (BGH, VIII ZR 150/20)
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21.09.2022
Schmerzensgeld: Hilft ein Hund ordentlich nach, zahlt das Herrchen den halben Schaden
Ist ein (hier: 72-jähriger) Mann mit seinem Pedelec auf einer Straße unterwegs, und läuft ein Hund - von seinem Herrchen gerufen - zunächst von der einen Straßenseite auf die andere, und schließlich auf den Pedelec-Fahrer zu, so muss das Herrchen Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen, wenn der Pedelec-Fahrer stürzt, sich dabei das Schlüsselbein bricht und an der Schulter verletzt. Zwar müsse ein Fahrradfahrer grundsätzlich in der Lage sein, "sein Pedelec abzubremsen, einem Hindernis auszuweichen oder sicher abzusteigen". Realisiert sich aber eine typische Tiergefahr, ohne die es nicht zu der - wenn auch unzulänglichen - Reaktion des Radlers gekommen wäre, so muss das Herrchen 50 Prozent für die Folgen des Unfalls haften (hier musste er 250 € Schadenersatz sowie 6.300 € Schmerzensgeld bezahlen). (OLG Oldenburg, 13 U 199/21)
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19.09.2022
Unfallversicherung: Ein Stadtpark ist kein erweiterter Schulhof
Verlässt ein Schüler in der Pause das Schulgelände und geht er mit zwei Mitschülern in den naheliegenden Stadtpark, um zu rauchen, so steht er dabei nicht unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Herrscht zu dem Zeitpunkt ein Unwetter mit Sturm, und fällt ihm ein Ast auf den Körper und den Kopf, so kann das nicht als "Arbeitsunfall" gewertet werden. "Der organisatorische Verantwortungs- und Einflussbereich der Schule war auf das Schulgelände beschränkt" und endete am Schultor. Der Park kann nicht als "erweiterter" Schulhof angesehen werden. (BSG, B 2 U 20/20 R)
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16.09.2022
Arbeitsrecht: Werden Flugzeuge verlegt, darf Mitarbeitern gekündigt werden
Hatte eine Fluggesellschaft an einem Flughafen 34 Maschinen "stationiert" (hier Easyjet am Berliner Flughafen BER) und werden davon 16 Maschinen verlegt, so hat die Airline das Recht, Mitarbeiter an diesem Standort betriebsbedingt zu kündigen. Ist die unternehmerische Entscheidung der Reduzierung in Ordnung und ist von einem "dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs" auszugehen, so sind die Kündigungen rechtmäßig. Legt die Fluggesellschaft schlüssig dar, mit welcher Anzahl von Beschäftigten sie den verbleibenden Bestand an Flugzeugen an diesem Standort betreiben wolle, so ist dem nichts zu entgegnen. Auch die Möglichkeit, durch kurzfristige Fluplanänderungen künftig doch wieder mehr Maschinen an dem Standort zu benötigen, könne nicht dazu führen, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben müssten. (LAG Berlin-Brandenburg, 5 Sa 1584/21)
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15.09.2022
Bußgeld: Im Wald nur auf öffentlichen Wegen biken - oder blechen
Fährt ein Mountainbiker auf nicht zur öffentlichen Nutzung freien Wegen, so kann er dafür ein Bußgeld kassieren. Dazu zählen auch Fuß- und Pirschpfadwege und von „Downhill-Bikern“ illegal angelegte Pfade. Das hat das Oberlandesgericht Oldenburg entschieden. In dem konkreten Fall war ein Mann auf einem Trampelpfad im Wald mit seinem Mountainbike unterwegs, wofür er einen Bußgeldbescheid über 150 Euro erhielt, weil er „außerhalb von öffentlichen Wegen“ gefahren ist (und außerdem er ein hochtragendes Reh aufgeschreckt hatte). Der Eigentümer des Grundstücks hatte der öffentlichen Nutzung des Weges nicht zugestimmt, was für den Biker auch erkennbar gewesen ist, weil alle öffentlichen Wege durch Schilder freigegeben waren. Verbotsschilder aufzustellen wäre dem Eigentümer nicht zuzumuten gewesen. (OLG Oldenburg, 2 Ss OWi 25/21)
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14.09.2022
Beamtenrecht/Erholungsurlaub: Die Erben erhalten nicht mehr als 20 Tage ausgezahlt
Stirbt eine (Landes-)Beamtin, und war sie vor ihrem Tod lange Zeit dienstunfähig krank, so dass sie ihr zustehenden Erholungsurlaub nicht nehmen konnte, so haben die Erben Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den nicht genommenen Urlaub. In dem konkreten Fall ging es um mehr als 60 Urlaubstage. Allerdings wird der Anspruch durch den vierwöchigen unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub begrenzt. also bei einer Fünf-Tage-Woche auf 20 Tage jährlich. Unter dem Strich erhielten die Erben hier eine Zahlung in Höhe von rund 9.400 Euro. (VwG Berlin, 28 K 563/19)
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13.09.2022
Eigenbedarf: Manchmal sind die Gründe der Mieter "härter"
Eine Familie mit vier Kleinkindern, die von Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") lebt, und der es nicht möglich, ist eine Ersatzwohnung anzumieten, darf trotz einer vom Vermieter zulässig ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung in der Wohnung bleiben. Es liege ein Härtefall vor. In dem konkreten Fall hatte sich die Eigentümerin von ihrem Ehemann getrennt und beabsichtigte, ihre Wohnung selbst zu beziehen (was legitim ist). Weil es der 6-köpfigen Familie aber trotz intensiver Bemühungen nicht gelang, eine Ersatzwohnung anzumieten, ging die Räumungsklage der Eigentümerin ins Leere. Zwar habe sie ein „berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses“. Die Härtegründe der Mieter wiegen jedoch schwerer. Für eine Einzelperson, die nicht auf staatliche Mittel angewiesen ist, sei es einfacher, eine Wohnung zu finden, als für die große Familie, die von Hartz IV lebt. (AmG Lübeck, 33 C 1544/21)
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12.09.2022
Arbeitsrecht: Der Arbeitgeber durfte Corona-Tests verlangen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine Orchestermusikerin (hier ging es um eine Flötistin an der Bayerischen Staatsoper) sich daran halten musste, wenn der Arbeitgeber vorgegeben hatte, dass nur auf Corona getestete Musiker spielen durften, deren Ergebnis negativ waren. Eine solche Testpflicht musste allerdings verhältnismäßig sein und die Interessen beider Seiten abwägen. Konkret ging es um eine Frau, die sich geweigert hatte, wie vorgeschrieben (zum Beginn der Spielzeit 2020/21) im Abstand von einer bis drei Wochen kostenfrei angebotene PCR-Tests vornehmen zu lassen. Sie wurde von Proben und Aufführungen ausgeschlossen und bekam monatelang kein Gehalt - zu Recht. Zu dem Zeitpunkt bestand die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch aus einem Durchsetzen solcher Vorgaben. Im Interesse des Arbeitsschutzes durfte er Weisungen erteilen, um Leben und Gesundheit zu schützen. Derartige Anweisungen seien rechtmäßig gewesen. (BAG, 5 AZR 28/22)
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09.09.2022
Nachbarrecht: Nur die eigene Auffahrt darf gefilmt werden
Das Amtsgericht München hat entschieden, dass die Installation einer Videokamera, die auch auf die Auffahrt des Nachbarn gerichtet ist, dessen Persönlichkeitsrecht verletzen kann. Das gelte nicht nur dann, wenn „tatsächlich Bilder aufgezeichnet werden“, sondern auch schon, wenn „der Nachbar aufgrund ernsthafter sowie greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte – wie etwa bei einem eskalierenden Nachbarschaftsstreit oder einem zerrütteten Nachbarschaftsverhältnis – „befürchten muss, dass eine Überwachung stattfindet oder künftig stattfinden wird.“ (AmG München, 172 C 14702/17)
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07.09.2022
Scheidung: Pflegeaufwand und Verwurzelung entscheiden über den Verbleib in der Wohnung
Muss nach der Scheidung einer Ehe einer der beiden Gatten aus der gemeinsam bewohnten Ehewohnung ausziehen, so richtet sich die Entscheidung darüber, wen es trifft, „vorrangig danach, wer stärker auf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist“. In dem konkreten Fall ging es um zwei Eheleute, die beide querschnittsgelähmt sind. Und obwohl der Mann wirtschaftlich bessergestellt ist, durfte er in der Wohnung bleiben. Das deswegen, weil er mehr pflegerische Hilfe benötigt als seine Ex. So muss er beim Gang zur Toilette unterstützt werden
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06.09.2022
Verkehrsrecht: Beim E-Scooter gibt es keine «Halterhaftung»
Autohalter müssen bei einem Unfall unter Umständen auch unabhängig vom Verschulden für Schäden haften. Für E-Scooter gilt das nicht. Zwar benötigen E-Tretroller eine Kfz-Versicherung, um am Straßenverkehr teilnehmen zu können. Aber, wenn sich nach einem Unfall mit Sachschaden der Verursacher nicht ermitteln lässt, so kann - anders als bei einem Auto - der Halter des E-Rollers nicht „verschuldensunabhängig“ in Haftung genommen werden. In dem konkreten Fall ging es um einen Autobesitzer, dessen geparktes Fahrzeug durch einen E-Scooter beschädigt wurde. Der dafür verantwortliche Fahrer konnte aber nicht ermittelt werden. Der Autobesitzer verlangte dann Schadenersatz von der Versicherung des Roller-Eigentümers – vergeblich. Bei E-Scootern gibt es - unter anderem, weil sie nicht mehr als 20 km/h fahren - keine „Halterhaftung“. (AmG Frankfurt am Main, 29 C 2811/20)
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05.09.2022
Mietrecht: Schätzungen dürfen auch aus anderen Gebäuden stammen
Vermieter dürfen den Wärmeverbrauch einer Wohnung schätzen, wenn der Wärmezähler defekt ist. Dazu muss er vergleichbare Räume zur Hilfe nehmen. Diese vergleichbaren Räume dürfen auch in einem anderen Gebäude liegen, so der Bundesgerichtshof. Diese Vergleichbarkeit muss der Vermieter im Zweifel beweisen. In dem konkreten Fall ging es um eine Dachgeschosswohnung, für die der Wärmeverbrauch geschätzt werden musste. Dafür legte der Vermieter Vergleichsräume zugrunde, die (auch) in anderen Gebäuden lagen - zu Recht. Die Heizkostenverordnung erlaubt ganz allgemein bei defekten Wärmezählern eine Schätzung – und trifft keine Aussage dazu, wo diese Räume liegen müssen. Somit kommen auch Räume in anderen Gebäuden in Frage. Allerdings müssen diese in Sachen Größe, Nutzungsintensität, Bausubstanz und ähnlichem mit den fraglichen Räumen vergleichbar seien. (BGH, VIII ZR 264/19)
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02.09.2022
Arbeitsrecht: Ob gesund in Quarantäne «geurlaubt» werden kann, entscheidet der EuGH
Musste ein Arbeitnehmer seinen Erholungsurlaub in Corona-Quarantäne verbringen (im Oktober 2020 war es noch so, dass auch dann eine „Absonderung“ vorgeschrieben wurde, wenn jemand lediglich Kontakt zu einer mit dem Corona-Virus infizierten Person hatte) und zieht der Arbeitgeber die Urlaubstage ab, so kann das rechtswidrig sein. Das Bundesarbeitsgericht legte einen solchen Fall jedoch dem Europäischen Gerichtshof mit der Frage vor, ob der Arbeitgeber nach Unionsrecht die Verpflichtung hat, den (bezahlten) Erholungsurlaub nachzugewähren, wenn der Mitarbeiter während des Urlaubs zwar nicht selbst erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte. (Nach deutschem Recht musste der Urlaub in einer solchen Konstellation nicht nachgewährt werden.) (BAG, 9 AZR 76/22)
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01.09.2022
Reiserecht/Schmerzensgeld: Wenn niemand die Schuld trägt...
Das Landgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Angehörige der Insassen der im Jahr 2015 auf dem Rückweg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen zerschellten Germanwings-Maschine kein Schmerzensgeld von der Lufthansa verlangen können. (Es stellte sich heraus, dass der psychisch kranke Co-Pilot den Absturz bewusst herbeigeführt hatte.) Die Airline sei der falsche Adressat für eine Klage, obwohl die Lufthansa das Zentrum betreibt, in dem die flugmedizinischen Sachverständigen tätig waren, die dem Co-Piloten die Fluglizenz ausgestellt hatten. Aber: „Die flugmedizinischen Sachverständigen handelten bei ihren Tauglichkeitsuntersuchungen in Ausübung eines öffentlichen Amtes“. Die Lufthansa habe keinen Zugang zu den flugmedizinischen Untersuchungen. „Deswegen kann nur der Staat oder die Körperschaft haften, in dessen Dienst die Ärzte standen.“ (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 109/19)
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31.08.2022
Sozialhilfe: Ehemanns Wunsch sollte nach seinem Tod erfüllt werden
Lässt eine Sozialhilfeempfängerin ihren Vater im Rahmen einer Sozialbestattung beisetzen, so muss das Sozialamt das Begräbnis auch dann bezahlen, wenn die Frau ein Urnenwahlgrab aussucht, das teurer ist als die üblicherweise vom Sozialamt zu bezahlenden Bestattung in einem Reihengrab. Stellt sich heraus, dass der Papa sich die Grabstelle beim Tod seiner Ehefrau selbst ausgesucht und sich eine Beisetzung im gemeinsamen Grab gewünscht hatte, so ist der Wunsch des Vaters auch postmortal geschützt und zu beachten. Darüber hinaus sind Ehe und Familie nach dem Grundgesetz besonders geschützt. Eine Beisetzung in der Familiengrabstätte sei somit ein angemessener Wunsch im Rahmen der Sozialgesetzgebung. (SG Karlsruhe, S 2 SO 2888/20)
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30.08.2022
Verkehrsrecht: Steht ein Schild rechts neben der Autobahn, gilt es für alle Spuren
Steht ein Schild mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung am rechten Fahrbahnrand einer Autobahn, so gilt das Tempolimit für alle Fahrstreifen - auch dann, wenn es neben der Einfädelungsspur einer Auffahrt angebracht ist. Überschreitet ein Autofahrer, der auf der linken Seite einer kombinierten Auffahrspur fuhr, dieses Limit erheblich (hier fuhr er bei erlaubten 80 km/h 138 Stundenkilometer), so muss er die Strafe dafür hinnehmen (hier 600 € Bußgeld und ein 1-monatiges Fahrverbot). Gibt der Autofahrer an, das Schild zwar gesehen zu haben, aber gleichzeitig angenommen zu haben, dass es sich nur auf den rechten Streifen beziehe, so hat er die Tat „vorsätzlich“ begangen. Auch ein Schild rechts an der Fahrbahn gelte für die gesamte Autobahnbreite. (OLG Düsseldorf, 2 Rbs 31/22)
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29.08.2022
Strafrecht: Auch "stecken gebliebener" Einbruch kann in den Bau führen
Auch wenn ein Einbruch in ein Einfamilienhaus "im Versuchsstadium stecken geblieben ist", kann eine "erhebliche kriminelle Energie" bei der Planung und gestarteter Ausführung zu einer Haftstrafe führen. In dem konkreten Fall vor dem Amtsgericht München ging es um einen Mann, der mit einem Komplizen über ein Dachfenster bereits ins Gäste-WC vorgedrungen und durch die Alarmanlage letztlich "verscheucht" worden war. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von knapp 4.000 Euro an dem Fenster. Das Gericht sprach eine Freiheitsstrafe aus (von 1 Jahr und 8 Monaten) - ohne Bewährung. (AmG München, 854 Ls 266 Js 133457/21)
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26.08.2022
Unfallversicherung: Auch ein "Kennenlern-Praktikum" kann versichert sein
Macht eine 45-jährige Arbeitslose ein „Kennenlern-Praktikum“ bei einem potenziellen Arbeitgeber, so ist sie während dieser Zeit gesetzlich unfallversichert. Das gelte jedenfalls dann, wenn klar ist, dass sie den Job bekommen wird und nach einem 2-stündigen fachlichen Gespräch zum Abschluss des Praktikumstages bei der Besichtigung eines neuen Betriebsteils stürzt und sich den Ellenbogen bricht. Dass der Begriff „Praktikum“ als unfallversicherte Tätigkeit nicht im Gesetz erfasst ist, spiele keine Rolle. Die Berufsgenossenschaft, die sich hier gegen die Anerkennung einer unfallversicherten Tätigkeit wehrte, hatte aber eine Satzung, die unter anderem bestimmt, dass „Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber als Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens oder als Praktikanten die Stätte des Unternehmens im Auftrag oder mit Zustimmung des Unternehmens aufsuchen oder auf ihr verkehren“, während ihres Aufenthalts versichert sind. (BSG, B 2 U 13/20 R)
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25.08.2022
Unfallversicherung: "Nur für Fußballinteressierte" bringt keinen Schutz
Prallt ein Arbeitnehmer einer GmbH bei einem Fußballspiel im Rahmen eines Fronleichnam-Turniers mit einem Gegenspieler zusammen, und wurde die Veranstaltung per Aushang vom „Gesundheitsmanagement“ des Arbeitgebers „für alle fußballinteressierten Mitarbeiter“ bekannt gemacht, so kann eine aus dem Zusammenprall resultierende Verletzung nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden. Nehmen an dem Wettbewerb nur knapp 60 bis 70 Beschäftigte (von rund 1.600, die in der GmbH arbeiten), so handelt es sich weder um „versicherten Betriebssport“ noch um eine „betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung“. Die Teilnahme war nur für eine bestimmte Gruppe der Beschäftigten interessant und stand deswegen nicht offen für alle Betriebsangehörigen oder wenigstens für alle Angehörigen einer abgrenzbaren Abteilung. (BSG, B 2 U 8/20 R)
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25.08.2022
Mietrecht: Insgesamt muss es "erheblich" sein - nicht in jedem Monat für sich
Ist ein Mieter "für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug", so kann der Vermieter den Mietvertrag fristlos kündigen. Klar ist also, dass eine Kündigung wirksam ist, wenn der Mieter zwei volle Mieten nicht bezahlt hat. Der Bundesgerichtshof musste in einem Fall entscheiden, in dem eine Mieterin von der 704 Euro betragenen Januarmiete 135 Euro "offen ließ" und für den Februar gar nichts überwies. Da die Mieterin den Rückstand für Januar als "nicht erheblich" ansah, klagte sie gegen die Kündigung - allerdings vergeblich. Es sei nicht erforderlich, dass der Mieter für zwei aufeinanderfolgende Monate "mit der Entrichtung jeweils eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug sein muss." (BGH, VIII ZR 32/20)
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23.08.2022
Arbeitsrecht: Eine Klinik darf zum Feiern 2G vorgeben - plus einen negativen Test
Ungeimpfte Mitarbeiter eines Krankenhauses (hier ging es um die Charité in Berlin) dürfen angesichts der Corona-Pandemie von einer Betriebsfeier der Klinik ausgeschlossen werden. Ein Mitarbeiter aus der IT-Abteilung beabsichtigte, seine Teilnahme an dem Fest gerichtlich durchzusetzen. Der Arbeitgeber hatte nur vollständig geimpfte oder genesene Mitarbeiter zugelassen. Außerdem wurde ein tagesaktueller, negativer Corona-Schnelltest verlangt. Das Landesarbeitsgericht Berlin hält diese Vorgaben für zulässig. Der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch darauf, ohne Einhaltung der Vorgaben an dem Sommerfest teilzunehmen. Denn für Beschäftigte in Kliniken gebe es wegen der Corona-Pandemie einen besonderen Anlass für Schutzmaßnahmen, insbesondere auch in Form eines Impf- oder Genesenennachweises. Dem Mitarbeiter seien keine Nachteile dadurch entstanden, dass er nicht mitfeiern durfte. Das gelte erst recht „in Abwägung mit möglichen Nachteilen des Klinikbetriebes im Hinblick auf Infektionsrisiken“. (LAG Berlin, 6 Ta 673/22)
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23.08.2022
Reiserecht: Dass das Reisebüro Bescheid weiß, reicht nicht aus
Werden Urlauber von der Fluggesellschaft mindestens zwei Wochen vor geplantem Abflug über eine Annullierung informiert, so stehen keine Ausgleichszahlungen nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung zu. Anders kann es aussehen, wenn die Airline nur das Reisebüro rechtzeitig über den Ausfall des Flugs in-formiert. Versäumt das Reisebüro dann die Zwei-Wochen-Frist, so kann doch eine Zahlung fällig werden. Das hat das Amtsgericht Erding entschieden. Das Informationsrisiko liege bei der Airline. Diese müsse nachweisen, dass der Fluggast rechtzeitig über die Annullierung in Kenntnis gesetzt wurde. Konkret ging es um einen Flug von München nach Split in Kroatien. 15 Tage vor Abflug informierte die Airline das Reisebüro über die Annullierung des Flugs - die Frau erreichte die Nachricht erst vier Tage vor Abflug. Das Gericht sprach ihr die für diese Entfernung (weniger als 1.500 km) nach der Fluggastrechte-Verordnung zustehende Entschädigung in Höhe von 250 Euro zu. (AmG Erding, 119 C 1903/21)
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19.08.2022
Unfallversicherung: Können nicht alle teilnehmen, ist es keine Betriebsveranstaltung
Hat ein Arbeitgeber einen eintägigen Skitag in Österreich organisiert, ohne dabei sämtliche Arbeitnehmer miteinzubeziehen oder zur Stärkung des Zusammenhalts ausgelegte Programmpunkte anzubieten, so liegt damit eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung nicht vor. Erleidet ein Mitarbeiter dabei einen Unfall und verletzt er sich, so hat er keinen Arbeitsunfall erlitten. In dem konkreten Fall nahmen von den rund 1.150 Mitarbeitern lediglich 80 Mitarbeiter an der Veranstaltung teil. Eine solche Skifahrt unterliege nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, weil sie nicht der Pflege der Verbundenheit und der Förderung des Gemeinschaftsgedankens zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten oder zwischen den Beschäftigten untereinander diente. Die Einladung konnte nur von Beschäftigen angenommen werden, die Ski fahren konnten. Von einer „Teambuilding-Veranstaltung“ für alle könne also keine Rede gewesen sein. (LSG Baden-Württemberg, L 3 U 1001/20)
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19.08.2022
Unfallversicherung: Fehlt die genaue Diagnose, so darf nicht einfach abgelehnt werden
Wird ein Schlosser in einem Stahlwerk mit dem Oberkörper von einer Maschine eingeklemmt, so kann das eine - psychiatrisch diagnostizierte – „depressive Entwicklung im Rahmen einer akuten Posttraumatischen Belastungsstörung mit direktem Zusammenhang zum Unfall“ begründen, die als Folge des Arbeitsunfalls zu werten sein kann. Die Berufsgenossenschaft kann die Anerkennung nicht mit der Begründung verweigern, dass zwar eine spezifische Phobie vor der Unfallmaschine einhergehend mit Ängsten vor Enge vor-liegen könne. Die jedoch begründe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit „in rentenberechtigendem Ausmaß“ nicht. (Hier muss die Vorinstanz endgültig entscheiden, da eine genau Diagnose nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft fehlte.) (BSG, B 2 U 9/20 R)
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17.08.2022
Reiserecht/Verbraucherrecht: Zweimal gepatzt, zweimal gelatzt
Bucht ein Mann einen Flug (hier von Helsinki nach Singapur), wird dieser aufgrund eines technischen Problems annulliert und nimmt der Kunde das Angebot der Fluggesellschaft eines alternativen Fluges an (am nächsten Tag via Chongqing in China), so hat er zweimal Anspruch auf die Entschädigungszahlung nach der Fluggastrechte-Verordnung, wenn sich der Flug wegen einer ausgefallenen Servolenkung für das Steuerruder verzögert - und eine Verspätung von mehr als drei Stunden herauskommt. Der Mann forderte zurecht zweimal die bei einem derartigen Langstreckenflug zustehenden 600 Euro. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass es keine Bestimmung gebe, mit der die Rechte der Fluggäste, die anderweitig befördert werden, beschränkt werden sollen
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16.08.2022
Verwaltungsrecht: Wer Affenpocken hat, der muss in Quarantäne
Werden bei einem Mann Affenpocken diagnostiziert, so kann er sich nicht dagegen wehren, dass er vom Gesundheitsamt "abgesondert" wird. Auch die Dauer der Quarantäne von 21 Tagen (gerechnet ab Auftreten der ersten Symptome) ist nicht zu beanstanden, da dieser Zeitraum vom Robert-Koch-Institut empfohlen wird. Die starke Belastung für den Mann durch die Quarantäne sei hinzunehmen, weil der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung überwiege. (VwG München, M 26b S 3317/22
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16.08.2022
(Schüler-)Unfallversicherung: Verschlucken auf einer Abschlussfeier ist "privat"
Verschluckt sich ein junger Mann, der seit seiner Kindheit unter spastischen Lähmungen leidet und auf den Rollstuhl angewiesen ist, auf einer Schulabschlussfeier an einem Stück Käse derart heftig, dass es zu einem Atemwegsverschluss mit Herzatemstillstand und zu einem Hirnschaden mit späterem Wachkoma kommt, so muss die (Schüler-)Unfallversicherung das nicht als „Arbeitsunfall“ anerkennen. Das gelte auch dann, wenn die von der Schulleitung genehmigte und beaufsichtigte Schulabschlussfeier als Veranstaltung im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule zu sehen war. Das Verschlucken bei der Nahrungsaufnahme an sich steht mit der versicherten Schülertätigkeit in keinem sachlichen Zusammenhang. (BSG, B 2 U 5/20 R)
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13.08.2022
Mietrecht: Solange berechtigte Fragen unbeantwortet bleiben, muss der Mieter nicht zahlen
Berechnet ein Vermieter im Rahmen der Betriebskostenabrechnung eine Nachzahlung, so muss der Mieter diese nicht leisten, wenn der Vermieter ihm Antworten auf Fragen zur Abrechnung schuldig bleibt. In dem konkreten Fall berechnete der Vermieter fast 1.000 Euro, wogegen der Mieter einzuwenden hatte, dass ihm unter anderem die Kaltwasserkosten doppelt - sowohl in der Abrechnung der kalten Betriebskosten als auch in der Heizkostenabrechnung - in Rechnung gestellt worden waren und darüber hinaus sich die angegebene Gesamtfläche hinsichtlich der kalten Betriebskosten im Vergleich zum Vorjahr verringert hatte. Der Mieter habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass er die Nachzahlung (noch) nicht schuldet. (AmG Berlin-Neukölln, 18 C 79/21)
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11.08.2022
Kündigung: Wer (Nach-)Prüfungen schwänzt, fliegt auch als Azubi fristlos
Legt ein Auszubildender seinem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor (hier ging es um einen angehenden Sport- und Gesundheitstrainer, der seine Ausbildung in einem Fitness-Studio absolviert), und stellt sich heraus, dass er sich die "AU" deswegen hat ausstellen lassen, um nicht an einer schulischen Nachprüfung teilnehmen zu müssen, so kann ihm fristlos gekündigt werden. Sein Verhalten stelle eine "ganz erhebliche Pflichtverletzung" dar. Es sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, den Auszubildenden bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. (ArG Siegburg, 5 Ca 1849/21)
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10.08.2022
Unfallversicherung: Nach Wiederaufnahme des Heimwegs besteht Schutz
Ein Zugbegleiter, der auf dem Heimweg von seiner Arbeit - wie üblich - die Straßenbahn gewählt hat, die er an diesem Tag jedoch zwischendurch verließ, um zu Fuß bei seiner Hausärztin ein Rezept abzuholen, ist auf der Unterbrechung des Heimweges nicht unfallversichert. Nimmt er den Weg dann aber „in die richtige Richtung“ - wenn auch zunächst zu Fuß - wieder auf, so erleidet er einen Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls, wenn er auf dem Fußweg zur Straßenbahn von einem Auto erfasst und so schwer verletzt wird, dass er später stirbt. Der hinterbliebene Lebenspartner kann Rentenansprüche gegen die Unfallversicherung geltend machen. (BSG, B 2 U 16/20 R)
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09.08.2022
Kündigung: Auch in Elternzeit kann es Änderungen geben
Auch wenn eine Arbeitnehmerin während ihrer Elternzeit einen erhöhten Kündigungsschutz genießt, hat der Arbeitgeber das Recht, in dieser Zeit eine Änderungskündigung auszusprechen, wenn der Arbeitsplatz der Frau weggefallen ist. Nimmt die Frau die Änderungskündigung nicht an, so ist das Arbeitsverhältnis beendet. In dem konkreten Fall hatte der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt und der Frau gleichzeitig die Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen angeboten. Das Beschäftigungsangebot entsprach den Bedingungen, die die Frau vor der Zuweisung des weggefallenen Arbeitsplatzes hatte. Hat der Arbeitgeber „unternehmerisch zulässig“ gehandelt, so sei in der Änderungskündigung eine legitime Maßnahme zu sehen. (LAG Berlin-Brandenburg, 16 Sa 1750/21)
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08.08.2022
Kündigung: Teilnahme an "wildem" Streik kann die Papiere bringen
Nehmen Fahrradkurierfahrerinnen und -fahrer an einem so genannten wilden Streik teil, also an einer nicht von einer Gewerkschaft organisierten Arbeitsniederlegung, so darf ihnen der Arbeitgeber kündigen. Ist der Streik von Mitarbeitern selbst organisiert worden, so stellt die Teilnahme daran eine "unzulässige Rechtsausübung" dar. (ArG Berlin, 20 Ca 10257/21 u. a.)
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05.08.2022
Beamtenrecht: Ob mit einer Niere Polizeidienst möglich ist, muss genau geprüft werden
Ist ein Polizist im Beamtenverhältnis auf Probe und muss ihm eine Niere aus gesundheitlichen Gründen entfernt werden, so darf er nicht ohne Weiteres aus dem Dienstverhältnis entlassen werden. Ohne eine genaue Prüfung des Gesundheitszustandes und der daraus folgenden Einschränkungen sei das nicht rechtmäßig. Der Dienstherr könne nicht argumentieren, der Mann sei dienstunfähig und gesundheitlich nicht geeignet für den Polizeidienst. Der Zustand des Polizisten müsse „ausreichend individuell geprüft“ werden und es müsse per Sachverständigengutachten geklärt werden, ob er nicht doch Beamter auf Lebenszeit werden könne. Allein die Möglichkeit, dass die verbleibende Niere beim Einsatz geschädigt werden könne, reiche nicht als Begründung gegen die Fortsetzung des Dienstverhältnisses aus. (Niedersächsisches OVG, 36 L 220/22)
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04.08.2022
Eigentumswohnung: Auch während der Pandemie muss Teilnahme an Versammlung möglich sein
Auch in Zeiten von Corona müssen alle Eigentümer einer Wohnungseigentümer-Gemeinschaft Zugang zu einer Versammlung haben. Besteht lediglich die Möglichkeit, dem Verwalter eine Vollmacht zu erteilen und ihm Weisungen zu seinem Abstimmungsverhalten zu geben, so reicht das nicht aus. Die auf einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse sind "nicht ordnungsgemäß" und damit anfechtbar. Das gelte insbesondere dann, wenn der Verwalter die einzige Person war, der eine Vollmacht erteilt werden konnte. (AmG Oldenburg, 16 C 8/21)
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03.08.2022
Rundfunkbeitrag: Bei Mitarbeiterleasing muss der Arbeitgeber zahlen
Stellt ein Kraftfahrzeughersteller seinen Mitarbeitern von ihm produzierte Autos im Rahmen eines Mitarbeiterleasings zur Verfügung, so muss er auch dann für die Fahrzeuge Rundfunkbeitrag abführen, wenn die Leasinggeberin ein verselbstständigtes Tochterunternehmen des Kfz-Herstellers ist. Sind die Fahrzeuge auf den Hersteller zugelassen, so ist er Beitragsschuldner für die Rundfunkgebühr. Es liege eine gewerbliche Nutzung vor, da die Mitarbeiter eine Pauschale zahlen und die Leasingmöglichkeit einen Anreiz für die Angestellten sowie einen Werbeeffekt darstelle. (Niedersächsisches OVG, 8 LB 2/22)
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02.08.2022
Europarecht: "Satellitengestützt" kann auch überwiegend am Boden stattfinden
Ein Satellitenmobilfunksystem, das (unter anderem) dafür sorgt, dass in Flugzeugen satellitengestützte Internetverbindungen funktionieren, dürfen auf ergänzende Bodenkomponenten beruhen, die so aufgestellt sind, dass sie das gesamte Unionsgebiet abdecken. Damit werde - nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs - nicht gegen Europarecht verstoßen. Ein verstärkter Einsatz solcher Komponenten sei in Ordnung, sofern der Wettbewerb nicht verfälscht werde und auch „die Satelliten des Systems einen echten und konkreten Nutzen aufweisen“. Im konkreten Fall ging es um einen französischen Dienstleister, der sich als Betreiber europaweiter Systeme für Satellitenmobilfunkdienste anbot – und von der Regulierungsbehörde den Zuschlag bekam. Ein Mitbewerber erhob Einspruch, weil er Europarecht verletzt sah
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01.08.2022
Kündigung: Ein gefälschter Impfpass bringt das Aus
Wer seinem Arbeitgeber einen gefälschten Impfpass vorlegt, dem darf fristlos gekündigt werden. Das hat das Arbeitsgericht Köln entschieden. In dem konkreten Fall ging es um eine Beraterin in der betrieblichen Gesundheitsförderung, die externe Kunden, darunter auch Pflegeeinrichtungen, besuchte. Erklärt die Frau, dass sie geimpft sei (eine Bedingung des Arbeitgebers) und legt bei der Personalabteilung einen Impfausweis vor, so verliert sie ihren Job, wenn sich herausstellt, dass der Ausweis gefälscht war. Sie hat das zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen verwirkt. (ArG Köln, 18 Ca 6830/21)
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29.07.2022
Rundfunkgebühr: Ohne Girokonto geht es auch bar
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass nur diejenigen, die "nachweislich kein Girokonto eröffnen können", den Rundfunkbeitrag bar zahlen dürfen. Ansonsten sei der ausnahmslose Ausschluss von Bareinzahlungen (in dem konkreten Fall ging es um die Beitragssatzung beim Hessischen Rundfunk) rechtens und verstoße weder gegen Europäisches Recht noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. (BVwG, 6 C 2/21)
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28.07.2022
Krankenversicherung: Ein "Nichtarzt" wird auch nicht vergütet
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass eine Krankenkasse nicht für Operationen leisten muss, die von einem „Nichtarzt“ durchgeführt worden sind, der sich seine Approbation erschlichen hatte. Das Krankenhaus, in dem der vermeintliche Arzt tätig war, kann die Leistungen nicht vergütet bekommen. Dieser Vergütungsausschluss gelte auch dann, wenn dem Nichtarzt zuvor eine echte Approbationsurkunde ausgestellt worden ist. Die Kasse kann eine Erstattung der Vergütung für Behandlungen durchsetzen, an denen der Betrüger beteiligt gewesen ist. In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt nun mal der Arztvorbehalt. Voraussetzung sei also nicht nur die Vorlage einer Approbation, sondern auch die fachliche Qualifikation als Arzt. (BSG, B 1 KR 26/21 R)
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27.07.2022
Nachbarrecht: Beim Bohren kommt es auf die Natur der Wand an
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Bewohner eines Reihenhauses nicht einfach in die Außenwand seines Nachbarn bohren darf, wenn es sich um eine sogenannte „Grenzwand“ handelt. Das sei nur bei so genannten „Nachbarwänden“ zulässig. In dem konkreten Fall ging es um eine Außenwand auf einer Terrasse, die leicht versetzt zum Nachbarn stand. Dieser wollte seine elektrische Markise anschließen und bohrte zum Verlegen des Kabelkanals Löcher in den Putz - ohne vorher den Nachbarn zu fragen. Der Bundesgerichtshof urteilte, dass der Nachbar mit der angebohrten Außenwand einen Beseitigungsanspruch hat. Entscheidend sei „die Natur der Wand“. Sind die Außenmauern der beiden Gebäude durch eine Fuge getrennt, so handele es sich aus rechtlicher Sicht um zwei separate Wände. Bei einer Mauer, die zum Anbau auf beiden Seiten bestimmt und wesentlicher Bestandteil der Gebäude ist, sei das anders („Nachbarwand“). (BGH, V ZR 25/21)
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26.07.2022
Arbeitsrecht: Auch ein nur «angekratzter» Feiertag bringt den vollen Zuschlag
Ein LKW-Verlader in einem Logistikunternehmen, der auch in Nachtschicht arbeitet, die um 3:30 Uhr endet, kann für eine solche Schicht, den vollen Feiertagszuschlag verlangen, wenn der Feierabend in einen Feiertag "mündet". Das gelte, obwohl der Feiertag lediglich dreieinhalb Stunden "alt" war. Das Bundesarbeitsgericht: "Fällt ein Feiertag auf einen Werktag, so steht nach dem Arbeitszeitgesetz ein Ersatzruhetag zu. Der muss komplett arbeitsfrei sein. Die Feiertagsruhe ist besonders geschützt. Sie wird durch jede Art von Beschäftigung gestört, auch wenn der Arbeitnehmer am Feiertag nur für einen kurzen Zeitraum gearbeitet hat." (BAG, 10 AZR 641/19)
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25.07.2022
Verbraucherrecht/Produktbeschreibung: Sind mehrere Vitamine enthalten, dürfen die genannt werden
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass auf Lebensmittelverpackungen nicht zwingend die genaue Vitaminverbindung stehen muss, wenn dem Produkt Vitamine zugesetzt worden sind. Zwar müssen die Vitamine selbst bei den Zutaten angegeben sein. Dazu genüge aber eine Bezeichnung wie zum Beispiel „Vitamin A“. (In dem konkreten Fall ging es um das Zutatenverzeichnis eines Margarineerzeugnisses. Dabei kam das Gericht zu dem Entschluss, dass es ausreiche, die verkehrsübliche Bezeichnung zu verwenden. Hier waren das „Vitamin A“, „Vitamin D“ und „Vitamin E“, wofür nicht die spezielle Vitaminverbindung abgebildet werden müsse. Das sei so ausreichend klar und leicht verständliche für die Verbraucher.) (EuGH, C 533/20)
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23.07.2022
Mietrecht: Untervermietung an Touristen ist untersagt
Vermutet ein Vermieter, dass sein Mieter die Wohnung heimlich an Touristen untervermietet (hier handelte es sich um eine 5 Zimmer große Wohnung in Berlin in guter Lage, die attraktiv zu vermieten war) und schaltet der Vermieter einen so genannten „agent provocateur“ ein (hier setzte er eine Freundin als „detektivisches Mittel“ an, die die Zimmer über airbnb anmietete), so handelt der Vermieter nicht rechtswidrig. Spricht er daraufhin dem Mieter eine Abmahnung aus, löscht der danach auch sein Profil bei airbnb, gab die Untervermietung aber nicht auf, so kann er die Kündigung des Mietvertrages kassieren. (Hier erfuhr der Vermieter davon erneut über die Freundin, die von dem Mieter die Telefonnummer erhielt, mit dem Hinweis, sie könne diese an Bekannte weitergeben, die ein Zimmer suchen.) Die unerlaubte Untervermietung an Touristen stellte eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Die Kündigungsfrist musste allerdings eingehalten werden. (LG Berlin, 63 S 30/19)
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21.07.2022
Arbeitsrecht: Ist unklar, wo sich eine Krankenschwester infiziert hat, so gibts nichts
Eine Krankenschwester, die zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland (im März 2020) ohne Atemschutzmaske in einem Altenheim gearbeitet und sich zu der Zeit mit dem Coronavirus angesteckt hat, kann weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld vom Arbeitgeber verlangen. Das gelte auch dann, wenn ihr eine Ärztin attestiert, dass sie sich "am Arbeitsplatz" angesteckt habe. Das sei nicht gesichert - auch nicht, wenn es in dem Heim seinerzeit einen Corona-Ausbruch gegeben hatte. Es sei nicht mehr nachvollziehbar, wo sich die Arbeitnehmerin mit dem Virus infiziert hat. Sie konnte mit der Forderung nach Behandlungskosten, Verdienstausfall und Schmerzensgeld gegen den Arbeitgeber nicht durchdringen. (ArG Siegburg, 3 Ca 1848/21)
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20.07.2022
Reiserecht: Airbnb muss Auskunft geben
Airbnb und vergleichbare Anbieter solcher Internetplattformen, auf denen Touristen möblierte Wohnungen von Privat statt Hotelzimmer mieten können, sind verpflichtet, der Stadt steuerliche Auskünfte über ihre Geschäfte mit den Touristen dort zu geben. Das Argument, dass die Übermittlung solcher In-formationen gegen das Unionsrecht und insbesondere gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs verstoße, zog nicht. Eine derartige Vorschrift über die Steuerauskünfte sei mit dem freien Dienstleistungsverkehr in der Union vereinbar, so die Richter am Europäischen Gerichtshof. Denn eine solche Verpflichtung, über bestimmte Geschäfte in der Beherbergungsbranche Auskunft geben zu müssen, gelte für alle Dienstleister in dieser Branche - unabhängig vom Niederlassungsort und Art und Weise der Vermittlung. Daher sei die Regelung nicht diskriminierend. Auch den Einwand von Airbnb, stärker von der Vorschrift betroffen zu sein, ließ der EuGH nicht gelten. Eine stärkere Betroffenheit sei nur auf die höhere Zahl von Geschäften sowie auf den größeren Marktanteil zurückzuführen. (EuGH, C-674/20)
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19.07.2022
Kündigung: Auch einmalige Kinderpornografie-Verfehlung kostet den Lehrerjob
Ist ein Lehrer (hier an einem kirchlichen Gymnasium) in Besitz von Kinderpornografie, so darf sein Arbeitgeber ihn grundsätzlich entlassen. Erfährt der jedoch erst fünf Jahre nach der Verurteilung des Lehrers (hier zu einer Geldstrafe in Höhe von knapp 5.000 €) von der Straftat und hat er in der Zwischenzeit - bei den Schülern sehr beliebt - weiter unterrichtet, so ist eine Kündigungsfrist einzuhalten (hier einigten sich die Parteien auf die Hälfte einer fiktiven vertraglichen Kündigungsfrist). (Hier hatte der entlassene Lehrer immer wieder betont, dass es sich um eine einmalige und außerdienstliche Verfehlung gehandelt habe und er Rat bei einer Beratungsstelle und einem befreundeten Psychologen gesucht habe.) Dennoch sei der Mann aufgrund seiner Verurteilung nicht mehr als Erziehungskraft geeignet, so da Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Es gehe zwar nicht um ein Dienstvergehen, aber dennoch um einen Vertrauensverlust. (LAG Düsseldorf, 8 Sa 879/21)
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18.07.2022
Reiserecht: Flugzeiten sind verbindlich - zumindest, wenn sie so "wirken"
Bucht ein Mann für seine Familie einen Sommerurlaub und werden bei der Reise sämtliche Abflugzeiten aus der Reisebestätigung nicht eingehalten, so kann das einen Anspruch auf Entschädigung bringen. Bevor das Landgericht Düsseldorf endgültig darüber entscheiden konnte (am Ende sprach es dem Vater 3.200 € Entschädigung zu), "rief" es den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg an. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob ein Flug als „annulliert“ zu betrachten ist, wenn er vom Luftfahrtunternehmen um mehr als eine Stunde vorverlegt wird, und um die Frage, wie verlässlich die vom Reiseunternehmen in den Buchungsbestätigungen genannten Zeiten für die Flüge sein müssen. Konkret hatte der Hinflug eine Verspätung von mehr als drei Stunden, ausgehend von den Flugzeiten in der Bestätigung. Der Rückflug wurde um mehr als eine Stunde vorverlegt. Die Reisenden dürften sich grundsätzlich auf die Flugzeiten verlassen, die in der Reisebestätigung stehen, wenn diese den Anschein erwecken, verbindlich zu sein. Das war hier der Fall. Ausgehend von diesen Flugzeiten wird die Verspätung beziehungsweise Vorverlegung berechnet – und ausgehend von diesen Zeiten kann eine Entschädigung verlangt werden. (LG Düsseldorf, 22 S 352/19)
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15.07.2022
Windenergieanlagen: Kein Schadenersatz wegen behaupteten Infraschalls
Ein Grundstückseigentümer, der behauptet, dass von einer Windenergieanlage, die in rund zwei Kilometern Entfernung von seinem Haus entfernt betrieben wird, Infraschall (Schall unterhalb des hörbaren Bereiches) ausgehe, kann keinen Schadenersatz verlangen. Das gelte jedenfalls dann, wenn die „gesundheitliche Beeinträchtigung“ lediglich behauptet wird und es bereits rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gibt, die die Anlagen erlauben, da bisherige Gutachten gegen wesentliche Beeinträchtigungen sprechen. Ein medizinisch-biologisches Sachverständigengutachten müsse dazu dann nicht mehr eingeholt werden. (OLG Hamm, 24 U 1/20 u. a.)
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14.07.2022
Arbeitsrecht: Pauschale Behauptungen zu Überstunden zählen nicht
Wenn ein Arbeitnehmer auf Bezahlung von Überstunden klagt, dann muss er die auch nachweisen können. Macht ein Auslieferungsfahrer gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber 429 Überstunden geltend, und verlangt er diese bezahlt (hier forderte er mehr als 5.000 €), so muss er beweisen, dass diese Mehrarbeit auch tatsächlich geleistet worden ist. Er muss konkret darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet und welche Tätigkeit er ausgeübt hat, und dass die Ableistung der Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest diesem bekannt und von ihm gebilligt worden ist. Gab es im Betrieb eine technische Aufzeichnung der Stunden, von der der Fahrer behauptet, die darin aufgezeichneten Pausen hätten nicht genommen werden können, weil sonst nicht alle Auslieferungsaufträge geschafft worden wären, so reiche dies als Begründung nicht aus. (BAG, 5 AZR 359/21)
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14.07.2022
Sozialhilfe: Die Anschaffung einer Waschmaschine ist aus dem Regelsatz anzusparen
Eine Sozialhilfebezieherin hat keinen Anspruch auf einen separaten Zuschuss für eine Waschmaschine, wenn ihr Altgerät „den Geist aufgibt“. Die Anschaffung eines solchen Neugeräts müsse sie sich aus ihrem Regelsatz ansparen oder notfalls auf Darlehen des Sozialhilfeträgers zurückgreifen. In dem konkreten Fall vor dem Bundessozialgericht ging es um eine Rentnerin, die Sozialhilfe bezog und einen Zuschuss in Höhe von 99,90 Euro beantragte (die Differenz zur 299 € kostende Waschmaschine hatte sie unter anderem durch Gutscheine des Warenhauses beglichen.) Die gesetzlichen Bestimmungen sähen für solche Fälle keinen Zuschuss vor. (BSG, B 8 SO 1/21 R)
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12.07.2022
Berufsunfähigkeitsversicherung: Ein selbstständiger Friseur wird nicht zum Telefonist
Wird ein selbstständiger Friseurmeister berufsunfähig, weil er gesundheitliche Probleme an den Armen bekommt, so kann seine private Berufsunfähigkeitsversicherung nicht von ihm verlangen, seine Tätigkeit derart umzustellen, dass er wieder in seinem Salon (mit-)arbeiten kann. Zwar sei eine solche Umorganisation grundsätzlich möglich, um eine Berufsunfähigkeit abzuwenden. Hat der Friseur jedoch mehr als 75 Prozent seiner Tätigkeit handwerklich gearbeitet, so sei es ihm nicht zumutbar, beispielsweise als Telefonist künftig Termine für den Salon abzustimmen. Dann sei von der eigentlichen Berufsausübung nichts mehr übrig. Die Versicherung muss eine Berufsunfähigkeitsrente zahlen. (OLG Dresden, 4 U 1585/21)
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11.07.2022
Reiserecht: Deutschland durfte Condor unterstützen
Leistet die Bundesrepublik Deutschland einer Fluggesellschaft (hier: Condor) finanzielle Beilhilfe (hier in Höhe von 380 Millionen €), um sie vor negativen Auswirkungen der Insolvenz des Mutterkonzerns (hier: Thomas Cook) zu schützen, so verstößt das nicht gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof in einem Fall entschieden, in dem sich die irische Airline Ryanair als Konkurrent von Condor gegen die Beihilfe auflehnte. In der finanziellen Unterstützung sei kein Verstoß gegen EU-Recht zu erkennen. Dass die finanziellen Schwierigkeiten Condors auf der Liquidation von Thomas Cook beruhten, stand der Genehmigung der Beihilfe durch die EU nicht entgegen. Ryanair sei es nicht gelungen, nachzuweisen, dass die finanziellen Probleme von Condor nicht hauptsächlich auf die Insolvenz von Thomas Cook zurückzuführen seien. Ryanair hatte vorgebracht, die Krise bei Condor sei durch eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb des Konzerns entstanden. (EuGH, T-577/20)
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08.07.2022
Zivilrecht: Eltern dürfen das Facebook-Konto der toten Tochter einsehen
Die Eltern einer 15-jährigen Tochter, deren Ursache für ihren tragischen Tod nicht aufgeklärt werden konnte (sie wurde von einer U-Bahn überfahren), haben das Recht, den - nach dem Tod in den "Gedenkzustand" versetzten - Facebook-Account des Mädchens einsehen zu können. (Sie wollte auf diese Weise unter anderem erfahren, ob ihre Tochter vielleicht sich selbst vor den Zug geworfen haben könnte.) Datenschutzrecht, so das Gericht, stehe dem "Anspruch auf Zugangsgewährung" nicht entgegen. Vertrauliche Briefe, die ein Dritter verschickt habe, dürfen nach dem Tod des Empfängers von den Erben gelesen werden, ohne dass ein Eingriff in die Rechte dieser Dritten vorgebracht werde oder gar vorliege. Es reiche nicht aus, wenn Facebook den Eltern einen USB-Stick (hier mit 14.000 Seiten Unterlagen) zukommen lasse. Die Eltern müssen vollständigen Zugriff auf das Konto erhalten
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08.07.2022
Betriebskosten: Der Mieter darf die Original-Belege einsehen
Rechnet ein Vermieter für mehrere Jahre die Betriebskosten mit den Mietern ab, so dürfen die verlangen, die Originalbelege dazu einzusehen. Es reiche nicht aus, wenn der Vermieter den Mietern lediglich Kopien der Belege zukommen lässt. Das bedeute im Umkehrschluss aber auch, so der Bundesgerichtshof (BGH), dass Mieter keinen grundsätzlichen Anspruch darauf haben, Kopien von den Belegen zugeschickt zu bekommen. (Der BGH machte deutlich, dass jeder Fall einzeln zu bewerten sei.) (BGH, VIII ZR 66/20)
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06.07.2022
Nachbarrecht: Gegrillt werden muss nicht in zehn Metern Abstand
Ein Grundstückseigentümer kann nicht vom Nachbarn verlangen, dass der für das Grillen einen Mindestabstand von zehn Metern zur Grundstücksgrenze einhalten muss. Für ein solches „abwegiges Verlangen“ bestehe laut Amtsgericht Idstein keine Anspruchsgrundlage. Das gelte auch dann, wenn sich der Nachbar durch das Grillen beeinträchtigt fühlt. Eine solche Forderung würde quasi ein „allgemeines Grillverbot im Freien“ bedeuten. Das sei nicht umsetzbar. (AmG Idstein, 3 C 281/19)
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05.07.2022
Eigentumswohnung: Ein Carport darf nicht ohne Zustimmung der Miteigentümer gebaut werden
Das Amtsgericht München hat entschieden, dass ein Wohnungseigentümer nicht ohne Zustimmung der Miteigentümer einen Carport errichten darf. Denn ein solcher stelle eine wesentliche Veränderung des Gemeinschaftsgrundstücks dar. Steht das Bauwerk bereits, so muss es wieder abgerissen werden. Das gelte auch dann, wenn der Rückbau fast 4.000 Euro kostet und die Errichtung rund 9.000 Euro gekostet hat. Die Miteigentümer des Stellplatzgrundstückes können die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen, da sie keine Verpflichtung haben, die Errichtung eines Carports zu dulden. Eine ordnungsgemäße - im gemeinsamen Interesse - liegende Maßnahme wäre nur dann anzunehmen gewesen, wenn mit der Maßnahme gemeinschaftliche Interessen verfolgt worden wären. Dies sei aber nicht der Fall, weil der Carport nur für den einen und nicht auch für die Miteigentümer gebaut worden ist. (AmG München, 132 C 9764/17)
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04.07.2022
Mietrecht/Mietpreisbremse: Auch in teuren Städten gelten Regeln
Bezahlt ein Mieter für eine Drei-Zimmer-Wohnung (hier in München, für 69 qm ohne Balkon oder Terrasse) eine Kaltmiete in Höhe von rund 1.200 Euro monatlich, so kann er eine Erstattung „überzahlter Mieten“ gegen den Vermieter durchsetzen, wenn dieser Betrag erheblich über dem ortsüblichen Mietspiegel der Stadt liegt. Es liege ein Verstoß gegen die Mietpreisbremse vor. Der Vermieter könne nicht argumentieren, dass bereits der Vormieter der Wohnung mit einer Kaltmiete in Höhe von rund 1.100 Euro einverstanden gewesen sei und der Mietspiegel „nichts mit der Realität der Mieten zu tun“ habe. Die Miete dürfe die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent übersteigen, so das Amtsgericht München. Zwar sei die ortsübliche Vergleichsmiete stets ein „Spannenbereich“, der unter anderem abhängig von der Mietdauer oder auch vom Verhandlungsgeschick sei. Wird diese Spanne jedoch erheblich überschritten, so muss der Vermieter erstatten (hier in Höhe von mehr als 3.000 € für knapp 18 Monate). Außerdem ist die Miete für die Zukunft anzupassen. (AmG München, 453 C 22593/20)
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30.06.2022
Kündigung: "Soll-Angaben" sind eben kein "Muss"
Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, in Massenentlassungsanzeigen gegenüber der Arbeitsagentur Alter oder Geschlecht der Betroffenen anzugeben. Dabei handele es sich um so genannte „Soll-Angaben“, die nach dem Willen des Gesetzgebers nicht verpflichtend seien. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. In dem konkreten Fall ging es um Kündigungen von 17 Arbeitnehmern in einem kleinen Betrieb mit weniger als 60 Beschäftigten, von denen eine Arbeitnehmerin mit der Begründung gegen die Kündigung klagte, es fehlten die „Soll-Angaben“. Damit sei die Kündigung unwirksam. Das BAG sah das jedoch anders. Das Fehler der Soll-Angaben allein führe für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe bereits geklärt, dass derartige Angaben wie Alter oder Geschlecht in der Anzeige nicht enthalten sein müssen. (BAG, 2 AZR 467/21)
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29.06.2022
Unfallflucht: Hundebesitzerin darf nach Fahrradunfall nicht verschwinden
Geht eine Frau mit ihrem Hund spazieren und läuft der einer Fahrradfahrerin "vors Rad", so darf die Tierhalterin nicht einfach davonlaufen, wenn die Radlerin stürzt und sich nicht unerheblich verletzt. Das gelte auch dann, wenn andere Passanten sich um die Verletzte kümmern und die Hundebesitzerin ihrem Tier hinterhereilt, dass panisch ausgebüxt sei. Die Frau muss - neben einem Schmerzensgeld in Höhe von 800 Euro - wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe in Höhe von 1.800 Euro zahlen. Sie hätte zumindest kurz ihre Personalien angeben können, bevor sie sich auf den Weg gemacht hat, ihren Hund wiederzufinden. (AmG München, 941 Cs 442 Js 190826/21)
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28.06.2022
Kündigung: Einem Justiz-Mitarbeiter muss klar sein, was nach einer Fälschung folgt
Legt ein bei einem Gericht beschäftigter Justizmitarbeiter einen gefälschten Corona-Genesenennachweis vor (anstelle eines zu der Zeit noch nötigen tagesaktuellen negativen Coronatests beziehungsweise Impfnachweises), so muss er die fristlose Kündigung hinnehmen. Es liege ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vor. "Die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung der geltenden Nachweispflicht stellt eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten dar". Eine Abmahnung sei nicht erforderlich
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27.06.2022
Sozialhilfe: Arbeitslosengeld II-Grundsätze gelten auch für Grundsicherung im Alter
Hat ein Mann Arbeitslosengeld II bezogen, bevor er wegen Erreichen der Altersgrenze "Grundsicherung im Alter" (= Sozialhilfe) beantragt, so kann ihm in diesem Zusammenhang nicht das Geld für Unterkunft und Heizung gekürzt werden. In dem konkreten Fall hatte der Mann eine 78 Quadratmeter große Wohnung gemeinsam mit seiner Ehefrau bewohnt, für die das Jobcenter bis dato eine Kaltmiete in Höhe von 322 Euro sowie Heizkosten in Höhe von 121 Euro übernahm. Das Grundsicherungsamt akzeptierte nach den Regeln der Sozialhilfe lediglich noch eine Wohnungsgröße von 60 Quadratmetern für den 2-Personen-Haushalt und dementsprechend Heizkosten von lediglich noch knapp 70 Euro im Monat - jedoch zu Unrecht. Es sei anhand einer so genannten Gesamtangemessenheitsgrenze zu beurteilen, "ob die Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind." Und weil hier die Miete sehr gering war, konnte das Ehepaar durchsetzen, die alten Sätze bezahlt zu bekommen. (Hessisches LSG, L 4 SO 143/19)
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24.06.2022
Nachbarrecht: Grillen auf zugelassenem Grillplatz ist erlaubt
Ein Anwohner eines Parks, in dem eine Grillanlage vorhanden ist, kann nicht durchsetzen, dass dieser „ausgewiesene Grillbereich“ nicht mehr für die Zubereitung von Speisen genutzt werden darf. Das gelte auch dann, wenn er sich in der Nutzung seiner Wohnung durch den auf dem Grillplatz entstehenden Rauch „erheblich eingeschränkt“ fühlt. Er müsse das Fenster im Sommer „Tag und Nacht“ geschlossen halten – und auch ein Lüften der Wohnräume sei unmöglich. Das Verwaltungsgericht Mainz wies ihn ab. Er habe keinen Anspruch auf die Untersagung des Grillbetriebs auf der dafür ausgewiesenen Fläche. Es sei „bei der notwendigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht festzustellen“, dass die Rauch- und Geruchsimmissionen nach Art, Ausmaß und Dauer eine erhebliche Belästigung für ihn als Nachbarn darstellten. Die Beeinträchtigungen seien zumutbar. (VwG Mainz, 3 K 427/20)
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23.06.2022
Verwaltungsrecht: "Make-Up-Kunst" ist kein Handwerk
Absolviert eine Frau eine vierwöchige „Ausbildung“ zum „Make-up Artist", so muss sie sich nicht bei der Handwerkskammer als Kosmetikerin eintragen lassen. Denn diese Tätigkeit beschränkt sich auf einen Teilbereich des Kosmetikerberufes und ist deshalb nicht als handwerksähnlich im Sinne der Handwerksordnung einzustufen. Das Argument der Handwerkskammer, die Frau würde Tätigkeiten ausüben, die dem Kosmetiker-Gewerbe zugeordnet seien, konnte nicht durchdringen. Vom typischen Erscheinungsbild eines Kosmetikers unterscheide sich der „Make-up Artist“ dadurch, dass er trendorientiert arbeite und „Kunst“ schaffe. Das beschränkte Tätigkeitsfeld der Frau ist kein Handwerk. (BVwG, 8 C 34/20)
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22.06.2022
Arbeitsrecht: Auch der Mindestlohn kann zurück in die Insolvenzmasse gehen
Hat eine Arbeitnehmerin in den letzten beiden Monaten vor dem Insolvenzantrag ihres Arbeitgebers von einem Konto der Mutter des - bereits zahlungsunfähigen Chefs - für zwei Monate ihr Arbeitsentgelt überwiesen bekommen, so muss sie diese Zahlung im Rahmen der Insolvenzordnung auch dann an den Insolvenzverwalter zurückzahlen, wenn es sich dabei lediglich um Mindestlohn gehandelt hatte. Der Gesetzgeber hat den Mindestlohn grundsätzlich "nicht anrechnungsfrei" gestellt. Der Schutz des Existenzminimums der Arbeitnehmerin werde durch die Pfändungsschutzbestimmungen und durch das Sozialrecht gewährleistet. (BAG, 6 AZR 497/21)
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21.06.2022
Reiserecht: Nur bei "Unmöglichkeit" muss eine Airline nicht zahlen
Auch wenn die Corona-Pandemie im Sommer 2020 zwar etwas „ruhte“ (aber dennoch in vollem Gange war) war es den Fluggesellschaften „freigestellt“, bestimmte Länder anzufliegen. Hat eine Airline in diesem Zeitraum einen Flug nach Spanien annulliert, weil dort sehr hohe Inzidenzzahlen herrschten, so musste sie den Reisenden die kurzfriste Absage mit Geld entschädigen. (Hier in Höhe von 800 €.) Zwar stellte die Pandemie einen außergewöhnlichen Umstand dar, „der sich der Einflusssphäre des Luftfahrtunternehmens entzog“ - allerdings war hier die Annullierung des Fluges nicht unmittelbar darauf zurückzuführen. Denn es gab weder eine behördliche Anordnung noch rechtliche oder tatsächliche Umstände, die die Flugreise unmöglich gemacht hätten. Die Durchführung des Fluges stand im Ermessen der Fluggesellschaft. (AmG Hamburg, 48 C 230/21)
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20.06.2022
Krankenversicherung: Ob Privatärzte den Bereitschaftsdienst mittragen müssen, ist fraglich
Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat entschieden, dass es "ernstliche Zweifel an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage" dafür gibt, dass Privatärzte Beiträge zur Finanzierung des Bereitschaftsdienstes an die Kassenärztliche Vereinigung abführen müssen. In dem konkreten Fall wehrte sich ein Privatarzt, der für drei Jahre 7.500 Euro an Beiträgen für den Bereitschaftsdienst zahlen sollte. Das LSG gab ihm Recht und setzte die Bescheide aus - zumindest so lange, bis die Hauptsacheverfahren entschieden sind. Die "Rechtssetzungskompetenz der Kassenärztlichen Vereinigung ist auf die Konkretisierung der Rechte und Pflichten (...) der Vertragsärzte beschränkt". (Hessisches LSG, L 4 KA 3/22)
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17.06.2022
Kinderbetreuung: Anspruch besteht auch für «gekündigte Kinder»
Kinder, die das dritte Lebensjahr vollendet haben und einen Kindergarten besuchen, haben bis zum Schuleintritt Anspruch auf Betreuung von täglich sechs Stunden. Vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht konnten Eltern eines Kita-Kindes durchsetzen, diese Stundenzahl an Betreuung wochentäglich zu erhalten. Das gelte auch dann, wenn ihnen der vom Landkreis zugewiesene Kitaplatz vom Betreiber gekündigt worden ist (die Umstände dazu sind strittig) und sie nicht dagegen angegangen sind. Es sei nachvollziehbar, dass die Eltern „im Hinblick auf das Wohl des Kindes gegen den Willen des Kita-Betreibers eine weitere Betreuung ihres Kindes in dessen Einrichtung nicht haben erzwingen wollen“. Ihnen muss eine Betreuung in einer anderen zumutbaren Einrichtung ermöglicht werden. (Niedersächsisches OVG, 10 ME 170/21)
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15.06.2022
Amtshaftung: Was genau bedeutet «Außerbetriebnahme»?
Ein Hausbesitzer, der sich nach einem Beratungsgespräch zu seinem Kaminofen mit seinem Bezirksschornsteinfeger einen neuen Ofen anschafft, kann später nicht die Kosten dafür als Schadenersatz vom Kehrmeister erstattet verlangen (hier ging es um knapp 7.000 €), wenn sich herausstellt, dass er nicht auf die Möglichkeit "des Notbetriebes im Katastrophenfall" hingewiesen worden war. Hat der Schornsteinfeger inhaltlich korrekt über die Tatsache aufgeklärt, dass der im Jahr 1994 errichtete Kachelofen bis zu einem bestimmten Stichtag "außer Betrieb" genommen oder nachgerüstet werden musste, so war diese Auskunft eindeutig. Haben sich im Gespräch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es den Hausbesitzer interessieren könnte, dass das Gesetz die Möglichkeit vorsieht, "in Katastrophenfällen" auch mit einem solchen alten Ofen ohne Nachrüstung heizen zu dürfen, so musste der Kehrmeister diese Info nicht ungefragt weitergeben. Außerdem würde es sich um eine "unzulässige Bereicherung" handeln, wenn er den Ofen auf diese Art und Weise nachträglich bezahlt bekäme, da er "besser stehen würde als ohne schädigendes Ereignis." (LG München I, 15 O 4553/21)
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14.06.2022
Unfallversicherung: Auch eine Herzattacke kann ein Arbeitsunfall sein, aber...
Führt ein Streitgespräch mit einem Vorgesetzten zu einer Herzattacke bei einer Arbeitnehmerin, so kann das ein Arbeitsunfall sein, der von der Berufsgenossenschaft anerkannt werden muss. Ein intensives Gespräch könne „als auslösendes Ereignis“ ausreichen. In dem konkreten Fall war eine Bankkauffrau nach einem heftigen Disput mit dem stellvertretenden Abteilungsleiter mit einem Herzstillstand auf ihrem Schreibtischstuhl zusammengebrochen. Ein Notarzt konnte sie wiederbeleben und ihr wurde später ein Defibrator eingesetzt. Weil der Tag ohnehin sehr stressig mit viel Kassengeschäft gewesen war, könne dieses „unschöne, unharmonische und frostige“ Streitgespräch als Auslöser für die Herzattacke gelten. Auch, wenn das typische Tatbestandsmerkmal (das „von außen auf den Körper einwirkende Ereignis“) fehle, könne auch eine geistig-seelische Einwirkung genügen. (Die Vorinstanz muss den Unfallbegriff genau auslegen und endgültig entscheiden.) (BSG, B 2 U 15/19 R)
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13.06.2022
Gewerbemiete/Corona: Es durfte gekürzt werden - allerdings nicht pauschal
Gewerbetreibende, die wegen behördlich angeordneter Lockdown-Maßnahmen (die mit Blick auf die Corona-Pandemie getroffen worden sind) ihr Geschäft schließen müssen (hier ging es um den Einzelhändler KiK, der im Frühjahr 2020 für einen Monat schließen musste), dürfen die Gewerbemiete für diesen Zeitraum kürzen. Die Wohnungsbaugesellschaft als Vermieter kann nicht die volle Miete verlangen - auch, wenn sie ebenfalls nicht für die Schließung verantwortlich war. Der Bundesgerichtshof hat hier eine Kürzung von 50 Prozent bestätigt - auf der anderen Seite dürfen solche Kürzungen auch nicht pauschal vorgenommen werden. Die Minderung müsse den Umständen angepasst sein. „Keine Seite“ trage eine Verantwortung für die Krise, so dass sich weder Vermieter noch Mieter einseitig heraushalten könnten. (BGH, XII ZR 8/21)
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11.06.2022
Handy am Steuer: Das Handyverbot muss ernstgenommen werden
Stirbt eine Mutter, die mit ihrer 3-jährigen Tochter im Kindersitz sowie mit ihrer 6-jährigen Tochter auf dem eigenen Rad auf einer Landstraße unterwegs ist, weil ein Autofahrer mit abgelenkt durch das Lesen und Schreiben einer Nachricht auf dem Handy von der Spur abgekommen ist und alle drei erfasst hat, so kann die Gefängnisstrafe, die er dafür erhält (hier 1 Jahr und 9 Monate wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung), nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Fehlverhalten des Mannes wiege so schwer, dass die volle Härte des Gesetzes zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sei, so das Oberlandesgericht Hamm. Auch die Tatsachen, dass der Mann weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich belastet war, er früh ein umfassendes Geständnis ablegte und einen Kredit aufgenommen hatte, um ein Schmerzensgeld (hier: 10.000 €) zu zahlen, könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Das Gericht machte deutlich, dass die Beachtung des "Handyverbots" von den Verkehrsteilnehmern ernstgenommen werden müssen. (OLG Hamm, 4 RVs 13/22)
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09.06.2022
Verbraucherrecht: Auch ein Vorstand meint eine "Flatrate" ernst
Hat der Vorstand eines Vereins einen Flatrate-Handy-Vertrag (über rund 50 € pro Monat) abgeschlossen, so muss der Anbieter des Vertrages darüber informieren, dass im außereuropäischen Ausland weiterhin hohe Roaming-Kosten anfallen können (innerhalb Europas ist das gesetzlich vorgeschrieben kostenlos). Soll der Kunde nach einem vierwöchigen Aufenthalt in Kanada knapp 2.500 Euro bezahlen, so muss er das nicht akzeptieren. Der Verein klagte überwiegend erfolgreich vor dem Amtsgericht München. Der Anbieter hatte eine Informationspflicht – und zwar unabhängig davon, dass der Vorstand nicht als „klassischer Verbraucher“, sondern eher „wie ein Unternehmer“ unterwegs gewesen sei. Der Richter reduzierte die zu zahlende Summe auf rund 550 Euro. Der Kunde hätte auf die „stark über dem Basistarif entstehenden Kosten“ hingewiesen werden müssen. Das hätte problemlos per SMS oder E-Mail geschehen können. Gerade bei Flatrate-Kunden bestehe „eine erhöhte Veranlassung, über stark gestiegene Kosten zu informieren“ – und das nicht nur bei "Otto Normalverbraucher". (AmG München, 113 C 23543/20)
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08.06.2022
Verwaltungsrecht: Türöffner und Treppenhausbeleuchtung müssen schon sein
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass es zum zeitgemäßen Mindeststandard eines mehrgeschossigen Wohnhauses gehört, dass es im Gebäude einen funktionierenden Türöffner mit Gegensprechanlage sowie eine intakte Treppenhausbeleuchtung gibt. Diese Ausstattungsmerkmale dienen der Sicherheit der Mieter (und anderer Personen, die sich im Haus aufhalten) und seien deswegen unverzichtbar. Verfügt eine Stadt (hier ging es um Frankfurt am Main) entsprechende Arbeiten, so kann sich der Eigentümer des Hauses nicht dagegen wehren. (VwG Frankfurt am Main, 8 L 3058/20)
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07.06.2022
Kündigung: Wenn eine Betriebsrats-Initiatorin dreimal die Papiere kriegt...
Ein Autovermieter hat nicht das Recht, einer Mitarbeiterin fristlos zu kündigen, wenn er ihr „wiederholtes Zuspätkommen“ vorwirft. Darin sei lediglich ein Grund für eine ordentliche Kündigung zu sehen, die hier allerdings nicht greifen konnte, weil die Frau als Initiatorin einer Betriebsversammlung zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl besonderen Kündigungsschutz genoss. In dem Fall vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf ging es um zwei weitere fristlose Kündigungen, die die Frau erhalten hatte, nachdem ihr Bemühen bekannt wurde, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen. Aber auch die zweite Entlassung ging ins Leere. Der Arbeitgeber hatte ihr "Tricksereien" bei der Aufstellung des Wahlvorstands vorgeworfen, die nicht haltbar waren. Ebenso wenig war die dritte fristlose Kündigung haltbar, die sie kassiert hatte, weil sie - bereits fristlos entlassen - in einer Filiale Einladungen für eine Betriebsratswahl aufgehängt hatte, ohne das mit dem Arbeitgeber abgesprochen zu haben. Dafür hätte eine Abmahnung ausgereicht. (ArG Düsseldorf, 10 Ca 4119/21)
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03.06.2022
Hausratversicherung: Auch eine erpresste Abhebung vom Sparbuch ist nicht versichert
Wird eine Frau in ihrer Wohnung überfallen und droht der Täter, der Tochter der Frau "etwas anzutun", wenn sie ihm nicht das Bargeld von einem Sparbuch abhebt, das er in der Wohnung findet, so kann die Frau diesen Schaden nicht von ihrer Hausratversicherung ersetzt verlangen. Zwar sind in einer Hausratversicherungs-Police grundsätzlich bis zu gewissen Grenzen auch Bargeld und Sparbücher versichert. Nicht jedoch Geld, das erst in die Wohnung gebracht werden muss. Auch, wenn das Verhalten der Frau "erpresst" worden ist. (OLG Köln, 9 U 172/20)
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02.06.2022
Grundsicherung: Das Jobcenter muss eine Privatschule nicht bezahlen
Besucht ein Schüler zunächst eine Waldorfschule, die er aber wegen psychischer Probleme und regelmäßiger körperlicher Auseinandersetzungen verlässt, so muss das Jobcenter, von dem die Mutter des Jungen Grundsicherung bezieht, die Kosten für die Privatschule, auf die der Sohn gewechselt ist, nicht übernehmen. (Hier hatte die Mutter die Kosten zunächst noch selbst getragen, "rutschte" dann aber als selbstständige Kampfsportlehrerin in der Corona-Zeit in den Grundsicherungsleistung-Bezug.) Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Junge nicht gleich auf eine öffentliche Schule gewechselt sei. Hält die Mutter einen weiteren Wechsel aus psychischen Gründen für unzumutbar, weil es auf Regelschulen noch mehr Gewalt gebe, so bleibt sie auf den Kosten sitzen. Das Schulgeld sei jedenfalls kein "unabweisbarer Mehrbedarf". (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AS 479/21 B ER)
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01.06.2022
AGG: Kann der Wunsch nach einer «gleichaltrigen» Assistentin diskriminierend sein?
Wünscht sich eine 28-jährige behinderte Studentin über das Stellenangebot bei einem Assistenzdient eine „weibliche Assistentin“ für alle Lebensbereiche des Alltags, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollte, so könnte eine Diskriminierung wegen des Alters vorliegen, wenn der Dienstleister die Bewerbung einer 50 Jahre alten Frau nicht berücksichtigt. Die Frau argumentiert, dass die unterschiedliche Behandlung „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt ist“ und verlangt vom Assistenzdienst eine Entschädigungszahlung. Ob tatsächlich ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorliegt, muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall dort zur Prüfung vorgelegt. (BAG, 8 AZR 208/21)
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31.05.2022
Eigentumswohnung: Ein erheblicher Zahlungsrückstand kann zum Zwangsverkauf führen
Hat sich bei einem Wohnungseigentümer ein erheblicher Zahlungsrückstand beim Hausgeld angehäuft, so können die übrigen Eigentümer verlangen, dass er die Wohnung „zwangsveräußert“. Denn er habe „in erheblicher Weise Pflichten gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verletzt“. Damit sei die „Fortsetzung der Gemeinschaft mit dem Wohnungseigentümer nicht mehr zumutbar“. (Hier war der Wohnungseigentümer über rund 5 Jahre mit Hausgeldern und Umlagen in Höhe von insgesamt rund 12.500 € in Rückstand geraten.) Die Zahlungen mussten per gerichtlicher Vollstreckung eingetrieben werden, weshalb die Wohnungseigentümergemeinschaft beschloss, dem dauerhaft zahlungsrückständigen Eigentümer die Wohnung zu entziehen beziehungsweise ihn zum Verkauf zu drängen – zurecht. (LG Frankfurt am Main, 2-13 S 9/21)
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30.05.2022
Arbeitsrecht: Nicht jeder Konflikt ist direkt Mobbing
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat entschieden, dass nicht jede Auseinandersetzung oder (auch ungerechtfertigte) Maßnahme des Arbeitgebers Mobbing darstelle. Übliche Konfliktsituationen gehören zum Arbeitsleben dazu und bringen auch dann keine Entschädigungszahlung, wenn sie über einen längeren Zeitraum andauern. In dem konkreten Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der nach einer gegen ihn ausgesprochenen Kündigung wegen erheblicher Krankheitstage (die vor Gericht aufgehoben wurde) im Betrieb nicht mehr glücklich wurde. Unter anderem wurde er an einen anderen Arbeitsplatz versetzt und ihm wurde vorgeworfen, Arbeitsunfähigkeit vorzutäuschen. (Er legte zum Beispiel Atteste vor, die bis zu Beginn eines Urlaubs „liefen“ - und nach Abschluss des Urlaubs legte er wieder eine „AU“ vor.) Er verlangte 5.000 Euro als Entschädigung – vergeblich. Nicht jeder Konflikt sei eine „vorwerfbare Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitsnehmer“. Mobbing liege vor, wenn der Arbeitgeber "bezwecke und bewirke", dass "die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird". (LAG Hamm, 1 Sa 1220/20)
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25.05.2022
Vollkaskoversicherung: Für tiefergelegte Ferraris sind öffentliche Straßen nicht gemacht
Befährt ein Mann mit seinem serienmäßig tiefergelegt Ferrari eine innerörtlich Seitenstraße und kommt es durch Aufsetzen des Fahrzeugs zu einem Schaden (hier in Höhe von knapp 60.000 €), so kann die (Voll-)Kaskoversicherung, bei der das Auto versichert ist, Schadenersatz gegen die Gemeinde (als Träger der Straße) nicht durchsetzen. Konnte der Ferrari-Fahrer die Unebenheit (hier ging es um einen "nicht nur geringfügig herausstehenden Kanaldeckel") erkennen können und hat er seine Fahrweise nicht angepasst, so stehe die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde hinten an. Auch, wenn das Fahrzeug serienmäßig tiefergelegt ist, bedeutet die Zulassung für den allgemeinen Straßenverkehr gerade nicht die Zusicherung, dass alle öffentlichen Straßen gefahrlos benutzt werden könnten. (OLG Koblenz, 12 U 1012/21)
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25.05.2022
Arbeitsrecht: Aus jahrelanger Leiharbeit wird nicht zwingend eine Festanstellung
Auch, wenn ein Leih-Arbeitnehmer jahrelang den gleichen Job bei einer Firma macht, hat er nicht zwingend Anspruch auf eine Festanstellung bei dieser Firma. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass "der Leiharbeitnehmer aus Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten kann". In dem konkreten Fall ging es um einen Mann, der 55 Monate lang als Leiharbeiter beschäftigt war. Er konnte jedoch allein aus der langen Zeit als Leiharbeitnehmer keine Festanstellung ableiten. (EuGH, C 232/20)
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24.05.2022
Verwaltungsrecht: Wer "zugedröhnt" mit dem E-Scooter fährt, fährt erst mal gar nicht mehr
Fährt ein Mann mit seinem E-Scooter, und wird bei einer Polizeikontrolle festgestellt, dass er mehrere Betäubungsmittel (unter anderem Kokain) im Blut hat, so muss er neben einem Bußgeld (hier: 500 €) auch ein Fahrverbot (hier ausgesprochen für einen Monat) hinnehmen. Der Mann kann nicht argumentieren, dass beim "Verwenden eines E-Scooters" nicht regelmäßig ein Fahrverbot anzuordnen sei. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken macht deutlich, dass sich jeder Fall "für eine Beurteilung der abstrakten Gefahr" separat angeschaut werden muss. Es komme nicht nur auf die "geringe Masse und Geschwindigkeit" des E-Scooters an, sondern auch darauf, was eine "unsichere oder unberechenbare Fahrweise" im Straßenverkehr als Folge haben könnte. (Pfälzisches OLG Zweibrücken, 1 OWi 2 SsBs 40/21)
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23.05.2022
Krankenversicherung: Nur, was auch in Deutschland erlaubt ist, muss die Kasse bezahlen
Auch wenn die gewählte Form einer künstlichen Befruchtung im europäischen Ausland zulässig ist, muss eine deutsche gesetzliche Krankenkasse nicht zwingend die Kosten dafür übernehmen. Werden die Vorschriften des deutschen Embryonenschutzgesetzes nicht eingehalten, so muss die gesetzliche Krankenversicherung einen solchen Eingriff nicht bezahlen. Das gelte auch dann, wenn die Behandlung in einem EU-Mitgliedsstaat durchgeführt wurde, in dem andere Vorschriften gelten. In dem konkreten Fall ging es um eine Frau, die sich aus medizinischen Gründen für eine künstliche Befruchtung entschieden hatte und diese von ihrer deutschen Krankenkasse hatte genehmigen lassen. Die Behandlung ließ sie dann aber in einer Praxis in Österreich durchführen, wobei (hier 7) Eizellen befruchtet wurden, aus denen sich vier Embryonen entwickelten, wovon einer eingepflanzt und die anderen für spätere Versuche konserviert wurden. Nach dem deutschen Gesetz dürfen nicht mehr Embryonen erzeugt werden, als der Patientin in einem Zyklus übertragen werden können. Die Argumente der Frau, dass deutsche Gesetze in Österreich nicht gelten und die übrigen Embryonen nicht vernichtet, sondern konserviert wurden, zogen nicht. Deutsche Krankenkassen dürfen sich an den Kosten nur beteiligen, wenn die Form der Behandlung in Deutschland auch erlaubt ist. (SG München, S 7 KR 242/21)
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20.05.2022
Persönlichkeitsrecht: Instagram muss Stammdaten nennen
Wird eine Nutzerin der Social-Media-Plattform Instagram auf einem Profil als eine Person dargestellt (nur in Unterwäsche bekleidet und mit „unsittlichen“ Kommentaren), die den Eindruck erweckt, sie sei „an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert“, so muss Instagram die Stammdaten des Nutzers herausgeben, der dieses Fake-Profil erstellt hat. Die Frau wird nämlich „strafrechtlich relevant“ in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, da ihr eine „Verhaltensweise zugeordnet wird“, die ihren sozialen Geltungswert mindert. Und das wiederum ist eine Beleidigung. Instagram muss Name, E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des „Account-Erstellers“ herausgeben. (Schleswig-Holsteinisches OLG, 9 Wx 23/21)
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19.05.2022
Schadenersatz: Kontrolliert der Discobetreiber nicht ausreichend, kann es teuer werden
Ein Diskotheken-Betreiber hat dafür zu sorgen, dass die Tanzfläche möglichst frei von Gefahren ist. Das gelte insbesondere dann, wenn er es erlaubt, dass die Gäste Getränke mit auf die Fläche nehmen dürfen. Es reicht nicht aus, wenn sich eine Kontrollperson von einer Bühne aus einen allgemeinen Überblick über die Tanzfläche schafft. Der Bereich müsse regelmäßig abgegangen werden, wobei auf Getränke-Pfützen und Scherben auf dem Boden zu achten ist. Unterlässt der Disco-Betreiber solche Kontrollgänge, so muss er einer gesetzlichen Krankenversicherung Schadenersatz leisten, die die Kosten für die Behandlung einer Versicherten übernommen hat, die in der Disco auf einer Getränke-Lache ausgerutscht war und sich mehrere Knochen gebrochen hat. (Hier ging es um mehr als 37.000 €.) (OLG Karlsruhe, 7 U 125/21)
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18.05.2022
Unfallversicherung: Auf einer Dienstreise ist eine Segway-Fahrt Privatsache
Befindet sich ein Arbeitnehmer auf einer mehrtägigen, durch den Mutterkonzern seines Arbeitgebers organisierten Veranstaltung in den Niederlanden und gibt es dort - nachdem tagsüber Tagungen und Seminare auf dem Programm standen - "afternoon activities", so ist der Mann auf diesen Abendveranstaltungen nicht automatisch gesetzlich unfallversichert. Es komme immer darauf an, so das Hessische Landessozialgericht, ob die Tätigkeit "den betrieblichen Interessen des Unternehmens" dient. Der Versicherungsschutz bestehe nicht "rund um die Uhr". Stürzt der Arbeitnehmer noch in der Einführung für eine geplante Segwayfahrt, und bricht er sich das linke Sprunggelenk, so muss die Berufsgenossenschaft den Sturz nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Die Teilnahme an der Segway-Tour sei ausschließlich der privaten Sphäre des Versicherten zuzuordnen. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber sie "erwartet und gewünscht" hatte. (Hessisches LSG, L 3 U 157/18)
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17.05.2022
Verwaltungsrecht: Auch 180 Meter kann eine Mülltonne geschoben werden
Grundsätzlich gibt es keine starre Grenze für eine zulässige Entfernung, über die ein Anwohner einer „nicht befahrbaren“ Straße seine Abfalltonne zum angeordneten Sammelplatz bringen muss. Hat der Anwohner Schwierigkeiten, seine Tonne dorthin zu schieben, so könne er „sich der Dienste Dritter bedienen“. In dem konkreten Fall ging es um einen Sammelplatz, der rund 180 Meter vom Grundstück entfernt lag. Der Eigentümer argumentierte, es handele sich nicht um eine „nicht befahrbare“ Straße, weil sie vom Müllfahrzeug rückwärts befahren werden könne. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht entschied, dass Anwohner einer Sackgasse grundsätzlich verpflichtet werden können, ihre Mülltonne zu einem dafür eingerichteten Sammelplatz zu bringen. Gibt es keine Wendemöglichkeit für das Müllfahrzeug, so muss auch ein Rückwärtsfahren nicht angeordnet werden, da ein solches nach Einschätzung der Berufsgenossenschaft und der Gesetzlichen Unfallversicherung nur Strecken umfassen dürfe, die nicht länger als 150 Meter sind. (Schleswig-Holsteinisches OVG, 5 MB 42/21)
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16.05.2022
Grundsicherung: Rentner-Toilettengänge müssen nicht bezahlt werden
Ein Rentner, der seine Rente mit Grundsicherungsleistungen aufstockt, kann nicht verlangen, dass ihm zusätzlich ein Mehrbedarf dafür gezahlt wird, dass er täglich dreimal außer Haus öffentliche Toiletten aufsuchen müsse, die in seiner Region (hier ging es ihm insbesondere um die Ruhrgebietsstadt Essen) allesamt kostenpflichtig seien. Durchschnittlich koste jeder Toilettenbesuch zwei Euro, so dass er an 30 Tagen pro Monat auf 180 Euro käme. Liegt jedoch kein ernährungsbedingter Mehrbedarf aus medizinischen Gründen vor (der Rentner gab selbst an, „altersentsprechend gesund“ zu sein, so dass eigentlich keine überdurchschnittliche Notwendigkeit von Toilettengängen bestehe, so kann er für diese Freizeitgestaltung keinen Mehrbedarf geltend machen. Der geltend gemachte Aufwand liege jenseits des üblichen Verhaltens der Durchschnittsbevölkerung. (LSG Nordrhein-Westfalen, L 20 SO 174/21)
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Hat ein Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie laut Tarifvertrag Anspruch auf bezahlte arbeitsfreie Tage (hier konnten die Beschäftigten wählen zwischen „bezahlt frei“ oder „Zusatzgeld“), so ist dieser Anspruch nicht erfüllt, wenn er an zwei der festgelegten freien Tage arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitnehmer muss die freien Tage dann nachgewähren. Durch die bloße Festlegung der Tage sei der Anspruch nicht erfüllt. Die Zeit muss tatsächlich nutzbar sein, was einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entgegenstehe. (BAG, 10 AZR 99/21)
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11.05.2022
Untermiete: Bei einer Einzimmerwohnung fehlt das «Konzept»
Grundsätzlich haben Mieter Anspruch darauf, dass der Vermieter ihnen die Erlaubnis erteilt, einen Untermietvertrag abzuschließen. Nur, wenn der Vermieter "wichtige Gründe" dagegen vortragen kann, darf er die Zustimmung verweigern. Ein Vermieter muss auch dann nicht zustimmen, wenn es sich bei der Wohnung lediglich um eine "Einzimmerwohnung" handelt und der Mieter kein schlüssiges "Überlassungskonzept" vorlegt. Kann er die geplante Untervermietung "räumlich nicht näher beschränken", so darf der Vermieter ablehnen. (LG Berlin, 67 S 87/21)
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11.05.2022
Schadenersatz: Auch seelische Schmerzen können «Körperverletzung» darstellen
Der Europäische Gerichtshofs (EuGH) hat ein Gutachten herausgegeben, in dem es um den Entschädigungsanspruch einer Flugreisenden geht, die mit der Airline darüber im Streit lag, ob auch eine psychische Erkrankung infolge eines Unfalls als „Körperverletzung“ zu werten sei. Der EuGH ist der Meinung, dass das „unabhängig von der körperlichen Unversehrtheit“ der Fall sei, wenn die psychische Beeinträchtigung ärztlich festgestellt und medizinisch behandelt werde. In dem konkreten Fall war ein Triebwerk explodiert und das Flugzeug wurde evakuiert. Die Passagierin stieg über den Notausstieg aus und wurde durch den „Jet Blast“ (vom anderen Triebwerk aufgewirbelte Luft) mehrere Meter weggeschleudert. Später wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und sie verklagte die Airline auf Schadenersatz. Zu Recht, so der EuGH. Dass in dem „Montreal Übereinkommens“ (das Haftungsfragen im internationalen Luftverkehr regelt) nur der Begriff „Körperverletzung“ verwendet werde, sei nicht entscheidend. Heutzutage müsse der Begriff so ausgelegt werden, dass er auch psychische Schäden umfasse. Ein außergewöhnliches Ereignis, das als lebensbedrohlich empfunden werde, könne ein Trauma auslösen. Dies sei genauso real und verheerend wie eine Körperverletzung. (EuGH, C-111/21)
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10.05.2022
Krankenversicherung: Cannabispräparate müssen nicht übernommen werden
Leidet ein (27-jähriger) Mann an einem chronischen Schmerzsyndrom (insbesondere im unteren Rückenbereich mit Ausstrahlungen in beide Beine), und hat sein Arzt ihm ein Mundspray per Privatrezept verordnet, das Cannabisextrakte enthält (und im Gegensatz zu den bislang verschriebenen Medikamenten eine deutliche Schmerzlinderung erreicht), so muss die gesetzliche Krankenversicherung des Mannes dieses Präparat nicht bezahlen. Stellt sich heraus, dass noch nicht alle alternativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind (unter anderem aktivierendes Training oder eine psychotherapeutische Mitbehandlung), so muss die Kasse das Medizinal-Cannabis nicht bezahlen. Die Versorgung mit Cannabisarzneien komme nur ausnahmsweise in Betracht - und unter "engen Voraussetzungen". (SG Karlsruhe, S 15 KR 2520/20)
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06.05.2022
Betriebskosten: In einem Brennpunkt-Wohngebiet zahlt der Mieter die Wache zur Hälfte
Liegt ein Mietshaus in einem Hotspot der linksradikalen Szene, wo es immer wieder zu Vandalismus an Fahrzeugen und Häusern kommt, so kann der Vermieter die Kosten für einen von ihm beauftragten Wachdienst auf die Mieter umlegen. Denn auch die Mieter müssen ein "elementares Eigeninteresse" daran haben, Übergriffe der Gewaltszene zu verhindern oder einzuschränken. 50 Prozent des Aufwands dürfen im Rahmen der Betriebskosten auf die Mieter abgewälzt werden. (AmG Berlin-Tempelhof, 8 C 85/21)
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05.05.2022
Nachbarrecht: Auch auf dem Land dürfen Ziegen nicht übel stinken
Ein Grundstückseigentümer kann auch dann verlangen, dass sein Nachbar seine Ziegenherde samt Ziegenbock so hält, dass für ihn nur erträgliche Geruchsemissionen entstehen, wenn sich die Grundstücke im ländlichen Bereich befinden. Beeinträchtigen die üblen Gerüche das Eigentum des Nachbarn, so sind sie nicht zumutbar. Ihm stehe ein Anspruch „auf Unterlassung dieser wesentlichen Geruchsbeeinträchtigungen durch die Ziegenhaltung“ zu. Üble unerträgliche Gerüche haben nichts mehr mit einer mangelnden Gewöhnung an das Landleben zu tun, wenn ein „ungestörter Aufenthalt von Personen auf dem Grundstück des Nachbarn nicht mehr möglich ist“. (OLG Bamberg, 5 U 363/20)
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04.05.2022
Krankenversicherung: Bei besonderen Ausnahmen wird auch eine Brustverkleinerung bezahlt
Leidet eine (42-jährige) Frau an anhaltenden Brust- und Halswirbelsäulenbeschwerden, so kann ihre (gesetzliche) Krankenversicherung ausnahmsweise verpflichtet sein, die Kosten für eine Brustverkleinerung zu übernehmen. Das gelte jedenfalls dann, wenn zwar eine Heilung der Beschwerden durch die Brustverkleinerung nicht möglich sein wird, jedoch deren Verschlimmerung dadurch verhütet und Schmerzen gelindert werden können. Auch die Tatsache, dass die Frau an Adipositas leidet, und die Krankenkasse zunächst eine Gewichtsabnahme insgesamt empfiehlt, ändere nichts daran, dass die Kasse die Kosten übernehmen muss. Damit könne die zu entfernende Brustgewebsmenge pro Seite nicht erreicht werden. (SG Karlsruhe, S 16 AS 2698/20)
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03.05.2022
Betriebskosten: Miete für Rauchwarnmelder darf nicht umgelegt werden
Die Mietkosten für Rauchwarnmelder kann der Vermieter nicht als Betriebskosten auf den Mieter umlegen. Möglich sei aber eine Mieterhöhung. In dem konkreten Fall sollte der Mieter einer Wohnung im Rahmen der Betriebskostenabrechnung die Mieten für die Rauchwarnmelder tragen. Das muss er nicht. Denn Anschaffungs- und Anmietkosten seien grundsätzlich keine Betriebskosten. Aber es bestehe in einem solchen Fall die Möglichkeit einer „Modernisierungsmieterhöhung“, da es sich bei der Ausstattung einer Wohnung mit Rauchmeldern um eine nachhaltige Verbesserung handele. (AmG Landshut, 3 C 1511/19)
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02.05.2022
Verwaltungsrecht: Sind "Verliebte" im Land, müssen sie zur Hochzeit beim Amt erscheinen
Hat ein Türke per Videokonferenz über die Website des US-Bundesstaates Utah seine Partnerin (eine Bulgarin) online geheiratet, so ist diese Ehe in Deutschland nicht gültig. In dieser Online-Heirat, die ein Behördenmitarbeiter in Utah durchführte, gaben sich die beiden, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, das Ja-Wort. Der Mitarbeiter in Utah hatte alles protokolliert und bescheinigt. Im Anschluss daran stellte der „frisch Vermählte“ einen Antrag auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, mit dem Ziel ein Aufenthaltsrecht für Deutschland zu erhalten - vergeblich. Die Ausländerbehörde (hier: in Duisburg) durfte dieses Recht verweigern. Die Eheschließung sei in Deutschland nicht gültig, weil sie nicht persönlich bei gleichzeitiger Anwesenheit vor einem Standesbeamten geschlossen worden sei. (VwG Düsseldorf, 7 L 122/22)
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29.04.2022
Arbeitsrecht: Der Arbeitgeber darf auf "2G" bestehen...
Hat eine Künstlerin mit einer Veranstaltungsgesellschaft Arbeitsverträge für Proben und Auftritte in einem Musical abgeschlossen, so kann der Arbeitgeber diese Verträge wieder fristgerecht kündigen, wenn sich herausstellt, dass die Künstlerin eine Corona-Schutzimpfung ablehnt. Es gehöre zur unternehmerischen Freiheit, das "2G-Modell" als allgemeingültiges Anforderungsprofil für alle Arbeitsplätze im Betrieb durchzusetzen. Es reiche nicht aus, wenn die Frau vorschlägt, täglich einen Testnachweis vorzulegen. Auch könne nicht verlangt werden, dass der Arbeitgeber ein anderes Schutzkonzept wähle, weil das einen höheren Kosten- und Personalafwand verursachen würde. (LAG Berlin-Brandenburg, 17 Ca 11178/21)
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29.04.2022
Arbeitsrecht: Es dürfen keine Anreize dafür geschaffen werden, Urlaub nicht zu nehmen
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass es sich nicht negativ auf die Mehrarbeitszuschläge auswirken darf, wenn auch bezahlter Urlaub in dem Monat genommen wird, für den Mehrarbeitszuschläge kalkuliert werden. Denn das könnte Arbeitnehmer abschrecken, überhaupt Urlaub zu nehmen. In dem konkreten Fall vor dem Europäischen Gerichtshof ging es um einen deutschen Manteltarifvertrag für Zeitarbeit, der vorsieht, dass in Monaten mit 23 Arbeitstagen ab einer geleisteten Arbeitszeit von mehr als 184 Stunden ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent gezahlt wird. Unter die geleisteten Stunden fallen jedoch nur tatsächlich erbrachte Stunden, nicht die Urlaubszeit. Ein Leiharbeiter, der in einem Monat 13 Tage gearbeitet und für die verbliebenden 10 Arbeitstage bezahlten Urlaub genommen hatte, klagte gegen die Vorgabe - mit Erfolg. Ziel des bezahlten Jahresurlaubs sei, dass der Arbeitnehmer Zeit zur Erholung habe, um seine Sicherheit und seine Gesundheit zu schützen. Deswegen dürften sie nicht indirekt davon abgehalten werden, diesen bezahlten Urlaub zu nehmen. (EuGH, C 514/20)
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28.04.2022
Nachbarrecht/Gewaltschutz: Wer Nachbarn «weg machen» lassen will, der ist ernst zu nehmen
Gibt es Streit zwischen Wohnungsnachbarn um Cannabis-Geruch, der darin gipfelt, dass der Konsument der Droge dem Nachbarn (der angekündigt hatte, die Polizei zu rufen) droht, „fünf Jungs“ zu bestellen, die „ihn weg machen“, so ist das eine „ernstlich gemeinte Drohung“ zu verstehen - und nicht mehr als „bloßes Aufspielen“ im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits. Aus diesem Grund dürfe gegen den „Kiffer“ ein gerichtliches Annäherungsverbot verhängt werden, weil sein Nachbar tatsächlich befürchten müsse, verprügelt zu werden. (AmG Frankfurt am Main, 456 F 5146/21)
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26.04.2022
Strafrecht: Ein Vergleich mit Ekelbildern ist keine Meinungsfreiheit mehr
Vergleicht ein Mann auf seinem YouTube-Kanal eine Politikerin „mit ekelerregenden Aufnahmen etwa von Krebsgeschwüren“, so verletzt er damit die Persönlichkeitsrechte der Frau und ist zu einer Geldstrafe zu verurteilen. In dem konkreten Fall ging es um eine Politikerin der Grünen, die auf einem Foto mit Transfrauen gezeigt wurde und wozu der YouTuber unter anderem schrieb „Und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimm.“ Damit sei die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten und es liege eine strafbare Beleidigung vor. Der Vergleich mit den Schockbildern sei „grob ehrverletzend“ – auch wenn ein „Smiley“ der Bildüberschrift beigestellt worden ist. Es sei offensichtlich, dass die Attacke auf das Erscheinungsbild der Personen zur bloßen Herabwürdigung diene. Die endgültige Höhe der Strafe (zunächst waren 40 Tagessätze à 80 €) ausgesprochen worden, muss von der Vorinstanz noch ermittelt werden. (Bayerisches OLG, 204 StRR 574/21)
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25.04.2022
Verwaltungsrecht/Beamtenrecht: Eine 5.000-Euro-Überzahlung muss auch einem Prof. auffallen
Wechselt ein Beamter den Dienstherrn und geht er in ein anderes Bundesland (hier ging es um einen Professor, der ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor in einem anderen Bundesland angenommen hatte), so muss er Bezüge zurückzahlen, die aus Versehen noch vom "alten" Dienstherrn überwiesen worden sind, obwohl er für diesen Monat bereits vom "neuen" Dienstherrn bezahlt wurde. Die Tatsache, dass er über seinen Wechsel rechtzeitig informiert hatte, so dass der alte Dienstherr die Überzahlung selbst zu verantworten habe, ändere nichts an seiner Verpflichtung, das Geld zurückzuzahlen. Hat der ehemalige Dienstherr die Überzahlung zeitnah erkannt und zur Erstattung aufgefordert, so sei dem Folge zu Leisten. (VwG Koblenz, 5 K 1066/21)
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22.04.2022
Unfallversicherung: Eine Schwerhörigkeit tritt nicht so schnell ein
Ein (54-jähriger) Mann, der bereits in mehreren Berufen tätig war (unter anderem als Filmvorführer, Kfz-Mechaniker oder Bauarbeiter) kann eine bei ihm diagnostizierte Schwerhörigkeit auch dann nicht als Berufskrankheit anerkannt bekommen, wenn er zuletzt 14 Monate als Bodenabfertiger für einen Helikopterservice tätig war, wobei er "erheblichem Dauerlärm" ausgesetzt gewesen sei. Auch das Argument des Mannes, dass die Hörbeschwerden erstmalig beim Job im Helikopterservice aufgetreten seien, überzeugte nicht. Ergeben die vom Gericht eingeholten Gutachten, dass die erreichten Werte aus den Lärmmessungen am Arbeitsplatz nicht für eine Anerkennung einer Berufskrankheit ausreichen, so sei das zu akzeptieren. Trug der Mann Gehörschutz, war er der Lärmbelastung insgesamt lediglich 14 Monate ausgesetzt und in dieser Zeit nicht einmal mit dem Einzel-Schallspitzenwert von 150 bis 165 Dezibel beschallt, so geht die Forderung nach der Anerkennung einer Berufskrankheit ins Leere. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 14 U 107/20)
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21.04.2022
Mietrecht: Ein Vermieter von vier Wohnungen ist kein "Großvermieter"
Ist ein Mieter mit zwei Monatsmieten in Zahlungsverzug und kündigt der Vermieter den Mietvertrag mithilfe eines eingeschalteten Rechtsanwalts, so verstößt er nicht gegen die so genannte Schadenminderungspflicht. Zwar dürfe ein Großvermieter mit einer eigenen Rechtsabteilung bei klarer Rechtslage keinen Anwalt konsultieren. Auf einen Vermieter von vier Wohnungen treffe das jedoch nicht zu - auch dann nicht, wenn er als Gesellschaft (hier einer GmbH) gewerblich tätig ist. Das hatte hier zur Folge, dass der Vermieter die Kaution (die er nach Ende des Mietverhältnisses eigentlich zurückzahlen müsste) mit den Kosten für den Rechtsanwalt verrechnen durfte. (AmG Berlin-Mitte, 15 C 422/20)
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20.04.2022
Verwaltungsrecht: Es gibt keinen Schutz vor anderen Meinungen
Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen dürfen in der Nähe von Beratungsstellen für Frauen zu dem Thema demonstrieren. Eine Stadt (hier ging es um Frankfurt am Main) handelt rechtswidrig, wenn sie örtliche und zeitliche Einschränkungen der Versammlung anordnet. Hier konnte sich ein Verein durchsetzen, der eine „40-tägige Gebetswache“ (täglich von 12.00 bis 16.00 Uhr) in unmittelbarer Nähe der Beratungsstelle angemeldet hatte, die die Stadt mit der Begründung untersagte, sie dürfe nur außerhalb der Öffnungszeiten der Beratungsstelle gehalten werden, so dass Personen, die die Beratungsstelle aufsuchen wollten, nicht davon abgehalten werden. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main urteilte, dass die Zusammenkunft der Teilnehmer „unzweifelhaft unter das die Versammlungsfreiheit schützende Grundrecht“ des Grundgesetzes falle. Die Protestler besitzen Meinungsfreiheit, die sie in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten dürfen. Es gibt keinen Schutz vor Konfrontation mit anderen Meinungen. (VwG Frankfurt am Main, 5 K 403/21)
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19.04.2022
Baurecht: «Erdrückt» ein Seniorenheim nicht, so darf es in der Nachbarschaft entstehen
Eine Hausgrundstücks-Eigentümerin hat nicht das Recht, den Bau eines Seniorenheimes in unmittelbarer Nachbarschaft stoppen zu lassen, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Seniorenresidenz - in der Gesamtheit betrachtet - eine "erdrückende Wirkung" auf das Grundstück der Frau haben wird. Vorher nicht dagewesene "Einsichtsmöglichkeiten" in ihr Grundstück muss die Frau hinnehmen, weil "in dicht bebauten innerörtlichen Bereichen immer mit einer Nachverdichtung gerechnet werden" müsse. Ist ansonsten - zum Beispiel bei der Anlage der Stellplätze für Autos - darauf geachtet worden, das Grundstück der Frau von Beeinträchtigungen (wie Lärm oder Abgase) weitestgehend zu verschonen, so muss sie die Errichtung des Heimes (mit 86 Betten und 13 Wohneinheiten) dulden. (VwG Aachen, 3 L 143/21)
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14.04.2022
Wohngeld - Wer sich nicht ernsthaft um Arbeit bemüht, der geht leer aus
Ein Mann, der nicht arbeitet (bis zum Jahr 2014 war er als Informatiker in verschiedenen Berufsfeldern beschäftigt), hat keinen Anspruch auf Wohngeld, wenn er sich nicht ernsthaft um eine ihm zumutbare Arbeit kümmert und damit "die Erhöhung seines Einkommens unterlässt". Staatliche Leistungen sollen nicht gewährt werden, wenn "aus objektiver Sicht die finanziellen Verhältnisse (...) so gestaltet sein könnte, dass die Belastungen aus eigenen Mitteln" getragen werden können. Sind die vorgelegten Bewerbungen jedoch "nichtssagend" und hat er ein Stellenangebot in einem anderen Bundesland - als Single - mit Blick auf den "auswärtigen Standort" abgelehnt, so kann er kein Wohngeld erhalten. (VwG Berlin, 21 K 170/20)
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13.04.2022
Mietrecht: Ein gesetzlich vorgeschriebener Austausch ist keine Modernisierung
Will ein Vermieter wegen eines nötig gewordenen Austausches der Heizungsanlage die Miete um knapp 40 Euro monatlich erhöhen, so darf er das nicht, wenn sich herausstellt, dass der Austausch nach der Energieeinsparverordnung (EnEV) gesetzlich vorgeschrieben war. Es handele sich dann um eine „Instandhaltung“, die der Vermieter nicht auf die Mieter umlegen darf. Eine Mieterhöhung wegen einer Modernisierung sei in einem solchen Fall ausgeschlossen. (LG Bonn, 6 S 78/20)
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12.04.2022
AGG: Es gibt nicht nur "Herr" und "Frau" beim Shopping
Beabsichtigt eine Person „nichtbinärer Geschlechtsidentität“ etwas in einem online-Shop zu bestellen, und kann dort bei der Anrede nur zwischen „Frau“ und „Mann“ gewählt werden, so liegt darin eine Diskriminierung vor. Das sei als Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu sehen – und damit als Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. In dem konkreten Fall ging es um eine Person, bei der das Standesamt „keine Angabe“ unter der Rubrik "Geschlecht" eingetragen hatte, und in einem online-Shop für Bekleidung einkaufen wollte. Dort musste sie sowohl für die Registrierung als auch für den Kauf zwischen „Frau“ oder „Herr“ auswählen, wofür sie später eine Entschädigungszahlung in Höhe von 2.500 Euro verlangte – vergeblich. Zwar liege eine unmittelbare Benachteiligung des Geschlechts vor, wenn der Kaufvorgang nicht abgeschlossen werden kann, ohne eine falsche Angabe über das Geschlecht gemacht zu machen. Trotzdem sei eine Entschädigungszahlung unangemessen. Nicht jede Berührung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts löse einen Anspruch auf Geldentschädigung aus. Es sei vielmehr erforderlich, dass die Verletzung eine gewisse Intensität erreiche. (OLG Karlsruhe, 24 U 19/21)
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11.04.2022
Krankenversicherung: Im Alltag genügt meist ein normales Hörgerät
Können gesetzlich Krankenversicherte die Vorteile, die sich - angeblich - durch ein höherwertiges Hörgerät im Vergleich zu den von den Krankenkassen finanzierten Geräte nicht "objektivierbar belegen", so haben sie keinen Anspruch darauf, dass die Kasse ihnen das teurere Gerät bezahlt. Nur, wenn nachweislich besondere Höranforderungen im Beruf (zum Beispiel bei "Lärmarbeitsplätzen") bestehen, können kostenintensivere Geräte bezahlt werden. Für einen "normalen Alltagsgebrauch" gilt das meistens nicht. (SG Dresden, S 25 KR 1100/17)
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08.04.2022
Reiserecht: Zahlt die Airline zu schnell, zahlt sie zweimal
Kommt es nach einem annullierten Flug zum Streit zwischen den Fluggästen und der Airline, so geht es oftmals um die Erstattung von Ticketpreisen, die Kunden immer wieder einfordern müssen. In einem Fall vor dem Amtsgericht Bremen zahlte die Fluggesellschaft zwar zügig - allerdings an den falschen Adressaten. Sie hatte an den Fluggast gezahlt, der einen Hin- und Rückflug von Bremen nach Istanbul gebucht hatte, die annulliert wurden. Der Kunde hatte seinen Anspruch auf Rückzahlung des Ticketpreises (knapp 830 €) an ein Fluggastrechteportal abgetreten, das der Fluggesellschaft diese Abtretung anzeigte und Rückzahlung des Ticketpreises verlangte. Die Airline zahlte umgehend – jedoch an den Fluggast. Der Betreiber des Portals klagte gegen die Airline auf Rückzahlung des Ticketpreises - und das zu Recht. Die Fluggesellschaft muss den Ticketpreises (nochmal) erstatten. Durch die Zahlung an den Kunden war der Anspruch nicht erloschen. Das Portal muss Zahlungen an den Fluggast nach der Abtretungsanzeige nicht gegen sich geltend lassen. (AmG Bremen, 9 C 321/20)
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08.04.2022
Strafrecht: Auch Einträge im WhatsApp-Status gelten als Verbreitung
Hat ein Mann ein Video in seinem WhatsApp-Status hochgeladen, in dem auf einer Länge von fast anderthalb Minuten Ausschnitte aus der Zeit des Nationalsozialismus mit Adolf Hitler gezeigt werden (unter anderem mit Hitlergruß und dem eingeblendeten Text "Ich habe gegen jüdische Tyrannei gekämpft"), so "verbreitet" der Mann damit strafbar Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Mann muss eine Geldstrafe zahlen (hier in Höhe von 750 €). Angesichts der auf dem Mobiltelefon gespeicherten rund 230 Kontakten sei "mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen", dass das Video einem - dem Mann nicht kontrollierbaren - Personenkreis zugänglich gemacht wurde. (AmG Frankfurt am Main, 907 Ds 6111 Js 250180/19)
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06.04.2022
Mietrecht: Die Kaution steht allen Mit-Mietern zu - auch, wenn sie nur einer gezahlt hat
Werden drei Mitmieter von der ehemaligen Vermieterin auf rückständige Miete verklagt (hier ging es um die Berechtigung einer Mietminderung wegen Schimmels) und verlangt einer der Mieter im Zuge einer Widerklage die Kaution zurück, so kann er damit nicht durchdringen. Es hätten alle drei ehemaligen Mieter die Herausgabe der Kaution verlangen müssen. Und das auch dann, wenn sie nur von einem bezahlt worden war. Es handele sich um eine Leistung aller drei Mit-Mieter. (KG Berlin, 8 U 193/11)
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05.04.2022
Sozialhilfe: Der Sohn kann den «Pflichtteil des Vaters» noch abgeben müssen
Hat ein Mann jahrelang Sozialleistungen bezogen (hier: in Höhe von insgesamt rund 19.000 €), stirbt seine Mutter und setzt die den Sohn des Mannes (also ihren Enkel) als Alleinerben ein, so kann der Sozialhilfeträger dennoch Zugriff auf den Pflichtteil nehmen, der dem Mann aus dem Erbe zugestanden hätte. Denn wenn ein Bedürftiger "zu Geld kommt", prüft das Amt, ob (und wenn ja, wieviel) davon an das Sozialamt übergeleitet werden kann. Das gelte auch dann, wenn der Erbe inzwischen ebenfalls bereits gestorben ist. Dann hat der Träger der Sozialhilfe (hier: die Stadt) Anspruch gegen den Enkel. (OLG Oldenburg, 3 U 121/21)
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04.04.2022
Hartz IV: Direkt gegen das Jobcenter kann der Vermieter Miete nicht einklagen
Hat ein Vermieter Wohnungen an Grundsicherungsempfänger vermietet und laufen bei einer Mieterin Mietschulden und Rückstände bei den Nebenkosten auf, so kann der Vermieter dieses Geld nicht direkt beim Jobcenter einklagen - auch, wenn das die Kosten für die Bedürftige übernimmt. Es besteht keine Anspruchsgrundlage für eine Schuldübernahme des Jobcenters. Das gelte auch dann, wenn grundsätzlich die gesetzliche Möglichkeit besteht, dass der Vermieter die Miete direkt vom Jobcenter bezieht (was hier aber nicht der Fall war). Der Vermieter muss gegen den Mieter klagen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AS 578/20)
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01.04.2022
Arbeitsrecht: Auch nach weniger als einem Jahr kann es eine neue BEM geben
Beschäftigte haben auch dann Anspruch auf ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), wenn ein früheres BEM noch kein Jahr zurückliegt. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber nach einem durchgeführten BEM erneut ein solches durchführen müsse, „wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird“. Der Abschluss einer solchen Eingliederungsmaßnahme sei also der „Tag Null“ für einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr. Es gebe kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ für eine BEM. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung „auf eine nur einmalige Durchführung (…) im Jahreszeitraum“ lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. (BAG, 2 AZR 138/21)
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30.03.2022
Kündigung: Via WhatsApp ist eine Entlassung nicht gültig
Kündigt ein Arbeitgeber einem Angestellten fristlos den Job, weil er betrunken zur Arbeit erschienen war, so ist die Entlassung nicht rechtskräftig, wenn dem Beschäftigten das unterschriebene Kündigungsschreiben abfotografiert via WhatsApp zugeschickt. Damit ist die erforderliche Schriftform nicht gewahrt. Der Mann kann seine Gehaltsansprüche weiterhin geltend machen. Das Schriftformerfordernis ist erst dann erfüllt, wenn das Kündigungsschreiben vom Arbeitgeber eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wurde. Diese Urkunde muss dem Empfänger dann entsprechend zugehen. Auch das Argument des Arbeitgebers, dass der Beschäftigte seine aktuelle Anschrift nicht mitgeteilt habe, sodass er die Kündigung nicht per Post zustellen konnte, zog nicht. Der Arbeitgeber hatte weder dargelegt, wann noch wie er den Beschäftigten dazu aufgefordert hatte, seine aktuelle Anschrift mitzuteilen. Deswegen liege eine Ausnahmesituation nicht vor. (LAG München, 3 Sa 362/21)
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29.03.2022
Unfallversicherung: Völkerball im «freiwilligen Feuerwehrsport» kann versichert sein
Spielt ein (42-jähriger) Mann im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr Völkerball und erleidet er dabei einen Achillessehnenriss, so kann dieser Unfall unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Das gelte auch dann, wenn die Sehne bereits leicht vorgeschädigt war. Ist diese Vorschädigung allerdings "altersentsprechend nicht ungewöhnlich", so kann die Verletzung nicht als "sich nur zufällig zu diesem Zeitpunkt manifestierende Gelegenheitsursache abgetan werden". Die Unfallversicherung muss für dieses im "Dienst aufgebrachte Sonderopfer" leisten. (SG Dresden, 25 KR 305/18)
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28.03.2022
Mietrecht: Auch Baumfällarbeiten können "laufend" sein
Lässt ein Vermieter einen morschen Baum fällen, so darf er die Kosten dafür grundsätzlich auf die Mieter umlegen. In dem konkreten Fall hatte eine Wohnungsgenossenschaft eine mehr als 40 Jahre alte Birke auf dem Anwesen fällen lassen, weil sie nicht mehr standfest war. Die Kosten dafür (in Höhe von rund 2.500 €) legten die Vermieter mit der nächsten Betriebskostenabrechnung auf die Mieter um – aus Sicht des Bundesgerichtshofs auch zurecht. In der Betriebskostenverordnung seien Baumfällarbeiten zwar nicht ausdrücklich genannt, sondern nur die „Erneuerung von Pflanzen und Gehölzen“. Bäume seien aber „verholzte Pflanzen“. Und eine Erneuerung setze regelmäßig die vorherige Entfernung voraus. Auch seien die Kosten „laufend“ (was eine Bedingung für die Anerkennung von „umlegbaren Nebenkosten“ ist. Das gelte auch dann, wenn nicht jedes Jahr ein Baum gefällt werde. In der Gartenpflege zählen „längere, nicht sicher vorherbestimmbare Zeitintervalle“. Und „völlig unerwartet“ sei die Beseitigung eines Baumes für einen Mieter auch nicht. (BGH, VIII ZR 107/20)
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25.03.2022
Immobilienkauf: Täuscht der Verkäufer, so muss der dem Geld «hinterherrennen»
Kann die Käuferin eines Hauses einen Kaufvertrag anfechten und rückabwickeln, so muss der Verkäufer (der die Käuferin "arglistig getäuscht" hatte) neben dem Kaufpreis auch den Aufwand erstatten, den die Frau für einen Makler sowie für die Grunderwerbsteuer hatte. Der Verkäufer kann nicht argumentieren, sie müsse sich für die Erstattung an den Makler beziehungsweise an das Finanzamt wenden. Der getäuschten Käuferin steht es frei, an wen sie sich mit ihren Erstattungsansprüchen wende. Sie muss dann allerdings "Zug um Zug" ihre Erstattungsansprüche gegen den Makler und dem Finanzamt an den Verkäufer abtreten. (BGH, V ZR 272/19)
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24.03.2022
Mietrecht: Angst vor Corona rechtfertigt keine dauerhafte Zutrittsverweigerung
Hat ein Mieter "Angst vor Corona", so darf das nicht dazu führen, dass gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen (hier ging es um den Einbau von Rauchmelder in der Wohnung) nicht durchgeführt werden können, weil er weder den Vermieter noch den Dienstleister für die Anbringung der Rauchmelder in die Wohnung lässt. Verweigert er den Zutritt beharrlich über ein halbes Jahr lang und helfen auch Abmahnungen nicht, so darf der Vermieter den Mietvertrag fristlos kündigen. In dem konkreten Fall durfte der Mieter allerdings eine Frist von zwei Monaten für den Auszug in Anspruch nehmen, da er bereits 74 Jahre alt und schwerbehindert war - und außerdem bereits 16 Jahre in der Wohnung gelebt hatte. (AmG Brandenburg, 31 C 32/21)
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22.03.2022
Mietminderung: Kellerfenster dürfen ruhig leicht verdeckt werden
Der Mieter einer Doppelhaushälfte hat nicht das Recht, die Miete zu mindern, wenn er angibt, ein Kellerfenster werde vom Nachbarn verdeckt, der Mieter der anderen Hälfte ist, so dass nicht ausreichend Tageslicht in den Keller fallen könne. Handelt es sich bei dem Keller lediglich um einen 3 Quadratmeter großen Raum, in dem sich die Hausanschlüsse befinden, so handele es sich bei der "Verdunkelung" (die das Gericht auf vielleicht 20 schätzte) nicht um eine solch erhebliche Beeinträchtigung, dass eine Minderung der Miete angemessen sei. (Hier hatte der Miete 10 % der Miete zurückbehalten, musste die jedoch nachzahlen.) (AmG Tecklenburg, 13 C 171/20)
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21.03.2022
BAföG: Das Sterbegeld von Beamten ist kein Einkommen "in dem Sinne"
Stirbt ein Beamter, so erhalten die Hinterbliebenen Sterbegeld. Ist der Sohn eines gestorbenen Beamten an einer Universität eingeschrieben und berechtigt, Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu beziehen (BAföG), so ist das Sterbegeld, das seine Mutter als Witwe erhält, nicht als Einkommen anzurechnen. Denn das Sterbegeld diene im Wesentlichen einem anderen Zweck als der Deckung des Lebensunterhalts oder der Ausbildungskosten. Das gelte auch dann, wenn das Sterbegeld auch den Zweck habe, nach dem Tod eines nahen Angehörigen „die Anpassung an die neuen Lebens- und Einkommensverhältnisse zu erleichtern“, womit auch durchaus „Elemente des Lebensunterhalts“ gemeint seien. Aber bei einer Anrechnung des Sterbegeldes würde hier der Anpassungszweck verfehlt. (VwG Göttingen, 2 A 336/19)
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18.03.2022
Reiserecht/Corona: Sechs Tage in der eigenen Wohnung müssen ausgehalten werden
Ein Ehepaar, das nach der Rückkehr aus einem "Corona-Risikogebiet" (hier ging es um ein Paar, das aus Heraklion/Kreta zurück nach Frankfurt am Main kam) für zehn Tage in Quarantäne musste, kann dafür kein Schmerzensgeld vom Land verlangen. Das gelte auch dann, wenn die beide unmittelbar nach ihrer Einreise einen PCR-Test machten, der negativ ausfiel. Die Frau befand sich sechs Tage in Quarantäne (sie beendete diese vorzeitig durch einen negativen Test) und verlangte dafür mindestens 1.250 Euro. Der Mann forderte für zehn Tage Absonderung mindesten 2.500 Euro. Sie behaupteten, sehr unter „Frustration, Ängsten, Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen, emotionaler Erschöpfung, Depression, Reizbarkeit, Existenzängsten und der vereinsamten Situation“ gelitten zu haben. Dennoch gab es kein Geld. "Eine Absonderung von Personen, die von einem Risikogebiet nach Deutschland zurückreisen, ist auf Grundlage der Quarantäne-Verordnung des Landes (...) rechtmäßig“. Dass sie am Tag der Einreise mit einem negativen PCR-Test nachgewiesen haben wollten, nicht ansteckungsverdächtig gewesen zu sein, stellte nur eine Momentaufnahme dar, die wegen der Inkubationszeit keine Aussage über (...) aufgenommene Erreger treffen konnte. Außerdem war die Quarantäne verhältnismäßig - und dem Paar auch deswegen zumutbar, „weil ihnen bereits vor Reisebeginn bekannt war, dass sie sich nach Wiedereinreise aus einem internationalen Risikogebiet in Absonderung zu begeben haben“. Und: Die Absonderung nach ihrer Art, Dauer und Intensität war kein schwerwiegender Eingriff in ihre Freiheitsrechte. Anders als etwa bei einer Strafhaft habe eine Quarantäne keine rufschädigende Wirkung. Zudem seien die beiden nicht irgendwo eingepfercht gewesen, sondern in ihrer eigenen Wohnung. (LG Frankfurt am Main, 2-04 O 165/21)
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17.03.2022
Kündigung: Die Androhung eines "Amoklaufs" rechtfertigt "fristlos"
Äußert ein Buchhalter einer Stadtverwaltung nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten gegenüber einer Kollegin, dass er "den kleinen Wicht aus dem Fenster schmeißen" und dass "er sich das nicht länger gefallen lassen" werde, so ist das eine ernstzunehmende Drohung gegen den Chef. Gibt er außerdem an, "kurz vorm Amoklauf" zu sein und dass "bald was passieren werde", so darf ihm fristlos gekündigt werden. Der Arbeitnehmer hat sich in ernstzunehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin geäußert und dabei sowohl eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten dargestellt als auch einen Amoklauf angekündigt. Eine Abmahnung müsse nicht ausgesprochen werden. (ArG Siegburg, 5 Ca 254/21)
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16.03.2022
Wohngeld: Erhält ein Frührentner rückwirkend Rente, so muss er Leistungen zurückzahlen
Ist einem Frührentner für einen bestimmten Zeitraum Wohngeld gewährt worden (hier für einen Zeitraum von knapp 3 Jahren in Höhe von fast 10.000 €), so muss er die Wohngeldzahlungen erstatten, wenn ihm rückwirkend eine (volle) Rente wegen Erwerbsminderung zugesprochen wird (mit einer Nachzahlung in Höhe von fast 38.000 €). Er kann nicht auf Vertrauensschutz pochen. Einen solchen sieht das Wohngeldgesetz nicht vor. Erhöht sich Einkommen im Laufe des Bewilligungszeitraumes um mehr als 15 Prozent, so darf das Wohngeld neu berechnet werden - und zwar rückwirkend bis zu einem Zeitraum von drei Jahren. (VwG Koblenz, 3 K 617/21)
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15.03.2022
Unfallversicherung: Die Treppe ins Homeoffice ist versichert
Stürzt ein Beschäftigter auf dem Weg vom Bett ins heimische Büro, so ist er dabei gesetzlich unfallversichert. Der Gang diene der "erstmaligen Arbeitsaufnahme" - auch, wenn der "Arbeitsweg" lediglich aus einer Treppe ins Homeoffice besteht. Im Interesse des Arbeitgebers sei dieser Betriebsweg von der Berufsgenossenschaft versichert. (BSG, B 2 U 4/21)
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14.03.2022
Verwaltungsrecht/Tierhaltung: Stehen Hunde im eigenen Urin, so sind sie abzugeben
Hat eine Frau in ihrer 70 Quadratmeter großen Wohnung zeitweise mehr als 20 Hunde und andere Tiere gehalten, die teilweise im eigenen Urin standen und auch das "große Geschäft" teils in ihren Gehegen (in denen sie sich aufhalten, wenn sie nicht im Garten sind) verrichten, so ist ihr die Tierhaltung komplett zu untersagen, wenn sie die erste Einschränkung, die das Veterinäramt nach einer Prüfung anordnet, nicht beachtet, noch maximal drei Tiere halten zu dürfen. (Bei einer 2. Kontrolle wurden 6 Tiere entdeckt und sie hatte die Auflage nicht erfüllt, eine Hundeschule besuchen zu müssen.) Sie kann nicht argumentieren, die Grundbedürfnisse ihrer Hunde würden ausreichend befriedigt. Stellt eine Amtstierärztin fest, dass der Bewegungs- und Erkundungsdrang der Hunde "in keiner Weise" erfüllt wird und die Tiere leiden, wenn sie längere Zeit in eigenen Ausscheidungen sowie in Fäkalien anderer Tiere in ihren Gehegen stehen, so darf ein behördliches Tierhaltungsverbot ausgesprochen werden. (VwG Gießen, 4 L 3924/21)
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11.03.2022
Schwerbehindertenausweis: Auch ohne Aussicht auf Besserung geht es nur befristet
Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass sich der Gesundheitszustand eines zu 100 Prozent schwerbehinderten gehörlosen Mannes noch mal verbessern wird, so hat er keinen Anspruch darauf, einen unbefristet geltenden Schwerbehindertenausweis zu erhalten. Die Regelungen im Sozialgesetzbuch seien eindeutig, so das Thüringer Landessozialgericht. Eine Befristung auf fünf Jahre sei rechtmäßig. Das Gesetz begründe einen Anspruch auf einen unbefristeten Ausweis nicht. (Ausnahmen gibt es nur in sehr seltenen Sonderfällen. Außerdem ist der Aufwand für die Beantragung eines neuen Ausweises in der Regel „gering“.) (LSG Thüringen, L 5 SB 1259/19)
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10.03.2022
Reiserecht: 17.14 Uhr ist nicht 16.55 Uhr
Haben eine Frau und ihr Begleiter das Gepäck für den geplanten Flug nach Ägypten bereits aufgegeben, und schaffen die beiden es nicht rechtzeitig zum angegebenen Boarding (16:55 Uhr), so können sie auch dann weder Schadenersatz noch eine Reisepreisminderung durchsetzen, wenn sie um 17.14 Uhr vor dem verschlossenen Gate stehen - und die Maschine erst um 17.39 Uhr die Parkposition verlässt. Stellt sich nämlich heraus, dass die Verzögerung deswegen eintrat, weil das Gepäck der beiden, welches bereits im Laderaum des Flugzeugs war, identifiziert und wieder herausgeholt werden musste, so gehen die Forderungen der beiden ins Leere. „Eine Ankunft 18 Minuten nach angegebener Boarding-Time ist nicht mehr rechtzeitig“, so das Amtsgericht München. Eine „Mindestboarding-Time“ werde nicht geschuldet. Und auch die Ausnahmefälle, in denen noch nach Schließung der Flugzeugtüren Gäste aufgenommen werden, stehen dem nicht entgegen. Würde ein genereller Anspruch bestehen, so würde das den Flugverkehr erheblich stören. (AmG München, 275 C 17530/19)
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09.03.2022
Verkehrssicherungspflicht: Ein «wartungsfreies Gerät» muss nicht kontrolliert werden
Gibt ein Hersteller an, dass eine Wasseraufbereitungsanlage wartungsfrei ist, so müssen Mieter sie nicht regelmäßig kontrollieren. Auf eine derartige Angabe dürfen sie sich verlassen. Verursacht eine solche von einem Mieter eingebaute Anlage einen Wasserschaden, so liegt ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht nicht vor. In dem konkreten Fall hatte ein Mieter einer Arztpraxis ein Wasseraufbereitungsgerät von einer Fachfirma einbauen lassen. Im Benutzerhandbuch wurde die Anlage als wartungsfrei beschrieben. Eine regelmäßige Überprüfung wurde nicht vorgegeben. Als die Praxis über die Weihnachtsfeiertage nicht betrieben wurde, kam es zu einem Wasseraustritt - und zu einem erheblichen Schaden. Die Versicherung des Mieters forderte später die von ihr geleistete Schadenersatzzahlung (in Höhe von 176.000 €) vom Versicherten erstattet - vergeblich. Der Mieter durfte den Angaben im Benutzerhandbuch vertrauen, dass das Gerät „praktisch wartungsfrei“ sei. Nicht jede denkbare Gefährdung löse eine Verkehrssicherungspflicht aus. (OLG Düsseldorf, 24 U 294/20)
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08.03.2022
Fortbildung: Ein berufsbegleitendes Seminar ist keine «Freizeitveranstaltung»
In der ersten Zeit der Corona-Pandemie konnten Veranstaltungen regelmäßig nicht durchgeführt werden und wurden oft auf einen späteren Termin verlegt. Für Freizeitveranstaltungen wurde allgemein festgelegt, dass Kunden - unter bestimmten Voraussetzungen - Gutscheine akzeptieren mussten. Anders ist das bei Fortbildungsveranstaltungen - und zwar auch dann, wenn sie „in der Freizeit“ stattfinden (sollten). Hat eine Arbeitnehmerin eine solche Fortbildung gebucht (hier ging es um ein Seminar zum „Agile Coach“, das in Terminblöcken über einen Zeitraum von knapp 6 Monaten gehen sollte), wird das aber wegen der COVID-19-Pandemie verlegt und später als Webinar durchgeführt, so kann die Frau die Kursgebühr erstattet verlangen, wenn sie an dem neuen Termin verhindert ist. Der Veranstalter habe erkennen müssen, dass eine „termingerechte Leistung für die Arbeitnehmerin wesentlich gewesen ist“. Im Berufsleben stehende Personen verfügen in der Regel nicht beliebig über ihre Arbeitszeit – und sind außerdem teilweise auch familiär gebunden. (OLG Celle, 11 U 66/21)
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08.03.2022
Sozialrecht: Macht die Zunge nicht mit, muss die Stadt Gebärdensprachenkurse zahlen
Leidet ein (4-jähriges) Kind an einer Sprachentwicklungsstörung, so hat es Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachenkurs. „Anspruchsberechtigt können auch Menschen sein, deren Sprachfähigkeit hinsichtlich der Wortfindung oder dem Artikulationsvermögen beeinträchtigt ist“, so das Hessische Landessozialgericht. In dem konkreten Fall ging es um ein Mädchen, dass die Zunge nicht ausreichend bewegen kann und deswegen - ohne an einer sprachrelevante Hörstörung zu leiden – „versteht“ wie ein fünfjähriges Kind, jedoch spricht wie ein zweieinhalbjähriges. Die Stadt als Träger der Leistungen zur Eingliederung darf die Kostenübernahme nicht mit der Begründung verweigern, das Erlernen der Gebärdensprache sei kontraproduktiv und überfordere das Kind. Eine logopädische Behandlung sowie eine Kindergartenintegrationsmaßnahme und eine interdisziplinäre Frühförderung seien die besseren Methoden. Dem widersprach das Gericht. Das Mädchen sei wesentlich in seiner Teilhabefähigkeit eingeschränkt. Die Mundmuskulatur stoße an Grenzen, und die psychische Belastung für das Kind müsse abgemildert werden. Deswegen sei es „äußert wichtig“, als weiteres Kommunikationsmittel die Gebärdensprache zu erlernen. (Hessisches LSG, L 4 SO 218/21 B ER)
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04.03.2022
Arbeitsrecht: Für ein Pflichtpraktikum gibt es keinen Mindestlohn
Eine junge Frau, die beabsichtigt, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben, kann für die Zeit eines sechsmonatigen Praktikums (das als Zugangsvoraussetzung für das Studium gilt) auf einer Krankenpflegestation nicht eine Bezahlung nach Mindestlohn durchsetzen. Das Gesetz schließe nicht nur obligatorische Praktika von einer Mindestlohnbezahlung aus, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dabei sei es unerheblich, dass die ausgewählte Universität eine private Hochschule sei. Das gelte jedenfalls dann, wenn sie staatlich anerkannt ist. (BAG, 5 AZR 217/21)
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02.03.2022
Krankenversicherung: Auch ein teures Nahrungsergänzungsmittel wird nicht zur Arznei
Gibt eine Frau an, dass sie ohne ein bestimmtes Präparat nahezu keine Nahrung zu sich nehmen kann, da sie an einer Intoleranz gegenüber Histamin leidet, so muss ihre gesetzliche Krankenkasse die Kosten dafür nicht übernehmen, wenn es sich dabei lediglich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt - und nicht um eine anerkannte Arznei. In dem konkreten Fall vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ging es um so genannte Daosin-Kapseln, ohne die die Frau beim Essen Herzrasen, Übelkeit, Schmerzen und Schwitzen bekäme. Die Arzneimittelrichtlinien seien da eindeutig: Lebensmittel als Ergänzungen müssen nicht bezahlt werden. Das gelte auch dann, wenn das Präparat sehr teuer ist und die Frau dadurch wirtschaftlich belastet wird. (LSG Niedersachsen/Bremen, L 16 KR 113/21)
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01.03.2022
BAföG: Studierender Rentner hat keinen Anspruch
Ein Mann, der fast 70 Jahre alt ist und sich dazu entschließt, das Abitur zu machen, kann - gelingt das - nicht erfolgreich auf die Bewilligung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz klagen. Hier hatte der Mann für die ersten beiden Semester BAföG beantragt, was abgelehnt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Ablehnung. „Die Altersgrenze für eine Ausbildungsförderung liegt grundsätzlich bei 30 Jahren und für Masterstudiengänge bei 35 Jahren. Das Gesetz sieht zwar eine Ausnahme für Studierende vor, die die Hochschulzugangsberechtigung auf dem zweiten Bildungsweg und damit später erworben haben. Mit Erreichen des Rentenalters entfällt aber die Förderung, da normalerweise keine Berufstätigkeit in einem neuen Feld mehr aufgenommen wird." (BVwG, 5 C 8/20)
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01.03.2022
Unfallversicherung: Profifußballverein muss Beiträge abführen
Ein Profifußballverein hat nicht das Recht, sich von bestimmten Beitragszahlungen zur gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung befreien lassen, der Club sei „gemeinnützig“. Das gelte jedenfalls dann, wenn das Finanzamt ihn als körperschaftssteuerpflichtig eingestuft hat. Ist die Erste Herrenmannschaft des Vereins körperschaftssteuerpflichtig und nicht gemeinnützig, so gilt das auch für die Beiträge zur Berufsgenossenschaft. Ein Anspruch auf Befreiung (hier ging es insbesondere um die Anteile an den „Rentenlasten“) besteht nicht. (BSG, B 2 U 12/20 R)
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25.02.2022
Unfallversicherung: In 16 Tagen muss ein 76-seitiges Gutachten nicht gelesen werden
Ist einem Kranführer nach einem Arbeitsunfall eine Verletztenrente (mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 %) zugesprochen worden, weil er an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt, so kann diese Rente grundsätzlich eingestellt werden, wenn sich der Gesundheitszustand verbessert. Auch kann die Zahlung enden, wenn sich herausstellt, dass die psychischen Störungen nicht "unfallabhängig" seien, sondern an einer "unfallunabhängigen persönlichkeitsbedingten Krankheitsfehlverarbeitung" lagen. Wird aber das 76-seitige Gutachten dazu, das diesen neuen Sachverhalt erklärt, dem Mann (beziehungsweise seinem Anwalt) erst 16 Tage vor einem Gerichtstermin zum Thema zugesendet, so wird damit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. (BSG, B 2 U 10/19 R)
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24.02.2022
Reiserecht: Maskenpflicht in der Öffentlichkeit versaut den Urlaub
Wollte ein Mann "im ersten Corona-Sommer" (2020) mit seiner Familie nach Mallorca fliegen, so durfte er die Reise kostenlos stornieren, wenn er erfährt, dass am Urlaubsort wegen der Corona-Pandemie sowohl für geschlossene Räume als auch in der Öffentlichkeit eine Maskenpflicht bestand. Der Veranstalter kann dann keine Stornogebühren verlangen. In der Maskenpflicht liege eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise. Das gelte jedenfalls dann, wenn vor Ort knapp 30 Grad Celsius zu erwarten waren. Sollte gelten, dass überall dort, wo ein Abstand zu anderen Menschen von zwei Metern nicht einzuhalten war, eine Maske getragen werden musste – und zwar nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch auf öffentlichen Straßen und Plätzen - so haben „außergewöhnlich Umstände“ vorgelegen und es habe sich auch kein „typisches Lebensrisiko“ verwirklicht. Zum Zeitpunkt des Rücktritts sei eine Maskenpflicht des Umfangs, wie seinerzeit in Spanien festgelegt, keineswegs typisch gewesen. (AmG Düsseldorf, 37 C 420/20)
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23.02.2022
Arbeitsrecht: Ein Haustarifvertrag muss auch durchgeführt werden
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass einer Gewerkschaft ein „schuldrechtlicher Anspruch auf Durchführung" eines zwischen den Parteien geschlossenen Haustarifvertrags gegen den Arbeitgeber zusteht. Dieser Anspruch kann durch Leistungsklage geltend gemacht werden und ist auf die bei dem Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft begrenzt (die allerdings namentlich nicht genannt werden müssen). In dem konkreten Fall ging es um „pauschalierte Tagesreporter“, die eine Bezahlung nach Honorarkennziffern durchsetzen konnten. (BAG, 4 AZR 403/20)
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22.02.2022
Verwaltungsrecht/Kindergarten: Der Träger mischt sich nicht «in private Dinge» ein
Hat ein 5-Jähriger einen angemessenen Kindergartenplatz, kündigt die Einrichtung jedoch den Betreuungsvertrag, weil der Junge durch aggressives Verhalten auffiel, andere Kinder schubste, kratzte und biss und trotz mehrerer Elterngespräche eine Besserung nicht eintrat, so können die Eltern nicht gegen den Träger des Kindergartens durchsetzen, dass der ihnen einen neuen Platz besorgt. Die Kündigung des Betreuungsvertrages sei ein privatrechtlicher Streit zwischen der Einrichtung (die sich mit dem vorhandenen Personal nicht in der Lage sah, angemessen auf die Übergriffe des Kindes zu reagieren) und den Eltern. Die Stadt als Träger habe einen zumutbaren und bedarfsgerechten Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt. Die Störungen in dem Verhältnis zwischen Eltern/Kind und Einrichtung seien von diesen beiden Parteien zu bewältigen. (VwG Göttingen, 2 B 192/21)
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21.02.2022
Erbrecht/Grundbuch: Es muss nicht immer ein Erbschein sein
Grundsätzlich muss ein Grundbuch „berichtigt“ werden, wenn eine Immobilie vererbt wird. In der Regel wird dafür ein Erbschein vorgelegt. Doch es können auch andere Nachweise anerkannt werden. In dem konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, bei dem die Ehefrau Eigentümerin einer Immobilie war. Die beiden errichteten beim Notar ein Testament, in dem sie sich gegenseitig zu so genannten Vorerben einsetzten. Nacherben des zuerst Versterbenden und Erben des länger Lebenden sollten die "gemeinschaftlichen Abkömmlinge" zu gleichen Teilen sein. Der Nacherbfall sollte beim Tod des Vorerben und auch bei einer Wiederverheiratung des Vorerben eintreten. Die Frau starb und ihr Mann wurde "Vorerbe" im Grundbuch. Später heiratete der, und die (einzige) Tochter beantragte, als alleinige Nacherbin ins Grundbuch eingetragen zu werden. Dabei versicherte sie an Eides statt, dass sie der einzige „gemeinschaftliche Abkömmling“ ist. Das Grundbuchamt bestand auf einen Erbschein - zu Unrecht. Weil der Mann neu geheiratet hatte, sei der Nacherbfall eingetreten. Die gemeinsame Tochter sei Erbin der Mutter geworden und müsse ins Grundbuch eingetragen werden. Und das auch dann, wenn sie statt eines Erbscheins das notarielle gemeinschaftliche Testament der Eltern vorlegt, in dem steht, dass sie Erbin der Mutter wird, sobald der Vater neu heiratet. (OLG Frankfurt am Main, 20 W 96/20)
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18.02.2022
Rundfunkgebühren: Wer Sozialhilfe nicht beantragt, der wird nicht befreit
Auch wenn ein Rentner eine nur sehr kleine Rente bezieht und eigentlich einen Anspruch auf Sozialhilfe hat (die er nicht beantragt), kann er nicht als Härtefall von der Rundfunkgebühr befreit werden. Liegt einer der im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehenen Befreiungstatbestände nicht vor (einer wäre zum Beispiel der Bezug von Sozialhilfe), so geht sein Befreiungsantrag ins Leere. Der Rentner habe kein Wahlrecht. Er könne nicht einerseits auf Sozialhilfe verzichten, andererseits aber die Befreiung von der Rundfunkgebühr mangels finanzieller Mittel verlangen. (VwG Koblenz, 5 K 557/21)
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17.02.2022
Eigentumswohnung: Auch wenn ein Verwalter zur GmbH wird, bleibt er Verwalter
Ist Kaufmann als Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft tätig und wandelt er sein Einzelunternehmen in eine GmbH um, dann geht der Verwaltervertrag auf diese GmbH als Rechtsnachfolgerin über. Die Eigentümergemeinschaft braucht einen neuen Verwaltervertrag nicht abzuschließen. Ruft der Verwalter eine Eigentümerversammlung ein, in der über eine Vertragsverlängerung entschieden wird (der die Mehrzahl der Eigentümer zustimmte), so kann sich ein einzelner Eigentümer nicht dem Argument gegen die Verlängerung wehren, der Verwalterin sei die geänderte Rechtsform nicht mehr dieselbe – und es handele sich rechtlich um eine Neubestellung. Nach dem Umwandlungsgesetz war das Amt des Verwalters mitsamt dem Verwaltervertrag auf die Rechtsnachfolge des ursprünglichen Einzelunternehmens übergegangen. (BGH, V ZR 201/20)
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16.02.2022
Steuerrecht: Schadenersatzzahlungen sind steuerfrei, wenn...
Hat ein Hauseigentümer Bergschäden an seiner "zum Privatvermögen gehörenden, vermieteten" Immobilie beheben lassen, wofür ihm Kosten für Fassaden-, Maler-, Dach-, und Leitungsarbeiten (in Höhe von knapp 20.000 €) entstanden sind, so kann er diesen Aufwand als Werbungskosten steuerlich geltend machen. Das gelte auch dann, wenn er später von der Ruhrkohle AG eine Entschädigungszahlung erhält. Ist diese Zahlung nicht für konkrete Reparaturen bestimmt und wird auch nicht protokolliert, für welchen Aufwand das Geld als Schadenersatz dienen soll, so zählt das zur Vermögenssphäre. Das Finanzamt darf auf diese Zahlung also auch keine Steuern wie auf "Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung" berechnen. (BFH, IX R 11/20) - vom 09.07.2021
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15.02.2022
Zivilrecht: Fußballclubs haften für zündelnde Zuschauer
Verhalten sich Anhänger und Zuschauer eines Fußballvereins, der im Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisiert ist, „daneben“ (zum Beispiel durch das Zündeln von Pyrotechnik im Stadion), so darf der Verband Geldstrafen gegen den Club aussprechen. Dadurch werden keine elementaren Grundsätze der Rechtsordnung verletzt. Die Strafen seien als Präventivmaßnahme zu bewerten und dürften auch ohne ein Verschulden der Vereine verhängt werden. Die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB dürfe vorsehen, dass Vereine für Zwischenfälle im Stadionbereich haften. (BGH, I ZB 54/20)
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15.02.2022
Krankenversicherung: Hilft eine Prothese nicht nur ästhetisch, so ist sie zu bezahlen
Eine Frau, die seit Geburt an einer Fehlbildung der linken Hand leidet (hier fehlte der Mittelfinger komplett und Daumen, Zeige- und Ringfinger zu Hälfte), kann von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung verlangen, dass ihr eine maßgefertigte Prothese aus Silikon zu bezahlen ist. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Prothese nicht nur ästhetische Wirkung hat, sondern die Funktion der Hand erheblich verbessert (was der Frau hier vor allem auch in ihrem Beruf als Arzthelferin zugutekommt). Die Tatsache, dass eine solche Prothese sehr teuer ist (hier ging es um knapp 17.600 €), dürfe zu keiner anderen Entscheidung führen. Gibt es keine gleichwertige Versorgungsmöglichkeit mit einem anderen Hilfsmittel, so könne auch ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorliegen. (Hessisches LSG, L 8 KR 477/20)
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11.02.2022
Verwaltungsrecht/Kindergarten: Ohne Masernschutzimpfung gibt es keine Betreuung
Auch wenn die Eltern eines dreijährigen Kindes einen Betreuungsvertrag für den Besuch einer städtischen Kindertagesstätte abgeschlossen haben, kann dem Kind der Zugang zur Einrichtung verwehrt werden, wenn die Eltern weder einen Impfschutz noch eine Immunität gegen Masern nachweisen können. Ein Attest eines Arztes, das allein auf den Aussagen der Eltern beruht und eine Impfunverträglichkeit bescheinigt, reiche nicht aus. Das gelte auch dann, wenn es bei dem Kind in der Vergangenheit teilweise zu erheblichen allergischen Reaktionen auf andere Stoffe wie Birken- oder Haselpollen gekommen ist. Eine allergologische Abklärung mittels eines so genannten Prick-Tests sei zumutbar. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 12 B 1277/21)
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10.02.2022
Arbeitsrecht: Fahrradkuriere müssen das Fahrrad gestellt kriegen
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Essenslieferdienste ihren Fahrradkurieren grundsätzlich das Fahrrad und - wenn ein Handy für die Arbeit erforderlich ist – auch ein Mobiltelefon als Arbeitsmittel zur Verfügung stellen müssen. Zwar seien vertraglich vereinbarte Abweichungen zulässig. Werden diese jedoch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgeschrieben, so müsse den Boten im Gegenzug eine angemessene finanzielle Entschädigung für die Nutzung des eigenen Rads und Handys gezahlt werden. (Hier ging es um einen Fahrradkurier, der seine Aufträge über eine App bezog, die er auf seinem eigenen Handy installieren musste. Auch fuhr er mit dem eigenen Rad. Er erhielt pro gearbeiteter Stunde 25 Cent Reparaturpauschale für sein Fahrrad gutgeschrieben, die er aber nur bei einer vorgegebenen Radwerkstatt einlösen konnte. Es dürfe aber nicht sein, dass der Lieferdienst sich durch diese Regelung von Anschaffungs- und Betriebskosten befreit und das Risiko für Verschleiß, Wertverfall, Verlust und Beschädigung dem Fahrer aufbürde. Das widerspreche dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses, wonach der Arbeitgeber die für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmittel zu stellen und für deren Funktionsfähigkeit zu sorgen hat“. (BAG, 5 AZR 334/21)
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09.02.2022
Verkehrssicherungspflicht: Auf Mäharbeiten hätte wenigstens hingewiesen werden müssen
Wird ein geparkter Bus durch Mäharbeiten beschädigt (hier flog ein Stein gegen eine Scheibe), so hat der Busunternehmer Anspruch auf Schadenersatz gegen die Firma, die die Mäharbeiten durchgeführt hat. Stellt sich heraus, dass der Fahrer des Aufsitzmähers vor Beginn der Arbeiten weder die Wiese auf Steine untersucht noch andere Vorrichtungen (wie zum Beispiel mobile Schutzwände) getroffen hat, so hat er seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. „Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, ist verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern“. Zwar könne und müsse keine absolute Sicherheit gewährleistet sein. Zumindest hätte er den Busfahrer aber auf die anstehenden Arbeiten aufmerksam machen müssen. Dann hätte der entscheiden können, ob er das Risiko eines Steinschlags hinnehme oder den Bus vorübergehend an einer anderen Stelle abstelle. (OLG Frankfurt am Main, 26 U 4/21)
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08.02.2022
Arbeitsrecht: Der Ex-Chef muss nicht unbedingt sein Bedauern ausdrücken
Eine Arbeitnehmerin, die nach dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses ein „Endzeugnis“ erhalten hat, kann nicht verlangen, dass das Zeugnis eine „vollständige Schlussformel mit Dank, Bedauern und gute Wünsche für die Zukunft“ enthalte. Der ehemalige Arbeitgeber bewertete die Frau im Endzeugnis lediglich mit „gut“, so dass die Frau nicht habe verlangen könne, dass er „ein Bedauern über das Ausscheiden zum Ausdruck bringt“. Auch (gute) Wünsche für die private Zukunft müssen nicht Bestandteil der Schlussformel sein, weil darauf ein rechtlicher Anspruch nicht besteht. Das gelte auch dann, wenn die Frau an sie persönlich gerichtete E-Mails ihrer Vorgesetzten vorlegen kann, in denen diese ihr Bedauern über das Ausscheiden ausgedrückt und ihr für die Zusammenarbeit gedankt hat. Damit ist nicht auch die Auffassung des Arbeitgebers wiedergegeben. (LAG München, 3 Sa 188/21)
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07.02.2022
Arbeitsrecht: Der Hund kann die Arbeitszeiten "bestimmen"
Grundsätzlich ist es einem Arbeitgeber erlaubt, die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter zu verändern - vorausgesetzt, die Interessen der Beschäftigten werden berücksichtigt. Zu diesen Interessen können auch die Pflege oder die Betreuung eines Haustieres zählen. Das hat das Arbeitsgericht Hagen entschieden. In dem konkreten Fall ging es um einen Teilzeitbeschäftigten, dessen Arbeitszeit freitags von fünf Stunden auf sieben Stunden ausgeweitet und dafür an den anderen Arbeitstagen gekürzt werden sollte. Dieser Umstellung widersprach der Beschäftigte, weil unter anderem sein Hund dann nicht ausreichend versorgt werden könnte – zu Recht. Mit Blick auf den Tierschutz sei es einem Hund nicht zuzumuten, sieben Stunden zuzüglich Wegzeiten allein zu bleiben. Der Mitarbeiter dürfe auch nicht auf einen Sitter für das Tier verwiesen werden. Die Kosten dafür hätten dem Mitarbeiter nur dann auferlegt werden können, wenn „gewichtige betriebliche Gründe“ für die Verlängerung der Arbeitszeit an diesem Tag vorgelegen hätten. Dies war hier jedoch nicht der Fall. (ArG Hagen, 4 Ca 1688/20)
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04.02.2022
Private Berufsunfähigkeitsversicherung: Migräne sollte nicht verschwiegen werden
Hat eine 17-Jährige sowie deren Mutter eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen und dabei bei allen "Fragen zum Gesundheitszustand" Beschwerden verneint, so muss die Versicherung nicht leisten, wenn sich herausstellt, dass sie nur wenige Tage vor der Unterzeichnung des Vertrages wegen Migräne - nach der ausdrücklich gefragt worden ist - zweimal beim Arzt war. Hat sie darüber hinaus verschwiegen, dass sie in der Vergangenheit wegen psychischer sowie wegen orthopädischer Beschwerden in Behandlung gewesen ist, so ist Arglist zu unterstellen. Wird sie wegen eines Verkehrsunfalls berufsunfähig, so hat sie keinen Anspruch auf die Zahlung einer Rente (die hier 12.000 € jährlich ausgemacht hätte). (OLG Nürnberg, 11 O 4279/20)
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03.02.2022
Nachbarrecht: Straßenlärmpegel muss ausgehalten werden
Legt ein Wohnungseigentümer Tonaufnahmen vor, auf denen Geräusche zu hören sind, die eine Nachbarin verursacht (unter anderem Schreie und andere laute Äußerungen), so kann er sie nicht auf Unterlassung verklagen, wenn der Lärm aus der Wohnung der Frau nicht größer ist als der Lärm, der bei geöffnetem Fenster von der Straße aus in die Wohnung des Mannes dringt. Er kann den Störungen entgehen, indem er einfach das Fenster schließt. Das gelte umso mehr dann, wenn die Frau wegen einer psychischen Erkrankung zeitweise ihr Verhalten nicht steuern kann. (LG Frankfurt am Main, 2-13 S 88/20)
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02.02.2022
Kündigung: Wer vier Tage in Folge «uneinsichtig» verpennt, kann ganz zu Hause bleiben
Eine Arbeitnehmerin, die an vier aufeinanderfolgenden Arbeitstagen (teilweise erheblich) zur spät zur Arbeit erscheint und dabei auch kein „Unrechtsbewusstsein“ an den Tag legt, muss eine (ordentliche) Kündigung hinnehmen. Es bedarf keiner vorherigen Abmahnung. In dem konkreten Fall ging es um eine Service-Angestellte in einer Poststelle, die die Verspätungen (unter anderem) damit begründete, dass sie „an Schlafmangel“ leide. Ihre Aussage, die Verspätungen seien „nicht so schlimm“ und es führe „nicht zu betrieblichen Störungen, wenn die Post einmal liegen bleibt“, bestätigten die fehlende Einsicht. Sie habe ihre Verpflichtung zum pünktlichen Arbeitsantritt verletzt. (LAG Schleswig-Holstein, 1 Sa 70 öD/21)
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01.02.2022
Unfallversicherung: Familiär freundschaftliche Hilfe ist nicht versichert
Hilft ein Mann seinem Bruder beim Gerüstabbau auf dessen Hausgrundstück, so ist er dabei nicht "arbeitnehmerähnlich" tätig und steht deswegen auch nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit (wie hier) "in Erfüllung gesellschaftlicher - insbesondere familiärer oder freundschaftlicher - Verpflichtungen ausgeübt wird. Verletzt sich der Helfer schwer am Fuß, so kann er dennoch keine Leistungen aus der Unfallkasse erwarten. Seine Arbeit sei überwiegend aus der Sonderbeziehung zum Bauherrn geprägt. (Thüringer LSG, L 1 U 342/19)
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31.01.2022
Schwarzarbeit: Stellt der Architekt (zunächst) keine Rechnung, kann er leer ausgehen
Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verbietet den Abschluss eines Werkvertrags mit Regelungen, die - wie zum Beispiel bei den „Ohne-Rechnung-Abreden“ - dazu dienen, dass eine Vertragspartei ihre steuerlichen Pflichten im Zusammenhang mit der vereinbarten Werkleistung nicht erfüllt. Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ging es um einen Architekten, der einem langjährigen Geschäftspartner einen Neubau plante und mit ihm absprach, für diese Planung wenig zu berechnen, wofür er im Gegenzug umfangreiche unentgeltliche Bauleistungen an seinem Privathaus erwartete. Nachdem der Kunde - ohne Rechnung - eine Abschlagszahlung (hier: 35.800 €) an den Architekten leistete, kam es zum Streit. Der Kunde baute nichts am Privathaus des Architekten - und erhielt von ihm schließlich für die Planungsarbeiten eine offizielle Rechnung über weitere 180.000 Euro - vergeblich. Das Gericht urteilte, dass ein Architektenvertrag nichtig sei, wenn der Architekt keine Rechnung ausstelle oder die Parteien einen Aufschub der Rechnungsstellung vereinbaren. Damit liege ein Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. (OLG Düsseldorf, 22 U 73/20)
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28.01.2022
Krankenversicherung: Nur in Ausnahmefällen zahlt die Kasse Implantate
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Zahnimplantate von der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann bezahlt werden müssen, wenn sie im Rahmen einer Gesamtbehandlung stehen. Allein das Ziel, die Kaufunktion zu verbessern, reicht nicht als Grund für eine Kostenübernahme. Das verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. In dem konkreten Fall ging es um eine Frau, die mit ihrem "unzulänglich versorgten Restgebiss" nicht mehr richtig kauen konnte. Lässt sich die Patientin trotz der Ablehnung während des laufenden Verfahrens implantatgestützte Zahnprothesen einsetzen, so bleibt sie auf den Kosten sitzen (hier in Höhe von rund 6.500 €). Kassen übernehmen Implantate nur in Ausnahmefällen, wenn eine „Gesamtbehandlung“ aus „human- und zahnmedizinischen Bestandteilen besteht“. (BSG, B 1 KR 8/21 R)
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27.01.2022
Arbeitsrecht: Nur bei erheblichen Fehlern darf abgebrochen werden
Eine Betriebsratswahl in einer Firma (hier ging es um einen Lieferdienst) muss auch dann nicht abgebrochen werden (hier lief die für insgesamt auf 5 Tagen angesetzte Wahl bereits), wenn es (möglicherweise) Fehler beim Wahlverfahren gegeben haben soll (hier unter anderem bei der Bildung des Wahlvorstands und bei den Wahlaushängen). Das reiche nicht aus für einen sofortigen Abbruch. Nur bei „ganz erheblichen Fehlern“ könne dieses Mittel in Betracht kommen. Eine Betriebsratswahl könne gerichtlich nur abgebrochen werden, wenn der Wahlvorstand bei Einleitung der Wahl "offensichtlich nicht im Amt war oder die festzustellenden Mängel im Wahlverfahren zu einer nichtigen Wahl führen würden (Die im Raum stehenden Fehler können dann später in einem möglichen Anfechtungsverfahren geprüft werden.) (LAG Berlin, 13 TaBVGa 1534/21)
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26.01.2022
Verwaltungsrecht/Nachbarrecht: Kirchenglocken dürfen sonntags läuten - auch um 8 Uhr
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass die Glocken der Kirche einer kleinen Gemeinde auch dann weiterhin jeden Sonntagmorgen um 8 Uhr läuten dürfen, wenn eine - unmittelbar in der Nähe wohnende - Nachbarin sich dadurch in ihrer Ruhe gestört fühlt. Läuten die Glocken an den Sonntagen jeweils nur fünf bis zehn Minuten und ansonsten nur weitere „ein- bis sechsmal im Jahr“ (wenn Konzerte anstehen), so sei das hinnehmbar. Das Glockenläuten sonntags habe einen sakralen Charakter. Gleiches gelte für die Konzerte, weil dort Kirchenmusik geboten werde und liturgische Elemente wie Gebete enthalten seien. Zudem würden durch die Glocken keine Lärmgrenzwerte überschritten - und die Bürgerin sei bewusst in die Nähe der Kirche gezogen, wo seit den 50er Jahren die Glocken läuten. (VwG Frankfurt am Main, 4 K 3268/20)
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25.01.2022
Arbeitsrecht: Bei "Kurzarbeit Null" gibt es auch keinen Urlaub
Bei der Berechnung von Urlaubstagen muss die in Zeiten der Corona-Pandemie eingeführte Kurzarbeit berücksichtigt werden. Fallen einzelne Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit vollständig aus, so kann für Zeiten von „Kurzarbeit Null“ der Urlaubsanspruch komplett wegfallen. In dem konkreten Fall ging es um eine Verkäuferin, die in Teilzeit arbeitet und argumentiert, es gebe dafür keine Rechtsgrundlage - weder aus einem Tarifvertrag noch aus einer Betriebsvereinbarung. Dennoch bejahte das Bundesarbeitsgericht die Kürzung. „Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage seien weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen“. (Hier hatte die Verkäuferin grundsätzlich bei einer 3-Tage Woche einen Anspruch auf 14 Tage Jahresurlaub. Der Arbeitgeber strich insgesamt 2,5 Tage aus Monaten, in denen die Frau gar nicht gearbeitet hatte - zu Recht.) (BAG, 9 AZR 225/21)
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25.01.2022
Reiserecht: Auf Erstattungsansprüche ist ungefragt hinzuweisen
Geht ein Hinflug für eine Familie, die auf Kuba Urlaub macht, vier Stunden verspätet und wird der Rückflug sogar um 25 Stunden nach hinten geschoben, so muss die Airline darauf hinweisen, dass es für diese massiven Verspätungen einen Erstattungsanspruch nach der EU-Fluggastrechteverordnung gibt. Unterlässt sie diesen Hinweis und beauftragt der Vater einen Rechtsanwalt, der die Erstattungen einfordert, so muss die Fluggesellschaft - neben der Erstattung - auch die Kosten für den Anwalt tragen (hier ging es um 335 €). Beförderungsunternehmen müssen ihren Gästen bei einer Verspätung von mindestens zwei Stunden schriftliche Informationen über deren Rechte aushändigen. Reisende müssen diese Informationen nicht erst anfordern, sondern müssen die „ausführlichen Hinweise über die Voraussetzungen und Höhe der grundsätzlich zustehenden Ausgleichsansprüche auf Initiative des Unternehmens erhalten“. Kommt eine Fluggesellschaft dieser Pflicht nicht oder nicht vollständig nach, so darf ein Anwalt eingeschaltet werden. (BGH, X ZR 97/19)
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21.01.2022
Schmerzensgeld: Wenn zwei Rentner in den Ring steigen...
Auch wenn sich ein 71-jähriger Rentner durch die lärmende Arbeit eines 88-jährigen Nachbarn an einer Kreissäge im gemeinsamen Wohnhof gestört fühlt (er konnte eine Fußballübertragung im Fernsehen nicht in Ruhe schauen), muss der Fußballfan Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen, wenn der Nachbar die Arbeit trotz verbaler Aufforderung nicht einstellt - und er ihm daraufhin mit einem Knüppel auf den Kopf und auf das Ohr schlägt und ein "Ringkampf" zwischen den beiden entsteht. Beißt der Angreifer den Nachbarn außerdem ins Ohr und verdreht er ihm die Nase, so muss er dafür zahlen. Auch wenn die lauten Arbeiten aus dem Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme hätten eingestellt werden sollen, rechtfertige diese "Provokation" nicht die Gewaltanwendung. Der Verletzte beklagte mehrere verschiedene Prellungen und Schürfungen von Stirn bis zur Hüfte - und erhielt dafür einen Schmerzensgeldbetarg in Höhe von 800 Euro zugesprochen. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 105/21)
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20.01.2022
Corona/Verwaltungsrecht: Das Gericht muss ein Attest vom Arzt prüfen können
Eine Grundschülerin kann sich auch dann nicht vom Präsenzunterricht beurlauben lassen, wenn die Eltern ein ärztliches Attest vorlegen, das eine Gesundheitsgefährdung durch Corona bescheinigt beziehungsweise bescheinigen sollte. Denn es sei nicht erkennbar, so das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist. Es sei ein erhöhtes Risiko für das Kind selbst oder für Personen, die in der häuslichen Gemeinschaft leben, nicht erkennbar. (Schleswig-Holsteinisches VwG, 9 B 10001/21)
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19.01.2022
Mieterhöhung: Keller dürfen als Wohnraum mitzählen
Mietvertraglich darf auch ein unterdurchschnittlich beleuchteter Keller als Wohnfläche vereinbart werden. Das gelte auch dann, wenn diese Fläche nach der Berechnungsverordnung eigentlich nicht voll zur Wohnfläche zähle. Sind die Kellerräume aber tatsächlich bewohnt und gab es von Seiten der Behörden keine Einwände, so liege kein "Mangel" vor. Im konkreten Fall ging es um eine vermietete Wohnung, für die im Mietvertrag stand, dass Zimmer sowohl im Erd- und Untergeschoss als auch im Keller zur Wohnnutzung überlassen werden. Die Fläche wurde mit „ca. 180 Quadratmetern“ angegeben. Als der Vermieter eine Mieterhöhung basierend auf 177 Quadratmetern ankündigte, stimmt der Mieter nicht zu, weil die Fläche in Wahrheit nur 144,50 Quadratmeter betrage. Musste er aber. Ist im Mietvertrag vereinbart, dass die Räume im Keller zu Wohnzwecken vermietet werden, so zählt die Fläche mit. (BGH, VIII ZR 26/20)
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19.01.2022
Eigenbedarf: Die anstehende Pflege naher Angehöriger rechtfertigt eine Kündigung
Beabsichtigt eine Frau, die eine vermietete Immobilie von ihrer Großtante und ihrem Großonkel (gegen eine monatliche Leibrente in Höhe von 800 €) übertragen bekommen hat, in diese Wohnung einzuziehen, damit sie sich um die - über 80 Jahre alten - "Übergeber" kümmern kann (die im selben Haus wohnen), so darf sie den Mietvertrag mit den Mietern wegen Eigendarfs kündigen. Die Frau verpflichtete sich im Rahmen der Wohnungsüberlassung dazu, die betagten Verwandten bei Einkäufen, Besorgungen sowie bei Arztbesuchen zu unterstützen. Die Mieter können nicht argumentieren, dass die Großnichte das auch von ihrem bisherigen Wohnort aus leisten könne, der nur knappe drei Kilometer entfernt liege. Der Eigenbedarf sei gerechtfertigt. Es sei der Verwandten nicht zuzumuten, in einer kleineren, teuren und entfernt liegenden Wohnung zu bleiben, wenn sie die Möglichkeit hat, in dasselbe Haus zu ziehen, in dem die zu Pflegenden leben und dort "kostenlos" zu wohnen. (AmG München, 453 C 3432/21)
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17.01.2022
Mieterhöhung: Ist der Mietspiegel einsehbar, so reicht das aus
Will ein Vermieter eine Mieterhöhung (hier in Höhe von 15 %) durchsetzen und stützt er sich dabei sowohl auf die ortsübliche Vergleichsmiete als auch auf den „qualifizierten Mietspiegel“, so muss er diesen Mietspiegel dem Erhöhungsschreiben nicht beifügen. Es reicht aus, wenn er darüber informiert, dass der Mietspiegel bei ihm eingesehen werden kann. Kann der Mieter auf diesem Weg prüfen, ob die Forderungen berechtigt sind, so reiche das aus. Auch die Tatsache, dass die Mietpreisspanne des Mietspiegels nicht dargestellt wurde, führe zu keinem anderen Ergebnis. (BGH, VIII ZR 167/20)
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15.01.2022
Arbeitsrecht: «Bis zu zehn Stunden» on top ohne Bezahlung sind ok
Wird arbeitsvertraglich vereinbart, dass bis zu zehn Überstunden monatlich mit der Grundvergütung abgegolten sind, so ist das wirksam. Das gelte jedenfalls dann, wenn eine solche Klausel transparent im Vertrag formuliert ist – und damit nicht überraschend. Auch benachteilige sie den Arbeitnehmer nicht unangemessen. Allerdings ist eine solche Vereinbarung nur in bestimmten Grenzen erlaubt. Es ist verboten, mehrdeutige und überraschende Klauseln zu verwenden, mit denen der Arbeitnehmer nicht rechnen kann. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 2 Sa 26/21)
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13.01.2022
Schmerzensgeld: In den ersten Stunden nach der Geburt muss schnelle Hilfe möglich sein
Auch wenn eine Geburt im Wesentlichen komplikationsfrei verlaufen ist, muss die Mutter während der ersten Zeit allein mit ihrem Kind im Kreissaal ("Bonding") die Möglichkeit haben, per Klingel Hilfe zu holen, wenn sie meint, dass mit dem Neugeborenen etwas nicht stimme. In dem konkreten Fall stellte sich heraus, dass die Mutter die Atemdepression ("Fast-Kindstod") zunächst als "Schlafen" interpretierte, dann aber doch bemerkte, dass es keinerlei Regung beim Kind mehr gab. Sie konnte nicht aufstehen und keine Hilfe holen, so dass der Zustand des Babys erst knapp 15 Minuten später von der Hebamme festgestellt wurde. Trotz der dann unverzüglichen Behandlung und Reanimation erlitt das Kind eine schwere Hirnschädigung. Die Eltern konnten aufgrund der verbliebenen Gesundheitsschäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro erstreiten. Sowohl das Krankenhaus als auch die Hebamme seien wegen eines groben Behandlungsfehlers zur Verantwortung zu ziehen. (OLG Celle, 1 U 32/20)
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12.01.2022
Eigentumswohnung: Ein Sanierungsstau ist keine Zerstörung
Hat eine Frau in einer Wohnanlage neben ihrer Eigentumswohnung auch das Sondereigentum an drei Etagen eines Parkhauses und wurde das Gebäude im Lauf der Jahre von der Eigentümergemeinschaft vernachlässigt, so dass es erheblich sanierungsbedürftig geworden ist (mit Ausnahme der drei Etagen der Eigentümerin, die sie an ein nebenan gelegenes Hotel vermietete), so kann die Gemeinschaft nicht gegen den Willen der Eigentümerin ein Nutzungsverbot für das gesamte Parkhaus beschließen. (Hier „gestattete“ die Eigentümerversammlung der überstimmten Frau, auf eigene Kosten einen Sachverständigen zu beauftragen und etwaige Maßnahmen selbst zu tragen.) Die Eigentümergemeinschaft muss das baufällige Parkhaus wieder instand setzen - und zwar auch dann, wenn die Sanierungskosten den Verkehrswert übersteigen. Ein Sanierungsstau sei nicht mit einer Zerstörung gleichzusetzen. (BGH, V ZR 225/20)
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11.01.2022
Mietrecht: Eine Solaranlage darf auch ohne Zustimmung des Vermieters installiert werden
Auch wenn ein Vermieter dagegen ist, dass sich der Mieter eine Solaranlage auf den Balkon installiert, muss der die Anlage nicht wieder entfernen, wenn er sie ohne Zustimmung des Eigentümers aufgebaut hat. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Anlage an sich baurechtlich zulässig ist, keine optische Störung vorliegt, sie wieder leicht zurückzubauen - und von einem Fachmann installiert worden ist. Denn Mieter können grundsätzlich die Genehmigung zum Betrieb der Anlage verlangen, weil sie bezüglich der politisch gewollten Energiewende hin zu erneuerbaren Energien mit Vorteilen verbunden ist. Ohne triftigen Grund jedenfalls darf ein Vermieter den Einbau nicht ablehnen. (AmG Stuttgart, 37 C 2283/20)
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10.01.2022
Reiserecht: Wer mit "Zug-zum-Flug" wirbt, muss auch dafür einstehen
Weist ein Reiseveranstalter in dem Werbeprospekt für eine Pauschalreise (hier ging es um eine 16-tägige Reise nach Kuba) als „Vorteil“ aus, dass in dem Pauschalpaket „Zug zum Flug 2. Klasse incl. ICE-Nutzung“ enthalten ist, so kann der Kunde damit den Eindruck gewinnen, dass beim Start der Bahntransfer zum Flughafen eine Eigenleistung der Reiseveranstalterin ist. Verspätet sich der Zug dann am Abreisetag derart heftig (hier kamen die Reisenden statt wie geplant um 9.27 Uhr erst um 11.35 Uhr am Bahnhof an), dass der Flug verpasst wird, so muss der Reiseveranstalter dafür einstehen. Er haftet auch für die Zugverspätung. Das Angebot des „Zug-zum-Flug-Pakets“, das im Pauschalpreis inbegriffen ist, führe zu dem berechtigten Eindruck, dass es sich um einen eigenen Service des Unternehmens handelt. (Hier musste der Reisepreis erstattet – knapp 3.600 € für 2 Personen – sowie eine Entschädigung für die entgangene Urlaubsfreude gezahlt werden. Insgesamt erhielten die verhinderten Reisenden rund 5.400 €.) (BGH, X ZR 29/20)
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07.01.2022
Ordnungsgeld: Falsch verstandene Tierliebe darf untersagt werden
Wirft eine Frau regelmäßig Lebensmittel aus dem Fenster auf ihr Garagendach, um damit Tauben und andere Vögel zu füttern, so kann ihr das (unter Androhung eines Ordnungsgeldes) untersagt werden, wenn sich herausstellt, dass dadurch Nachbargrundstücke verschmutzt werden (die Tiere haben die Lebensmittel auch in die umliegenden Gärten verschleppt). Außerdem wurde bekannt, dass in einem Garten Schildkröten lebten, die durch den Verzehr der „verschleppten Speisen“ krank werden können. Bei den Fütterungen handele es sich um „falsch verstandene Tierliebe“, die die Frau aufgeben müsse. (LG Frankenthal, 2 S 199/20)
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05.01.2022
Verkehrsrecht: Wenn ein Bonbon die Messung beeinflusst...
Ein Atemalkoholtest kann dann nicht verwertbar sein, wenn der getestete Autofahrer kurz zuvor ein Bonbon gelutscht und dies unmittelbar vor dem Pusten heruntergeschluckt hatte. Es ist dann fraglich, ob die Atemalkoholkontrolle unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben durchgeführt worden ist. In dem konkreten Fall wurde ein Autofahrer zum Atemalkoholtest „gebeten“. Der Wert zeigte eine Atemalkoholkonzentration von 0,26 mg/l, womit die Schwelle von 0,25 mg/l knapp überschritten war. Der Mann ging gegen die Strafe an (die hier 500 € und den Entzug des Führerscheins für die Dauer von 2 Monaten ausmachte). Zwar habe das Bonbon den Wert nicht verfälscht. Jedoch wich die Messung von den gesetzlichen Rahmenbedingungen eines Atemalkoholtests ab. Es müsse eine Kontrollzeit von zehn Minuten eingehalten werden, in der keinerlei Substanz zu sich genommen werden dürfen. (OLG Dresden, 22 Ss 672/20 (B))
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04.01.2022
Verwaltungsrecht: Musik darf nach 22 Uhr verboten werden, Schach und Gummitwist nicht
In einem Park mit angrenzender Seepromenade darf es behördlich verboten werden, Musik über Bluetooth-Lautsprecher nach 22 Uhr abzuspielen. Laute Musik in der Zeit der Nachtruhe kann die Gesundheit der Anwohner gefährden. Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zähle zu den „überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern“. Allerdings darf nicht auch gleichzeitig untersagt werden, dass die Besucher dort Spiele spielen (wie Schach, Karten- oder Würfel- und Brettspiele, aber auch Bewegungsspiele wie Fangen, Verstecken oder Gummitwist). Es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass „jegliche Art des Spielens (…) zu einer Störung der Nachtruhe (…) führen könne. (VGH Baden-Württemberg, 1 S 1894/21)
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03.01.2022
Mietrecht: Für einen unzureichenden Versicherungsschutz kann der Mieter nichts
Zwar kann ein Mieter grundsätzlich haften, wenn er in der gemieteten Wohnung etwas beschädigt. Zahlt er jedoch regelmäßig Beiträge - berechnet nach dem Verhältnis seiner gemieteten Quadratmeter - im Rahmen der Nebenkosten für eine Sach- und Haftpflichtversicherung, die der Vermieter abgeschlossen hat, so ist er damit "aus dem Schneider". In dem konkreten Fall hatte der Mieter beim Anbringen eines Fernsehhalters eine Wasserleitung angebohrt und einen Schaden in Höhe von knapp 3.000 Euro verursacht. Weil die vom Vermieter abgeschlossene Gebäudeversicherung jedoch Wasserschäden nicht eingeschlossen hatte, blieb der auf seinem Schaden sitzen. (AmG Idstein, 3 C 365/19)
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23.12.2021
Elterngeld: Der Vater muss schon mehr als nur "auf Urlaub" zuhause sein
Grundsätzlich haben die Ehefrauen von Entwicklungshelfern auch im Ausland Anspruch auf Elterngeld, wenn sie mit ihrem Mann und dem Kind dort (wo der Gatte Entwicklungshilfe leistet) in einem Haushalt zusammenleben. Leben die Frau und das Kind jedoch woanders (hier in Pretoria, Südafrika), während der Mann in Äthiopien arbeitet, und ist er in den ersten 14 Lebensmonaten des Kindes (für die Elterngeld zustehen könnten) nur an 52 Tagen (seinem Urlaub) bei seiner Familie, so sei darin kein gemeinsamer Haushalt einer Familiengemeinschaft zu erkennen. Für einen Anspruch auf Elterngeld müsse ein solcher Haushalt auf Dauer angelegt sein - und nicht auf ein vorübergehendes Zusammenleben. Kurzzeitige Besuche zu Urlaubszwecken reichen nicht. (LSG Rheinland-Pfalz, L 2 EG 4/20)
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22.12.2021
Mietrecht: Die Nutzung als Zweitwohnung ist keine Zweckentfremdung
Nutzt eine Mieterin ihre Wohnung lediglich als Zweitwohnung, so ist das kein Grund für den Vermieter, den Mietvertrag zu kündigen. Besteht ein unbefristeter Mietvertrag, so behält der seine Gültigkeit. Der Vermieter kann nicht argumentieren, es handele sich bei dieser Nutzung um eine Zweckentfremdung. Das gelte jedenfalls dann, wenn die vermieteten vier Wände trotz der seltenen Nutzung nicht "vernachlässigt" werden. (LG Berlin, 63 S 19/20)
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21.12.2021
Unfallversicherung: Eine freiwillige Grippeschutzimpfung löst keinen Arbeitsunfall aus
Lässt sich ein Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber (hier von einem Krankenhausträger) kostenlos zur Verfügung gestellte Grippeschutzimpfung verabreichen, so handelt es sich nicht um einen "Arbeitsunfall", wenn sich Jahre nach der Impfung gesundheitliche Probleme bei dem Mitarbeiter ergeben, die sich als Folge der Impfe herausstellen. Die Berufsgenossenschaft müsse in einem solchen Fall keine Entschädigung leisten. Denn die Teilnahme an der Schutzimpfung war freiwillig. Weder aus einer Haupt- noch aus einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis ergab sich, dass er zur Teilnahme verpflichtet gewesen war. Das gelte auch dann, wenn er als Gastronomieleiter der Krankenhausküche tätig war. Der Mann hatte - anders als beispielsweise medizinisches Personal oder Pfleger/innen - keinen unmittelbaren Kontakt zu Patienten des Krankenhauses. Es bestand kein erhöhtes Infektionsrisiko. (LSG Rheinland-Pfalz, L 2 U 159/20)
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20.12.2021
Arbeitsrecht/Corona: Wer keine Maske tragen kann, der muss zu Hause bleiben
Ein Verwaltungsmitarbeiter in einem Rathaus hat keinen Anspruch darauf, vor Ort beschäftigt zu werden, wenn es ihm - ärztlich attestiert - nicht möglich ist, bei der Arbeit eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Er ist dann als „arbeitsunfähig“ zu behandeln. Er kann nicht durchsetzen, ohne Gesichtsbedeckung im Rathaus zu arbeiten - oder im Homeoffice beschäftigt zu werden. Auch kann er nicht verlangen, dass er „normal“ weiterbezahlt wird (mit „Annahmeverzugslohn“ oder Schadenersatz). Es überwiege der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses. Gibt es an der geltenden Coronaschutzverordnung, die im Rathaus die Maskenpflicht vorschreibt, nichts zu beanstanden, so muss er sich daran halten. Außerdem sei diese Anordnung vom Direktionsrecht gedeckt. (ArG Siegburg, 4 Ca 2301/20)
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17.12.2021
Reiserecht: Rabatte dürfen nicht "versteckt" sein
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Extra-Kosten für die Aufgabe von Gepäckstücken vor Flugreisen auch dann bereits bei der Flugbuchung angezeigt werden müssen, wenn die Leistung erst später in einem eigenen Vorgang zusätzlich gebucht werden kann. Solche Extra-Kosten müssten sofort mit angegeben werden, um eine „effektive Vergleichbarkeit" der Preise zu gewährleisten. Darüber hinaus ist es Anbietern untersagt, bei Internet-Buchungen eine Voreinstellung zu installieren, nach der eine - wenn auch kostenlos vertriebene - Kreditkarte als Zahlungsmittel vorgesehen ist, mit der ein Rabatt gewährt wird (hier fiel dadurch eine eigentlich fällige „Servicegebühr“ in Höhe von 40 € weg). Der BGH hat entschieden, dass durch dieses Vorgehen unzulässigerweise für alle gängigen Zahlungsmittel ein Entgelt erhoben werde. (BGH, X ZR 23/20)
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16.12.2021
Datenschutz: Einfache Handyeinträge und deren Übermittlung gelten als Speicherung
Speichert ein Vermieter Name und Telefonnummer seines Mieters in sein Mobiltelefon und heftet er mehrere Mietverträge ab, so ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) anzuwenden. Das bedeutet, dem Mieter steht ein Datenauskunftsanspruch gegen den Vermieter zu. In dem konkreten Fall ging es um einen Mieter, der gegen seine Vermieterin auf Auskunft über seine personenbezogenen Daten klagte. Die Vermieterin hatte mehrere Eigentumswohnungen, die sie vermietete und für die sie eine Firma mit der Erstellung der Betriebskostenabrechnung beauftragte. Sie sah sich nicht als „institutionelle Vermieterin“ und sah keine Datenspeicherung in den Handyeinträgen. Das Amtsgericht Wiesbaden sah das anders. Dem Mieter stehe ein Anspruch auf Datenauskunft zu, weil durch die Speicherung der Daten und die Übermittlung an die Firma, die die Betriebskostenabrechnungen erstellt, ein „Dateisystem“ vorliege. (AmG Wiesbaden, 93 C 2338/20)
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15.12.2021
Arbeitsrecht: Auch in Corona-Zeiten kann der Chef das Homeoffice auflösen
Ein Arbeitgeber darf - auch in Zeiten von Corona - Mitarbeitern die Rückkehr aus dem Homeoffice vorschreiben. In dem konkreten Fall ging es um einen Grafiker, der im Homeoffice gearbeitet hatte und nicht wieder ins Büro zurückkehren wollte, als sein Chef das rund drei Monate später anordnete. Musste er aber. Der Arbeitgeber dürfe den Arbeitsort nach billigem Ermessen bestimmen. Der Arbeitsort war weder im Arbeitsvertrag noch kraft späterer ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung auf die Wohnung des Arbeitnehmers festgelegt. Die allgemeine Gefahr, sich auf dem Weg zur Arbeit mit Covid-19 anzustecken und das allgemeine Infektionsrisiko am Arbeitsort und in der Mittagspause stehen nach Ansicht des Gerichts einer Verpflichtung zum Erscheinen im Büro nicht entgegen. (LAG München, 3 SaGa 13/21)
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15.12.2021
Eigenbedarfskündigung: Schlagwortartige Begründungen reichen nicht aus
Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass eine Eigenbedarfskündigung unwirksam ist, wenn als Grund dafür lediglich angegeben wird, dass die Wohnung „für notwendige Aufenthalte als Zweitwohnung“ benötigt werde. Es müsse angegeben werden, für welche Dauer und in welcher Intensität eine Nutzung beabsichtigt ist. In dem konkreten Fall erhielt ein Mieter die Eigenbedarfskündigung, in der die auswärts lebende Vermieterin lediglich angab, die Wohnung „für notwendige Aufenthalte als Zweitwohnung“ bewohnen zu wollen. Das reichte nicht. Der Vermieterin stehe ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nicht zu, da die Kündigung formell unwirksam war und nicht die Formvoraussetzungen erfüllte. Der Grund sei „unzureichend“. Eine bloße schlagwortartige Angabe des Nutzungsinteresses reiche grundsätzlich nicht aus. Es müsse ein konkreter Sachverhalt angegeben werden, „auf den das Interesse zur Erlangung der Wohnung gestützt wird“. (LG Berlin, 67 S 249/19)
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13.12.2021
Reiserecht/Verbraucherrecht: Ein "übergreifender" Streik ist vorhersehbar
Ist ein Flug (hier ging es um die Strecke Salzburg-Berlin) wegen eines Streiks des Kabinenpersonals gestrichen worden, so haben die Fluggäste Anspruch auf die Entschädigungszahlung nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung. (In diesem Fall sind es 250 €.) Die Airline kann nicht argumentieren, bei der Arbeitsniederlegung habe ein „außergewöhnlicher Umstand“ vorgelegen, so dass sie nicht zahlen müsse, und sie sei unabwendbar gewesen, weil nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass ein Streik bei der Muttergesellschaft (hier der Lufthansa) auch auf andere Konzernteile übergreife (hier auf die „Tochter“ Eurowings). Die Solidarität unter dem Kabinenpersonal sei sehr wohl vorhersehbar gewesen. Die Airline könne „nicht behaupten, sie habe keinerlei Einfluss auf diese Maßnahmen“ gehabt. (EuGH, C 613/20)
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11.12.2021
Körperverletzung: Wer zuvor provoziert, kann dann nicht in Notwehr handeln
Kommt es zu einem Streit zwischen zwei Männern und ruft einer der beiden dem anderen zu "komm doch!" und "wehr dich!, obwohl sie bereits 20 Meter voneinander getrennt waren (hier ging es um eine verspätete Pizzalieferung), so kann der Rufende sich nicht auf Notwehr berufen, wenn der Kontrahent (obwohl körperlich unterlegen und betrunken) zurückkommt, ausholt und schließlich durch einen heftigen Schlag gegen den Kopf zu Boden geht und dort hart aufschlägt. Auch wenn der Verletzte zuerst ausgeholt hatte, könne sich der Provozierende nicht mit dem Argument "Notwehr" gegen eine Geldstrafe wegen Körperverletzung wehren. Die Aufforderung zurückzukommen und sich zu wehren sei als "vorwerfbare Provokation" zu werten. (Hier musste der Pizzabote, der den Kunden niedergestreckt hatte, 1.500 € zahlen.) (AmG Frankfurt am Main, 980 Ds 858 Js 24821/20)
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10.12.2021
Bankrecht: Verlustmeldung der Karte nach 30 Minuten kann zu spät sein
Meldet eine Bankkundin ihrem Geldinstitut den Verlust ihrer Debitkarte erst eine halbe Stunde, nachdem sie bemerkt hatte, dass die Karte abhandengekommen war, so hat sie keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen die Bank. Werden in dieser Zeit zweimal 500 Euro abgehoben, und ergeben die so genannten Transaktionsprotokolle, dass mit Originalkarte und PIN abgehoben worden ist, so liegt ein „Obliegenheitsverstoß“ der Kundin nahe. Es sei anzunehmen, dass sie - entgegen ihrer Sorgfaltspflicht - Karte und PIN nicht getrennt voneinander aufbewahrt hat. Auch habe sie den Verlust zu spät gemeldet. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 6169/20 (88))
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07.12.2021
Verwaltungsrecht: Kurzzeitige Vermietungen sind (noch) keine Zweckentfremdung
Eine Stewardess, die ihre selbstgenutzte Eigentumswohnung während ihrer berufsbedingten Abwesenheiten immer wieder für kurze Zeit an Touristen vermietet, handelt nicht rechtswidrig. Die Stadt (hier ging es um München) darf ihr die Vermietung nicht untersagen. Die Frau hatte die Wohnung wiederholt auf der Vermittlungsplattform AirBnB zur Vermietung angeboten. Darin sah die Stadt eine „unzulässige Zweckentfremdung von Wohnraum“ - zu Unrecht. Die Wohnung den Stewardess werde immer wieder zu „Wohnnutzung“ zurückgeführt. Sie dürfe nicht so behandelt werden, wie Wohnungseigentümer, die ihr Eigentum nicht dauerhaft selbst bewohnen und zur Maximierung des Ertrags an einen ständig wechselnden Personenkreis (beispielsweise an „Medizintouristen“) vermieten. (Bayerischer VwGH, 12 B 913/21)
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06.12.2021
Kündigung: Äußerungen in kleiner Chat-Runde sind kein Grund, aber...
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass einem Mitarbeiter eines gemeinnützigen Vereins in der Flüchtlingshilfe auch dann nicht gekündigt werden darf, wenn er bei WhatsApp verächtliche Äußerungen über Geflüchtete getätigt hat. Das Gericht löste das Arbeitsverhältnis allerdings gegen die Zahlung einer Abfindung auf, weil eine „den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten“ sei. In dem konkreten Fall ging es um einen technischen Leiter eines Flüchtlingshilfe-Vereins, der sich in einer „kleinen Runde“ mit zwei weiteren Beschäftigten menschenverachtend über Geflüchtete und herabwürdigend über Helfer äußerte. Die Kündigung sei unwirksam, weil es bei dem Chat um eine „vertrauliche Kommunikation“ ging. Außerdem bestünden keine besonderen Loyalitätspflichten, weil der Mann keine unmittelbaren Betreuungsaufgaben wahrgenommen hatte, Das Bundesarbeitsgericht wird endgültig entscheiden, ob die Auflösung des Arbeitsvertrages (gegen Abfindung) wirksam ist. (LAG Berlin-Brandenburg, 21 Sa 1291/20)
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03.12.2021
Fahrradunfall: Wer plötzlich nach links ausschwenkt, zahlt 50 Prozent des Schadens
Überholt ein Fahrradfahrer einen anderen - sehr langsam und unsicher fahrenden - Radler auf einem Fahrradweg, so muss der Überholte 50 Prozent des Schadens begleichen, der dadurch entsteht, dass er in dem Moment des Überholvorgangs plötzlich nach links ausschwenkt und es zur Kollision der beiden kommt. Verletzt sich der Überholende an der Schulter und erleidet er einen materiellen Schaden (an Rad und Kleidung), so muss ihm die Hälfte davon ersetzt werden. Auch ein Schmerzensgeld sprach das Oberlandesgericht Oldenburg zu (hier in Höhe von 3.500 €). Dem Überholenden dürfe nicht vorgehalten werden, dass er den üblicherweise erforderlichen Sicherheitsabstand (von 1,5 bis 2 Metern) nicht eingehalten habe. Denn das würde bedeuten, dass Fahrradfahrer sich im Stadtgebiet faktisch nicht überholen dürften. Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. (OLG Oldenburg, 2 U 121/21)
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02.12.2021
Reisepreisminderung: Weniger Speisen wegen Corona ist normal
Kommt es an einem Urlaubsort wegen der Corona-Pandemie zu einem eingeschränkten Speiseangebot am Büffet, so haben Reisende, die damit nicht einverstanden sind, keinen Anspruch auf Reisepreisminderung. In dem konkreten Fall ging es um eine Frau, die mit ihrem Freund eine Pauschalreise nach Mexiko absolviert hatte und später monierte, dass am Urlaubsort nicht alle sechs Restaurants geöffnet waren - und das Buffetangebot eingeschränkt. Sie verlangte eine nachträgliche Reisepreisminderung – vergeblich. Die durch die Corona-Pandemie bedingten Einschränkungen gehören zum allgemeinen Lebensrisiko. Es handele sich bei der Pandemie nicht um eine reisespezifische Gefahr. Die Situation sei für alle Beteiligten neu und überfordernd gewesen – grade, wenn (wie hier im März 2020) die Reise zu Beginn der Pandemie stattgefunden habe. (AmG Hannover, 552 C 7861/20)
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01.12.2021
Nachbarrecht: Überhängende Äste können ausnahmsweise nach und nach beseitigt werden
Droht ein Walnussbaum abzusterben, wenn er beschnitten wird, dann muss der Rückschnitt nicht sofort durchgeführt werden. Das gelte auch dann, wenn ein Grundstückseigentümer durch den Baum unangemessen beschattet wird. Der Baum darf dann über mehrere Jahre in kleineren Abschnitten gestutzt werden. Ansonsten würde faktisch eine komplette Beseitigung des Baumes durchgeführt, auf die der Nachbar aber keinen Anspruch hätte. Am Grundsatz, dass die überhängenden Äste zu beseitigen seien, ändere ein sukzessiver Rückschnitt nichts. (LG Koblenz, 13 S 8/21)
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01.12.2021
Betriebliche Altersversorgung: Die Grenze «55» ist nicht unangemessen
Tritt eine Frau mit 55 Jahren eine neue Stelle an, und gibt es dort eine Versorgungsregelung für die betriebliche Altersversorgung, nach der Leistungen für Beschäftigte ausgeschlossen sind, wenn sie das 55. Lebensjahr beim Eintritt in den Betrieb bereist vollendet haben, so wird sie dadurch nicht wegen des Alters oder wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Die Regelung sei nicht unangemessen. Vielmehr ist sie gerechtfertigt und mit Blick auf die Regelaltersgrenze (das 67. Lebensjahr) legitim. (BAG, 3 AZR 147/21)
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29.11.2021
Verbraucherrecht: Rabatt nur mit einer bestimmten Kreditkarte ist irreführend
Das Landgericht Leipzig hat entschieden, dass Anbieter von Flügen auf der Buchungsseite stets den Endpreis für das Ticket angeben müssen. Ein dort beworbener Preis darf keine Rabatte enthalten, die nur bei Zahlung mit einer kaum verbreiteten Kreditkarte gelten. In dem konkreten Fall ging es um einen Flug nach Palma de Mallorca, der mit einem Preis in Höhe von „53,83 Euro bei Zahlung mit billgflug.de Mastercard GOLD“ beworben wurde, wobei der Sternchenhinweis den Rabatt (14,99 €) für den Einsatz dieser speziellen Karte erläuterte. (Dieser Rabatt entsprach der Servicegebühr, die das Unternehmen für seinen Vermittlungs- und Buchungsservice pro Flugstrecke berechnete.) Damit liege eine irreführende Preisangabe vor und ein Verstoß gegen die europarechtliche Preistransparenz bei Flugbuchungen. Der Rabatt für die Kreditkarte mit dem billigflug.de-Label sei für einen erheblichen Teil der Verbraucher nicht erreichbar. (LG Leipzig, 5 O 184/19)
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26.11.2021
Soldatenversorgung: Auch eine Behandlung durch «zivile Gynäkologen» kann dazuzählen
Erleidet das Kind einer Soldatin einen Geburtsschaden im Rahmen der Behandlung durch zivile Ärzte, so kann das grundsätzlich eine Entschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetzt nach sich ziehen. In dem konkreten Fall wurde die schwangere Soldatin auf Anraten und Anmeldung des truppenärztlich hinzugezogenen Gynäkologen in ein Krankenhaus ein- und von dort aus noch am selben Tag weiter in ein anderes Hospital überwiesen, das besser ausgestattet war. Dort kam es zur Frühgeburt und zu einer Hirnblutung beim Kind, die unter anderem Entwicklungsstörungen nach sich zog. Die geburtshilfliche Behandlung der Mutter in dem zivilen Krankenhaus ist wegen der vom Truppenarzt - aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit - ausgestellten Überweisung der truppenärztlichen Versorgung zuzurechnen. Die geburtshilfliche Versorgung einer Soldatin ist Teil der freien Heilfürsorge durch die Bundeswehr, den diese mangels eigener personeller und sachlicher gynäkologischer Kapazitäten seinerzeit nur durch Zivilärzte sicherstellen konnte. (Die Vorinstanz muss noch endgültig klären, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorlag.) (BSG, B 9 V 1/19 R)
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24.11.2021
Steuerrecht: Corona-Hilfen müssen nicht zur Schuldentilgung eingesetzt werden
„Entdeckt“ das Finanzamt bei einer Unternehmergesellschaft (UG) verdeckte Gewinnausschüttungen, die die Körperschaftssteuer erhöhten, und meldet die Geschäftsführerin Insolvenz an, so ist eine von ihr zu leistende Rückzahlung bezogener Corona-Soforthilfegelder nicht in die Berechnung der Haftungsquote für die Schulden bei der Körperschaftssteuer einzubeziehen. Das Argument, dass die Corona-Soforthilfe (hier in Höhe von 9.000 €) nicht für Steuerzahlungen zu verwenden gewesen sei, überzeugte das Finanzgericht Münster. Ohne die unerwartete Steuernachzahlung (aufgrund der verdeckten Gewinnausschüttungen) hätte die UG keinen Insolvenzantrag stellen müssen. Es sei „ernstlich zweifelhaft, bei der Berechnung der Haftungsquote die Rückzahlung der Corona-Soforthilfe in die Gesamtverbindlichkeiten und in die bezahlten Verbindlichkeiten (…) einzubeziehen, da die Soforthilfe zweckgebunden und damit nicht pfändbar“ sei. Somit dürfe der Betrag auch nicht für alte Steuerschulden verwendet werden. (FG Münster, 9 V 2341/21 K) - vom 15.10.2021
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23.11.2021
Verwaltungsrecht: Zwei Impfungen mit «Sputnik V» bringen kein Zertifikat
Wurde ein Mann im Mai 2021 in Moskau mit dem Vakzin "Sputnik V" zum ersten Mal geimpft und im Juli das zweite Mal (in San Marino), so hat er keinen Anspruch auf einen deutschen Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vollständigen Schutzimpfung gegen das Coronavirus. Der Impfstoff "Sputnik V" gehöre nicht zu den vom Paul-Ehrlich-Institut aufgelisteten Impfstoffen. Er ist in Deutschland nicht zugelassen. Die Verweigerung der Bescheinigung stelle keinen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit dar. (Hessischer VGH, 5 L 1529/21)
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19.11.2021
Bauherrenrecht: Das «Was» muss in der Klage genannt werden, nicht das «Warum und Wie»
Streiten sich ein Bauherr und die Baufirma über ein undichtes Dach, und verklagt der Hauseigentümer die Baufirma, so muss er seine Forderung zwar klar formulieren, indem er die beanstandeten Mängel benennt und deren Beseitigung verlangt. Er muss für eine Wirksamkeit der Klage jedoch nicht die Ursache des Schadens anführen (die er ja auch gar nicht zwingend kennen muss), und auch nicht "die Art und Weise, in der der gerügte Mangel zu beseitigen ist". (Brandenburgisches OLG, 4 U 70/19)
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18.11.2021
Kündigung: Geht's nicht "ordentlich", dann geht's - vielleicht - "außerordentlich...
Kann einem Arbeitnehmer aufgrund von Gesetz, Tarifvertrag oder einer anderen Regelung nicht ordentlich gekündigt werden, so kann der Arbeitgeber im Einzelfall dennoch das Recht haben, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Das allerdings auch nur mit einer "Auslauffrist", die der Frist für eine ordentlichen Kündigung entsprechen muss. Außerdem muss - soll eine solche Kündigung wirksam werden - vom Arbeitgeber schlüssig dargelegt werden, warum eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich sein soll. Auch muss erklärt werden, warum das Arbeitsverhältnis auch unter geänderten Bedingungen (und gegebenenfalls nach einer Umschulung) nicht sinnvoll fortgesetzt werden kann. (BAG, 2 AZR 357/20)
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17.11.2021
Kündigung: Lehnt ein Lehrer die Maske beharrlich ab, dann kann er nach Hause gehen
Ein Lehrer, der es ablehnt, im Unterricht einen Mund-Nasen-Schutz als Mittel gegen die Verbreitung des Coronavirus zu tragen, kann sich nicht gegen eine außerordentliche Kündigung wehren. Hat er deswegen bereits eine Abmahnung kassiert und beharrt er auf seiner Vorstellung (in einer E-Mail an die Schulelternsprecherin führte er aus, er sei "der Meinung, dass diese Pflicht eine Nötigung, Kindesmissbrauch, ja sogar vorsätzliche Körperverletzung bedeutet"), so ist sein Verhalten ein Grund für eine fristlose Kündigung. Auch ein aus dem Internet bezogenes Attest eines Arztes aus Österreich, das ihn "aus gesundheitlichen Gründen" vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreie, konnte ihm den Job nicht mehr retten. (LAG Berlin-Brandenburg, 10 Sa 867/21)
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16.11.2021
Alkohol am Steuer: Auch mit «lediglich» 1,3 Promille kann eine MPU gefordert werden
Wird ein Autofahrer mit einem Blutalkoholwert von 1,3 Promille an Steuer erwischt, so ist ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen - und erst nach Vorlage eines Medizinisch-Psychologischen Gutachtens (MPU) wieder zu erteilen (falls er beantragt, die Fahrerlaubnis vor Ablauf der festgelegten Sperrfrist von 9 Monaten zurückzuerhalten.) Es sei - obwohl er unterhalb der eigentlich für eine MPU maßgeblichen Promille-Grenze von 1,6 Promille lag - zu klären, ob „zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde“. Denn nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand sei von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung auszugehen, wenn bei einer Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr gemessen wird. (BVwG, 3 C 3/20)
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15.11.2021
Unfallversicherung: Ein achtmal längerer Umweg ist nicht mehr versichert
Fährt ein Auszubildender nach der Arbeit mit seinem Motorrad nicht direkt nach Hause, sondern - wegen eines Staus - einen (8-mal) längeren Umweg, so ist er auf diesem Weg nicht (mehr) gesetzlich unfallversichert. Nimmt ihm auf dieser Strecke ein Autofahrer die Vorfahrt und erleidet er Verletzungen an beiden Füßen sowie an der rechten Hand, so kann er dafür keine Leistungen aus seiner Berufsgenossenschaft erhalten, da kein Arbeits- beziehungsweise Wegeunfall vorliege. Das gelte jedenfalls dann, wenn es zwar zutreffend war, dass es einen Stau gab, nicht jedoch zu erklären ist, warum er ihn derart weit umfahren wollte. (SG Osnabrück, S 19 U 251/17)
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15.11.2021
Mietrecht: Wehrt sich der Mieter zur Mietzeit nicht, kann er es später auch nicht mehr
Zwar kann ein Mieter bei beendetem Mietverhältnis seine Vorauszahlungen für Betriebskosten zurückfordern, wenn der Vermieter über die Vorauszahlungen für Betriebskosten nicht fristgerecht abgerechnet hatte. Der Bundesgerichtshof hat diese Recht allerdings für solche Abrechnungsperioden eingeschränkt, für die die Abrechnungsfrist noch während des Mietverhältnisses abgelaufen war. Insoweit hat der Mieter keinen Erstattungsanspruch, weil er schon während des Mietverhältnisses die Möglichkeit hatte, die laufenden Vorauszahlungen einzubehalten, sich so schadlos zu halten und damit auf den Vermieter Druck zu Erteilung der geschuldeten Abrechnung auszuüben. (BGH, VIII ZR 52/20
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12.11.2021
Verbraucherrecht: Ein Handyvertrag darf einseitig gekündigt werden
Eine Mobiltelefon-Gesellschaft hat nicht das Recht, Kunden, die ihre Verträge wirksam gekündigt haben, aufzufordern, telefonisch Kontakt aufzunehmen, um angeblich offene Fragen zu klären und eine Kündigungsbestätigung zu erhalten. Das ist rechtswidrig. Eine Kündigung wird grundsätzlich ohne Bestätigung wirksam, wenn sie dem Unternehmen fristgerecht zugeht. Sie ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Ebenso ist deswegen auch eine Kontaktaufnahme per Brief gegen den ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers rechtswidrig. (LG Kiel, 14 HKO 42/20)
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11.11.2021
Arbeitslosengeld I: Eine Rechtsfolgenbelehrung muss konkret und genau sein
Erhält ein Arbeitsloser eine Sperrzeit für die Zahlung von Arbeitslosengeld I, und soll er knapp 1.400 Euro an die Agentur für Arbeit zurückzahlen, weil er sich auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben hatte, so ist das Vorgehen der Arbeitsagentur zwar grundsätzlich in Ordnung. Ergibt sich aus der Rechtsfolgenbelehrung in dem Stelleangebots-Schreiben aber nicht schlüssig, wann die angedrohte Sperrzeit genau beginnen soll, so sind die Sanktionen gegen den Mann aufzuheben. Denn eine solche Belehrung müsse konkret, richtig, vollständig und verständlich sein, um ihre Aufklärungs- und Warnfunktion erfüllen zu können". (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AL 95/19)
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10.11.2021
Eigentumswohnung: Auch bei Immobilien ist ein fiktiver Schadenersatz möglich
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Käufer einer Altbauwohnung einen "fiktiven Schadenersatz" gegenüber dem Verkäufer geltend machen kann, wenn nachträglich Gebrauchsmängel aufgetaucht sind und der vorherige Eigentümer die Frist zur Beseitigung der Mängel verstreichen lässt. Das bedeutet, dass der neue Eigentümer die Schadenersatzzahlung auch dann erhalten muss, wenn er die Mängel nicht beseitigt oder beseitigen lässt. (Hier ging es um eine gebrauchte Eigentumswohnung, in der Feuchtigkeitsschäden auftraten, für die der Voreigentümer aufzukommen hatte.) (BGH, V ZR 33/19)
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09.11.2021
Eigenbedarfskündigung: Im ersten Schreiben müssen noch keine Details stehen
Kündigt ein Vermieter eine Wohnung wegen Eigenbedarfs, so muss er im Kündigungsschreiben lediglich angeben, für welchen Angehörigen er die Wohnung benötigt und welches Interesse damit verbunden ist. Weitere Details muss das Schreiben nicht enthalten. Hier ging es um eine 62 Quadratmeter große Wohnung, die der Eigentümer für seinen Sohn „freischaffen“ wollte, der einen größeren Wohnraumbedarf hatte und insbesondere für seine regelmäßigen Home-Office-Tätigkeiten ausreichend Platz benötigte. Der Mieter akzeptierte die Kündigung nicht, weil das Kündigungsschreiben nicht „detailliert“ genug gewesen sei. Der Bundesgerichtshof sah das anders. Das Kündigungsschreiben habe alle gesetzlich vorgeschriebenen Fakten enthalte. Mieter, die sich nicht als ausreichend geschützt ansehen, könnten in einem etwaigen Prozess dann vortragen, was an der Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht in Ordnung sei - und beweisen. (BGH, VIII ZR 346/19)
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08.11.2021
Arbeitsrecht: Eine Corona-Quarantäne ist nicht gleich eine Arbeitsunfähigkeit
Ist einer Arbeitnehmerin für einen bestimmten Zeitraum Erholungsurlaub gewährt worden, steckt sie sich mit dem Corona-Virus an und fällt die behördlich angeordnete Quarantäne genau in diesen Urlaub, so kann sie anschließend nicht gegen den Arbeitgeber durchsetzen, die Urlaubstage nachgewährt zu bekommen, die auf die selben Tage fielen, wie die Tage der Quarantäne. Das sei nur möglich, bei einer Erkrankung, für die ein ärztliches Attest die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Legt die Arbeitnehmerin ein solches Attest nicht vor, so kann sie auch eine "Nachgewährung" nicht durchsetzen. Eine Erkrankung mit dem Coronavirus führe "nicht zwingend uns unmittelbar zu einer Arbeitsunfähigkeit". (ArG Bonn, 2 Ca 504/21)
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06.11.2021
AGG: Das Gendersternchen diskriminiert nicht
Ein schwerbehinderter Mensch, der zweigeschlechtlich geboren worden ist und sich auf eine Stelle im öffentlichen Dienst bewirbt, kann keine Entschädigungszahlung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegen den potenziellen Arbeitgeber durchsetzen, wenn er argumentiert, er sei „wegen des Geschlechts“ diskriminiert worden, weil das in der Stellenausschreibung benutzte Gendersternchen (dort stand „Schwerbehinderte Bewerber*innen“) nicht geschlechtsneutral sei. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein sah das jedoch anders und stellte klar, dass die „Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache dient“. Alle Geschlechter (nicht nur Frauen und Männer) würden dadurch symbolisiert. (LAG Schleswig-Holstein, 3 Sa 37 öD/21)
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04.11.2021
Gerichtsgebühr: Will der Mandant nicht "aufgeben", bleibt er auf den Kosten sitzen
Ist der Mandant eines Rechtsanwaltes trotz einer umfassenden Belehrung darüber, dass eine eingelegte Berufung "aussichtslos" sein wird, nicht zu einer Rücknahme des Rechtsmittels bereit, so kann die Rechtsschutzversicherung des Mandanten nicht verlangen, dass der Anwalt die Differenz bei den Gerichtsgebühren zu zahlen habe, wenn die Berufung nicht angenommen wird. Die Gerichtsgebühr hatte sich dadurch verdoppelt. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Mandant seine Behauptung nicht beweisen kann, dass er nicht informiert worden sei - und im Gegenteil die Beweisaufnahme sogar ergibt, dass er die Kosten eines "Unterliegens" hinnehmen wollte. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 807/21)
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03.11.2021
Betriebliche Invaliditätsrente: Befristung bei der «Gesetzlichen» ändert nichts
Dem Leistungsanspruch von Beschäftigten bei einer betrieblichen Invaliditätsversorgung stehe es nicht entgegen, dass die gesetzliche Rentenversicherung die Erwerbsminderungsrente (wie üblich) zunächst befristet. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. In dem konkreten Fall ging es um einen Arbeitnehmer, dem vom Arbeitgeber eine Invaliditätsversorgung „bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ zugesichert worden war. Weil die dem Mann gezahlte „Rente wegen voller Erwerbsminderung“ zunächst befristet auf drei Jahre genehmigt worden war, wollte der Arbeitgeber die betriebliche Invaliditätsversorgung (noch) nicht zahlen. Es stehe schließlich noch nicht fest, ob die Erwerbsunfähigkeit von Dauer sei. Die betriebliche Versorgungszusage knüpfe jedoch an die Kriterien der gesetzlichen Rentenversicherung für die vollständige Erwerbsminderung an. Und weil diese erfüllt seien - auch wenn zunächst (gesetzlich vorgeschrieben) für einen befristeten Zeitraum -, stehe auch die betriebliche Leistung zu. (BAG, 3 AZR 445/20)
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02.11.2021
Mieterhöhung: Der Zeitpunkt der ursprünglichen Ankündigung ist entscheidend
Wird in einem Rechtsstreit um eine Mieterhöhung später die ortsübliche Vergleichsmiete ermittelt, so ist der Zeitpunkt der ursprünglichen Ankündigung der Erhöhung maßgeblich. Von der Zustellung des „Erhöhungsverlangens“ an wird unter anderem die gesetzliche (4-jährige) Frist berechnet, vor dessen Ablauf der Vermieter weder die Zustimmung des Mieters zur Mieterhöhung noch sonst eine Äußerung des Mieters zum Erhöhungsverlangen einfordern kann. (BGH, VIII ZR 22/20)
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30.10.2021
Rentenversicherung: Schwangere mit zwei Kindern kann einen Haushalt nicht allein führen
Steht ein gesetzlich Rentenversicherter kurz vor einer (auch psychischen) Rehabilitationsmaßnahme, so muss die Rentenversicherung die Kosten für eine Haushaltshilfe übernehmen, wenn er in seiner Familie (zu der seine schwangere, in Teilzeit arbeitende Ehefrau und 2 Kinder im Alter von 4 und 8 Jahren zählen) im Regelfall die Haushaltstätigkeiten wie Putzen, Kochen und Einkaufen erledigt. Der Mann müsse auch nicht den üblichen "Beschaffungsweg" einhalten (= Antrag und Abwarten, wie die Rentenversicherung reagiert), wenn die Hilfe im Haushalt unaufschiebbar geworden ist. Startet die Reha bereits 2 Tage nach Antragstellung, damit sie auf jeden Fall pünktlich zur Geburt abgeschlossen werden kann, so darf direkt eine Firma beauftragt werden, die die Arbeiten im Haushalt (hier an 3 bis 4 Tagen) übernimmt. (Hessisches LSG, L 2 R 360/18)
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28.10.2021
Mietrecht: Mieter haben das "Recht", in ihrer Wohnung zu sterben
Stirbt ein Mieter in seiner Wohnung und wird der Leichnam erst nach längerer Zeit entdeckt, so hat der Vermieter nicht das Recht, den Erben wegen der "umfangreichen Renovierungsarbeiten" (die hier knapp 3.000 € ausmachten) die Auszahlung der Mietkaution (hier: 2.000 €) zu verweigern. Das Sterben in einer Wohnung und die "damit einhergehenden Beeinträchtigungen" zählen zum "vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache". (AmG Berlin Tempelhof-Kreuzberg, 15 C 59/20)
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25.10.2021
Schadenersatz: Kann das Amt keine Betreuung vermitteln, zahlt es den Verdienstausfall
Hat eine junge Mutter für ihren 1-jährigen Sohn einen gesetzlichen Anspruch auf eine frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege, und meldet sie diesen Anspruch rechtzeitig an, so muss ihr der Träger der Jugendhilfe Schadenersatz leisten, wenn es nicht gelingt, ihr einen zumutbaren Platz zu verschaffen. Der Schaden bestand hier insbesondere aus Verdienstausfall (in Höhe von knapp 23.000 €), weil die Frau nicht - wie geplant - nach einem Jahr Elternzeit wieder arbeiten gehen konnte. Das Angebot einer Unterbringung in einer Einrichtung, die fast eine Stunde Autofahrzeit vom Arbeitsplatz der Frau entfernt liegt, ist kein "auf die Bedürfnisse der Eltern ausgerichteter Betreuungsplatz". (OLG Frankfurt am Main, 13 U 436/19)
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22.10.2021
Verwaltungsrecht: Am Steuer ist ein Gesichtsschleier verboten
Das Tragen eines Gesichtsschleiers aus religiösen Gründen am Steuer muss nicht ausnahmsweise genehmigt werden. Eine Frau, die einen Niqab beim Autofahren tragen will, dem das Gesicht mit Ausnahme eines Sehschlitzes bedeckt ist, kann dafür keine Genehmigung einklagen - jedenfalls nicht in einem Eilverfahren. Nach der Straßenverkehrsordnung darf der Lenker eines Kraftfahrzeugs sein Gesicht nicht verhüllen oder verdecken. Die Straßenverkehrsbehörde darf nur in Ausnahmefällen davon absehen. Die Religionsfreiheit sei kein solcher Ausnahmefall. Der Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum der anderen Verkehrsteilnehmer könne kein Vorrang eingeräumt werden. Auch müsse die Identität der Frau bei Verkehrsverstößen ermittelbar sein. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 8 B 1967/20)
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21.10.2021
Schadenersatz: Kommt eine Prothese abhanden, muss das Krankenhaus schnell handeln
Muss ein Patient vor einer Operation in einem Krankenhaus seine Zahnprothese in einen speziellen Behälter legen, und fehlt diese später bei den persönlichen Sachen, die er - schließlich auf der Station angekommen - zurückbekommt, so muss das Krankenhaus für eine zügige Abhilfe sorgen. Verweist die Versicherung des Krankenhauses auf die gesetzliche Krankenversicherung des Mannes, wirft sie ihm zu Unrecht ein Mitverschulden vor, und vergehen drei Monate, ehe der Mann eine - aus eigener Tasche bezahlte - neue Prothese erhält, so muss die Versicherung neben dem Preis für eine neue Prothese Schmerzensgeld zahlen. 500 Euro gab es dafür, dass der Mann bei der Nahrungsaufnahme drei Monate lang auf weiche Kost beschränkt war. Dadurch war seine Lebensqualität stark beeinträchtigt. (AmG Nürnberg, 19 C 867/21)
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19.10.2021
Verwaltungsrecht: Katholische Kinder haben auf einer katholischen Schule Vorrang
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass "bekenntnisangehörige" Kinder beim Zugang zu einer Bekenntnisschule Vorrang haben. Dadurch liege keine Benachteiligung eines Kindes vor, das nicht katholisch ist. Das gelte jedenfalls dann, wenn zwei andere (hier: Grund-)Schulen in Betracht kommen, für die keine besonderen Erschwernisse oder Gefährdungen auf dem Schulweg vorliegen. Es liege kein Verstoß gegen das grundgesetzliche Verbot der Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung vor. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 19 B 1095/21)
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18.10.2021
Nachbarrecht/Verwaltungsrecht: Verschattung einer Photovoltaikanlage ist hinzunehmen
Hält ein bauwilliger Nachbar eines Hausbesitzers die bauordnungsrechtlichen Abstände ein, so muss der Hausbesitzer es hinnehmen, wenn das geplante neue Gebäude (hier ging es um ein Zweifamilienhaus mit einer Doppelgarage) seine Photovoltaikanklage auf dem Dach „in den Schatten stellt“. Es liege keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme vor, wenn eine „unzumutbare Verschattung“ nicht festgestellt werden könne, so das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. „Werden die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen (…) gegenüber einem mit einer Photovoltaikanlage ausgerüsteten Gebäude eingehalten, sei eine vorhabenbedingte teilweise Verschattung der Anlage grundsätzlich nicht als Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu werten.“. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 7 B 1616/20)
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15.10.2021
Verwaltungsrecht/Kindergartenplatz: Ein "Ganztagesplatz" kann nicht vier Stunden ausmachen
Haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf einen "Ganztagsplatz" in einem Kindergarten für ihren dreijährigen Sohn, so reicht es nicht aus, wenn der Landkreis dem Kind einen solchen lediglich in Einrichtungen verschaffen kann, für die die Fahrstrecke pro Weg mindestens 35 Minuten betragen. Das sei unzumutbar. Auch sei das Angebot in näher liegenden Kindergärten oder Kindertagesstätten nicht ausreichend, wenn es dort nur Kapazitäten für maximal vier Stunden Betreuung täglich gibt. Ein solcher Umfang reiche nicht aus, um den gesetzlichen Anspruch von Eltern zu erfüllen, ihnen dabei zu helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können. (VwG Göttingen, 2 B 122/21)
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14.10.2021
Abmahnung: Schreibt ein Redakteur für die Konkurrenz, so gibt das eine Abmahnung
Veröffentlicht ein bei einer Zeitung angestellter Redakteur einen Artikel ohne Einwilligung des eigenen Verlages in einer Konkurrenzzeitung, so muss er dafür eine Abmahnung hinnehmen. In dem konkreten Fall hatte ein Redakteur eines Wirtschaftsmagazins über die Standorteröffnung eines deutschen Unternehmens in den USA berichtet und unter anderem geschrieben, dass die ausrichtende Unternehmerin ihn - auf seine Aussage hin, er esse nichts, da er „zu viel Speck über´m Gürtel habe“ - in die Hüfte gekniffen habe. Diese Passage strich die Redaktion vor Veröffentlichung. Der Redakteur verkaufte den Beitrag (ungekürzt) an ein anderes Blatt. Weil er damit gegen das Konkurrenzverbot im Arbeitsvertrag verstoßen hatte, erhielt er eine Abmahnung. Zu Recht, er konnte sie nicht wieder entfernen lassen. Es lag keine Verletzung seiner Berufsfreiheit vor - und auch keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Regelt der Tarifvertrag, dass es „zur anderweitigen Verarbeitung, Verwertung und Weitergabe der während der Tätigkeit für den Verlag bekannt gewordenen Nachricht der schriftlichen Einwilligung des Verlags“ bedürfe, so müssen sich die Angestellten daran halten. Der Verlag dürfe prüfen, ob seine „berechtigten Interessen durch die beabsichtigte Veröffentlichung“ beeinträchtigt werden. (BAG, 9 AZR 413/19)
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13.10.2021
Erbrecht/Mietrecht: Sind die Erben unklar, darf der Vermieter Nachlasspflege fordern
Stirbt eine Mieterin und sind keine Erben vorhanden, so kann der Vermieter für die Abwicklung des Mietverhältnisses beantragen, dass ein Nachlasspfleger eingesetzt wird. In dem konkreten Fall vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht war eine verwitwete und kinderlose Mieterin gestorben - und die Erben beabsichtigten, das Erbe auszuschlagen. Der Vermieter beantragte gerichtlich einen Nachlasspfleger, den das Nachlassgericht ablehnte, weil drei postalische Adressen von potenziellen Erben bekannt gewesen seien - zu Unrecht. Der Vermieter konnte sich durchsetzen. Das Gericht ordnete eine Nachlasspflegschaft mit dem Wirkungskreis Beendigung, Räumung und Abwicklung des Mietverhältnisses an. Nach dem Gesetz hat der Vermieter Anspruch auf Einsetzung eines Nachlasspflegers, „wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat (…)“. Es sei nicht erforderlich, dass „ein sicherungsbedürftiger Nachlass existiert oder der Nachlass aller Voraussicht nach dürftig ist“. (Brandenburgisches OLG, 3 W 35/21)
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12.10.2021
Nachbarrecht: Auch viele Jahre Gewohnheit bringen keinen Anspruch auf ein Wegerecht
Auch wenn es zwischen Nachbarn jahrzehntelang "stillschweigende Übung" gewesen ist, über Nachbarsgrund zu fahren, kann aus diesem "Gewohnheitsrecht" kein echtes Wegerecht werden. Ein Gewohnheitsrecht kann "als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen." Ein Wegerecht kann wirksam nur durch eine Eintragung ins Grundbuch entstehen. (BGH, V ZR 155/18)
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11.10.2021
Betriebsrat: Stellt der Arbeitgeber keinen Raum, so darf online beraten werden
Hat ein Arbeitgeber nicht die Möglichkeit, einen ausreichend großen Raum für Betriebsratssitzungen zur Verfügung zu stellen, der den Vorgaben der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung entspricht, so dürfen die Betriebsräte Sitzungen online von daheim aus durchführen. Der Arbeitgeber hat nicht das Recht, die Betriebsräte abzumahnen, die an der Online-Sitzung teilnehmen, und ihnen das Gehalt für die Zeit der Online-Konferenz zu kürzen. Ein solches Verhalten des Arbeitgebers ist eine "Behinderung der Mitglieder des Betriebsrats bei der Ausübung ihrer Mandatstätigkeit". (ArG Köln, 18 BVGa 11/21)
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08.10.2021
Geschwindigkeitsüberschreitung: Wer drei Schilder "übersieht", zahlt drauf
Wird ein Autofahrer auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 121 km/h an einer Stelle geblitzt, an der "Tempo 100" gilt, so kann die Bußgeldbehörde das Bußgeld erhöhen, wenn der Mann mit "erhöhter Fahrlässigkeit" unterwegs gewesen ist. Eine solche ist anzunehmen, wenn sich herausstellt, dass der Autofahrer an drei Schildern vorbeigefahren ist, die auf die Geschwindigkeitsbeschränkung hingewiesen haben, bevor gemessen worden ist. Damit sei ein "länger andauernder Sorgfaltsverstoß" bewiesen. (Hier setzte die Behörde das üblicherweise fällige Bußgeld von 70 € auf 85 € herauf.) (OLG Koblenz, 4 OWi 6 SsRs 26/21)
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07.10.2021
Unfallversicherung: Ein ganz kurzer "Turnaround" kostet nicht den Schutz
Kehrt eine Arbeitnehmerin direkt nach Verlassen ihres Fahrzeuges auf dem Firmenparkplatz zum Auto zurück, um zu prüfen, ob sie es tatsächlich abgeschlossen hat, so steht sie dabei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Stürzt sie beim prüfenden Griff an den Türgriff, so sei dieser Vorgang kein „eigenwirtschaftlicher Grund“, so das Bayerische Landessozialgericht. Die gesetzliche Unfallversicherung kann nicht argumentieren, durch die Kehrtwende habe die Arbeitnehmerin den direkten Weg zu ihrer Arbeitsstelle verlassen. In einem solchen Fall sei der Weg zur Arbeitsstätte nur so geringfügiger unterbrochen, dass sich das nicht auf den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung auswirke. (Bayerisches LSG, L 3 U 54/20)
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06.10.2021
Reiserecht: Ein Zimmerwechsel allein ist nur eine Unannehmlichkeit
Allein ein nötig gewordener Wechsel des Hotelzimmers einet jungen Familie im Urlaubshotel stellt als bloße Unannehmlichkeit keinen Reisemangel dar. Das gelte selbst dann, wenn dieser Wechsel eine Stunde Zeit in Anspruch nimmt und ein vier Jahre altes Kind mitbetroffen ist. Ein solcher Zimmerwechsel sei lediglich unangenehm
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05.10.2021
Verkehrsunfall: Auch eine 11jährige kann schuldlos sein
Wird ein 11-jähriges Mädchen von einem Auto angefahren, als es als letzte Person einer aus vier Kindern bestehenden Gruppe auf dem Schulweg im Winter und im Dunkeln eine Straße überquerte, so kann das Mädchen auch dann frei von Mitschuld sein, wenn es sich falsch verhalten hat. War das Auto zu schnell unterwegs (statt der erlaubten 50 km/h muss es mindestens 55 km/h gefahren sein), und stellt sich heraus, dass die Fahrerin davon ausgegangen ist, dass sich das Kind richtig verhalten und den anderen bereits über die Straße gelaufenen Kindern nicht folgen würde, so muss die Autofahrerin für diese Fehleinschätzung einstehen. Das Kind habe - auch aufgrund der Dunkelheit - das Tempo des Autos falsch eingeschätzt und reflexhaft die falsche Entscheidung getroffen, der Gruppe zu folgen. Die Frau am Steuer hatte die Kinder zwar bemerkt, jedoch ihr Fahrverhalten nicht angepasst. (OLG Celle, 14 U 129/20)
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04.10.2021
Schadenersatz: Die Berater-Agentur muss für "ihren" Fußball-Star einstehen
Schließt ein namhafter Sportartikelhersteller mit der Agentur eines Fußballprofis einen umfangreichen Sponsoringvertrag ab, nach dem der Spieler eine eigene Collection erhalten und mit ihm Werbekampagnen gestartet werden sollten, so muss die Agentur dem Sportartikelhersteller (pauschalierten) Schadenersatz zahlen, wenn der Spieler den Vertrag mit der Agentur bereits aufgelöst hatte, bevor der Kontrakt zwischen Hersteller und dem Management zustande gekommen war. (Hier ging es um 2,7 Millionen Euro.) Ergebe sich aus den Verträgen, dass die Berater-Agentur die Pflichten des Spielers als eigene direkte Pflicht übernommen hatte, so müsse sie dem gerecht werden. Sie müsse die Spieler-Pflichten auch selbst erfüllen und nicht nur auf den Spieler einwirken. (OLG Nürnberg, 3 U 2801/19)
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02.10.2021
Kündigung: Ein Lehrer mit rechten Tattoos darf links liegen gelassen werden
Ein Lehrer, der - als Quereinsteiger in diesen Beruf - Tätowierungen trägt, die in rechtsradikalen Kreisen verwendet werden (hier ging es um den in Frakturschrift tätowierten Schriftzug "Meine Ehre heißt Treue" sowie die Symbole "Wolfsangel“ und „Schwarze Sonne“), so lässt das auf eine fehlende Eignung für den Beruf des Lehrers schließen. Dem Mann darf außerordentlich gekündigt werden. Das gelte auch dann, wenn der Lehrer in der Zwischenzeit Änderungen an den Symbolen hat vornehmen lassen. Daraus ließe nicht automatisch auf eine Distanzierung schließen. (LAG Berlin-Brandenburg, 8 Sa 1655/20)
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30.09.2021
(Landes-)Pflegegeld: Die Leistung ist unter Umständen vererbbar
Das Land Bayern zahlt Pflegebedürftigen, die mindestens den Pflegegrad 2 besitzen, ein "Landespflegegeld" in Höhe von 1.000 Euro jährlich, das die Leistungen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherungen ergänzen soll. Voraussetzung ist, dass das hier geltende "Pflegejahr" vom 1. Oktober bis zum 30. September des Folgejahres "vollständig" vom Pflegebedürftigen erlebt wird
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29.09.2021
Krankenversicherung: Gegen Rücken- und Hodenschmerzen hilft nicht nur Cannabis
Leidet ein Mann sowohl an Rückenschmerzen als auch an Beschwerden, die durch eine zu große Hodenprothese hervorgerufen worden sind (die Prothese wurde nach einer Krebsoperation eingesetzt), so kann er nicht durchsetzen, dass ihm seine Krankenkasse Cannabisblüten zur Schmerzbekämpfung bezahlt. Das gelte auch dann, wenn das - aus seiner Sicht - das einzige Mittel ist, das ihm hilft. Stellt sich heraus, dass der Mann an keiner schweren Erkrankung leidet und alle anderen therapeutischen Maßnahmen noch nicht ausgeschöpft worden sind, so besteht kein dringlicher Grund, Cannabis auf Rezept von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert zu bekommen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 163/21 B ER)
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29.09.2021
Schadenersatz: Abgenötigte Starthilfe kann kein «Verschulden» nach sich ziehen
Bittet ein Hochzeits-DJ nach getaner Arbeit einen angetrunkenen Gast darum, ihm seinen Wagen zum Überbrücken seines Autos zur Verfügung zu stellen, fährt die Frau des Gastes das Auto schließlich vor, obwohl der Gast ausgesagt hatte, dass er sich mit Starthilfe nicht auskenne, so muss er nicht haften, wenn bei der Überbrückung etwas schief geht und am Auto des DJs Schäden an der Elektronik (in Höhe von knapp 3.500 €) entstanden sind. Das gelte auch dann, wenn der Gast die Anweisungen des DJs bezüglich der Polung vermutlich nicht korrekt umgesetzt hatte. Für eine solche „abgenötigte Hilfestellung“ müsse der Helfende nicht einstehen. Hatte er Plus- und Minus-Pol verwechselt, so sei darin dennoch kein echtes „Verschulden“ zu sehen, weil er den DJ über seinen Alkoholgenuss und über seine Unkenntnis in Bezug auf Starhilfe informiert hatte. (AmG München, 182 C 5212/20)
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27.09.2021
Familienrecht: Getrenntlebende Frau muss die Ehewohnung irgendwann auch mal verlassen
Hat sich ein Ehepaar getrennt, und ist der Mann mit dem minderjährigen Sohn aus der gemeinsam bewohnten Mietwohnung ausgezogen, so muss auch die Frau später der Kündigung des Mietvertrages zustimmen. Zwar gebe es eine nacheheliche Solidarität, zum Beispiel mit Blick darauf, dass der Mann weiterhin die Miete bezahlt hat (hier ging es um mehr als 2.000 € Warmmiete monatlich). Diese Solidarität habe aber Grenzen. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hält einen Zeitraum von einem Jahr dabei für angemessen, in dem die Frau ihre Lebensverhältnisse habe "um- und neuorientieren" können. Dem Mann seien keine weiteren finanziellen Belastungen gegenüber dem Vermieter zuzumuten. (AmG Frankfurt am Main, 477 F 23297/20)
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24.09.2021
Hartz IV: Für FFP2-Masken gibt es keinen Zuschlag
Das Hessische Landessozialgericht hat entschieden, dass das Jobcenter nicht verpflichtet ist, einer Familie, die Hartz IV bezieht, zusätzliche Leistungen für den Kauf von FFP2-Masken zu bewilligen. Es liege ein besonderer Bedarf nicht vor, der über den Bedarf aller Bezieher von Grundsicherungsleistungen hinausgehe. Inzwischen seien die Preise für die Masken erheblich gesunken und sie sind wiederverwendbar. Es ist nicht zu erkennen, dass das "menschenwürdige Existenzminimum der Familie" gefährdet sei oder das "Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" einen höheren Bedarf rechtfertige.
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24.09.2021
Arbeitsrecht: Zwar darf auch ein Schwerbehinderter abgelehnt werden, aber...
Grundsätzlich muss ein öffentlicher Arbeitgeber eine schwerbehinderte Person zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn sie sich bewirbt. Das gilt allerdings nicht, wenn die fachliche Eignung "offensichtlich fehlt". In einem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht ging es darum, dass für die ausgeschriebene Stelle die Mindestnote "gut" für den notwendigen Studienabschluss gefordert war - der schwerbehinderte Bewerber jedoch nur ein "befriedigend" vorweisen konnte. Weil allerdings nicht ausreichend geprüft worden war, ob der Arbeitgeber eventuell nicht behinderte Bewerber zu einem Gespräch eingeladen hatte, die die geforderte Mindestnote auch nicht vorweisen konnten, muss die Vorinstanz prüfen, ob nicht doch eventuell eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vorgelegen haben könnte. (BAG, 8 AZR 279/20)
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22.09.2021
Markenrecht: Schwarzwälder Schinken darf auch in Niedersachsen geschnitten werden
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Schwarzwälder Schinken auch dann Schwarzwälder Schinken heißen darf, wenn er nicht im Schwarzwald geschnitten und verpackt wurde. Der Schutzverband der Schwarzwälder Schinkenhersteller konnte mit seinem Antrag nicht durchdringen, festschreiben zu lassen, dass das gewerbliche Aufschneiden und Verpacken nur im Schwarzwald durchgeführt werden dürfe. Es ist nicht einzusehen, warum anderswo nicht genauso kontrolliert werden könne, wie dick die Scheiben sind und ob die Schneideanlage korrekt gereinigt wird. (Hier hatte ein Schinkenhersteller geklagt, der die Ware in Niedersachsen hat schneiden und verpacken lassen.) (BGH, I ZB 72/19)
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21.09.2021
Rentenversicherung: Italiener im italienischen Gesundheitssystem zahlt keine Beiträge
Hat ein Italiener mehrere Jahre lang in Deutschland gearbeitet und bezieht er - den Ruhestand in der Heimat verbringend - eine Rente aus der Deutschen Rentenversicherung (hier in Höhe von etwas mehr als 150 € monatlich), so muss er dafür keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland abführen, wenn er in Italien im staatlichen und steuerfinanzierten Gesundheitssystem steckt. Besteht ein Anspruch gegenüber einem ausländischen System, so wird die Rentnerin/der Rentner nicht Mitglied in der deutschen Krankenversicherung der Rentner (KVdR). (LSG Nordrhein-Westfalen, L 16 KR 573/15)
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20.09.2021
Mietrecht: Auch eine Miniwohnung darf untervermietet werden
Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat entschieden, dass Mieter grundsätzlich einen Anspruch darauf haben, ihre Wohnung unterzuvermieten. Zwar müsse der Vermieter um Erlaubnis gefragt werden, wenn ein solche Wunsch auf Untervermietung besteht. Der darf aber nicht ablehnen, wenn der Mieter ein „berechtigtes Interesse an der Untervermietung“ hat. Dieser Anspruch bestehe unabhängig von der Größe der Wohnung, so dass es auch möglich sei, eine Einzimmerwohnung unterzuvermieten. Wird die Erlaubnis verweigert, so können Mieter Anspruch auf Schadenersatz haben. (AmG Berlin-Mitte, 25 C 16/20)
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17.09.2021
Erholungsurlaub: Urlaub auf dem Entgeltzettel zählt auch
Grundsätzlich verfällt der Resturlaub von Arbeitnehmern aus einem Jahr Ende März des Folgejahres. Das jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigte/den Beschäftigten auf den drohenden Verfall hingewiesen hat. So jedenfalls haben der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht im Kern entschieden. Vor dem Arbeitsgericht Trier versuchte ein Arbeitgeber diese Vorgaben zu umgehen, indem er einem Mitarbeiter Urlaubstage, die der im 1.Quartal des neuen Jahres genommen hatte, zwar vom "Resturlaubsüberhang" aus dem Vorjahr vom Entgeltzettel abzog, diesen Überhang Anfang April aber löschte. Der Arbeitgeber argumentierte, aus der Lohnabrechnung können keine höheren Urlaubsansprüche abgeleitet werden, weil dies keine rechtlich bindende Erklärung darstelle. Das Arbeitsgericht sah das anders und sprach dem Mitarbeiter den Urlaub zu. (ArG Trier, 3 Ca 762/20)
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16.09.2021
Mietrecht: Eine mündliche Aufhebung muss bewiesen werden
Zieht eine Frau Mitte eines Monats in ein Seniorenheim und läuft ihr Mietvertrag mit dem Vermieter noch bis zum Ablauf des übernächsten Monats nach dem Auszug, so muss sie auch für die beiden Folgemonate die Miete zahlen, in denen sie nicht mehr in der Wohnung lebt. Die Behauptung, sie habe mit dem Vermieter einen mündlichen Aufhebungsvertrag geschlossen, reiche nicht, um sich von der Zahlung zu befreien. Sie müsse einen solchen schon belegen können. Auch die Tatsache, dass der Vermieter bereits vor Ablauf der Mietzeit Handwerker zwecks Renovierungsarbeiten in die Wohnung ließ, ändere nichts an der Zahlungsverpflichtung. Belegt der Vermieter, dass er die Wohnung "jederzeit der Mieterin wieder zur Verfügung hätte stellen können", so hat er Anspruch auf die Mietzahlung. (LG Koblenz, 6 S 188/20)
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15.09.2021
Schadenersatz: An einem hohen Bordstein muss die Beifahrerin aufpassen
Stößt eine Beifahrerin die Autotür mit der Unterkante gegen einen hohen Bordstein, so muss sie für dem dabei an der Tür entstandenen Schaden haften. Das hat das Amtsgericht Remscheid entschieden. In dem konkreten Fall hielt der Fahrer seinen Wagen am rechten Fahrbahnrand an, um eine Beifahrerin einsteigen zu lassen. Diese öffnete die Beifahrertür und schlug mit der unteren Kante der Fahrzeugtür so an den (relativ hohen) Bordstein, dass der Lack beschädigt wurde. Er musste zu zwei Dritteln für den Schaden aufkommen, weil die Beifahrerin beim Türöffnen darauf hätte achten müssen, mit der Tür nicht gegen den hohen Bordstein zu stoßen. Denn das wäre "leicht möglich gewesen, weil sie sich selbst auf dem Bordstein befunden hatte". Der Fahrzeugeigentümer muss sich die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs mit einem Drittel anrechnen lassen, da er die Anhaltestelle selbst gewählt hatte und er die Einsteigende wegen des hohen Bordsteins darauf hinweisen hätte können, vorsichtig zu sein. (AmG Remscheid, 28 C 111/20)
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14.09.2021
Betriebskosten: Angemietete Rauchmelder bezahlt der Vermieter
Hat ein Vermieter Rauchmelder gemietet, so darf er die Kosten dafür nicht im Rahmen der Betriebskostenabrechnung auf die Mieter umlegen. Zwar fallen die Mieten für die Rauchmelder laufend an (was ein wichtiges Kriterium für die Umlage auf die Mieter ist). Jedoch sind "echte" Betriebskosten nur solche, "die dem Eigentümer (...) durch das Eigentum (...) am Grundstück oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes, der Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks laufend entstehen. Und da die Rauchmelder nicht zum Eigentum des Vermieters gehören, dürfen die Kosten auch nicht auf die Mieter abgewälzt werden. (LG Berlin, 67 S 335/20)
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13.09.2021
Schadenersatz: Eine Zahnprothese kann unter Taschentüchern leicht übersehen werden
Besucht eine Frau mit ihrem Lebensgefährten dessen Mutter in einem Krankenhaus, in dem sie mit einer Lungenentzündung liegt, und entsorgt sie im Rahmen des Aufenthaltes dort von der Patientin benutzte Papiertaschentücher in einem brennenden Ofen, so muss sie nicht dafür haften, wenn sich unter den Taschentüchern auch die eingewickelte Zahnprothese der Bettlägerigen befand. Es bestehe nicht einmal "einfache Fahrlässigkeit", weil die Besucherin weder wissen konnte noch habe erkennen müssen oder können, dass die Prothese in dem "Taschentuchpaket" steckte. Ihr sei auch nicht vorzuwerfen, den - mit Krankheitserregern belasteten - Papiermüll nicht "ausreichend gesichtet" zu haben. Sie habe die "Virenschleudern" effektiv beseitigt
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10.09.2021
Kündigung: Küsse wider Willen bedeuten das fristlose Aus
Küsst ein Arbeitnehmer eine Kollegin auf einer dienstlich veranlassten Reise gegen ihren Willen, so rechtfertigt das seine fristlose Kündigung. Das gelte insbesondere dann, wenn sie ihm zuvor zu verstehen gegeben hatte, dass sie ihn "ablehne". (Hier kam es nach einem Besuch in der Hotelbar vor dem Zimmer der Frau dazu, dass er die Kollegin zu sich heranzog und sie - im zweiten Anlauf nach einem ersten erfolglosen Versuch - gegen ihren Willen küsste.) Damit hatte er eine rote Linie überschritten, die als sexuelle Belästigung zu werten ist und als Konsequenz nur die fristlose Kündigung zur Folge haben kann. (LAG Köln, 8 Sa 798/20)
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09.09.2021
Reiserücktrittsversicherung: Eigenwillige Ferndiagnose durch den Arzt kostet den Schutz
Ist ein Mann mit seiner Gattin auf einer einwöchigen Langlauftour "von Hotel zu Hotel" in den Dolomiten unterwegs und sollte anschließend ein einwöchiger Hotelurlaub auf der Seiser Alm folgen, so hat er keinen Anspruch auf Erstattung des auf den Rest der Reise entfallenden Reisepreises, wenn er die Tour nach fünf Tagen abbricht, weil er so heftig auf ein stark vereistes Stück Loipe auf den Rücken gefallen sei, dass ihm die Fortsetzung der Reise unmöglich war. Sucht er nämlich keinen Arzt vor Ort auf, um die Verletzung untersuchen zu lassen, sondern lässt er sich von seinem Hausarzt in Deutschland telefonisch dahingehend beraten, ein Schmerzmittel zu nehmen und - wegen der inzwischen ausgerufenen Corona-Reisewarnung (der Fall spielte Anfang März 2020) - keinen Arzt vor Ort aufzusuchen, sondern abzureisen, so begeht er eine Obliegenheitsverletzung und hat keinen Anspruch auf Leistungen aus der Reiserücktrittsversicherung. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum ein Arzt in Südtirol nicht aufgesucht wurde - trotz der seinerzeit allmählich bekanntwerdenden Probleme mit dem Corona-Virus. Auch sei es nicht schlüssig, warum in Deutschland dann letztlich ein Arzt ebenso nicht aufgesucht worden ist. (AmG München, 174 C 6951/20)
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08.09.2021
Verwaltungsrecht: In einem Knabenchor dürfen Mädchen nicht mitsingen
Ein 9-jähriges Mädchen (beziehungsweise die Mutter des Kindes) kann nicht durchsetzen, dass es im Staats- und Domchor der Stadt Berlin aufgenommen werden muss. Der Chorleiter habe das Recht, sie abzuweisen – insbesondere, wenn sie das vorausgesetzte Niveau nicht erreiche und ihre Stimme sich nicht in das Klangbild eines Knabenchors einfüge. Die Mutter sah das Recht auf Gleichberechtigung verletzt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied jedoch, dass die Auswahlentscheidung des Chorleiters keine Beurteilungsfehler erkennen lasse. Insbesondere die „Orientierung daran, ob die Bewerberinnen und Bewerber zusätzlich zum hohen Ausbildungsstand stimmlich zum Klang eines Knabenchores passen“, sei nicht zu beanstanden. Auch sei es dem Land Berlin erlaubt, zum Schutz des kulturellen Lebens die aus der christlichen Sakralmusik entstandene Tradition der Knabenchöre zu pflegen. (OVG Berlin-Brandenburg, 5 B 32/19)
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07.09.2021
Reisepreisminderung: Auch im Vorfeld bekannter Reisemangel muss nicht hingenommen werden
Auch wenn ein Reiseveranstalter nach Buchung der Reise die Kunden darüber informiert, dass am Urlaubsort Bauarbeiten durchgeführt werden, und treten diese die Reise dennoch an, so können sie nachträglich sowohl eine Reisepreisminderung als auch Schadenersatz wegen vertaner Urlaubsfreude durchsetzen. Entscheidend sei, dass bei Vertragsschluss (also bei der Buchung) davon ausgegangen wurde, dass im Hotel kein Baulärm herrsche - oder zumindest nur solcher, mit dem "jeder Reisende an seinem Urlaubsort vernünftigerweise rechnen muss". Waren die Urlauber allerdings jeden Tag in der Zeit von 7 Uhr bis in die Abendstunden erheblichen Lärmbelästigungen ausgesetzt, weil am Nahbarhotel umfangreiche Bauarbeiten durchgeführt worden sind, und ist der Lärm auch in die Innenräume gedrungen, so sei eine nachträgliche Reisepreisminderung in Höhe von 50 Prozent gerechtfertigt. Die einseitige Änderung des Reisevertrages nach Vertragsschluss müssen die Kunden nicht hinnehmen. Ihnen steht wegen der gravierenden Lärmbelästigung außerdem ein Anspruch auf Schadenersatz zu. (OLG Celle, 11 U 132/19)
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06.09.2021
Reiserecht: Wird während einer gültigen Reisewarnung storniert, so ist das ok
Hat ein Mann für seine Frau und für sich eine Pauschalreise nach Ägypten gebucht, und zwar bevor die Corona-Pandemie Anfang 2020 lostrat, so kann er kostenfrei von der für den Jahreswechsel 2020/21 geplant gewesenen Reise zurücktreten, wenn er die Stornierung zu einem Zeitpunkt (hier im Herbst 2020) durchführt, an dem eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vor „nicht notwendigen, touristischen Reisen“ vorlag. Der Reiseveranstalter konnte sich nicht mit seiner Auffassung durchsetzen, dass die Reise zum Zeitpunkt des Rücktritts weder „durch außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt“ gewesen noch, dass eine solche Beeinträchtigung für die Zeit des Jahreswechsels zu erwarten gewesen sei. Das Amtsgericht Hannover stellte auf die Reisewarnung ab. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die Reise „aufgrund behördlicher Anordnungen (…) vereitelt" werde oder der Aufenthalt (im Falle einer Einreise) „erheblich beeinträchtigt“ sein würde. (AmG Hannover, 502 C 12946/20)
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03.09.2021
Sozialrecht: Menschen mit Behinderung können nicht zu einem Umzug gezwungen werden
Behinderte Pflegeheimbewohner dürfen nicht gegen ihren Willen und auf Geheiß des Sozialamtes, das die - nicht durch das Einkommen des Mannes zu deckenden – Unterbringungskosten trägt, zu einem Wechsel in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung gezwungen werden. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden. In dem konkreten Fall ging es um einen 52-jährigen schwerbehinderten Pflegebedürftigen, von dem das Sozialamt verlangte, in eine Behinderten-Einrichtung umzuziehen – zu Unrecht: Fühlt sich der Mann in der bisherigen Einrichtung gut versorgt und lehnt er einen Wechsel ab, so muss das Sozialamt weiterzahlen, wenn ohne die Sozialhilfezahlungen die Kündigung des Heimplatzes drohe. Die freie Entscheidung behinderter Menschen müsse geachtet und respektiert werden.
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02.09.2021
Sozialrecht: 10 Stunden im Monat Spülen ist keine «echte Arbeit»
Wer nur wenige Stunden für eine geringe Bezahlung arbeitet, der hat keinen Anspruch auf eine europarechtlich definierte Arbeitnehmereigenschaft. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem Fall eines griechischen Staatsbürgers entschieden, der mit einer Arbeitszeit von rund zehn Stunden monatlich in der Gastronomie als Spülkraft eine Vergütung von knapp 100 Euro erzielt. Er beantragte beim Jobcenter unterstützende Leistungen. Das lehnte ab. Denn bei dem Arbeitsverhältnis handelte es sich um eine untergeordnete Tätigkeit, mit der kein erheblicher Beitrag zum Lebensunterhalt beigesteuert werden könne. Dem Mann fehle für Leistungen des Jobcenters schlicht und einfach der erforderliche Arbeitnehmerstatus. Das gelte auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis unbefristet ist. (LSG Nordrhein-Westfalen, L 19 AS 1204/20)
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01.09.2021
Autounfall: Auf Landstraßen ist immer mit Hindernissen zu rechnen
Das Landgericht Köln hat entschieden, dass ein Autofahrer keinen Schadenersatz für sein Fahrzeug erhalten kann, wenn er gegen einen umgestürzten Baum gefahren ist, der hinter einer Kurve quer auf der Fahrbahn liegt. Im konkreten Fall ging es um den Sohn eines Fahrzeughalters, der nachts auf einer Landstraße gegen einen umgekippten Baum gefahren ist. Kann der Halter nicht belegen, dass die Kontrolleure des Landes, die sich die Bäume regelmäßig ansehen, den schlechten Zustand des Baumes übersehen habe, so ist dem Land eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht anzulasten. (Hier ging es um rund 4.500 €, die der Mann vom Land forderte.) Und die vom Land angegebene Wurzelfäule, die den Baum befallen haben soll, sei nach außen nicht sichtbar. (LG Köln, 5 O 77/20)
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31.08.2021
Unfallversicherung: Eine EHEC-Infektion ist kein Arbeitsunfall
Vermutet eine Frau, sich im Betrieb ihres Arbeitgebers eine EHEC-Infektion zugezogen zu haben (bei Menschen, die sich mit den Bakterien infiziert haben, kann es zu Durchfallerkrankungen mit zum Teil schwerwiegenden Komplikationen kommen), so kann die Krankheit dennoch nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden. Die Berufsgenossenschaft muss einen solchen nicht anerkennen. Eine (Schmier-)Infektion gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko und stelle keine "dem Arbeitgeber zuzurechnende Betriebsgefahr" dar. Das gelte erst recht dann, wenn die Infektion in der Betriebskantine stattgefunden habe. Denn die Nahrungsaufnahme sei eine private Tätigkeit. (Hessisches LSG, L 3 U 131/18)
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30.08.2021
Schadenersatz: In der Autowaschstraße besser nicht bremsen, aber...
Bremst ein Autofahrer in einer Waschstraße, in der die Fahrzeuge per Förderband durchgezogen werden, so haftet er grundsätzlich für Schäden an der Waschstraße und an seinem Fahrzeug, die dadurch entstehen, dass er mit seinem Wagen aus der Spur kommt und in der Anlage verkanntet. Denn es sei allgemein bekannt (und hier auch nochmal bei der Einfahrt per Schild darauf aufmerksam gemacht worden), dass während des Waschvorgangs nicht gebremst werden darf. Ist der Autofahrer aber deswegen in die Eisen gestiegen, weil das vor ihm - bereits komplett durch die Straße gezogene - Auto nicht aus dem Ausfahrtsbereich herausgefahren ist, so trifft den "Bummelnden" eine Mitschuld an dem Schaden. Die wurde hier mit 30 Prozent beziffert. (Pfälzisches OLG Zweibrücken, 1 U 63/19)
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28.08.2021
Reisepreisminderung: Algen statt weißen Sandes am Strand bringen 20 Prozent
Bucht ein Ehepaar eine 12-tägige Pauschalreise in die Dominikanische Republik, und wurde im Reisekatalog ein breiter, weißer Strand abgebildet, an dem das 5-Sterne-Hotel „direkt“ liegt, so können die Eheleute eine nachträgliche Reisepreisminderung geltend machen, wenn sich vor Ort herausstellt, dass der Strandbereich vor dem Hotel großflächig und während der gesamten Reisezeit mit Algen verschmutzt ist. Auch konnten die vom Reiseveranstalter angepriesenen hoteleigenen Sportaktivitäten (wie etwa Kajak fahren, Schnorcheln oder Windsurfen) nicht ausgeübt werden. Zwar haben Veranstalter grundsätzlich keinen Einfluss auf das Umfeld des Reisezieles. In dem konkreten Fall jedoch sprach das Landgericht Frankfurt am Main eine Reisepreisminderung in Höhe von 20 Prozent zu. Der Reiseanbieter hatte die Beschaffenheit des Strandes besonders hervorgehoben und mit der Lage ausdrücklich und bildlich geworben. Damit sei bei den Urlaubern „die Erwartung berechtigt gewesen“, dass es sich um einen besonders schönen Strand handele. (Eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude wurde nicht zugesprochen, weil der hinteren Strandabschnitt genutzt werden konnte und alle sonstigen Leistungen und Vorzüge des 5-Sterne-Hotels einschränkungslos vorhanden waren.) (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 158/18)
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26.08.2021
Mietrecht: Wenn Gerümpel nicht gefährdet, darf es überall gelagert werden
Das Amtsgericht Gießen hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Mietvertrags unzulässig ist, wenn der Vermieter diese mit der "Lagerung von Gerümpel" begründet. In dem konkreten Fall hatte eine Mieterin ein Einfamilienhaus gemietet und im gesamten Wohnbereich sowie im Keller, auf dem Dachboden, im Eingangsbereich außen und im Hof Gerümpel gelagert. Dabei ging es um Gegenstände und Trödel aus dem ehemaligen Geschäftsbetrieb der Frau. Die wehrte sich gegen die Kündigung und konnte sich durchsetzen. Die Vermieterin habe keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des Einfamilienhauses. Die Lagerung der Gegenstände rechtfertige eine fristlose Kündigung nicht. Es habe der Mieterin freigestanden, „im Rahmen des Mietverhältnisses das angemietete Mietobjekt zu nutzen und hierbei auch Gegenstände im Mietobjekt abzustellen“. Werden andere Mieter nicht belästigt und ist die Mietsache auch nicht „konkret“ gefährdet, so habe die Immobilienbesitzern kein Kündigungsrecht. (AmG Gießen, 39 C 114/20)
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25.08.2021
Sozialrecht: Stimmen Arzt und Anwalt einem Vergleich zu, so bedarf es einer Unterschrift nicht
Haben ein Arzt und der Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in einem Streit über Honorarkürzungen (hier in Höhe von mehr als 93.000 €) einen Vergleich geschlossen und haben der Arzt und sein Rechtsanwalt nach Vorlesung und Protokollierung zugestimmt (hier einer Rückzahlung von 20.000 €), so kann der Medizinier später nicht gegen den Vergleich mit der Begründung angehen, er habe ihn nicht unterschrieben. Sein Argument, protokollierte Vergleiche ohne Unterschrift seien nur vor Gericht möglich, konnte sich nicht durchsetzen. Die nach dem Sozialgesetzbuch für solche Fälle vorgeschriebene Schriftform sei auch ohne Unterschrift des Arztes gewahrt. (BSG, B 6 KA 7/20 R)
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24.08.2021
Verkehrsunfall: Auch wenn ein Kind der Straße zu nahe kommt, haftet der Autofahrer
Steht ein 11-jähriger Junge an einer Fußgängerampel an einer vielbefahrenen Straße, und wird er von einem Auto erfasst, das mit einem Abstand von weniger als einem Meter zum Fahrbahnrand unterwegs ist, so haftet die Fahrerin des Pkw überwiegend auch dann (hier entschieden zu 80 %), wenn der Junge am äußersten Rand des Bordsteins steht. Zwar müsse einem 11-jährigen Schüler bewusst sein, dass diese Position gefährlich ist. Das rechtfertige aber keine höhere Haftungsquote als 20 Prozent. Denn Kraftfahrzeuge sind grundsätzlich nicht berechtigt, innerorts die Fahrbahn bis an den rechten Bordstein heran zu befahren. Das insbesondere dann nicht, wenn die Verkehrssituation es zugelassen hatte, mit einem weit größeren Abstand an dem Kind vorbeizufahren. (Pfälzisches OLG Zweibrücken, 1 U 141/19)
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23.08.2021
Schmerzensgeld: Wer in einem Biberrevier spazieren geht, der fällt "allein" ins Loch
Ist ein Bereich in einer kommunalen Grünfläche als Biberrevier ausgewiesen und auch entsprechend beschildert, so kann eine Hundehalterin, die dort Gassi geht und auf einer Wiese in ein Biberloch fällt, weder Schadenersatz- noch Schmerzensgeldzahlungen gegen die Kommune durchsetzen. Die Frau hatte sich bei dem Sturz am Sprunggelenk verletzt. Der Kommune konnte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden. Denn der Bereich war "hinreichend als Biberrevier" ausgeschildert. Die Stadt habe nur diejenigen Vorkehrungen treffen müssen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar gewesen seien. (OLG Nürnberg, 4 W 362/21)
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18.08.2021
Krankenversicherung: Eine sächsische Rentnerin hat auch in Österreich Anspruch auf Blindengeld
Ist eine Rentnerin von Sachsen nach Österreich gezogen, bezieht sie eine Rente aus der Deutschen Rentenversicherung und ist sie bei einer gesetzlichen Krankenkasse in der Bundesrepublik Deutschland krankenversichert, so hat sie Anspruch auf deutsches Blindengeld, wenn sie ihr Augenlicht verliert. Bei Geldleistungen aus der Krankenkasse "wegen Krankheit eines Rentners" gilt mit Blick auf europäische Sozialabkommen nicht das Recht des "Wohnstaates", sondern das Recht des Staates, in dem der Krankenversicherer sitzt. (BSG, B 9 BL 1/20 R)
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18.08.2021
Reiserecht: Prügelnde Kreuzfahrer dürfen nicht zwingend vom Schiff geworfen werden
Ein Mann, der mit seiner Frau eine Kreuzfahrt unternimmt (hier von Savona in Italien nach Santos in Brasilien) und auf einem Landgang (hier in Marseille in Frankreich) mit zwei anderen Teilnehmern der Kreuzfahrt in eine körperliche Auseinandersetzung geriet (die für alle 3 einen ambulanten Aufenthalt in einem Krankenhaus bringt), darf nicht ohne Weiteres von der Weiterfahrt ausgeschlossen werden. Das gelte auch dann, wenn der Kapitän die zwei anderen Prügler ebenfalls ausschließt und das Ehepaar mit der Begründung vom Schiff verweist, es vor den weiterhin auf dem Kreuzer mitfahrenden Familienmitgliedern der beiden Kontrahenten schützen zu wollen. Das reichte dem Landgericht Frankfurt am Main nicht. Ein Reiseveranstalter müsse andere Wege finden, Reisende vor Mitpassagieren zu schützen. Auch die "hoheitlichen Befugnisse" eines Kreuzfahrtschiff-Kapitäns können - jedenfalls in einer solchen Konstellation - den Reisvertrag nicht wirksam beenden. (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 46/19)
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16.08.2021
Opferentschädigung: Eine private Unfallrente wird nicht angerechnet
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass eine Frau, die eine Opferentschädigungsrente bezieht (weil sie an einem Neujahrsmorgen in der Vergangenheit Opfer einer Gewalttat geworden war und seitdem an den Folgen eines Schädel-Hirntraumas leidet), es nicht hinnehmen muss, wenn der Sozialverband - als Träger der Leistung - eine private Unfallrente anrechnet. Diese private Unfallrente darf nicht als "anrechnungsfähige Einnahme aus Vermögen" angesehen werden, das "mit Einkünften aus ihrer früheren Erwerbstätigkeit geschaffen worden" sei, um den Lebensunterhalt für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu sichern. Hatte ihr Ehemann diese private Unfallversicherung abgeschlossen und auch die Beiträge bezahlt, so darf sie nicht mit der Opferentschädigungsrente verrechnet werden. (BSG, B 9 V 1/20 R)
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13.08.2021
Verkehrsrecht: Eine Parkscheibe muss gut sichtbar sein
Stellt ein Autofahrer seinen Wagen auf einen für die Öffentlichkeit geöffneten Parkplatz eines Einkaufscenters, auf dem ein bestimmter Zeitraum kostenlos geparkt werden darf, wenn eine Parkscheibe ausgelegt ist, so muss diese gut sichtbar sein. Das gelte unabhängig davon, dass es sich nicht um einen kommunalen Parkplatz handelte. Eine Parkscheibe müsse von außen „gut lesbar“ hinter Windschutzscheibe, Hutablage oder Seitenscheibe angebracht werden, so das Brandenburger Amtsgericht. Hat der Mann seine Parkscheibe (angeblich) im Kofferraum ausgelegt, so sei das nicht ausreichend. Das gelte auch dann, wenn sie von der Heckscheibe aus gegebenenfalls einsehbar gewesen sein könnte. (AmG Brandenburg an der Havel, 31 C 200/19)
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12.08.2021
Unfallversicherung: Der Weg ins Homeoffice ist nicht versichert
Begibt sich ein Arbeitnehmer, der im Homeoffice tätig ist, auf den Weg ins Büro, und stürzt er dabei eine Wendeltreppe hinunter (wobei er sich einen Brustwirbeltrümmerbruch zuzieht), so ist dieser Sturz nicht gesetzlich unfallversichert. Die Berufsgenossenschaft muss diesen Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen, weil er sich "im häuslichen Wirkungskreis und nicht auf einem versicherten Weg ereignet hat". Es könne sich im eigenen Haus nicht um einen "Wegeunfall" handeln. Und auch ein "versicherter Betriebsweg" scheidet aus, weil sich der Arbeitnehmer auf dem Weg ins Arbeitszimmer "zur erstmaligen Aufnahme seiner Tätigkeit befunden" habe - anders also, als zum Beispiel ein Weg zum Drucker während der laufenden Arbeitszeit gewertet würde. (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, L 17 U 487/19)
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11.08.2021
Verwaltungsrecht: Heilpraktiker dürfen nicht einfach so «Blut entnehmen»
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass es Heilpraktikern nicht erlaubt ist, ihren Patienten Blut zur Herstellung von Eigenblutprodukten zu entnehmen. In den (hier: 3) konkreten Fällen, hatten die Heilpraktiker Patienten Blut in geringer Menge entnommen und nach einem Zusatz mit Sauerstoff-Ozon oder einem homöopathischen Fertigarzneimittel wieder „zurückinjiziert“. Die Entnahme einer Blutspende ist aber nach dem Transfusionsgesetz nur durch einen Arzt oder unter ärztlicher Aufsicht erlaubt. Denn „Sinn und Zweck des Gesetzes“, so das Gericht, sei „eine sichere Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen“, die auch bei Eigenblutspenden greife – „und zwar unabhängig davon, ob nur eine geringe Menge entnommen wird“. Auch könne nicht auf die Ausnahmeregelung für homöopathische Eigenblutprodukte abgestellt werden. Denn um solche geht es nicht. Homöopathisch sei nicht jedes Eigenblutprodukt, das durch einen Heilpraktiker hergestellt wird. (OVG für das Land NRW, 9 A 4073/18 u. a.)
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10.08.2021
Reiserecht: Ein Wannenhaltegriff ist nicht für Duschstürze ausgelegt
Steigt ein Mann nach dem Duschen im Urlaubshotel (auf Teneriffa) aus der kombinierten Dusch- und Badewanne aus, stürzt er auf den Wannenrand und bricht sich dabei mehrere Rippen, so kann er auch dann nicht den Reiseveranstalter zur Kasse bitten, wenn ein Halterungsgriff aus der Wand reißt, mit dem er versucht hat, sich abzufangen. Stellt sich heraus, dass dieser Griff (auf einer Höhe von knapp 60 cm angebracht) lediglich dazu dienen sollte, Gästen beim Baden das Aufstehen oder Aufrichten zu erleichtern, so muss der Reiseveranstalter weder Schmerzensgeld zahlen oder eine nachträgliche Reisepreisminderung akzeptieren noch eine Entschädigung für vertane Urlaubfreude leisten. Der Griff - unabhängig davon, ob er korrekt und fest verankert war - sei nicht dazu da gewesen, Personen beim Ausrutschen oder im Sturz Halt zu geben. Es habe sich ein Teil eines allgemeinen Lebensrisikos verwirklicht. (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 175/18)
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09.08.2021
Krankenversicherung: Dauerhaft kahlköpfige Frau hat Anspruch auf «echte Haare»
Leidet eine Frau an einem dauerhaften kompletten Haarverlust am Kopf, so kann sie gegen ihre gesetzliche Krankenversicherung durchsetzen, dass diese ihr eine Echthaarperücke finanziert. Das gelte auch dann, so das Sozialgericht Dresden, wenn diese knapp doppelt so teuer sind wie Kunsthaarteile. Halten sie dafür aber auch doppelt so lang, so sei das langfristig die bessere Lösung. Es komme nicht mehr nur darauf an, dass die Kunsthaarperücken inzwischen optisch keinen Unterschied zu Echthaarperücken aufweisen. (SG Dortmund, S 18 KR 304/18)
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06.08.2021
Kündigung: Auch ein Schwerbehinderter kann nach rassistischen Äußerungen fliegen
Wird ein Facharbeiter, der einen Schwerbehindertenausweis hat, von einem Kollegen gefragt, was er zu Weihnachten bekommen habe und antwortet der "Ich habe mir eine Gaskammer gewünscht, diese aber nicht erhalten. Die Türken sollte man ins Feuer werfen und ihnen den Kopf abschlagen", so sind diese schweren rassistischen Äußerungen schon allein Grund genug, den Mann zu kündigen. Dem musste keine Abmahnung voraus gehen. Das gelte insbesondere dann, wenn er bereits zuvor nicht deutsche Fremdmitarbeiter in der Firma als "Ölaugen", "Nigger" oder "Untertanen" bezeichnet. Sein Status als Schwerbehinderter (eigentlich unkündbar) helfe ihm nicht. (LAG Düsseldorf, 5 Sa 231/20)
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06.08.2021
Reiserecht: Ein vermutetes Unwetter am nächsten Tag ist nicht «außergewöhnlich»
Wird ein Flug (hier von Berlin nach Schiphol) einen Tag vor Abflug wegen befürchteter Unwetter annulliert, so haben die Passagiere Anspruch auf die Entschädigungszahlung nach der EU-Fluggastrechteverordnung. Es liege kein „außergewöhnlicher Umstand“ vor, auf den sich die Airline berufen könne. Die Fluggesellschaft habe den Flug freiwillig und „auf einer nicht hinreichend sicheren Prognosebasis annulliert“. Ein tatsächlich bestehender außergewöhnlicher Umstand habe nicht vorgelegen. Die Fluggastrechteverordnung habe nicht den Sinn, Flüge auf Vorrat zu annullieren, um „außergewöhnliche Umstände“ (wie ein „Chaos“ am Flugtag selbst) zu umgehen. Durch die Verordnung solle nicht sichergestellt werden, dass die Fluggesellschaft den Flugbetrieb so reibungslos und so wirtschaftlich wie möglich durchführen kann. (LG Berlin, 67 S 49/19)
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04.08.2021
Arbeitslosengeld I: Taxifahrer ohne Führerschein verliert Job und Geld
Wird einem Mann, der als Taxifahrer arbeitet, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens von Unfallort der Führerschein entzogen (neben einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 €), die er privat begangen hat, so muss er es hinnehmen, seinen Job zu verlieren und eine (12-wöchige) Sperre für die Zahlung von Arbeitslosengeld zu erhalten. In dem konkreten Fall hatte der Mann einen Radfahrer von der Straße in den Graben gedrängt, sich dann nur kurz entschuldigte und ist weggefahren. Das Sozialgericht Stuttgart: "Wird einem Berufskraftfahrer wegen einer Verkehrsstraftat die Fahrerlaubnis entzogen und kündigt der Arbeitgeber daraufhin das Arbeitsverhältnis, weil er den Mitarbeiter nicht mehr beschäftigen kann, so war ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Ursache der Arbeitslosigkeit, weswegen grundsätzlich eine Sperrzeit eintreten kann." (SG Stuttgart, S 3 AL 6956/18)
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03.08.2021
Schmerzensgeld: Beim «Einschießen» müssen die Spieler auf Besucher achten
Holt eine Mutter ihre Tochter vom Hallenfußballtraining ab, und macht sich die Altherrenmannschaft des Vereins warm, die im Anschluss an das Kindertraining spielt, so kann die Frau Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangen, wenn sie von einem Ball hart im Gesicht getroffen wird, den ein Altherrenspieler ins Tor schießen wollte, neben dem die Frau stand und auf ihr Kind wartete. Der Mann habe sie fahrlässig verletzt. Weil das eigentliche Training für die Altherrenmannschaft noch nicht begonnen hatte, hätte der Mann auf Besucher in der Halle achten müssen. Zu 30 Prozent sei der Mutter aber in Mitverschulden zuzusprechen, weil auch sie hätte erkennen müssen, dass die Mannschaft bereits mit Bällen "spielte", so dass sie sich nicht notwendigerweise in der Nähe eines Tores habe aufhalten müssen. (OLG Oldenburg, 1 U 66/20)
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02.08.2021
Schadenersatz: Ein Baggerfahrer muss sich umsehen, bevor er die Schaufel schwenkt
Muss ein Autofahrer eine „Pinkelpause“ einlegen, findet er keine Toilette und verlässt er deswegen die Straße, so sollte er genau darauf achten, wo er schließlich parkt und aussteigt. Ist er nämlich - ohne das zu bemerken - auf einem Privatgrundstück angekommen, wo er direkt neben einem Bagger steht (hier fühlte er sich unbeobachtet für sein „Geschäft“), so trägt er ein Viertel des Schadens, der dadurch entsteht, dass die Schaufel des Baggers sich plötzlich in Bewegung setzt und das Auto „zerstört“ (es entstand ein „wirtschaftlicher Totalschaden“). Der Baggerführer hatte den Pkw nicht bemerkt - und der Pkw-Fahrer hatte nicht bemerkt, dass der Bagger „in Betrieb“ war. War objektiv nicht zu erkennen, dass er sich auf einer privaten Baustelle befunden hatte, so trägt der unvorsichtige Baggerführer den Großteil des Schadens (hier drei Viertel). Er hätte sich vor dem Schwenken der Schaufel umsehen müssen. (LG Nürnberg-Fürth, 8 O 6187/20)
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30.07.2021
Reiserecht: Kontrolliertes Absenken macht keine «Panik»
Muss ein Flugzeug wegen eines technischen Schadens kontrolliert die Flughöhe absenken und zwischenlanden, so können Passagiere, die sich in diesem Flieger auf der Rückreise aus ihrem Pauschalurlaub aus der Türkei befanden, für den Zwischenfall weder eine nachträgliche Reisepreisminderung noch ein Schmerzensgeld erhalten. In dem konkreten Fall hatte der Pilot einen Riss in der Windschutzscheibe bemerkt und - um Druck zu mindern - die Höhe abgesenkt und die Zwischenlandung (hier: in Belgrad) eingeleitet, um die Scheibe auszuwechseln. Die Passagiere konnten nicht belegen, dass die Flughöhe abrupt von 10.000 Metern auf 5.000 Meter binnen weniger Sekunden abgesunken ist, weswegen sie Todesangst gehabt hätten und immer noch an Panikattacken leiden würden. Sie können auch keinen Schadenersatzanspruch wegen vertaner Urlaubsfreude durchsetzen. Hat eine objektive Gefährdung der Flugzeuginsassen nicht vorgelegen, so gehen sie leer aus. Technische Defekte gehören beim Fliegen zum allgemeinen Lebensrisiko. (Für die mehr als 4-stündige Verspätung gab es die für diese Strecke übliche Entschädigungszahlung in Höhe von 400 €.) (LG Hannover, 8 O 147/18)
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29.07.2021
Verwaltungsrecht: Familiengerichtliche Beschlüsse dürfen nicht einfach geändert werden
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass Verwaltungsgerichte nicht dazu befugt sind, Entscheidungen der Familiengerichte zum Versorgungsausgleich abzuändern. Das gelte sogar dann, wenn die familiengerichtliche Entscheidung fehlerhaft war. In dem konkreten Fall ging es um eine Ehe, die geschieden worden ist. Das Familiengericht (bei einem Amtsgericht in Berlin) traf Regelungen zum Versorgungsausgleich, wonach (unter anderem) die Beamtenversorgung der Ehefrau intern ausgeglichen wurde. Diese Regelung war aber fehlerhaft, da es einen internen Ausgleich der Beamtenversorgung für Berliner Beamte nicht gibt. Der Mann klagte vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich auf Zahlung, die Entscheidung des Familiengerichts wurde korrigiert. Und das wiederum kassierte das OVG mangels Befugnis des Verwaltungsgerichtes ein. (OVG Berlin-Brandenburg, 4 B 3/20)
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27.07.2021
Mietrecht: Vermieter darf es untersagen, Inkassos einzuschalten
Dass Mieter es Inkassounternehmen übertragen können, ihre Interessen (zum Beispiel mit Blick auf Mieterhöhungen, Mängeln in der Wohnung oder Schönheitsreparaturen) durchzusetzen, ist vom Bundesgerichtshof grundsätzlich bestätigt worden. Allerdings hat das Amtsgericht Berlin-Tempelhof Vermietern einen Weg "erlaubt", solche Abtretungen zu verhindern. Vermieter dürfen mietvertraglich ein "Abtretungsverbot" vereinbaren. Hat ein Mieter ein solches im Mietvertrag unterschrieben, so darf er ein Inkassounternehmen nicht einschalten. Er werde dadurch nicht unangemessen benachteiligt. Der Vermieter habe ein "berechtigtes Interesse daran, nicht mit einer Vielzahl möglicher Neugläubiger konfrontiert zu werden". (AmG Berlin-Tempelhof, 11 C 108/20)
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26.07.2021
Arbeitsrecht: Vermehrte «Hintergrunddienste» müssen nicht zwingend mehr Geld bringen
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Ärzte an Universitätskliniken selbst dann keinen Anspruch auf eine bessere Vergütung haben, wenn es in „Hintergrunddiensten“ zu vermehrten Arbeitseinsätzen kommt. Solche Hintergrunddienste seien unabhängig vom Arbeitsaufwand als Rufbereitschaft und nicht als besser vergütete Bereitschaftsdienste zu werten. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich demnach nach tariflicher Definition dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern den Aufenthalt frei wählen kann. Im konkreten Fall ging es um einen Oberarzt, der eine höhere Vergütung für die Hintergrunddienste verlangte, weil sie nicht als Rufbereitschaft zählen dürfte. Der zeitliche Umfang und die Anzahl der Einsätze seien höher zu vergüten. Das Gericht sah das nicht. Zwar sei eine Anordnung als Hintergrunddient nicht rechtens gewesen. Das allein führe aber nicht zu einer höheren Vergütung. (BAG, 6 AZR 264/20)
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23.07.2021
Arbeitslosengeld II: Ein Sofort-Bonus vom Stromanbieter ist Einkommen
Erhält ein Arbeitslosengeld II-Empfänger einen "Sofort-Bonus" von dem Stromanbieter, zu dem er gewechselt ist, so darf das Jobcenter diesen Bonus auf die Arbeitslosengeld II-Zahlung anrechnen. Zwar seien Rückzahlungen von Energielieferanten, die auf Vorauszahlungen beruhen, kein anrechenbares Einkommen. Ein "Sofort-Bonus" jedoch, der Neukunden unabhängig vom Verbrauch als "Lockmittel" gezahlt wird, stünde dem Kläger als Einkommen frei zur Verfügung. (BSG, B 4 AS 14/20 R)
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22.07.2021
Coronagutschein: Für eine ausgefallene Kulturveranstaltung gibt es kein Geld zurück
Muss eine Veranstaltung eines Theater- und Gastronomiebetriebs "coronabedingt" ausfallen, so muss der Betreiber Kunden das Geld für bereits gekauft Tickets nicht erstatten. Er kann ihnen einen so genannten Coronagutschein ausstellen. Bei einem Preis in Höhe von insgesamt etwas mehr als 200 Euro für zwei Eintrittskarten sei damit eine Verhältnismäßigkeit gewahrt. Das Geld habe der Gast nicht mehr in seine zukünftige Finanzplanung mit einbezogen. Auf der anderen Seite könnte diese Gutscheinregelung dazu führen (im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen wie direkte Finanzhilfen), dass die Kulturbetreiber nicht in die Insolvenz gehen müssen. (AmG München, 154 C 6021/20)
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20.07.2021
Modernisierung: Kommt ein Mieter dazu, so muss auch mit diesem alles vereinbart werden
Vereinbart ein Vermieter Modernisierungsarbeiten mit einem Mieter (unter anderem ging es darum, dass er die Miete weiterzahlte, während er für die Dauer der Arbeiten eine Ersatzwohnung bezog), so ist die Vereinbarung unwirksam, wenn der Mieter später heiratet, die Frau durch eine Ergänzung des Mietvertrages ebenfalls Mieterin der Wohnung geworden ist und die Modernisierungsvereinbarung seinerseits aber nur mit dem Mann getroffen worden ist. Die Ehegatten konnten vor dem Landgericht Berlin durchsetzen, die in der Zeit für die Unterbringung in der Ersatzwohnung gezahlte Miete erstattet zu bekommen. Eine solche Vereinbarung müsse mit allen Mietern geschlossen werden - andernfalls können sie nicht wirksam werden. (LG Berlin, 65 S 232/19)
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19.07.2021
Gewerbemietrecht: Sitzt der Mieter wegen Totschlags in U-Haft, darf fristlos gekündigt werden
Sitzt ein gewerblicher Mieter in Untersuchungshaft, weil gegen ihn der Verdacht besteht, seinen Vermieter getötet zu haben, so darf das Mietverhältnis fristlos gekündigt werden. In dem konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das Gewerberäume zum Betrieb eines Kfz-Handels vermietet hatte und dieses Mietverhältnis wegen nicht eingehaltener Verpflichtungen seitens des Mieters gekündigt hatte. Das führe zu Gerichtsstreitigkeiten. Während dieser Zeit wurde der Ehemann als vermisst gemeldet - und gegen den Geschäftsführer des Kfz-Handels (in Untersuchungshaft sitzend) in dem Zusammenhang wegen Verdachts auf Totschlags ermittelt. Das Mietverhältnis wurde deswegen nochmals fristlos gekündigt - zu Recht. Die Werkstatt musste geräumt werden. Zwar könnten Tätlichkeiten des Mieters gegen den Vermieter grundsätzlich ohne Abmahnung nur dann zu einer fristlosen Kündigung führen, wenn sie bewiesen werden können. Bei einer besonders schweren Pflichtverletzung reiche jedoch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Tat aus. Die Vermieterseite musste nicht auf eine rechtskräftige Verurteilung warten. Das wäre unzumutbar. (OLG Frankfurt am Main, 2 U 13/20)
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16.07.2021
Krankenversicherung: Für die Brustkrebsnachsorge muss es keine MRT sein
Musste sich eine (hier: 63jährige) Frau einer Brustkrebsoperation unterziehen und wird nach der OP eine "konsequente Nachsorge" erforderlich, so reiche es aus, wenn diese per vierteljährlicher Tastuntersuchung und Ultraschall durchgeführt wird. Die Frau kann nicht verlangen, dass ihre gesetzliche Krankenkasse eine regelmäßige Magnetresonanztomographie (MRT) bezahle (was knapp 1.000 € pro Untersuchung gekostet hätte). Ist es laut Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nicht plausibel, kurz nach der OP eine MRT durchzuführen, so ändert auch die Argumentation der Patientin daran nichts, dass Ultraschall "zu unsicher" sei und die Kompression der Brust im Rahmen einer Mammographie ihr "unerträgliche Schmerzen" bereite. Nur bei Verdacht auf eine Rückkehr des Krebses könnte eine MRT in Frage kommen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 68/21 B ER)
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15.07.2021
Kündigung: Bei sexueller Belästigung gibt es keinen Handlungsspielraum
Fasst ein Arbeitnehmer erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt und äußert er anschließend, dass sich „da etwas tue“, so muss er wegen dieser sexuellen Belästigung eine fristlose Kündigung akzeptieren. Das gelte auch dann, wenn die Kollegin den Vorfall dem Arbeitgeber erst drei Monate später meldet. Auch die Tatsache, dass der Mitarbeiter bereits 16 Jahre beanstandungsfrei zum Betrieb gehört, ändere nichts daran. Gibt es keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Frau (gegen den Mann erging ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexueller Belästigung mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen), so muss der Arbeitgeber – mit Blick auf seine Verpflichtung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen - nicht die (hier: 6-monatige) Kündigungsfrist einhalten. (LAG Köln, 4 Sa 644/19)
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14.07.2021
Betriebsrat: Vor einer Stellenbesetzung kann eine Ausschreibung stehen
Betriebsräte können für bestimmte zu besetzende Arbeitsplätze, die im Betrieb zu vergeben sind, verlangen, dass sie zunächst innerhalb des Betriebes ausgeschrieben werden. Bei der Ausgestaltung der Ausschreibung kann der Betriebsrat allerdings keinen Einfluss mehr nehmen. Da fehlt es an einem "Beteiligungsrecht". (BAG, 1 ABR 17/19)
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13.07.2021
Mietrecht: Bei Schlüsselverlust muss nicht zwingend die ganze Anlage ausgetauscht werden
Stellt sich am Ende eines Mietverhältnisses heraus, dass dem Mieter ein Haustürschlüssel abhandengekommen ist, so muss er nicht unbedingt den Austausch der kompletten Schließanlage des Hauses bezahlen. Ist der Schlüssel dem Sohn des Mieters während eines Sportcamps "ohne konkreten Bezug zur Mietwohnung" verloren gegangen (was die Mieter dem Vermieter auch mitgeteilt hatten), so dürfen dem Mieter nur die Kosten für einen neuen Schlüssel in Rechnung gestellt werden. (AmG Bautzen, 20 C 207/19)
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12.07.2021
Reiserecht: Für streikende Fluglotsen kann die Airline auch nichts
Das Landgericht Kleve hat entschieden, dass Fluggäste keinen Anspruch auf Entschädigung nach der EU-Fluggastrechteverordnung haben, wenn die Airline den Flug annulliert, weil es wegen des Streiks von Fluglotsen zu Einschränkungen im Luftraum kommt. Die Fluggesellschaft kann sich in einem solchen Fall auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ berufen. In dem konkreten Fall ging es um Passagiere, die wegen eines Streiks von französischen Fluglotsen mit einer erheblichen Verspätung am Ziel ankamen. Die Airline hätte die Verspätung auch nicht durch „Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen“ vermeiden können. Dass die Fluggesellschaft einen anderen Flug hätte annullieren können, sei unerheblich, denn das liege im Ermessen der Airline. (LG Kleve, 6 S 122/17)
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09.07.2021
Modernisierung: Keine höhere Miete bei erheblicher Abweichung zwischen Ankündigung und Erklärung
Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass ein Vermieter nach einer Modernisierungsmaßnahme nicht die höhere Miete verlangen darf, wenn die Angaben in der Modernisierungsankündigung so erheblich von der Mieterhöhungserklärung abweichen, dass sie sich teilweise widersprechen. Ein solches Mieterhöhungsverlangen sei formell unwirksam. Die Mieter konnten hier die Berechtigung der Mieterhöhung „auf Grundlage der Mieterhöhungserklärung unter Berücksichtigung der ihnen angekündigten Arbeiten und der dortigen Kostenkalkulation nicht ausreichend nachprüfen und nachvollziehen“. Zwar gebe es zwischen Bauplanung und -arbeiten immer Unwägbarkeiten. Sind diese aber so gravierend, dass nicht mehr plausibel ist, ob es sich überhaupt um ein und dasselbe Vorhaben handelte, dann ist das nicht mehr akzeptabel. (LG Berlin, 65 S 250/19)
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08.07.2021
Reiserecht: Ein Pilotenstreik ist für eine Airline «normal»
Wenn Mitarbeiter einer Airline streiken, so sei das für die Fluggesellschaft „normal“. Es handele sich jedenfalls nicht um einen „außergewöhnlichen Umstand“, so der Europäische Gerichtshof, der von der Entschädigungszahlung nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung befreien könnte. Wird also ein Flug wegen eines angekündigten Streiks der Airline-Mitarbeiter gestrichen oder flieht er deutlich verspätet, so haben die Passagiere Anspruch auf die Entschädigung. Sollen mit dem Arbeitskampf beispielsweise Gehaltserhöhungen oder bessere Arbeitszeiten durchgesetzt werden, so handelt es sich dabei um einen „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens“. In dem konkreten Fall vor dem Europäischen Gerichtshof ging es um einen Fluggast, der einen Ausgleich in Höhe von 250 Euro forderte, weil ein geplanter Flug von Malmö nach Stockholm in Schweden am selben Tag wegen eines Pilotenstreiks annulliert wurde - zu Recht. Denn es handelte sich um ein Ereignis, das „Teil der normalen Betriebstätigkeit“ sei - und auch nicht von der Airline unbeherrschbar. (EuGH, C-28/20)
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07.07.2021
Betriebliche Altersversorgung: Bei Teilzeitern darf gekürzt werden
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine Versorgungsregelung zur betrieblichen Altersversorgung vorsehen darf, Teilzeitkräften die betriebliche Altersvorsorge entsprechend zu kürzen. Dabei komme es auf die jeweilige Ausgestaltung an. In dem konkreten Fall ging es um eine Frau, die fast 40 Jahre in einem Unternehmen tätig war - teilweise in Teilzeit. Vor Beginn der Rente bezog sie ein Gehalt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Dennoch wurde das betriebliche Ruhegeld wegen der Teilzeitarbeit in der Vergangenheit gekürzt - zu Recht. Es sei wirksam, bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Dienstzeiten im Rahmen der Berechnung des Altersruhegelds die Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung lediglich anteilig zu berücksichtigen. Auch dürfe vorgesehen sein, dass die Höchstgrenze eines Altersruhegelds entsprechend dem Teilzeitgrad während des Arbeitsverhältnisses gekürzt wird. (BAG, 3 AZR 24/20)
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07.07.2021
Unfallversicherung: Auch Schutzsuche kann zum Arbeitsweg gehören
Kollidiert ein Arbeitnehmer auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstätte mit einem Hund, der plötzlich auf die Straße springt, und wird er von Freunden des Hundehalters massiv bedrängt und angegriffen, so steht er auch dann noch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er den eigentlichen Heimweg verlässt, um in einer Tankstelle Schutz zu suchen und die Polizei zu verständigen und dort weiterhin bedroht wird. Erleidet er aufgrund dieser Vorfälle einen Schock und leidet er seitdem an Ängsten und psychischen Störungen, so ist das als "Arbeitsunfall" zu werten. Die Berufsgenossenschaft kann nicht mit dem Argument durchdringen, der Mann habe seinen Arbeitsweg verlassen. Auch diese "eingeschobene Verrichtung" habe in einem inneren Zusammenhang mit dem versicherten Weg gestanden. (SG Dresden, S 5 U 232/20)
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05.07.2021
Verwaltungsrecht: Illegaler tschechischer Führerschein wird nicht nachträglich legal
Ist einem Mann wegen Trunkenheit am Steuer die Fahrerlaubnis entzogen worden, und stellen ihm tschechische Behörden kurz danach einen tschechischen Führerschein aus, so kann er diesen nicht mehr als zehn Jahre später in eine deutsche Fahrerlaubnis umschreiben lassen. Das gelte auch dann, wenn zunächst fälschlicherweise angenommen worden war, dass der Mann seinen Wohnsitz tatsächlich (und nicht nur auf dem Papier) in Tschechien hatte und umgeschrieben wurde. Widerruft die tschechische Behörde die seinerzeitige Ausstellung der Fahrerlizenz, so ist auch die Umschreibung nichtig. Dass der Widerruf nach der Umschreibung kam, sei unerheblich. (VwG Trier, 1 K 1829/20)
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02.07.2021
Erbrecht: Schwer kranker Mann ist auch mit einem Notar nicht testierfähig
Beauftragt die Betreuerin eines nach einem Schlaganfall schwer kranken Mannes einen Notar, der ein notarielles Testament aufsetzt, in dem die Betreuerin und eine Mitarbeiterin (die Einkäufe durchführt oder Spaziergänge anbietet) als Erben eingesetzt werden (der Mann hatte keine Angehörigen und ein Vermögen in Höhe von rund 350.000 Euro), so ist dieses Testament sittenwidrig. Das gelte auch dann, wenn es für Betreuerinnen und Betreuer eine gesetzliche Regelung (wie zum Beispiel für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflegeheimen) nicht gibt, nach der es verboten ist - abgesehen von kleinen Aufmerksamkeiten -, Geschenke anzunehmen. Wurde das Testament kurz nach der Krankenhausentlassung in einem Pflegeheim aufgesetzt, kannte der Mann seine Betreuungspersonen erst kurze Zeit und war der Betreuerin klar, dass er das notariell erstellte Testament aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht mehr durch ein eigenes handschriftliches Testament habe ersetzen können, so sei Sittenwidrigkeit anzunehmen. (OLG Celle, 6 U 22/20)
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01.07.2021
Mietrecht: Das hohe Alter allein lässt einen Eigenbedarf nicht wegfallen
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Mieterin sich nicht allein darauf berufen kann, "über 80 Jahre alt zu sein", um einer Eigenbedarfskündigung zu widersprechen. Es müssten beide Seiten (also auch die Interessen des Vermieters) "explizit" berücksichtigt werden. Nur auf das Alter der Mietpartei zu schauen, sei nicht gerechtfertigt. Es müssten alle Aspekte einbezogen werden. (BGH, VIII ZR 68/19)
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30.06.2021
Arbeitsrecht: Nur mit einer Extravereinbarung ist der Monatsverdienst netto
Wenn Teilzeitbeschäftigte eine monatliche Vergütung in Höhe von "maximal 450 Euro" vereinbart haben, so ist damit nicht gesichert, dass sie diese Summe auch netto beziehen. Nur, wenn Arbeitgeber und -nehmer/innen eine so genannte Nettolohnvereinbarung abgeschlossen haben, nach der der Arbeitgeber im Innenverhältnis zum Beschäftigten/zur Beschäftigten sämtliche Abgaben wie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übernimmt, wäre der Verdienst netto. Arbeitnehmer müssten im Streitfall belegen, dass sie eine solche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber getroffen haben. Können sie das nicht, so bleibt es bei den üblichen Abzügen vom Bruttolohn. (BAG, 5 AZR 251/19)
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28.06.2021
Körperverletzung: Panische Angst vor Hunden nicht mit Pfefferspray bekämpfen
Attackiert eine 64 Jahre alte Joggerin einen Hund und den Halter mit Pfefferspray, weil sie "panische Angst" vor Hunden hat, so muss sie eine Geldstrafe (hier in Höhe 4.800 €) zahlen. Sie ist wegen einer gefährlichen Körperverletzung und wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz zu bestrafen, wenn sie angibt, sich von dem nicht angeleinten Hund angegangen gefühlt zu haben und das Tier sowie das Herrchen mit dem Pfefferspray abgewehrt habe. Stellt sich allerdings heraus, dass der Hundehalter (ein Polizist) den zum Besuchshund für Altenheime ausgebildeten Golden Retriever unter Kontrolle hate und das Tier die Joggerin gar nicht beachtete, sondern die Frau von sich aus zum Hund gelaufen und das Pfefferspray eingesetzt hatte, so muss sie bezahlen. (Hier erlitten Hund und Herrchen durch das Pfefferspray "erhebliche Schmerzen".) (LG Detmold, 22 Ns 2/20)
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25.06.2021
Kündigung: Der Chef darf eine Quarantäne-Anordnung nicht einfach anzweifeln
Bezweifelt ein Arbeitgeber (hier ging es um einen kleinen Dachdeckerbetrieb) die Information eines Angestellten, sich in behördlich angeordneter "Corona-Quarantäne" zu befinden und deswegen nicht zur Arbeit erscheinen zu können, so darf er das Arbeitsverhältnis auch dann nicht kündigen, wenn der Mitarbeiter das vom Chef geforderte behördliche Schreiben auch nach mehreren Tagen nicht vorlegt. Der Arbeitgeber vermutete, der Dachdecker wolle sich lediglich vor der Arbeitsleistung drücken. Dem Chef reichte es nicht, dass das Gesundheitsamt die Quarantäne lediglich telefonisch ausgesprochen hatte. Die Kündigung wurde vom Arbeitsgericht Köln als sitten- und treuwidrig angesehen. Der Mitarbeiter habe sich lediglich an die behördliche Quarantäneanordnung gehalten. (ArG Köln, 8 Ca 7334/20)
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23.06.2021
Dienstvertrag: Models dürfen nicht zu lange an die Agentur gebunden werden
Ein 18-jähriges Fotomodel, das mit einer Agentur einen Dienstvertrag geschlossen hat, der auf fünf Jahre befristet war und sich anschließend jeweils um zwei Jahre verlängern sollte, wenn er nicht spätestens neun Monate vor Ablauf gekündigt wird, hat dennoch das Recht, "vorzeitig" auszusteigen (hier kündigte das Model nach rund 6 Jahren). Das Oberlandesgericht Celle sah zwar eine Rechtfertigung dafür, die Kündigungsmöglichkeiten in solchen Fällen für einen bestimmten Zeitraum auszuschließen, weil sich "Anfangsinvestitionen erst mit fortschreitender Karriereentwicklung rentieren". Hier wurde das Model aber unangemessen benachteiligt. Hat das Model über einen langen Zeitraum faktisch keine Möglichkeit, die Agentur zu wechseln, auch wenn diese - aus Sicht des Models - keine ausreichenden Leistung mehr erbringt, so liege darin eine unangemessene Benachteiligung. (OLG Celle, 13 U 10/20)
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22.06.2021
Mietrecht: Eine starke Depression kann die Schuld abschwächen
Zahlt ein Mieter drei Monate lang keine Miete, so ist das üblicherweise ein berechtigter Grund für den Vermieter, das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzug fristlos zu kündigen. Stellt sich aber heraus, dass der Mieter (der bereits 15 Jahre lang in der Wohnung lebt und die Miete stets bezahlt hat) schwer depressiv ist und in der Phase, in der er nicht gezahlt hatte, seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht nachgehen konnte und wegen der Schwere der Krankheit auch nicht in der Lage war, Ämter zu kontaktieren (wie etwa das Jobcenter, um Aufstockungsleistungen oder andere Hilfe zu beantragen), so kann das das Mietverhältnis "retten". Der Vermieter darf in einem solchen Fall nicht kündigen, weil die Pflichtverletzung des Mieters mit Blick auf die Depression in einem "milderen Licht" erscheine. (AmG Münster, 9 C 127/19)
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22.06.2021
Erholungsurlaub: Bei langer Krankheit verfällt der Anspruch irgendwann
Der gesetzliche Anspruch auf (Mindest-)Urlaub (4 Wochen pro Jahr) erlischt bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit frühestens 15 Monate nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres. Tariflich kann vereinbart werden, dass Urlaubsansprüche, die über den Mindesturlaub hinausgehen, anders geregelt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass dafür "deutliche Anhaltspunkte" vorliegen müssen. Gibt es solche nicht, dann gilt auch für den tariflichen Mehrurlaub die gesetzliche "Verfallfrist". (BAG, 9 AZR 364/19)
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19.06.2021
Kündigung: Der Kita-Koch darf konfessionslos kochen
Eine evangelische Gemeinde darf einem Koch auch dann nicht kündigen, wenn er aus der Kirche austritt. In dem konkreten Fall ging es um einen Koch einer evangelischen Gesamtkirchengemeinde, der in einer Kindertageseinrichtung die Speisen zubereitet. Als die Gemeinde erfuhr, dass der Koch aus der Kirche ausgetreten war, kündigte sie ihm fristlos - zu Unrecht. Die Tätigkeit eines Kochs in einer Kita sei nicht mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche verbunden. Er leiste keinerlei unmittelbaren Beitrag zum Erziehungsauftrag der religiösen Bildung für die betreuten Kinder. Die Kündigung sei daher nicht gerechtfertigt – sie stelle eine „unzulässige Benachteiligung" dar. Der Koch nahm an Teamsitzungen mit dem pädagogischen Personal nur etwa alle zwei Wochen teil, wenn es um organisatorische Fragestellungen ging. Weder im Hinblick auf seine Tätigkeit als Koch noch mit Hinblick auf die Umstände der Tätigkeit stelle die Loyalitätserwartung des Arbeitgebers, nicht aus der Kirche auszutreten, eine wesentliche und berechtigte Anforderung dar. (LAG Baden-Württemberg, 4 Sa 27/20)
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17.06.2021
Krankenversicherung: Die Chipkarten der Krankenkassen sind ein «wichtiges Gut»
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass gesetzlich Krankenversicherte von ihrer Krankenkasse nicht verlangen können, einen Papiernachweis als Alternative zur elektronischen Gesundheitskarte zu erhalten. Die gesetzlichen Regelungen zur elektronischen Gesundheitskarte stehen im Einklang mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und verletzen die Versicherten nicht in ihren Grundrechten. Das gelte, obwohl es „eine absolute Datensicherheit nicht gibt“. (Der Versicherte hatte Bedenken, weil auf der Chipkarte Daten wie Name, Anschrift, Versichertenstatus und -nummer gespeichert sind.) Das Gesetz sehe einen „risikobasierten Ansatz“ vor, Maßnahmen müssen mit Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Risiken abgewogen werden. Außerdem verhindere die Karte Missbrauch von Sozialleistungen und diene der Abrechnung, was der finanziellen Stabilität der Kassen dient und somit ein „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ ist. (BSG, B 1 KR 7/20 R u. a.)
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16.06.2021
Verwaltungsrecht: Ein Kite-Drache ist wie ein Wasserfahrzeug zu behandeln
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat es zwei Kite-Surfern gestattet, auch außerhalb der dafür ausgewiesenen Bereiche im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer ihren Sport nachgehen zu dürfen. Das Gericht stufte das Kitesurfen wie das "Befahren einer Bundeswasserstraße mit einem Wasserfahrzeug" ein, was dort erlaubt ist. Board und Lenkdrache seien als einheitliches Wasserfahrzeug zu betrachten. (Niedersächsisches OVG, 4 LC 291/17)
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15.06.2021
Verwaltungsrecht: In einem illegalen Salon kann nicht «leitend» gearbeitet werden
Das Verwaltungsgericht Koblenz hat bestätigt, dass es einer Friseurhandwerksgesellin von der Kammer untersagt werden kann, eine Ausübungsberechtigung trotz sechsjähriger Berufserfahrung - davon mindestens vier Jahre in leitender Stellung - zu erteilen, Das gelte jedenfalls dann, wenn sie in dem angegebenen Zeitraum in einem „illegal“ betriebenen Handwerksbetrieb tätig gewesen ist. Stellt sich heraus, dass der Betrieb, in dem sie in leitender Funktion tätig war, mangels Beschäftigung einer Meisterin oder eines Meisters zu Unrecht in der Handwerksrolle eingetragen war (hier wurde der Betrieb aus der Handwerksrolle gelöscht - und dennoch weiterbetrieben), so könne die „leitende Funktion“ nicht berücksichtigt werden. Andernfalls würden fortwährende Anreize zu unrechtmäßigem Verhalten gesetzt - jedenfalls dann, wenn die Gesellin Kenntnis von der Illegalität des Handwerksbetriebs gehabt hatte. (VwG Koblenz, 5 K 534/20)
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14.06.2021
Arbeitsrecht: Naheliegende Vermutung einer «Geschlechter-Benachteiligung» kann Nachzahlung bringen
Verdienen männliche Arbeitnehmer in einem Betrieb für die gleiche (oder gleichwertige) Arbeit im Median (also im Vergleich) mehr als die Frauen, so begründet das regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts vorliegt. In dem konkreten Fall ging es um eine Abteilungsleiterin, die eine Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz verlangt hatte, nach der sich herausstellte, dass das Durchschnittsgehalt der vergleichbar beschäftigten männlichen Abteilungsleiter um acht Prozent höher war. Die Frau könne grundsätzlich die Differenz zwischen ihrer Vergütung und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte bezahlt verlangen, weil die Vermutung nahe liegt, dass sie benachteiligt wird. (Die Vorinstanz muss hier nun noch prüfen, ob der Arbeitgeber diese Vermutung widerlegen kann.) (BAG, 8 AZR 488/19)
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11.06.2021
Schmerzensgeld: Der grobe Vorsatz muss vom Verletzten bewiesen werden
Das Landgericht Frankenthal hat entschieden, dass ein Amateurfußballspieler, der von einem Gegner von den Beinen geholt und schwer am Sprunggelenk-Außenband verletzt wird, nur dann Anspruch auf ein Schmerzensgeld haben kann, wenn er nachweist, dass der gegnerische Spieler eine „grobe fahrlässige und unentschuldbare Regelwidrigkeit“ begangen hat. Eine Haftung komme nicht in Betracht, wenn ein Verstoß (also auch ein Foul) lediglich aus Spieleifer, Unüberlegtheit oder technischem Versagen begangen wird. Der Gefoulte hatte hier 5.000 Euro gefordert, konnte aber letztlich nicht beweisen, dass das Foul vorsätzlich war. (LG Frankenthal, 5 O 57/19)
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10.06.2021
Mietrecht: Wenn aus Mietern Eigentümer werden, sind Maklerkosten keine «Kündigungsfolgeschäden»
Können Mieter grundsätzlich so genannte Kündigungsfolgeschäden gegenüber dem Vermieter geltend machen (hier ging es zum einen um eine ungerechtfertigte Kündigung wegen Eigenbedarfs und zum anderen um eine Vertragsverletzung des Vermieters, die den Mieter berechtigte, fristlos zu kündigen), so fallen darunter nicht Maklerkosten, die den ehemaligen Mietern für das Suchen (und Finden) von künftig bewohntem Eigentum entstanden sind. Denn die Mieter haben mithilfe des Maklers nicht nur ihren Besitzverlust an der bisherigen Wohnung ausgeglichen, sondern "im Vergleich zu ihrer bisherigen Stellung" eine andere (als Eigentümer) eingenommen. (In dem Fall der unrechtmäßigen Eigenbedarfskündigung ging es um rund 30.000 € Maklercourtage, in dem anderen um knapp 13.000 €.) (BGH, VIII ZR 238/18
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09.06.2021
Krankenversicherung: Beitragspflicht gilt für das komplette Stipendium
Erhält eine Doktorandin als "förderungswürdige Nachwuchswissenschaftlerin" ein Stipendium (in Höhe von 1.050 €/monatlich als Grundstipendium sowie 100 €/monatlich als Forschungskostenpauschale, zum Beispiel für den Erwerb von Literatur), so darf ihre gesetzliche Krankenkasse die Beiträge aus den kompletten Einnahmen berechnen. Die Doktorandin kann nicht argumentieren, die Pauschale sei auszunehmen, weil sie ausschließlich für Forschung eingesetzt werden dürfe und nicht dem Lebensunterhalt diene. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen machte deutlich, dass bei einer Unterscheidung die Gefahr groß sei, dass die Zuwendungen zum Grundstipendium und zur Forschungskostenpauschale neu aufgeteilt würden, um Beiträge zur Krankenversicherung zu sparen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 333/17)
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08.06.2021
Strafrecht: Angriff durch nicht angeleinten Schäferhund kann Körperverletzung sein
Beabsichtigt ein Mann mit seinen beiden Schäferhunden in einem Wohngebiet spazieren zu gehen, und laufen beide Tiere von der Haustür direkt los Richtung Gehweg, wo eine Frau mit ihren Einkäufen zu Fuß unterwegs ist, so muss der Mann wegen fahrlässiger Körperverletzung eine Geldstrafe zahlen, wenn nur einer der beiden Hunde auf das Kommando des Herrchens hört und zurückkommt, der andere jedoch die Passantin zu Boden bringt. Erleidet die Frau eine Kopfprellung und ein "Schleudertrauma" (Halswirbeldistorsion), so kostet das den Mann 500 Euro (20 Tagessätze zu je 25 €) Strafe. Er habe seine Sorgfaltspflichten als Hundehalter verletzt
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07.06.2021
Handy am Steuer: Eine «Bürste am Bart» ist als Schutzbehauptung anzusehen
Hat ein Polizeibeamter im Rahmen einer Kontrolle zur Feststellung von "Handyverstößen" eine Fotosequenz angefertigt, auf der zu erkennen ist, dass ein Omnibusfahrer einen weißen Gegenstand mit der rechten Hand am rechten Ohr hält, so ist damit ausreichend belegt, dass der Busfahrer verbotenerweise während der Fahrt mit dem Handy telefoniert hat. Sein Argument, es habe sich bei dem Gegenstand um eine Bürste gehandelt, mit der er seinen Bart gekämmt habe, ist als Schutzbehauptung einzusortieren, wenn aus der Bilderreihe kein Kämmvorgang mit Kammführung nach unten und/oder oben ersichtlich wird. (AmG Frankfurt am Main, 971 OWi 363 Js 72112/19)
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02.06.2021
Tierhalterhaftung: Für junge, verletzte Hunde kann Physiotherapie zu bezahlen sein
Wird ein vier Monate junger Welpe auf einem Privatgelände einer Firma angefahren, so kann der Autofahrer (beziehungsweise seine Kfz-Haftpflichtversicherung) allein für die Folgen des Unfalls einstehen müssen - ohne, dass sich eine "typische Tiergefahr" verwirklicht habe. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Hund (der dem Firmenbesitzer gehört und später auf dem Gelände als Wachhund eingesetzt werden sollte) beim Spazierengehen von einem Mitarbeiter übersehen wird, der anstatt mit den erlaubten 10 km/h mit knapp 20 km/h mit seinem Auto fuhr. Außerdem war das Tier, das bei dem Unfall eine Fraktur der linken Vorderpfote erlitt, angeleint. Auch war eine Physiotherapie für das junge Tier angemessen und vom Verursacher zu bezahlen, da es sich noch im Wachstum befunden habe. (LG München I, 20 O 5615/18)
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01.06.2021
Krankenversicherung: Auf das Foto geht es nur ohne Kopfbedeckung
Das Sozialgericht Hamburg hat entschieden, dass gesetzlich Krankenversicherte auf dem Foto für die elektronische Gesundheitskarte grundsätzlich keine Kopfbedeckung tragen dürfen. In dem konkreten Fall wollte ein Mann durchsetzen, dass er auf dem Foto für die Gesundheitskarte eine Weihnachtsmannmütze tragen durfte. Die Krankenkasse und das Sozialgericht lehnten dies ab. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Ausstellung der Gesundheitskarte mit einem Foto, auf dem er eine solche Mütze trägt. Die Kassen dürfen mit den Lichtbildern ohne Kopfbedeckung den legitimen Zweck verfolgen, eine bessere Erkennbarkeit der Person auf der Gesundheitskarte zu erreichen. Da die Karte als Versicherungsnachweis diene, müsse durch das verwendete Lichtbild eine schnelle und eindeutige Identifizierung der Karteninhabers ermöglicht werden. Es sei unerheblich, dass Bilder mit Kopfbedeckungen aus religiösen Gründen im Einzelfall zulässig sind. Das Interesse an der leichten Erkenn- und Identifizierbarkeit des Versicherten trete hinter die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit zurück. (SG Hamburg, S 30 KR 1024/20 ER)
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01.06.2021
Hartz IV: Arbeitslosengeld II darf neben einem privaten Kredit bezogen werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass ein Privatdarlehen „als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung“ nicht als Einkommen bewertet werden dürfe. Das bedeutet, dass ein solches Darlehen bei der Frage nach dem Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) nicht angerechnet werden darf. Denn Hilfebedürftigkeit entfalle nur dann dauerhaft, wenn ein „wertmäßiger Zuwachs zur endgültigen Verwendung verbleibt“, so das Gericht. In dem konkreten Fall ging es um einen privat bei einer Bank aufgenommenen Studienkredit. (BSG, B 4 AS 30/20 R)
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28.05.2021
Eigenbedarf: Für ein Au-pair kann eine Wohnung zu räumen sein
Will ein dreifacher Familienvater (2 Kinder besuchen die Grundschule, das 3. Kind ist 1 Jahr alt) eine von ihm vermietete kleine Wohnung in der Nähe seiner Wohnung für die Unterbringung einer/s Au-pair nutzen, so kann das ein Grund für eine Eigenbedarfskündigung sein. Das gelte auch dann, wenn die Mieterin der Wohnung angibt, einen Grad der Schwerbehinderung von 60 zu besitzen und als Hartz IV-Bezieherin auf dem Wohnungsmarkt chancenlos zu sein. Stellt sich heraus, dass sie Vergleichswohnungen nur in einem sehr begrenzten, teuren Viertel gesucht habe und auch nicht in dauerhafter ärztlicher Behandlung sei, so könne der Wunsch des Vaters, eine vernünftige Unterbringung für eine Au-pair-Kraft bereit zu halten, schwerer wiegen, als der Wunsch der Mieterin, in der Wohnung zu bleiben. (AmG München, 473 C 11647/20)
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27.05.2021
Arbeitsrecht: Ob nachts alle Arbeitnehmer gleich sind, muss der EuGH klären
Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Europäischen Gerichtshof, um die Frage klären zu lassen, ob Tarifverträge es erlauben dürfen, Arbeitnehmern, die regelmäßig Nachtarbeit verrichten, einen geringeren Nachtschicht-Zuschlag zuzusprechen als Arbeitnehmern, die unregelmäßig nachts arbeiten. In dem konkreten Fall geht es um Beschäftigte in der Erfrischungsgetränke-Industrie, in der "regelmäßige Nachtschichtler" nur 20 Prozent Zuschlag erhalten, während "Unregelmäßige" 50 Prozent beziehen. Es müsse nach dem Gleichbehandlungsgedanken gefragt werden, wenn mit dieser Regelung erreicht werden soll, neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit auszugleichen. (BAG, 10 AZR 332/20 u. a.)
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26.05.2021
Schmerzensgeld: Anhusten in Corona-Zeiten kann Schmerzensgeld bringen
Hustet ein Mann einen anderen im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung über den Mindestabstand in einer Warteschlange auf einem Wochenmarkt (mit Blick auf die Corona-Schutzmaßnahmen) ins Gesicht, so kann das eine Körperverletzung sein. In dem konkreten Fall hatte ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes den Mann auf den von ihm nicht eingehaltenen Abstand hingewiesen. Daraufhin kam es zu der Auseinandersetzung, die dem Angehusteten schließlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 250 Euro brachte. Das absichtliche Anhusten in Zeiten der Corona-Pandemie war als eine vorsätzliche Gesundheits- und Körperverletzung zu qualifizieren. Die Bagatellgrenze wurde hier deutlich überschritten. So bestand nicht nur die hohe Gefahr einer Infektion des Gegenübers mit einer möglicherweise schweren bis potenziell tödlich verlaufenden Krankheit, sondern auch eine erhebliche psychische Beeinträchtigung aufgrund der Sorge über eine mögliche Ansteckung. (AmG Braunschweig, 112 C 1262/20)
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25.05.2021
Reiserecht: Auch ein Umbuchen wider Willen bringt keine Entschädigung
Wird der erste Teilflug einer Rückreise aus dem Urlaub aus Jerez de la Frontera (nach Madrid) gegen den Willen des Reisenden umgebucht, erreicht er dennoch den Anschlussflug und kommt er pünktlich am Endziel an (hier in Frankfurt am Main), so hat er keinen Anspruch auf die pauschale Entschädigung „wegen Nichtbeförderung“ nach der Europäischen Fluggastrechteverordnung. Der Mann kann nicht erfolgreich argumentieren, es habe sich bei dem ersten Teil - trotz der anderweitigen Beförderung - um eine Annullierung des Fluges gehandelt. Hier wurde der gebuchte Flug tatsächlich durchgeführt - aber ohne diesen Fluggast, der umgebucht worden ist. Darin sei dennoch keine Nichtbeförderung zu sehen. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs stelle die Umbuchung eines Teilflugs für den betroffenen Fluggast zwar eine Unannehmlichkeit dar. Diese könne jedoch nicht als „groß“ im Sinne der Verordnung angesehen werden, wenn der Fluggast das Ziel zur planmäßigen Ankunftszeit erreiche. Demnach liefe es der Verordnung zuwider, einen Fluggast in Form eines pauschalen Ausgleichsanspruchs (je nach Entfernung mit 250, 400 oder 600 €) zu entschädigen. (EuGH, C 191/19)
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20.05.2021
Schmerzensgeld: Für einen «Ponyunfall» mit einem Kind muss die Reithalle einstehen
Wird ein achtjähriges Mädchen im Rahmen einer Pony-Reitstunde in einer Reithalle von einer Angestellten der Halle an der Longe geführt, so muss der Betreiber der Reithalle Schmerzensgeld zahlen, wenn das Mädchen vom Pony rutscht, das Tier auf sie stürzt und das Kind sich einen Beinbruch sowie den Bruch eines Schlüsselbeines zuzieht. Es habe sich bei dem Unfall eine "typische Tiergefahr" realisiert, für die der Halter einzustehen habe. Das Argument des Betreibers, dass es sich bei dem Pony um ein "stets ruhiges Tier" handele, zog nicht, weil es erst ein halbes in seinem Besitz war und deswegen nicht ausreichend getestet sei, ob das Pony kindliche Reitfehler toleriere. Dem Mädchen wurden 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. (OLG Oldenburg, 2 U 142/20)
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19.05.2021
Kaufvertrag: Wer von Schäden weiß, darf sie nicht verheimlichen
Steht in einem Kaufvertrag über einen gebrachten Wohnwagen unter " Gewährleistungsausschluss für Sachmängel": „Der Verkäufer sichert zu: (…) Das Fahrzeug hat keine sonstigen Beschädigungen“, so muss der Verkäufer den Wohnwagen gegen Erstattung des Kaufpreises zurücknehmen, wenn er von einem Hagelschaden gewusst hatte (den die Käuferin hier später bei Wartungsarbeiten entdeckte). Das gelte auch dann, so das Landgericht Nürnberg-Fürth, wenn der Schaden während der Standzeit beim Händler entstanden ist, also bevor der Verkäufer den Wagen selbst erworben hatte. Der vereinbarte Gewährleistungsausschluss war ungültig, weil der Verkäufer schriftlich zugesichert hatte, dass das Fahrzeug keine Beschädigungen aufweise, obwohl er von dem Hagelschaden wusste (der war nämlich im Kaufvertrag zwischen dem Händler und ihm seinerzeit eingetragen worden). (LG Nürnberg-Fürth, 10 O 309/20)
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18.05.2021
Schenkung: Eine Eigentumswohnung muss der Schwiegersohn nicht zurückgeben
Hat eine Frau ihrer Tochter und deren Ehemann eine vermietete Eigentumswohnung geschenkt, so kann sie später - wenn die Eheleute sich trennen - nicht verlangen, dass der Ehemann ihr seinen Anteil an der Wohnung "wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage" zurückgibt. Stellt sich heraus, dass die Wohnung nicht als Familienheim diente, sondern als Renditeobjekt vermietet war und die (Schwieger-)Mutter außerdem seinerzeit den Ärger mit den Mietern sowie anstehende Renovierungsarbeiten scheute, so komme eine Rückforderung nicht in Frage. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Fortbestand der Ehe die Geschäftsgrundlage für die Übertragung gewesen sei. (OLG Oldenburg, 11 UF 100/20)
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12.05.2021
Reiserecht: Eincheck-Gebühr muss transparent offengelegt werden
Eine so genannte Billig-Fluggesellschaft (hier ging es um Ryanair) muss im Rahmen von Buchungen darauf hinweisen, dass die Kunden für einen kurzfristigen Check-In am Schalter Gebühren bezahlen müssen (hier ging es um 55 €). Die Gesellschaft darf eine solche "optionale Eincheck-Gebühr" in der Buchung nicht "verstecken". Ein Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) reiche nicht aus, so das Landgericht Frankfurt am Main. Auch genüge es nicht, wenn die Fluggesellschaft die Kunden zwei Tage vor der Reise noch einmal auf die Möglichkeit des kostenfreien Online-Check-In bis zwei Stunden vor Abflug hinweise. Kosten für derartige optionale Standardleistungen müssen für den Kunden transparent kommuniziert werden. (LG Frankfurt am Main, 3-06 O 7/20)
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11.05.2021
Dieselskandal: Wer sich nach Bekanntwerden der Schummelei einen Audi kauft, der ist «selber schuld»
Hat ein Kunde einen vom Dieselskandal betroffenen Wagen (einen Audi) erst nach Bekanntwerden des Skandals gekauft, so kann er keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen Volkswagen durchsetzen. Denn der Konzern habe nach Auffliegen des Skandals nicht mehr sittenwidrig gehandelt, so der Bundesgerichtshof. (In dem konkreten Fall ging es um einen im Mai 2016 gekauften Audi mit dem vom Abgasskandal betroffenen Dieselmotor des Typs EA189. VW hatte die Aktionäre und die Öffentlichkeit in einer Ad-hoc-Mitteilung aber bereits im September 2015 über die Schummel-Software informiert.) (BGH, VI ZR 244/20)
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10.05.2021
Alkohol am Steuer: E-Scooter-Fahrer sind wie Pkw-Fahrer zu behandeln
E-Scooter sind wie elektrische Kleinfahrzeuge einzustufen und nicht als „Fahrräder“. Das ist auch wichtig für die Orientierung bei den Promillegrenzen. Das Landgericht Osnabrück hat entschieden, dass ein Mann, der mit 1,54 Promille Alkohol im Blut auf seinem E-Scooter erwischt wird, wegen „Trunkenheit im Straßenverkehr“ die Fahrerlaubnis entzogen werden darf. Es gelte für ihn - wie für einen Autofahrer - die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit ab einem Wert von 1,1 Promille. Das Argument, dass E-Scooter nicht so stark motorisiert seien, wie Pkw und das Gefahrenpotential eher mit Fahrrädern vergleichbar sei, zog nicht. Eine Unterscheidung nach Gefährlichkeit zwischen unterschiedlichen Typen von Kraftfahrzeugen gebe es mit Blick auf die Promillegrenzen nicht. (LG Osnabrück, 10 Qs 54/20)
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07.05.2021
Kündigung: Wer eigenmächtig eine Menge Daten löscht, der fliegt
Erfährt ein Mitarbeiter in einem Personalgespräch, dass das Arbeitsverhältnis mit ihm beendet werden soll, so darf ihm fristlos gekündigt werden, wenn er nach dem Gespräch eigenmächtig betriebliche Daten auf dem Netzwerkserver des Unternehmens löscht (hier in einem Umfang von knapp 7,5 Gigabyte). Der Arbeitgeber hatte dafür kein Einverständnis gegeben. Das unbefugte, vorsätzliche Löschen von betrieblichen Daten auf dem Server des Arbeitgebers stelle einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten könne als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung geeignet sein. Und es gehöre zu den vertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber den Zugriff auf betriebliche Dateien nicht verwehrt oder unmöglich macht. (LAG Baden-Württemberg, 17 Sa 8/20)
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06.05.2021
Mietrecht: Baumfällkosten können umgelegt werden
Das Landgericht München I hat entschieden, dass auch die Kosten, die einem Vermieter für das Fällen eines morschen Baumes entstanden sind, als Kosten für die Gartenpflege zu den Nebenkosten gehören können, die auf die Mieter umgelegt werden dürfen. Es handele sich dabei um umlagefähige Betriebskosten. Mieter können nicht argumentieren, es seien Instandhaltungsmaßnahmen, die vom Vermieter zu bezahlen sind. Zur „Gartenpflege” im Sinne der Betriebskostenverordnung gehöre auch das Fällen eines kranken, morschen oder abgestorbenen Baumes – auch wenn solche Baumfällkosten regelmäßig erst nach Jahrzehnten entstünden. Es gäbe keine besondere Schutzwürdigkeit des Mieters. Ein Absterben von Bäumen stelle eine natürliche Entwicklung dar und das Fällen eine „für die Erhaltung einer gärtnerisch angelegten Fläche notwendige Maßnahme“. (LG München I, 31 S 3302/20)
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05.05.2021
Arbeitsrecht: Bereitschaft muss nicht voll bezahlt werden
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass die Bereitschaftszeiten eines Rettungssanitäters zwar vergütungspflichtig sind. Diese Zeiten müssen aber nicht wie Vollarbeit vergütet werden. Das gelte auch dann, wenn der Bereitschaftsdienst zusammen mit der regulären Arbeitszeit die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschreitet. In dem konkreten Fall wurde im Arbeitszeitmodell festgehalten, dass die tatsächliche Einsatzzeit für Rettungen und Krankentransporte während der Bereitschaft höchstens 25 Prozent der Arbeitszeit beträgt. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde von 40 auf 54 Stunden erhöht, so dass sich bei einem 24-Stunden-Dienst eine anrechenbare Arbeitszeit von 17,8 Stunden ergab, die auch nur bezahlt wurde. Das Gericht hielt das für in Ordnung. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 5 Sa 188/19)
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04.05.2021
Mietrecht: Bei Verlust des Schlüssels muss nicht die ganze Anlage bezahlt werden
Das Landgericht München I hat entschieden, dass ein Mieter bei einem Schlüsselverlust auch dann nicht zwangsläufig die vollen Kosten tragen muss, wenn die Schließanlage des Mehrfamilienhauses komplett ausgetauscht werden muss. In dem konkreten Fall hatte ein Mieter alle vier Wohnungsschlüssel verloren. Der Vermieter hatte rund drei Jahre zuvor eine neue Schließanlage (zu einem Preis von knapp 2.000 €) einbauen lassen. Er hatte den Mietern nicht mitgeteilt, welche ungewöhnlich hohen Kosten auf sie zukommen können, wenn sie ihre Schlüssel verlieren. Aus diesem Grund musste der Mieter hier nur einen Teil der Kosten übernehmen - für die Hauseingangstür und für seine eigene Wohnungstür. Es müsse im Einzelfall entschieden werden, wie erheblich die Missbrauchsgefahr durch den Verlust der Schlüssel ist - und ob gleich eine ganze Anlage ausgetauscht werden müsse. (LG München I, 31 S 12365/19)
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03.05.2021
Mautverstoß: Eine vierfache Zusatzgebühr für späte Zahlung ist rechtswidrig
Das Landgericht München I hat entschieden, dass es gegen das deutsche „ordre public“ verstößt, wenn eine um mehr als 60 Tage verspätete Zahlung einer Mautgebühr mit einer deutlich (um das vierfach) höheren Zusatzgebühr bestraft wird. In dem konkreten Fall ging es um eine Maut in Ungarn, für die die Behörden dort eine viermal so hohe Gebühr als die eigentliche verlangen, um den versäumten Zahlungstermin zu sanktionieren. Das sei nicht mehr als angemessen einzustufen. Eine solch hohe Strafe sei nicht von „deutschen Rechtswertigkeiten“ gedeckt. Denn nach deutschem Recht könnten Ansprüche, „die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, nicht geltend gemacht werden, soweit sie wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich (…)." Es sei ein Zusammenhang zwischen der „erhöhten Zusatzgebühr“ und einem Schaden der ungarischen Einzugsstelle nicht erkennbar. (LG München I, 31 S 10317/20)
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01.05.2021
Strafrecht: Wenn der Freund vergeblich ritterlich ist...
Auch wenn ein junger Mann, der nachgewiesen zwölf Mal nachts in eine Shisha-Bar eingedrungen ist (er hatte einen Schlüssel, weil er früher mal an der Bar beteiligt gewesen ist), dort Tabak gestohlen und illegal verkauft hat, behauptet, dass seine 39jährige Freundin nichts von seinen Machenschaften wusste, (obwohl sie bei den nächtlichen Ausflügen teilweise dabei und in ihrer Wohnung der Schlüssel deponiert war), so kann sie das nicht vor einer Strafe bewahren. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Aussagen des Mannes widersprüchlich sind und von ihm immer wieder korrigiert werden müssen. Weil die Frau bereits mehrfach vorbestraft ist und in zweifacher offener Bewährung stand, muss sie die verhängte Haftstrafe (hier von 7 Monaten) antreten. Der nicht vorbelastete Mann kam wegen einer positiven Sozialprognose mit einer Bewährungsstrafe davon (hier von 2 Jahren) und wurde zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. (AmG München, 823 Ls 263 Js 204737/19)
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28.04.2021
Schadenersatz: Unbemerkt Strom abzapfen geht nicht straflos
Hat ein Landwirt jahrelang aus dem Niederspannungsnetz eines Stromnetzbetreibers unbemerkt Strom für seinen Schweinestall abgezapft, so kann der Netzbetreiber vom Landwirt verlangen, dass der den Schaden ersetzt. Die Stromentnahme war hier zunächst nicht aufgeflogen, weil der Stall nur eine von mehreren mit eigenen Zählern ausgestatteten Verbrauchsstellen war. Der Bauer kann nicht argumentieren, der Netzbetreiber selbst liefere nach dem Energiewirtschafsgesetz keinen Strom und könne deswegen auch keine Rechnung darüber stellen. (Über die Höhe des Schadenersatzes muss das Gericht noch separat entscheiden.) (OLG Düsseldorf, 27 U 19/19)
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27.04.2021
Nachbarrecht: Zu nah an Nachbars Garage sollte Holz nicht gelagert werden
Hat eine Grundstückseigentümerin direkt neben einer auf dem Nachbargrundstück stehenden Doppelgarage einen überdachten Unterstand errichtet, in dem sie Brennholz lagert, so muss sie für Feuerschäden einstehen, die dem Nachbarn als Folge eines Brandes entstehen, der von diesem Holzunterstand auf die Garage überspringt. Das gelte auch dann, wenn sie für das eigentliche Entfachen des Feuers nicht verantwortlich ist. In dem konkreten Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm wurde stark angenommen, dass Holzarbeiten an dem Unterstand mit einer Kreissäge für das Feuer gesorgt hatten, auch wenn diese bereits weit mehr als zehn Stunden vor Bemerken des Feuers beendet worden waren. Die Übertragung des Feuers auf die Garage konnte nur wegen des bauordnungswidrig an der Grundstücksgrenze errichteten Unterstandes ermöglicht werden. Hätte sie die vorgeschriebenen drei Meter Mindestabstand eingehalten, wäre das nicht - oder jedenfalls nicht so massiv - passiert. (Hier ging es um einen Schaden in Höhe von rund 35.000 €, weil in der Garage zwei Ferraris in Mitleidenschaft gezogen worden sind.) (OLG Hamm, 24 U 146/18)
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26.04.2021
Kfz-Haftpflichtversicherung: Corona-Desinfektion ist nur teilweise zu bezahlen
Wird ein Auto nach einem Unfall in einer Kfz-Werkstatt repariert, und desinfizieren Mitarbeiter dort das Auto mit Blick auf die Corona-Schutzmaßnahmen vor und nach der Reparatur, so darf der zahlungspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers nur ein Teil der Kosten für diese spezielle Reinigung in Rechnung gestellt werden. Das Amtsgericht Wolfratshausen hat entschieden, dass nur die Desinfektion zu übernehmen ist, die vor der Rückgabe an den Kunden (also nach der Reparatur) durchgeführt worden ist. Sie gehörte nämlich zum "Schutz des Geschädigten", damit der sich keiner erhöhten Infektionsgefahr aussetzen müsse, die durch die von ihm nicht zu verantwortenden, jedoch nötig gewordenen Arbeiten an seinem Fahrzeug ausgehen konnten. Das Desinfizieren vor Beginn der Arbeiten diente jedoch dem Schutz der Werkstatt-Mitarbeiter und gehörte somit zu den internen Arbeitsschutzmaßnahmen. (AmG Wolfratshausen, 1 C 687/20)
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23.04.2021
Personalrat: Nur bei «offensichtlich unwirksamer» Kündigung kann die Arbeit weitergehen
Wenn ein Mitglied des Personalrats (hier als Tarifbeschäftigter des Bundesnachrichtendienstes) eine außerordentliche Kündigung erhält, so ist damit auch die Ausübung des Amtes als Personalrat „rechtlich verhindert“. Ist die Kündigung jedoch "offensichtlich unwirksam", so besteht das Amt weiter fort. Das konnte hier allerdings nicht festgestellt werden. Es fehlte an der Glaubhaftmachung, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam war. Das Bundesverwaltungsgericht machte deutlich, dass nur dann die Personalratstätigkeit fortbestehen könne. Lässt sich die offensichtliche Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht feststellen, so gehe die rechtliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der davon abhängenden Mitgliedschaft im Personalrat zu Lasten des gekündigten Personalratsmitglieds. Aber: Ein entsprechender Eilantrag sei grundsätzlich möglich. (BVwG, 5 VR 1.20)
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22.04.2021
Sonntagsarbeit: Selbst geschaffener Lieferstress ist kein «besonderes Verhältnis»
Grundsätzlich darf Sonntagsarbeit „zur Abwendung eines unverhältnismäßigen Schadens“ nur wegen einer vorübergehenden Sondersituation bewilligt werden, die eine „außerbetriebliche Ursache“ hat. In einem Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es um den Online-Versandhändler Amazon, der in einem Jahr für den 3. und 4. Adventssonntag behördlich erfolgreich beantragt hatte, es jeweils 800 Arbeitnehmern erlauben zu dürfen, zur Arbeit zu kommen, weil „besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens“ vorgelegen hätten. Es drohte ein Überhang von rund 500.000 unbearbeiteten Bestellungen bis Weihnachten gedroht habe. Eine Gewerkschaft (ver.di) konnte erwirken, dass diese Genehmigung zu Unrecht ausgesprochen worden ist. Das Vorweihnachtsgeschäft und interne Lieferversprechen stellen keine „besonderen Verhältnisse“ dar, welche die ausnahmsweise Zulassung von Sonntagsarbeit rechtfertigen. Denn sie wurden vom Arbeitgeber selbst geschaffen. (BVwG, 8 C 3/20)
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21.04.2021
Verkehrsrecht: Scheibenwischer einstellen kann so schlimm sein wie «Handy am Steuer»
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass ein Tesla-Fahrer während der Fahrt nicht die Intervalleinstellungen des Scheibenwischer einstellen darf, wenn das nicht nur eine „kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Display" erfordert. Kommt der Autofahrer wegen der Ablenkung durch die Einstellung am Display bei nasser Fahrbahn von der Straße ab und kollidiert er mit mehreren Bäumen, so muss er die für Handy-Vergehen am Steuer vorgesehene Strafe akzeptieren (hier: 200 € Bußgeld und ein 1-monatiges Fahrverbot). Die Benutzung des Touchscreens sei als Bedienen eines elektronischen Geräts zu qualifizieren. (OLG Karlsruhe, 1 Rb 36 Ss 832/19)
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20.04.2021
Mietrecht: Veränderte Umweltbedingungen können zu einem «nachträglichen Mangel» führen
Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat entschieden, dass auch dann ein „nachträglicher Mietmangel“ vorliegen kann, wenn es wegen veränderter Umweltbedingungen zu Schäden an der Mietwohnung gekommen ist. Damit hat der Mieter Anspruch auf Instandsetzung. In dem konkreten Fall kam es in einer Souterrainwohnung zu Wassereinbrüchen, wenn es stark regnete. Der Fußboden der Wohnung lag etwa 30 Zentimeter unterhalb der Oberkante des Erdbodens und es stellte sich heraus, dass das Abflusssystem für Starkregen nicht ausgelegt war. Die Mieterin forderte, dass der Vermieter eine Rückstausicherung einzubauen habe. Das Amtsgericht Berlin-Mitte sah das auch so. Ihr stehe ein Anspruch auf Instandsetzung der Entwässerung zu. Zwar sei ein Vermieter grundsätzlich nicht zu einer Modernisierung der Mietsache verpflichtet. Jedoch sei zu beachten, dass es in der Stadt (hier ging es um Berlin) vermehrt mit Starkregen zu rechnen sei und somit die konkrete Gefahr bestehe, dass sich Wassereinbrüche wiederholten. Und der Mieter einer Altbauwohnung könne erwarten, dass zumindest ein Mindeststandard hergestellt werde, der ein zeitgemäßes Wohnen ermögliche. (AmG Berlin-Mitte, 27 C 21/20)
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19.04.2021
Mietrecht: Wer den Garten pflegen muss, hat Anspruch auf ein Gerätehäuschen
Ist die Mieterin einer Erdgeschosswohnung mietvertraglich dazu verpflichtet, die Gartenpflege in der Anlage zu übernehmen, so darf der Vermieter es ihr nicht untersagen, eine Gerätehütte aufzustellen, um dort Gartengeräte und Materialien zu lagern, die sie für die Arbeiten benötigt. Die Frau mäht unter anderem den Rasen, hält die Wege von Unkraut frei, stellt Pflanzentöpfe auf und schneidet Büsche und Hecken. Sie hat ein "berechtigtes Interesse" an der Errichtung einer solchen Unterbringungsmöglichkeit, wenn es ansonsten keine zumutbare Möglichkeit gibt, die Geräte zu lagern. Auch sei das Aufstellen einer solchen "baumarkthandelsüblichen" Hütte kein Eingriff in die Substanz der Mietsache. Eine solche Hütte lasse sich ohne großen Aufwand rückstandsfrei wieder entfernen. (AmG Vaihingen a. d. Enz, 1 C 315/19)
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16.04.2021
Mietrecht: Auch «zugestellte» Wohnung darf nicht gekündigt werden
Auch wenn eine Mieterin die Wohnung derart zustellt, dass einzelne Räume nur noch beschränkt betreten werden können, ist das weder ein Grund für eine fristlose noch für eine ordentliche Kündigung des Mietvertrages. Der Vermieter kann nicht argumentieren, er müsse nicht warten, bis die Wohnung vermüllt oder von Ungeziefer befallen ist. Er habe kein "berechtigtes Interesse" an einer Kündigung, so das Landgericht Münster, da - "mangels konkreter Gefahr für die Mietsache oder des Ausgehens von Belästigungen von ihr - keine Vertragspflichtverletzung durch den Mieter und auch keine vertragswidrige Nutzung vorliegt". In dem konkreten Fall hatte die Frau zwar eine "grenzwertige Ansammlung" von (Alt-)Papier, Textilien und Erinnerungsstücken angehäuft. Allerdings bewegte sich das noch im Rahmen des "Bewohnens" einer Mietwohnung. Das gelte insbesondere dann, wenn ein Sachverständigengutachter weder Schimmel noch andere Verunreinigungen entdecken konnte. (LG Münster, 1 S 53/20)
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15.04.2021
Nachbarrecht: Wird zu nah an Nachbars Laube gebaut, ist die Ursache für einen Brand egal
Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass es auf die genaue Ursache eines Brandes einer Gartenlaube in einer Kleingartenanlage nicht mehr unbedingt ankomme, wenn klar ist, in welcher Laube sich das Feuer entzündet hat und auf die Nachbarlaube übergesprungen ist. Konnte das Feuer nur deswegen übergreifen, weil der Besitzer der Laube zu nah an der Nachbarlaube gebaut und unzulässige Anbauten angebracht hatte, so muss er der Gebäude- und Hausratversicherung der Gartenanlage Schadenersatz leisten (hier ging es um knapp 15.000 €). Ob ein aus Russland importierter und in der Laube betriebener Saunaofen, in der das Feuer ausbrach, auch die Ursache für den Brand war, sei für die Schadenersatzzahlung unerheblich. (OLG Hamm, 24 U 111/18)
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15.04.2021
Schadenersatz: Ein Basketballtrainer darf mitspielen, ohne zur Kasse gebeten zu werden
Spielt der Trainer einer U 18 Jugend-Basketballmannschaft in einem Trainingsspiel mit, und verletzt er dabei einen 17-jährigen Spieler, indem er ihn mit dem Ellenbogen im Gesicht trifft und die zwei oberen Schneidezähne in Mitleidenschaft gezogen werden, so muss er dafür weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld zahlen. Das gelte jedenfalls dann, wenn nicht zu erkennen ist, dass der Trainer mit einer "übertriebenen Härte" gespielt hatte. Jeder Spieler ist beim "Kampf um den Ball" potenzieller Verletzer als auch Verletzter. Ist dem Übungsleiter ein "sorgfaltswidriges Verhalten" nicht nachzuweisen, so habe sich einfach "ein Risiko verwirklicht, dass der sportliche Wettkampf eines Basketballspiels mit sich bringt". Der junge Mann forderte rund 4.000 Euro Schmerzensgeld zuzüglich weiterer Schadenersatzzahlungen vom Trainer, weil der als körperlich überlegener Erwachsener hätte defensiver spielen sollen - vergeblich. (AmG München, 161 C 20762/19)
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13.04.2021
Mietrecht: Der Vermieter muss den Untermieter nicht vorab kennenlernen
Ein Vermieter hat keinen Anspruch darauf, dass er einen potenziellen Untermieter seines Mieters persönlich kennenlernen darf. Es reiche aus, wenn der Mieter ihm den Namen, das Geburtsdatum, den Geburtsort und den Beruf des Untermieters nennt. In dem konkreten Fall vor dem Landgericht Berlin war der Vermieter zwar nicht strikt gegen eine Untervermietung
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12.04.2021
Verkehrssicherungspflicht: In der Dämmerung müssen auch Kinder selbst aufpassen
Eine Stadt verletzt ihre Verkehrssicherungspflicht nicht, wenn sie eine Absperrkette am Straßenrand anbringt, die für Fußgänger, die mit Schrittgeschwindigkeit und nach vorne gerichtetem Blick unterwegs sind, eindeutig erkennbar ist. Läuft ein (hier 8-jähriger) Junge in der Dämmerung beim Versuch, die Straße zu überqueren, gegen die Kette und verletzt er sich schwer (hier musste er fast einen Monat lang im Krankenhaus verbringen, weil er sich kompliziert am Ohr mit bleibenden Schäden verletzt hatte), so muss der Straßenbauträger der Stadt dafür nicht haften. In dem konkreten Fall wollte der Junge zu seinem Vater auf der gegenüberliegenden Straßenseite laufen, überzeugte sich davon, dass kein Auto kam und übersah die sich farblich nicht groß vom Fahrbahnbelag abhebende Kette. Dennoch sei es nicht erforderlich, dass die Kommune die Fußwege so ausleuchten müsse, dass es keine dunklen Stellen mehr gebe. In der Dämmerung müssen sich Fußgänger so vorsichtig fortbewegen, dass eventuelle Hindernisse rechtzeitig erkennbar sind. (OLG Nürnberg, 4 U 47/20)
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09.04.2021
Modernisierungsmaßnahme: Eine Ankündigung 16 Monate im Voraus ist verfrüht
Kündigt ein Vermieter seinem Mieter eine geplante Modernisierung „weit verfrüht“ an, so ist dies rechtsmissbräuchlich. Der Vermieter kann daraus keine Duldungsansprüche gegenüber dem Mieter ableiten. In dem konkreten Fall kündigte der Vermieter die Baumaßnahmen 16 Monate vor geplantem Beginn an. Dadurch, so das Landgericht Berlin, „untergräbt der Vermieter nicht nur das an den Zugang der Ankündigung geknüpfte und zeitlich befristete Sonderkündigungsrecht des Mieters, sondern beschränke gleichzeitig zu dessen Nachteil die Möglichkeiten zur erfolgreichen Geltendmachung von Härtegründen“. Außerdem werde der Gesetzeszweck unterlaufen, dem Mieter durch die Angabe des voraussichtlichen Beginns und der Dauer der Maßnahmen sowie der zu erwartenden Mieterhöhung eine hinreichend verlässliche Planungs- und Entscheidungsgrundlage für den weiteren Verlauf des Mietverhältnisses zu verschaffen. (LG Berlin, 67 S 108/20)
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08.04.2021
Reiserecht: Der Kapitän darf chronisch Kranke von Bord verweisen
Das Landgericht Rostock musste darüber entscheiden, ob der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes eine kranke 83-jährige Passagierin von Bord verweisen darf, wenn diese an einer chronischen Darmerkrankung leidet - und während der Reise akute Beschwerden bekam. Das Gericht urteilte gegen die Passagierin, dass sie zurecht vom Schiff verwiesen worden war und weder Anspruch auf Schadenersatz noch auf eine Reisepreisminderung gegen den Reiseveranstalter habe. Die Bordärztin hatte die Reisende als „medizinisches Risiko“ eingestuft und rechnete mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands. Um schwere Schäden oder gar deren Tod zu vermeiden, hielt sie eine zeitnahe intensive medizinische Behandlung für erforderlich. Auf Grundlage dieser Einschätzung wurde sie vom Kapitän von Bord verwiesen. Der Reiseveranstalter durfte in Person des Kapitäns den Reisevertrag kündigen. (LG Rostock, 1 O 27/18)
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07.04.2021
Fahrerlaubnis: Sperrzeit nicht über die EU umgehen
Das Verwaltungsgericht Trier hat entschieden, dass eine im EU-Ausland (hier in Luxemburg) erteilte Fahrerlaubnis für einen Pkw einen Mann grundsätzlich dazu berechtigt, auch in der Bundesrepublik Deutschland Auto zu fahren. Allerdings gelte das nicht, wenn die Fahrerlaubnis zu einem Zeitpunkt erteilt worden ist, zu dem ihm wegen einer rechtskräftigen Verurteilung in Deutschland keine Fahrerlaubnis hätte erteilt werden dürfen. In dem konkreten Fall war dem Mann die Fahrerlaubnis wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr entzogen worden. Später wurde er dann auch noch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt. In der Phase, in der ihm in Deutschland eine Fahrerlaubnis nicht erteilt werden durfte, erwarb er die luxemburgische Fahrerlizenz. Diese durfte jedoch nicht genutzt werden. Das Gericht bestätigte, dass die deutsche Fahrerlaubnisbehörde einen Sperrvermerk anbringen darf. (VwG Trier, 1 L 31/21)
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06.04.2021
Arbeitslosengeld I: Aufgepasst beim Online-Antrag
Verliert ein Berufskraftfahrer seinen Job, und hat er sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet, bevor er im Internet über das so genannte eService-Angebot der Arbeitsagentur Arbeitslosengeld I beantragt (was auch bewilligt und bezahlt wurde), so sollte er den Empfang des Merkblatts "Rechte und Pflichten" nicht bestätigen, ohne es auch wirklich gelesen zu haben. Nimmt er nämlich eine einwöchige Probearbeit in Vollzeit auf, so darf ihm das Arbeitslosengeld I gestrichen werden, wenn er diese Probe nicht bei der Agentur für Arbeit anmeldet. Er galt in dieser Zeit als "nicht vermittelbar". Sein Argument, er habe das "nicht gewusst", zog vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht. (Hier war das für den Mann besonders bitter, weil die Probearbeit unbezahlt war und nicht zu einer Anstellung führte - jedoch das Arbeitslosengeld I auch für die Folgezeit gestrichen werden durfte. Denn der Mann hätte sich nach der Probearbeit erneut arbeitslos melden müssen, was er nicht tat. Insgesamt musste er rund 5.000 € zurückzahlen.) (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AL 15/19)
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01.04.2021
Kündigung: Wer einen Kollegen auf dem Klo einsperrt, fliegt hochkant
Gerät ein Lagerist mit einem Kollegen immer wieder in Streit, und gipfelt es darin, dass er ihn durch einen "alten Trick" auf der Toilette einsperrt (indem er heimlich ein Papierblatt unter der Klotür hindurch schob, den Toilettenschlüssel mit einem Gegenstand aus dem Schloss stieß, so dass der auf das Blatt fiel, das er dann herauszog), so kann dieser "Streich" die fristlose Kündigung nach sich ziehen. Das gelte jedenfalls dann, wenn er den Kollegen so lange auf der Toilette eingesperrt lässt, dass dieser sich nach einer Weile veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten. Der Arbeitnehmer hat seinen Kollegen zumindest zeitweise seiner Freiheit beraubt, was eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt. Außerdem wurde durch diese Freiheitsberaubung als mittelbare Folge Eigentum des Arbeitgebers beschädigt. Der Arbeitgeber musste weder zunächst eine Abmahnung aussprechen noch den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterbeschäftigen. Das sei ihm nicht zuzumuten. (ArG Siegburg, 5 Ca 1397/20)
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31.03.2021
Verwaltungsrecht: Medizintouristen stehlen der allgemeinen Bevölkerung Wohnraum
Die Vermietung einer Eigentumswohnung an so genannte Medizintouristen ist untersagt. Das hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden. Es liege eine unzulässige Zweckentfremdung einer Mietwohnung vor, wenn diese Wohnung an Angehörige von Personen für die Zeit vermietet wird, in der sich die Patienten in der Stadt medizinisch behandeln lassen. In dem konkreten Fall ging es um eine Wohnung, die regelmäßig für mehrere Monate an Personen aus dem arabischen Raum vermietet wurde. Die Behörde durfte diese ordnungswidrige Nutzung der Wohnung untersagen. Die Eigentumswohnung werde nicht zu Wohnzwecken vermietet. Es sei den Mietern nicht um das Wohnen in der Stadt gegangen, sondern um ein vorübergehendes Unterkommen im Rahmen und zum Zwecke einer medizinischen Behandlung. Dadurch werde der allgemeinen Bevölkerung unzulässigerweise Wohnraum genommen. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 14 A 4304/19)
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31.03.2021
Verbraucherrecht: 8,50 Euro für einen Jahreskontoauszug sind unangemessen
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass ein Geldinstitut keine Gebühr in Höhe von 8,50 Euro dafür erheben darf, dass es einmal jährlich einen Kontoauszug an die Kunden versendet. Die Formulierung in einem Bankformular für einen Kreditvertrag „Kontoauszug: Die Kreditnehmer beantragen widerruflich die jährliche Zusendung eines Kontoauszuges gegen Entgelt (inkl. Porto) von 8,50 Euro pro Jahr“ ist unzulässig. (OLG Stuttgart, 2 U 477/19)
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26.03.2021
Schmerzensgeld: Für zu spät erkannte Krebserkrankung kann auch Witwer entschädigt werden
Erkennt ein Arzt eine Krebserkrankung einer (hier: 70jährigen) Patientin zu spät, so kann er zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt werden. Das kann auch der Witwer der Frau erstreiten, wenn diese nach einem fast 2jährigen Leidensweg und „erlittener Lebensbeeinträchtigung“ stirbt. In dem konkreten Fall sprach das Oberlandesgericht Frankfurt am Main 50.000 Euro dafür zu, dass die Frau zunächst lediglich mit der Diagnose „Hämatom“ (sie war wegen undefinierbarer Schmerzen im geschwollenen Oberschenkel in der Praxis vorstellig geworden) nach Hause geschickt worden ist und einen Monat später per MRT-Untersuchung ein Tumor gefunden wurde. Der Krebs konnte nicht mehr eingedämmt werden. Ein Sachverständiger stellte fest, dass bei einer sofortigen Diagnose einen Monat früher die statistische Prognose der Patientin um 10 bis 20 Prozent besser gewesen wäre. Das Gericht berücksichtigte für die Höhe des Schmerzensgeldes „einerseits den Leidensweg der Patientin bis zu ihrem Tod, aus dem sich insbesondere die Heftigkeit und Dauer ihrer Schmerzen ablesen lasse, und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation, die Rückschlüsse auf die erlittene Lebensbeeinträchtigung zulassen“. (OLG Frankfurt am Main, 8 U 142/18)
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25.03.2021
Modernisierung: Eine Vergrößerung des Badezimmers muss nicht immer geduldet werden
Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass die bloße Vergrößerung eines Bades unter gleichzeitigem Verlust der Abstellkammer keine objektive Gebrauchswerterhöhung darstellt. Der Vermieter darf eine solche Baumaßnahme nicht als „Modernisierung“ durchdrücken. Zwar mag eine Gebrauchswerterhöhung unter Verlust einer Abstellkammer zugunsten eines größeren Bades dann vorliegen, wenn zum Beispiel dafür eine von der Wanne getrennte Dusche oder ein Waschbecken erstmals eingebaut wird. Hier ging es aber nur um die reine Vergrößerung der Grundfläche. Und die stelle keine Verbesserung des Nutzwertes dar – zumal schon „alle Einrichtungen für die Annahme eines modernen Bades vorhanden waren“. (LG Berlin, 63 S 56/15)
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23.03.2021
Hartz IV: Jobcenter dürfen Kontoauszüge sehen und speichern
Grundsätzlich dürfen Jobcenter (europarechtlich abgesichert) Sozialdaten bis zu zehn Jahre lang speichern oder verarbeiten - vorausgesetzt, das ist "für die Erfüllung der Aufgaben des Jobcenters erforderlich". Auch muss der Erhebungszweck gewahrt werden. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Jobcenter sich deswegen Kontoauszüge einer Hartz IV-Empfängerin vorlegen lassen und auch (bis auf wesentliche Daten geschwärzt) speichern dürfe. Das gelte jedenfalls dann, wenn keine anderen, die Frau weniger belastenden Mittel zu Verfügung stehen, um herauszufinden, welche Einnahmen sie tatsächlich hat (was erheblich ist für die Frage, ob Leistungen zustehen und wenn ja, in welcher Höhe.) (BSG, B 14 AS 7/19 R)
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22.03.2021
Unfallversicherung: Auch 17jährige können in der Gruppe wieder «zu Kindern» werden
Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass Jugendliche im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) auch in der Freizeit gesetzlich unfallversichert sein können. Für Minderjährige gelten demnach ähnliche Grundsätze wie in der Schülerunfallversicherung. In dem konkreten Fall ging es um eine 17jährige, die im FSJ an einem Einführungskurs in einer Bildungseinrichtung teilnahm, in dem von 9 Uhr bis 18 Uhr Seminare stattfanden, danach gab es Freizeitangebote durch die Betreuer. Auf dem Weg zu einem solchen blieb die junge Frau mit weiteren Teilnehmerinnen an einer Hüpfburg "hängen", auf der sich die Mädchen dermaßen "hochschaukelten", dass die 17jährige vom Hüpfkissen katapultiert wurde und durch die Landung auf der Umrandung mehrere Wirbelbrüche davontrug. Die Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab - zu Unrecht. Das BSG führte aus, dass die Jugendlichen durch die Umstände der Seminarreise "in die Lage versetzt wurden, sich besonderen Gefahren auszusetzen". Auch die Tatsache, dass sie bereits 17 Jahre alt gewesen sei, stehe einem "wiederauflebenden Spieltrieb" nicht entgegen, zumal sich dieser durch gruppendynamische Prozesse und durch das gegenseitige "Anfeuern" verstärke. Auch Jugendliche würden dann übermütig. (BSG, B 2 U 13/19 R)
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19.03.2021
Autounfall: Fiktiv auf Neuwagenbasis darf nicht ohne Kauf abgerechnet werden
Kommt es knapp einen Monat nach einem Neuwagenkauf zu einem Unfall mit dem Fahrzeug, so kann der geschädigte Autobesitzer nur dann den vollen Kaufpreis von der Versicherung des Unfallverursachers verlangen, wenn er sich auch wieder einen neuen Wagen kauft. Grundsätzlich steht dem Besitzer eines Neuwagens der Kaufpreis dann zu, wenn er noch keine 1.000 Kilometer gefahren und der Schaden erheblich ist (beides war hier der Fall). Denn der Makel eines Unfallwagens kann durch eine Reparatur nicht behoben werden. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis sei nicht möglich und eine andere Vorgehensweise nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsgebot zu vereinbaren. (BGH, VI ZR 271/19
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18.03.2021
Verwaltungsrecht: Wenn eine «Sanktionsmaßnahme» nach hinten losgeht
Lässt der Vermieter einer Ferienwohnung (hier in Berlin) kurzerhand das Schloss der Wohnungstür austauschen, weil die zwei Touristen, die die Wohnung gemietet haben, eine Gebühr für ein verspätetes Einchecken nicht bezahlt haben, so kann das für den Vermieter teuer werden. Stehen die beiden Feriengäste nämlich vor der verschlossenen Tür, und rufen sie die Polizei, weil einer der beiden wegen seiner HIV-Infektion dringend ein Medikament zu sich nehmen muss, das sich (neben anderen persönlichen Gegenständen) unerreichbar in der Wohnung befindet, so muss der Vermieter diesen Polizeieinsatz plus die Kosten für den Schlüsseldienst bezahlen (hier kamen insgesamt mehr als 200 € zusammen.) Die Polizei durfte die Wohnung ohne Einwilligung des Vermieters zur "Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben" betreten. Der Wohnungseigentümer hätte die fehlende Zahlung über den üblichen zivilrechtlichen Weg geltend machen müssen. (VwG Berlin, 1 K 107/19)
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17.03.2021
Mutterschutz: Frisch gebackene Väter haben nicht die Probleme einer Frau
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass ein Tarifvertrag einen Zusatzurlaub nach der Geburt eines Kindes vorsehen darf, der nur den Müttern im Betrieb zusteht. Väter dürfen außen vor bleiben. Allerdings sei Voraussetzung, dass diese freie Zeit den Schutz der körperlichen Verfassung und der besonderen Beziehung der Mutter zu ihrem Kind nach der Entbindung gewährleistet. Gehe es nur um die Eigenschaft als „Elternteil Mutter“, so sei dies dagegen diskriminierend. In dem konkreten Fall ging es um einen Franzosen, der mithilfe der Gewerkschaft gegen einen nationalen Tarifvertrag in Frankreich anging, der Mitarbeiterinnen den gesetzlichen Mutterschutz um einen zusätzlichen Urlaub verlängert. Der frischgebackene Vater stellte auch einen Antrag auf Zusatzurlaub, der abgelehnt wurde, was er für diskriminierend hielt. Der EuGH urteilte, dass die Richter vor Ort prüfen müssen, ob der vorgesehene Urlaub „im Wesentlichen den Schutz der Mutter sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft“ bezwecke. Falls ja, sei der Unterschied gerechtfertigt. (EuGH, C-463/19)
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16.03.2021
Diesel-Skandal: Das Kraftfahrt-Bundesamt musste nicht von Betrug ausgehen
Das Landgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Autokäufer, die "Schummel-Diesel-Fahrzeuge" erworben haben, sich mit Blick auf Schadenersatzleistungen nicht an die Bundesrepublik Deutschland wenden können, sondern an die Hersteller der manipulierten Autos. (Hier ging es um VW und Audi.) Deutschland habe das europäische Recht nicht unzureichend in nationales Recht umgesetzt und auch nicht "qualifiziert" gegen die Kontrollpflichten gegenüber der Autoindustrie verstoßen. Die vom Staat vorgesehenen möglichen Sanktionen gegen die Hersteller im Falle der strittigen Manipulationen seien ausreichend gewesen. So könnten die Typzulassung zurückgenommen, Ordnungsgelder verhängt und schließlich der Verkauf von Autos mit manipulierter Software auch als Betrug strafrechtlich verfolgt werden. Auch sei es nicht "verwerflich", dass das Kraftfahrt-Bundesamt den Herstellerangaben zu den Laufstandsmessungen vertraut habe. Von einem derartigen Betrug hätten die Beamten nicht ausgehen müssen. (LG Frankfurt am Main, 2-04 O 425/19 u. a.)
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15.03.2021
Schulrecht: Mysteriöse Behauptungen befreien nicht vom Unterricht
Gibt die Mutter eines schulpflichtigen Mädchens an, dass der Bruder ihrer Tochter "ein erhöhtes Risiko hat, an Covid-19 zu erkranken" beziehungsweise, dass sie fürchte, bei ihrem Sohn würde eine Infektion einen schweren Verlauf nehmen, so kann das nicht mit "nicht nachvollziehbar begründeten Unterlagen" bewiesen werden. Das Ziel, damit eine Befreiung vom Präsenzunterricht für die Tochter zu erhalten, kann die Frau nicht erreichen. Das gelte zumal dann, wenn eine fundierte Stellungnahme eines Amtsarztes vorliegt, der zu entnehmen ist, dass für den Jungen "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kein erhöhtes Infektionsrisiko" bestehe. Die Tochter habe einen Bildungsanspruch, dem "am besten im Wege des Präsenzunterrichts Rechnung getragen werden kann". (VwG Aachen, 9 L 855/20)
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12.03.2021
Pflegeversicherung: Den Entlastungsbetrag gibt es nur für «Profis»
Ein Pflegebedürftiger hat keinen Anspruch auf eine „Haushalts-Corona-Hilfe“, wenn die haushaltsnahen Dienstleistungen (wie Einkaufen, Putzen, Botengänge), für die ihm der Pflegeentlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich bis zum Ausbruch der Pandemie aus der Pflegekasse gezahlt worden ist, von da an von Privatpersonen erledigt werden. Den Entlastungsbetrag kann es nur geben, wenn anerkannte Dienstleister (hier war das zuvor eine Sozialstation) die Arbeiten verrichten. Die geltend gemachten haushaltsnahen Dienstleistungen seien nicht erstattungsfähig, weil die Einzelpersonen nicht anerkannt werden. Das entspricht den gesetzlichen Regelungen, die den Zweck haben, die gewünschten infrastrukturfördernden Effekte zu erzielen. Auch war hier nicht zu erkennen, warum die Hilfeleistung nicht weiterhin durch die zuvor eingeschaltete Sozialstation habe erbracht werden können. (LSG Baden-Württemberg, L 4 P 3250/20 ER-B)
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11.03.2021
Nachbarrecht: Wein trinken und Wasser predigen geht nicht
Ein Grundstückseigentümer kann sich auch dann nicht gegen eine Baugenehmigung wehren, die einem Nachbarn von der Baubehörde ausgestellt wurde, wenn in den Plänen geltende Abstandsflächen nicht eingehalten wurden, er selbst aber bereits im selben Umfang Abstände nicht eingehalten hat. Es entspricht dem allgemeinen Rechtsverständnis, dass jemand sich nicht gegen Beeinträchtigungen zur Wehr setzen könne, die er zuvor selbst ähnlich verursacht hat. Erst aus der Störung des nachbarlichen Gleichgewichts und nicht schon aus der Abweichung von öffentlich-rechtlichen Normen ergebe sich der Abwehranspruch des Nachbarn. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 7 A 1510/18)
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10.03.2021
Reiserecht: Soll einem Butler «alles» gesagt werden, so gilt das auch für Beschwerden
Wird eine Urlauberin von Ungeziefer im Hotelbett gebissen, was Juckreiz und Schmerzen nach sich zieht (hier zählte sie nach einer Nacht 300 Bisse), so kann sie den Reisepreis nachträglich mindern. Das Oberlandesgericht Celle sprach der Frau 50 Prozent für die ersten Tage zu - und für spätere Tage nochmal 80 Prozent vom Tagesreisepreis. In dem konkreten Fall ging es um einen Urlaub auf Kuba, für den die Frau und ihr Mann für 14 Tage rund 5.500 Euro bezahlt hatte - inklusive eines „persönlichen Butlers“. Den hatte das Paar über die Bettwanzen informiert, was dem Reiseveranstalter nicht für eine ordnungsgemäße Mängelanzeige ausreichte. Das Gericht sah das aber anders und sprach eine Minderung des Reisepreises zu. Allerdings gestaffelt - und nicht die von der Frau geforderten 100 Prozent. (OLG Celle, 11 U 20/20)
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10.03.2021
Schwerbehinderung: Reisebedingte Mehrkosten können nicht aus dem Schmerzensgeld bezahlt werden
Ist ein Kind aufgrund einer fehlerhaften Geburt schwer behindert und entstehen dadurch für eine Urlaubsreise Mehrkosten, so muss dafür der Krankenhausbetreiber aufkommen, der per Vergleich zur Übernahme von Pflege- und Betreuungskosten verpflichtet ist. In dem konkreten Fall hieß es in dem Vergleich, dass die „Übernahme von Pflege- und Betreuungskosten gewährleistet wird, soweit sie medizinisch notwendig sind. Die schwer behindert (inzwischen 26 Jahre alt) reiste mit drei Betreuungspersonen (ihren Eltern und einer weiteren Person) für eine Woche in eine für die Bedürfnisse schwerbehinderter Menschen spezialisiertes Hotel auf Gran Canaria. Drei Betreuungspersonen waren erforderlich, da sie eine Rundumbetreuung benötigt. Die dadurch entstandenen Mehrkosten verlangte sie vom Krankenhausbetreiber ersetzt. Der weigerte sich mit der Begründung, dass die Urlaubsreise „medizinisch nicht notwendig“ gewesen sei und außerdem solche Mehrkosten durch das seinerzeit gezahlte Schmerzensgeld (rund 275.000 €) abgegolten seien. Das sah der Bundesgerichtshof anders und bestätigte, dass es „nicht zu beanstanden ist“, die Mehrkosten für die Urlaubsreise als zu erstattende Pflege- und Betreuungskosten anzusehen. Es sei nicht erforderlich, dass die Urlaubsreise selbst medizinisch notwendig ist. Das Schmerzensgeld sei nicht dafür einzusetzen. Denn der Ersatz der Mehrkosten bewirke keinen Ausgleich dafür, dass die Schwerbehindert ihre Urlaubsreise aufgrund nicht so genießen und erleben kann wie ein gesunder Mensch. (BGH, VI ZR 316/19)
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08.03.2021
Kündigung: «Kleinere» Vergehen können einem «Unkündbaren» nichts anhaben
Ist ein Energieanlagenelektroniker seit 35 Jahren bei einem Netzbetreiber beschäftigt und besteht seine Hauptaufgabe darin, im Außendienst Stromzähler zu montieren, so darf ihm auch dann nicht fristlos gekündigt werden (der Mann war tariflich ordentlich unkündbar), wenn ihm vorgeworfen wird, den Dienstwagen unerlaubt privat genutzt und Arbeitszeitbetrug begangen zu haben. Das gelte jedenfalls, wenn er längere Standzeiten sowie Umwege nach Hause "erklären" kann. Die längeren Standzeiten erklärte er damit, jeweils vorbereitend Schrauben der Zählerplatten für die Montage festgezogen zu haben. Dass das eigentlich vor Ort bei den Kunden durchgeführt werden sollte, rechtfertige keine Entlassung. Die Umwege nach Hause seien von einem Vorgesetzen genehmigt worden, weil der Außendienstler krankheitsbedingt häufig die Toilette aufsuchen muss. Ob die Behauptung stimmte, konnte offenbleiben, weil die Umwege nur sehr kurz waren. (LAG Düsseldorf, 6 Sa 522/20)
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05.03.2021
Mietrecht: Gesteht der Mieter seine Schuld ein, kann er später nicht mit «Formalien» punkten
Erkennt ein Mieter eine zu zahlende Summe aus einer Nebenkostenabrechnung an, dann ist die Abrechnung gültig. Das gelte unabhängig davon, ob die Abrechnung die formellen Anforderungen erfüllt. Bleiben die Zahlungen aus, so kann sich der Vermieter an der Kaution bedienen. In dem konkreten Fall ging es um einen Studenten, der bei den Nebenkosten für Strom- und Wasser fast 1.600 Euro Schulden beim Vermieter hatte. Die beiden Parteien einigten sich darauf, dass der Student länger in der Wohnung bleiben durfte, als es per Räumung durchzusetzen gewesen wäre - vorausgesetzt, er begleicht die Rückstände. Die neu eingeräumte Frist nutzte der Mieter aus, die Nebenkosten beglich er aber nicht. Daraufhin verrechnete der Vermieter die Kaution, wogegen der Student klagte - vergeblich. Zwar sind Mieter bei der Betriebskostenabrechnung grundsätzlich vor abweichenden Vereinbarungen zu ihrem Nachteil geschützt. Hier konnte sich der Mieter aber nicht darauf berufen, weil es um eine Abrechnung für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum ging und er seine Schuld anerkannt hatte. (BGH, VIII ZR 230/19)
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04.03.2021
Familienrecht: Stinkefinger-Zeigen ist eine Kontaktaufnahme
Hat ein Vater ein Kontaktverbot zu seinem Sohn und zum neuen Lebensgefährten seiner Ex, so kann gegen ihn ein Ordnungsgeld (hier in Höhe von 100 €) verhängt werden, wenn er dem neuen Mann bei einer zufälligen Begegnung den Stinkefinger zeigt. (Hier war auch das Kind zugegen.) Zahlt der Mann das Ordnungsgeld nicht, so kann er zwei Tage Ordnungshaft aufgebrummt bekommen. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken entschied, dass das Zeigen des Stinkefingers „einen Verstoß gegen das Kontaktaufnahmeverbot“ darstellt. Dies gelte auch dann, wenn die Begegnung zufällig war. (Pfälzisches OLG Zweibrücken, 6 WF 44/19)
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03.03.2021
Mieterhöhung: Eine Zahlung «unter Vorbehalt» ist keine konkludente Zustimmung
Auch wenn ein Mieter über einen längeren Zeitraum die Miete bezahlt, die sein Vermieter nach einer Mieterhöhung verlangt, so bedeutet das nicht automatisch, dass er die Erhöhung anerkannt hat. Das gelte jedenfalls dann, wenn er die höhere Miete ausdrücklich "unter Vorbehalt" überweist. Der Mieter hat weder "ausdrücklich" noch "konkludent" seine Zustimmung zur höheren Miete gegeben. (LG Berlin, 64 S 95/20)
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02.03.2021
Arbeitsrecht: Der Arbeitgeber darf eine Maske verlangen
Auch wenn ein Arbeitnehmer (hier ging es um einen Verwaltungsmitarbeiter in einem Rathaus) ärztliche Atteste vorlegt, die ihn - allerdings ohne Angabe von Gründen - sowohl von der (vom Arbeitgeber angeordneten) Maskenpflicht befreit als auch davon, ein Gesichtsvisier zu tragen, so kann er sein Vorhaben dennoch nicht umsetzen. Das Arbeitsgericht Siegburg erkannte die Atteste nicht an, weil sie keine konkreten oder nachvollziehbaren Gründe enthielten, warum eine Maske nicht getragen werden könne. Schließlich wolle der Beschäftigte einen rechtlichen Vorteil erwirken (nämlich das Betreten des Rathauses ohne Mundschutz). Und den müsse er dann detailliert begründen können. (ArG Siegburg, 4 Ga 18/20)
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26.02.2021
Beamtenrecht: Urlaub kann in langer Dienstunfähigkeit untergehen
Erleidet ein Beamter einen Dienstunfall und wird er - nach knapp zweieinhalbjähriger Dienstunfähigkeit - vorzeitig in den Ruhestand versetzt, so kann er für den "nicht genommenen" Urlaubsanspruch aus dieser Zeit keine finanzielle Abgeltung gegen den Dienstherrn durchsetzen. Er kann nicht argumentieren, nach Europarecht stünde ihm eine solche Zahlung zu, wenn der Dienstherr (Arbeitgeber) nicht über die Verfallsfrist (hier war das der 31.03. des übernächsten Jahres) für den Jahresurlaub aufklärt. Das Verwaltungsgericht Trier hat deutlich gemacht, dass in einem solchen Fall nicht die fehlende Aufklärung seitens des Dienstherrn dafür verantwortlich war, dass der Beamte den Jahresurlaub nicht nehmen konnte, sondern allein die Krankheitsgründe. (VwG Trier, 7 K 2761/20)
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25.02.2021
Maskenpflicht: Für eine Befreiung muss das Attest «detailliert» sein
Eine Auszubildende, die auf einen medizinischen Beruf vorbereitet wird, kann sich nicht dagegen wehren, dass sie an der Berufsschule mit Blick auf die geltenden Corona-Schutzverordnungen dazu verpflichtet ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Ihr kann die Teilnahme am Präsenzunterricht untersagt werden, wenn sie zwar ein Attest vorlegt, wonach sie von der Pflicht zum Tragen der Maske befreit sei, in diesem Attest jedoch weder die konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigung aufgeführt sind, die ihr das Tragen der Maske unmöglich machten, noch die relevanten Vorerkrankungen, an denen sie leide. Es müsse erkennbar sein, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist. (OLG Dresden, 6 W 939/20)
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25.02.2021
Reiserecht/Schadenersatz: «Sowieso-Kosten» können nicht erstattet werden
Wird eine Frau auf einer von einem Reiseveranstalter organisierten und von einem Bergführer angeführten (auf 6 Tage angesetzten) Bergtour nach zwei Tagen krank und steigt sie aus, so kann sie vom Veranstalter weder die Kosten für die "nicht mehr in Anspruch genommenen Leistungen" noch die Aufwendungen für die selbst organisierte Rückreise erstattet verlangen. In einem Fall vor dem Amtsgericht München verlangte die Frau knapp 1.000 Euro erstattet. Sie warf dem Veranstalter vor, dass der sie - wegen ihres offensichtlich schlechten Gesundheitszustandes - nicht hätte allein den Abstieg absolvieren lassen dürfen. Der Veranstalter hielt dem unter anderem entgegen, dass sogar der Ehemann der Frau mit den Bergführern weitergezogen sei, weil auch er der Meinung gewesen ist, dass sie das habe allein bewältigen können. Unter dem Strich standen sich zwei Sichtweisen gegenüber. Das Gericht konnte keinen Schadenersatzanspruch feststellen. Auch wenn unterstellt würde, dass es sinnvoll gewesen wäre, dass ein Bergführer die kranke Frau begleitet hätte, so wären Kosten "sowieso" angefallen. Der Abbruch der Tour fiel in die "eigene Verantwortung" der Frau, die ihr keine Kosten ersparen könne. (AmG München, 123 C 5705/20)
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23.02.2021
Arbeitsrecht: Grundsätzlich sind «Geliehene» dem Stammpersonal gleichzusetzen, aber ...
Grundsätzlich gilt, dass Leiharbeitnehmer und Stammpersonal gleichgestellt werden müssen. Doch EU-Recht macht es möglich, dass - „unter Achtung des Gesamtschutzes“ - von diesem Grundsatz abgewichen werden kann. Das war auch bei einer Leiharbeitnehmerin so, die sich gegen die ungleiche Bezahlung im Einzelhandel wehrte. Das Bundesarbeitsgericht hat den Europäischen Gerichtshof angerufen. In dem konkreten Fall erhielt die Leiharbeitnehmerin 9,23 Euro pro Stunde, was knapp ein Drittel weniger Verdienst im Vergleich zum Stammpersonal bedeutete. Mit Hilfe ihrer Gewerkschaft klagte die Frau auf „Equal Pay“. Der Arbeitgeber war der Meinung, Unionsrecht werde nicht verletzt, weil er „aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung“ schulde und den Sozialpartnern auch EU-rechtlich eingeräumt werde, „Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern (...) vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen". Der EuGH wird entscheiden. (BAG, 5 AZR 143/19)
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22.02.2021
Hartz IV: Teilzeit-Student mit Behinderung kann kein BAföG erhalten - aber AlG II
Studiert ein an Epilepsie erkrankter Mann in Teilzeit, und ist ihm der Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) - zurecht - gestrichen worden, nachdem er das Studienfach gewechselt hat (hier von Theologie auf Geschichts- und Kulturwissenschaften), obwohl die zulässige Anzahl der Semester im ersten Fach für einen "schadlosen" Wechsel bereits überschritten war, so kann er Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) haben. In einer solchen Konstellation gilt - entgegen der Vorschrift aus dem Sozialgesetzbuch -, dass Auszubildende mit "prinzipiellen Anspruch" auf BAföG auch Arbeitslosengeld II erhalten können. (Hessisches LSG, L 9 AS 535/20 B ER)
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19.02.2021
Reiserecht: Es war klar, dass die Corona-Pandemie Reisen «beeinträchtigen» wird
Eine Reederei hatte das Recht, eine Kreuzfahrt acht Tage vor Beginn abzusagen, wenn sie als Grund angegeben hat, dass sich die Corona-Pandemie ausbreiten wird. (Hier hatte ein Veranstalter eine im Februar 2020 anstehende Kreuzfahrt abgesagt, die im südasiatischen Raum und Australien stattfinden sollte.). Zu dem Zeitpunkt war bereits ein Kreuzer mit 3.000 Passagieren in Quarantäne - und einem anderen wurde das Einlaufen in mehreren asiatischen Häfen untersagt. Auch wenn für die Reiseziele der Kreuzfahrt keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorlag, durfte die Reise abgesagt werden. Davon Betroffene können auch dann keinen Schadenersatz „wegen entgangener Urlaubsfreude“ verlangen, wenn sie die Absage für nicht rechtens halten, da im Zielgebiet der geplanten Kreuzfahrt das Corona-Virus zum Zeitpunkt der Absage nicht erheblich aus-gebreitet war. Die Reederei war berechtigt, vom Reisevertrag zurückzutreten. Es habe trotz der - zu dem Zeitpunkt insgesamt herrschenden - Unsicherheit keine Zweifel daran gegeben, dass es sich bei der Corona-Pandemie um einen „unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstand“ handelte. Der Veranstalter habe mit einer „ernsthaften Gefährdung“ rechnen müssen, die „die ordnungsgemäße Durchführung der Kreuzfahrt habe beeinträchtigen oder vereiteln können“. (AmG Rostock, 47 C 59/20)
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18.02.2021
Unfallversicherung: Vom Homeoffice zur Kita ist kein «Arbeitsweg»
Grundsätzlich sind Eltern, die ihr Kind auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten bringen, auf diesen Wegen gesetzlich unfallversichert. Das gilt allerdings nicht für eine Mutter, die ihren Sprössling im Kindergarten abgesetzt hat und zurück zu ihrem Arbeitsplatz daheim ins Homeoffice fährt. Stürzt sie auf Glatteis mit dem Fahrrad und bricht sie sich kompliziert den Ellenbogen, so kann ihre Krankenkasse sich nicht (erfolgreich) an die Berufsgenossenschaft wenden, um die Behandlungskosten (hier ging es um knapp 19.000 €) erstattet zu bekommen. Denn der Weg zwischen Kindergarten und Wohnung sei rein privat, so das Bundessozialgericht. Liegen Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude, so sei begrifflich ein Wegeunfall ausgeschlossen. (BSG, B 2 U 19/18 R)
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17.02.2021
Auszubildendenrecht: Teilzeit wird auch nur teilbezahlt
Absolviert eine Auszubildende bei einer Stadt eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten, und ist ihre wöchentliche Ausbildungszeit verkürzt (von 39 auf 30 Stunden), so kann sie nicht die Höhe der Ausbildungsvergütung ausgezahlt verlangen, die "Vollzeit-Azubis" erhalten. Sie kann nicht argumentieren, sie werde gegenüber Vollzeitauszubildenden benachteiligt, die während des Blockunterrichts in der Berufsschule bei gleicher Unterrichtszeit die volle Ausbildungsvergütung erhielten. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass bei der Ermittlung der Höhe der Ausbildungsvergütung Zeiten des Berufsschulunterrichts außer Betracht bleiben. Für die Berufsschule freigestellte Auszubildende besteht lediglich ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung. (BAG, 9 AZR 104/20)
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16.02.2021
Arbeitsrecht: Auch «Crowdworker» können echte Arbeitnehmer werden
Ist ein Mann als „Crowdworker“ unterwegs, indem er für einen online-Auftraggeber die Präsentationen von Markenprodukten im Einzelhandel und in Tankstellen fotografiert, dokumentiert und die Ergebnisse übermittelt, so kann diese Tätigkeit zu einem Arbeitsverhältnis werden. In dem konkreten Fall arbeitete der Mann durchschnittlich 20 Stunden in der Woche und erzielte einen monatlichen Durchschnittsverdienst von rund 1.800 Euro, der auf einem virtuellen Konto gutgeschrieben und über PayPal ausgezahlt werden konnte. Nachdem er in 11 Monaten fast 3.000 Aufträge ausgeführt hatte, teilte ihm der Auftraggeber „zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten“ mit, dass er keine weiteren Aufträge erhalten wird. Daraufhin klagte er den Arbeitnehmerstatus ein - mit Erfolg. Der Crowdworker leistete nämlich arbeitnehmertypisch weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar sei er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten verpflichtet gewesen. Die Organisationsstruktur des Portals sei aber darauf ausgerichtet gewesen, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um sie zu erledigen. (BAG, 9 AZR 102/20)
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15.02.2021
Mietrecht: Kommen Datenträger und Ordner weg, kann das ins Geld gehen
Nimmt ein Vermieter eine Wohnung „in Besitz“, weil der Mieter keine Miete mehr zahlt, so darf er das nicht ohne einen gerichtlichen Beschluss. Das gelte insbesondere dann, wenn der Mieter „seinen Besitz an der Wohnung nicht erkennbar aufgegeben hat“. Der Vermieter handelt dann in „verbotener Eigenmacht“ und greift zugleich zur „unerlaubten Selbsthilfe“. Für Folgen muss der Vermieter „verschuldensunabhängig“ haften. In einem Fall vor dem Oberlandesgericht Köln kam ein Vermieter nicht mit dem Argument durch, er hätte sich „über die Voraussetzungen und den Umfang seines Selbsthilferechts geirrt“. Er hat die Dinge, die er vom Mieter in Besitz genommen hatte, nicht „aussagekräftig“ in einem Verzeichnis protokoliert. Auch hätte er deren Wert schätzen lassen müssen, um dem Mieter eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. (Hier musste der Vermieter 2.000 € für den Verlust von Datenträgern und Vertragsordnern zahlen.) (OLG Köln, 21 U 53/19)
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12.02.2021
Mietrecht: Der Vermieter muss beweisen, ob der Mieter etwa eingebaut hat oder nicht
Zieht ein Mieter (hier nach mehr als 55 Jahren) aus einer Mietwohnung aus, so kann der Vermieter in Grundsatz verlangen, dass der Mieter von ihm vorgenommene Einbauten wieder entfernt. Kann der Vermieter aber nicht beweisen, dass der Mieter tatsächlich für die Einbauten verantwortlich ist, so kann er keinen Schadenersatz (hier forderte er 1.500 €) vom ausgezogenen Mieter verlangen, wenn er selbst tätig wird. In dem konkreten Fall vor dem Amtsgericht Herne hatte der Mieter behauptet, die vergilbte Styropor-Verkleidung an der Decke hätte einer der vorherigen Eigentümer angebracht (die Wohnung wechselte in 5 Jahrzenten mehrfach den Eigentümer). Das Gericht glaubte dem Mieter, dass er die Verkleidungen nicht angebracht habe. Im Zweifel müsse der Vermieter beweisen, dass die Styroportafeln vom Mieter angebracht wurden. Das konnte er nicht. (AmG Herne, 5 C 145/19)
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10.02.2021
Körperverletzung: Mit Kartoffeln werfen ist nicht so schlimm
Spielt ein achtjähriges Kind mit anderen Kindern in einem Hof eines Wohnhauses, und fühlt sich eine Bewohnerin dadurch gestört, so begeht sie keine vorsätzliche Körperverletzung, wenn sie aus dem Fenster heraus mit Kartoffeln wirft - und das achtjährige Kind am Rücken trifft. Die Eltern des getroffenen Kids können gegen die Frau deswegen kein Annäherungs- und Kontaktverbot beim Familiengericht festsetzen lassen. Das gelte auch dann, wenn das Kind behauptet, seit dem Vorfall nicht mehr schlafen zu können. Durch das Treffen mit der geworfenen Kartoffel sei die Schwelle der Körperverletzung nicht erreicht. (AmG Frankfurt am Main, 456 F 5230/20)
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10.02.2021
Verwaltungsrecht: Auch eine gut therapierte psychische Störung ist anzuerkennen
Hat ein Beamter durch einen Dienstunfall (hier wurde er bei der Absicherung einer Unfallstelle selbst von einem Pkw erfasst) neben den körperlichen Verletzungen auch eine "posttraumatische Belastungsstörung" davongetragen, so muss der Dienstherr diese auch dann als Dienstunfallfolge anerkennen, wenn sie aufgrund fachärztlicher Behandlung abgeklungen und der Polizist wieder normal im Dienst ist. Denn auch nach der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit kann die Anerkennung der psychischen Folgen als Dienstunfall für etwaige spätere Verfahren von Bedeutung sein, die die Unfallfürsorge des Dienstherrn betreffen. (VwG Neustadt an der Weinstraße, 1 K 1196/19)
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06.02.2021
Erbrecht: Ein Notizzettel ohne Datum ist kein Testament
Ein unterschriebener Notizzettel, auf dem eine Erblasserin notiert "Wenn sich für mich (…) einer findet, der für mich aufpasst und nicht ins Heim steckt, der bekommt mein Haus und alles was ich habe", ist keine wirksame letztwillige Verfügung. Deswegen kann eine Bekannte der Verstorbenen, die sich aufgrund des Zettels als Erbin sieht, nicht durchsetzen, einen Erbschein ausgestellt zu bekommen. In dem konkreten Fall ging es um Vermögen in Höhe von 450.000 Euro, um das auch zwei Kinder eines ebenfalls bereits verstorbenen Cousins der Erblasserin buhlten - mit Erfolg. Der nicht datierte handschriftlich beschriebene Zettel ist kein gültiges Testament. Insbesondere ist die Erbeinsetzung zu unbestimmt, womit der Zettel als letztwillige Verfügung nichtig ist. Zwar müsse die oder der Bedachte nicht unbedingt namentlich genannt werden. Jedoch muss die Person zumindest zuverlässig festgestellt werden können. Auch das war hier nicht der Fall. Es müsse die gesetzliche Erbfolge gelten. (OLG Braunschweig, 1 W 42/17)
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04.02.2021
Mietrecht: Ist die Katze erlaubt, darf das Netz nicht verboten werden
Das Amtsgericht Berlin-Tempelhof hat entschieden, dass Mieter Katzennetze an Balkonen anbringen dürfen, um ihre Katzen vor Sprüngen oder Stürzen auf die Straße zu schützen. Das gelte zumindest dann, wenn das Halten von Katzen laut Mietvertrag erlaubt ist. In dem konkreten Fall ging es um eine Mieterin, die ein solches Netz an ihrem Balkon angebracht hatte, ohne das Einverständnis des Vermieters eingeholt zu haben. Der verlangte, dass der Schutz wieder abmontiert wird - jedoch vergeblich. Zur erlaubten Katzenhaltung gehöre auch ein Katzennetz, dass es dem Tier ermögliche, an die frische Luft zu gelangen, ohne Nachbarn zu stören oder Singvögel zu jagen. Wird das Netz ohne „Eingriff in die Bausubstanz angebracht“, so muss es nicht wieder abmontiert werden - zumal der Vermieter hier das Netz bereits über einen längeren Zeitraum geduldet hatte. (AmG Berlin-Tempelhof, 18 C 336/19)
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04.02.2021
Mietminderung: Undichte Duschkabine bringt zehn Prozent
Ist eine Duschkabine in einer Mietwohnung undicht, und treten deshalb bei jedem Duschvorgang erhebliche Mengen Wasser aus, die große Teile des Badbodens mit Wasserlachen bedecken, so kann wegen dieses Mietmangels die Miete gemindert werden. Das Amtsgericht Stuttgart sprach hier den Mietern zehn Prozent zu, weil das Bad wegen der Rutschgefahr nur eingeschränkt genutzt werden konnte. Außerdem kam es zu Fäulnis an Badmöbeln, weil der Vermieter 14 Monate benötigte, um die Dusche zu reparieren. Insgesamt konnte für die Zeit ein Betrag in Höhe von rund 1.300 Euro einbehalten werden. (AmG Stuttgart, 32 C 1462/19)
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02.02.2021
Fahreignung: Auch nach der Probezeit muss ein Aufbauseminar besucht werden
Überschreitet eine Fahranfängerin in der Probezeit mit ihrem Auto zweimal die zulässige Höchstgeschwindigkeit, was jeweils einen Punkt im Fahreignungsregister zur Folge hatte, so muss sie auch dann an einem Aufbauseminar teilnehmen, wenn ein solches erst 15 Monate nach der letzten Geschwindigkeitsüberschreitung behördlich angesetzt wird. Die junge Autofahrerin kann nicht argumentieren, der Zweck eines solchen Seminars greife nur, wenn es "zeitnah" durchgeführt werde. Das Verwaltungsgericht Koblenz führte aus, dass durch das Seminar Fahranfänger grundsätzlich dazu angehalten werden sollen, ein verkehrsordnungsgemäßes Verhalten an den Tag zu legen. Das könne auch noch nach einem etwas längeren Zeitraum erreicht werden. (VwG Koblenz, 4 K 612/20)
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01.02.2021
Gewichtsverlust: In Ausnahmen muss die Kasse helfen, Entstellungen zu korrigieren
Grundsätzlich sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet, die Kosten für einen operativen Eingriff zu übernehmen, der dazu dient, eine "körperliche Normenabweichungen" zu korrigieren. Ausnahmsweise kann das aber der Fall sein. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat eine Kasse verpflichtet, die Kosten für eine beidseitige Oberarmstraffung zu übernehmen, die eine ehemals stark übergewichtige Frau nach einem Gewichtsverlust von rund 50 Kilogramm durchführen lassen wollte. Das Gericht stellte einen "massiven Hautüberschuss" im Bereich der Oberarme sowie eine heftige "Asymmetrie des Erscheinungsbildes von Ober- und Unterarm" fest, die nicht mehr durch Kleidung kaschiert werden konnten. Es handele sich um eine echte Entstellung (die sehr selten von Gerichten festgestellt wird.). Von einer "kosmetischen Operation" könne dann keine Rede mehr sein. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 143/18)
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29.01.2021
Krankenversicherung: Unverschuldete Terminverlegung badet nicht der Patient aus
Ist eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank und im Bezug von Krankengeld aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung, so darf die Krankenkasse die Zahlung nicht einstellen, wenn die/der Versicherte nach Ablauf eines "Krankenscheins" sich deswegen nicht lückenlos weiter "krankmelden" kann, weil der Arzt im Urlaub ist oder den Termin verschieben muss. Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgereicht und hat die/der Versicherte "alles in ihrer/seiner Macht Stehende und ihr/ihm Zumutbare getan", eine ärztliche Bescheinigung zu erhalten, dann ist die Bescheinigungslücke ausnahmsweise unschädlich. Ein "Arzt-Hopping" sei vom Gesetzgeber nicht erwünscht. Und auch könne von den Versicherten nicht verlangt werden, dass sie sich bereits Tage vorher "auf Vorrat" einen Arzttermin beschaffen. (Hessisches LSG, L 1 KR 125/20 u. a.)
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28.01.2021
Verwaltungsrecht: Sägemehl gehört nicht in Plätzchen
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat entschieden, dass es einem Versandhändler untersagt werden darf, „Sägemehlkekse“ zu vertreiben. Ergibt eine Untersuchung der Kekse, dass in dem Produkt Sägemehl als Füll- und Trägerstoff enthalten ist, so darf es als „objektiv ungeeignetes Lebensmittel“ deklariert und verboten werden. Der Hersteller und Naturwarenhändler kann nicht argumentieren, es handele sich um ein pflanzliches Produkt und er verwende nur „mikrobiologisch einwandfreies Holzmehl“, die den Darm stärkten und alte Kotreste lösten. Denn Sägemehl wird nicht einmal als Futtermittel eingesetzt. (VwG Karlsruhe, 3 K 2148/19)
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26.01.2021
Tierhalterhaftpflicht: Eine "Reitbeteiligung" entlastet den Halter nicht per se
Haben zwei Frauen eine so genannte Reitbeteiligungsvereinbarung getroffen (hier ging es um die Halterin einer Stute, die mit einer anderen Dame vereinbart hatte, dass auch diese das Pferd pflegen und reiten dürfe und dass sie mit in die Tierhalterhaftpflichtversicherung aufgenommen werden sollte), so kann sich die Halterin nicht aus Haftung stehlen, wenn ihr Pferd die "Mitbenutzern" beim Striegeln tritt und am Knie verletzt. Das Landgericht München I sah in der "Reitbeteiligungsvereinbarung" keinen Haftungsausschluss. Stellt sich außerdem - gutachterlich bestätigt - heraus, dass der Frau, die das Pferd striegelte, dabei kein Fehler unterlaufen ist (die Haltern hatte behauptet, der Tritt des Pferdes müsse durch Fehlverhalten ihrer Reitpartnerin provoziert worden sein), so kann auch daraus keine Mithaftung der Partnerin geschlussfolgert werden. (Über die Höhe des zu zahlenden Schadenersatzes und Schmerzensgeldes ist einem separaten Verfahren zu entscheiden.) (LG München I, 20 O 2974/19)
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25.01.2021
Verwaltungsrecht: Ist der Schuppen noch zu retten, muss er nicht abgerissen werden
Stellt eine Bauaufsichtsbehörde dem Eigentümer eines Schuppens eine "sofort vollziehbare" Abbruchverfügung aus, so kann sich der Eigentümer dagegen wehren wenn eine Instandsetzung des Gebäudes "nicht ausgeschlossen" ist. In dem konkreten Fall vor dem Verwaltungsgericht Koblenz hatte die Behörde den sofortigen Abriss gefordert, weil "durch die in den Wintermonaten zu erwartenden Sturmereignisse" der Einsturz des Gebäudes drohte. Stellt das Gericht jedoch fest, dass die Abbruchverfügung in erster Linie "der Erhaltung des Orts- und Landschaftsbildes" diente, ohne dass eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte bestanden, so dürfe der Abriss nicht erzwungen werden. (VwG Koblenz, 4 L 1084/20)
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22.01.2021
Schlüsseldienst: Wer in seiner Wohnung ist, hat keine Zwangslage
Kommt ein Mann an einem Sonntag gegen 22.00 Uhr nicht mehr aus seiner Mietwohnung heraus, weil das Schloss defekt ist, und ruft er einen Schlüsseldienst, so kann er sich nicht auf Wucher berufen, wenn ein Mitarbeiter des Notdienstes gegen Mitternacht eintrifft, dem Eingesperrten vor Öffnung der Tür ein Formular durch den Briefschlitz steckt, auf dem jeweils „netto“ ein „fallspezifischer Einsatzwert“ (189 €), An- und Abfahrt-Pauschalen (jeweils 20 €) und ein Sonntags-/Feiertagszuschlag (189 €) eingetragen waren - und das der Kunde unterschreibt. Das gelte auch dann, wenn der Mitarbeiter angekündigt hatte, ohne Unterschrift „die Tür nicht zu öffnen“. Wird dann auch direkt das defekte Türschloss ausgetauscht (dafür berechnete er 169 € für das Schloss sowie für "Mehrarbeitszeit" 139 €), so muss der Kunde die Rechnung zahlen (insgesamt rund 860 €). Er kann nicht argumentieren, der Vertrag sei wegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung unwirksam und sittenwidrig. Eine Zwangslage habe nicht vorgelegen und es war dem Mieter zumutbar, den Schüsseldienst weiterzuschicken. Denn er habe sich in der Wohnung befunden und "Kontakt zur Außenwelt" gehabt. (Knapp 200 € bekam der Mieter wenigstens von seinem Vermieter erstattet.) (AmG München, 171 C 7243/19)
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21.01.2021
Verbraucherrecht: Vergibt der Makler selbst Sterne, so muss er sie erklären
Bei TarifVergleichen im Internet muss klar sein, was Sterne-Bewertungen bedeuten und wie sie zustandekommen. Das Landgericht Leipzig hatte über einen online-Tarifcheck zu befinden, der von einem Versicherungsmakler betrieben wird. Auf der Webseite bot er einen Vergleich von Haftpflichtversicherungen an, wobei in der Ergebnisliste die Tarife mit Sternen bewertet wurden: von „sehr schlecht“ (1 Stern) bis „sehr gut“ (5 Sterne). Weil diese Sterne aber nicht wie üblich von Nutzern vergeben worden waren, sondern von dem Makler selbst (auch für von ihm vermittelte Versicherungen), untersagte das Gericht diese Art der Bewertung. Der Makler müsse darauf hinweisen, dass er die Sterne selbst vergibt und die Kriterien für seine Urteile nennen. (LG Leipzig, 5 O 1789/19)
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20.01.2021
Mietrecht: Ein «geduldeter» Hund, der nicht stört, ist kein Kündigungsgrund
Auch wenn ein Mieter nur dann einen Hund in der Wohnung halten darf, wenn der Vermieter dem zustimmt, muss der Mieter eine Kündigung des Mietvertrages nicht akzeptieren, wenn der Mieter ohne Genehmigung einen Dalmatiner hält, dies jedoch über einen längeren Zeitraum vom Vermieter geduldet worden war. Denn der Mieter hätte „Anspruch“ auf das „Ja“ des Vermieters gehabt, so das Landgericht Leipzig. Es war zu keinerlei Störungen durch den Hund gekommen - und die Wohnungsgröße (hier: 53 qm) sprach auch nicht gegen eine Hundehaltung. Und selbst das Angebot des Mieters, Hunde Dritter entgeltlich auszuführen oder zu betreuen, dürfe nicht zur Kündigung führen. Allein das Angebot sei kein Verstoß gegen den Mietvertrag. Kann der Vermieter nicht nachweisen, dass es tatsächlich zu Beherbergungen gekommen war, so habe er damit keinen Kündigungsgrund. (LG Leipzig, 2 S 401/19)
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19.01.2021
Verkehrssicherungspflicht: «Unwichtige» Straßen werden nur einmal die Woche gefegt
Kommt ein Fahrradfahrer zu Fall, weil er einen mit Laub bedeckten Bordstein nicht erkannt hat, so kann er nicht durchsetzen, von der Gemeinde (die verkehrssicherungspflichtig für den Bereich ist) Schadenersatz und Schmerzensgeld zu erhalten. Denn sie könne nicht generell ständig alle Geh- und Radwege von Laubfall reinhalten. Die Gemeinde müsse nicht haften, wenn sie belegen könne, einmal in der Woche den Radweg zu reinigt oder reinigen zu lassen. Nach allgemein anerkannter Rechtsprechung genügt im städtisch bebauten Bereich grundsätzlich ein Reinigen der Wege einmal wöchentlich, es sei denn, es handele sich um Fußgängerzonen oder besonders stark genutzte Wege (was hier nicht der Fall war). (Hanseatische OLG Bremen, 1 U 4/18)
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18.01.2021
Mietrecht: Ohne (Vor-)Vertrag können Mieter entschädigungslos abspringen
Auch wenn zwischen einem Vermieter, dessen Makler und einem Paar, das als Mietpartei (aus insgesamt 60 Interessenten) übriggeblieben ist, mündlich "alles klar" zu seien schien, so kann der Vermieter keinen Schadenersatz für ausgefallene Mietzahlungen verlangen, wenn das Paar weder einen Mietvorvertrag unterschrieben noch einen Mietvertrag gesehen hat und sich noch vor Mietbeginn trennt. (Hier hatte der Makler das Paar - das sich im Urlaub befand - telefonisch darüber informiert, dass es die Wohnung bekommen werde. In diesem Urlaub wurde den beiden jedoch bewusst, dass sie doch noch nicht zusammenziehen wollen.) Weil die Wohnung so kurzfristig nicht neu vermietet werden konnte, blieb sie einen Monat lang leer. Das Amtsgericht München machte deutlich, dass - auch wenn ein angespannter Mietmarkt herrsche - nicht zu erwarten sei, dass von einem sicheren Vertragsschluss ausgegangen werden könne, wenn die Mietinteressenten nichts unterschrieben und lediglich die Annonce als "Schriftstück" vorliegen hatten. Auch hatte das Paar nicht die Pflicht, aus dem Urlaub den Makler über den "verschlechterten Beziehungsstatus" zu informieren. (AmG München, 473 C 21303/19)
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15.01.2021
Reiserecht: Ein unfähiger Reiseleiter ist ein Mangel und bringt Geld zurück
Hat ein Mann für sich, seine Ehefrau und für die Schwägerin eine Südafrika-Reise (hier zu einem Preis von insgesamt fast 10.000 €) gebucht, so kann er eine nachträgliche Reisepreisminderung durchsetzen, wenn der Reiseleiter weder körperlich noch sprachlich in der Lage ist, die Gäste "zu führen". Der Reiseleiter erzählte von sich aus nichts zu Land und Leuten und kam auf den Touren physisch immer schnell "an seine Grenzen". Eine Hauptattraktion strich er unbegründet (einen so genannten Leopardentrail). Und einmal nahm die Reisegruppe eine Alkoholfahne bei dem Mann wahr. Zwar wurde er am dritten Tag (der insgesamt 3wöchigen Reise) gegen einen anderen Guide ausgetauscht. Der erlitt an seinem ersten Tag (also am 4. Tag der Reise) einen epileptischen Anfall und musste ins Krankenhaus. Ab dem fünften Tag lief die Reise dann ohne Probleme. Insgesamt konnten die drei eine nachträgliche Reisepreisminderung in Höhe von rund 1.100 Euro für die ersten vier "verkorksten" Tage durchsetzen. (AmG Kiel, 110 C 120/17)
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14.01.2021
Betriebsrente: Die Berechnung der korrekten Höhe verwirkt nicht
Auch wenn ein Rentner die Höhe seiner Betriebsrente erst nach rund 13 Jahren anzweifelt, kann er verlangen, dass die Berechnungsgrundlagen geprüft werden - und die Höhe der Betriebsrente gegebenenfalls angepasst wird. In dem konkreten Fall bemängelte der Mann, dass es während seiner Beschäftigungszeit eine Betriebsvereinbarung gegeben hatte, die den Steigerungsbetrag halbierte (von 0,4 % auf 0,2 % des Arbeitseinkommens, die es für jedes Dienstjahr gab). Der Arbeitgeber argumentierte, dass die Halbierung wegen der damaligen wirtschaftlichen Situation unumgänglich gewesen ist - und außerdem der Mann sein Recht darauf, die Beträge prüfen zu lassen, nach so vielen Jahren verwirkt habe. Das Bundesarbeitsgericht sah das anders und verwies den Fall zurück an die Vorinstanz, damit die sich inhaltlich mit der Kürzung des Steigerungsbetrages auseinandersetzt. Eine Verwirkung ist für solche Fälle jedenfalls durch das Betriebsverfassungsgesetz ausgeschlossen. (BAG, 3 AZR 246/20)
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13.01.2021
Kündigung: Spricht der Arbeitgeber mit dem «falschen» Betriebsrat, kann der Kumpel bleiben
Hat die Ruhrkohle AG (RAG) als Arbeitgeber einen Interessenausgleich für die letzten Bergmänner der letzten Zeche im Ruhrgebiet nicht mit dem Gesamtbetriebsrat, sondern mit dem örtlichen Betriebsrat der Zeche ausgehandelt, so kann eine im Zuge der vereinbarten Massenentlassung ausgesprochene Kündigung unwirksam sein. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat dem gekündigten Kumpel Recht gegeben, weil mit dem örtlichen Betriebsrat ein "unzuständiges Gremium" von der RAG konsultiert worden ist. Denn der ganzen Maßnahme lag ein einheitliches unternehmerisches Gesamtkonzept zugrunde, das sich über mehrere Betriebe erstreckt hatte. Die Schließung der letzten Zeche war nur ein letzter Baustein. (Der Mann kann gegebenenfalls Lohnansprüche anmelden. Vor dem LAG Hamm laufen vergleichbare Verfahren. Kommen die Richter zu einem anderem Ergebnis, so muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden.) (LAG Düsseldorf, 11 Sa 799/19)
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09.01.2021
Verwaltungsrecht: Klingelnder Handy-Wecker ist kein Täuschungsversuch in einer Prüfung
Schreibt ein Student eine schriftliche Prüfung, so darf die Klausur für ihn nicht mit der Note "nicht ausreichend" bewertet werden, wenn sein Handy-Wecker während der Arbeit klingelt. Es handele sich auch dann nicht um einen Täuschungsversuch, wenn die Prüfungsordnung es verbietet, elektronische Sende- und Empfangsgeräte eingeschaltet mit in den Prüfungsraum zu nehmen. Stellt sich heraus, dass das Handy 40 Meter vom Prüfling entfernt in der Tasche lag und außerdem in den Flugmodus versetzt war, so ist die Sanktion nicht gerechtfertigt. Der junge Mann konnte glaubhaft machen, einfach vergessen zu haben, den Wecker auszuschalten, der ihn am Vortag an einen wichtigen Termin erinnert hatte. (VwG Koblenz, 4 K 116/20)
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23.12.2020
Hausratversicherung: Per Funksignal wird nicht aufgebrochen
Wird der Koffer eines Piloten aus seinem Auto gestohlen, und gibt er an, dass vermutlich sein "Keyless-Go-System" (Funksignal) geknackt wurde, so muss die Hausratversicherung nicht für den Schaden zahlen. Steht im Versicherungsvertrag die Klausel, dass "(...) auch versicherte Sachen entschädigt werden, die (...) durch Aufbrechen eines verschlossenen Fahrzeugs entwendet werden", so muss die Versicherungsgesellschaft nicht leisten. Das vermutete unbefugte Öffnen fällt nicht unter die Versicherungsbedingungen. Es dürfen nicht nachträglich Risiken durch Auslegung entgegen eines eindeutigen Wortlauts in den Vertrag aufgenommen werden. (AmG München, 274 C 7752/19)
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22.12.2020
Verwaltungsrecht: Wechsel der Betreuungsform befreit nicht von der Impfpflicht
Auch wenn ein Kind für die Betreuung von einer Tagesmutter in einen Kindergarten wechselt, muss es gegen Masern geimpft sein. (Die Impfpflicht für Schul- und Kindergartenkinder gilt seit dem 01.03.2020.) Die Eltern des gewechselten Kindes können nicht verlangen, auch den vom Gesetzgeber eingeräumten Aufschub (bis zum 31.07.2021) für den Nachweis der Impfung zu verlangen. Ein solcher Aufschub ist nur für Betreute möglich, die vor dem 01. März 2020 bereits in der Einrichtung untergebracht waren, in der sie dann auch bis zum 31. Juli 2021 bleiben werden. (Sächsisches OVG, 3 B 233/20)
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18.12.2020
Gebrauchtwagenkauf: Rostiger Auspuff ist bei einem 10 Jahre alten Kleinwagen üblich
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein durchgerosteter Auspuff bei einem älteren gebrauchten Kleinwagen kein Grund ist, vom Kauf zurückzutreten. Denn gewöhnlicher Verschleiß ist kein Sachmangel. Das gelte auch dann, wenn sich daraus durch weitere Abnutzung „in absehbarer Zeit ein Erneuerungsbedarf ergibt“. In dem konkreten Fall beabsichtigte der Käufer eines Gebrauchtwagens (hier ging es um einen 9 Jahre alten Wagen, mit knapp 85.000 gefahrenen Kilometern für rund 5.500 €) das Fahrzeug wieder umzutauschen, nachdem ihm kurz nach dem Kauf laute Geräusche am Auspuff auffielen - vergeblich. Auch eine Reparatur auf Kosten des Verkäufers konnte der Mann nicht durchsetzen. Bei einem fast zehn Jahre alten Kleinwagen mit mehreren Vorbesitzern seien auch Durchrostungen an der Auspuffanlage als normaler Verschleiß anzusehen. Damit liege kein Mangel vor. (BGH, VIII ZR 150/18)
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17.12.2020
Verwaltungsrecht/Schulrecht: Wer Vandalismus im Klassenchat teilt, der kann daheimbleiben
Wird von dem Handy eines Schülers ein Video in den Klassenchat gestellt, auf dem zu sehen ist, wie ein Mitschüler einen Stuhl aus dem vierten Stock des Schulgebäudes wirft, so kann sich der Besitzer des Handys nicht dagegen wehren, dass er (hier für 6 Tage) vom Unterricht suspendiert wird. Das gelte auch dann, wenn er angibt, das Video nicht selbst aufgenommen und nur auf Bitten weiterer Mitschüler in den Chat gestellt zu haben. Auch seine Aussage, dass er das Verhalten des Mitschülers missbillige reiche nicht aus, um die Strafe abzuwenden. Er habe durch das Einstellen in den Chat das geordnete Schulleben gefährdet und das Vertrauen der Schulgemeinschaft in einen regelgeleiteten und gewaltfreien schulischen Rahmen erschüttert. Die Dynamik solcher Onlinemedien und Chatgruppen könne einen regelrechten Überbietungswettbewerb um immer schwerere Regelübertretungen auslösen. (VwG Berlin, 3 L 649/20)
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17.12.2020
Handy am Steuer: Ladekabel und Powerbank dürfen straffrei in die Hand genommen werden
Wird ein Autofahrer dabei erwischt, wie er das Ladekabel seines Handys (mit dem er über die Freisprecheinrichtung telefoniert) mit einer Powerbank verbindet (um den drohenden Abbruch des Gesprächs wegen eines niedrigen Akkustandes zu verhindern), so darf er nicht für das Vergehen "Handy am Steuer" mit einem Bußgeld (hier in Höhe von 180 €) belegt werden. Die Geräte dürfen nicht als "Einheit" gesehen werden. Bei der Powerbank und dem Ladekabel handele es sich nicht um "verbotene Gegenstände", die nach der Straßenverkehrsordnung unter "verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer" fallen können. Es sind Gegenstände, die der Energieversorgung von Geräten aus der Kommunikations-, Informations-, und Unterhaltungselektronik dienen. (OLG Hamm, 4 RBs 92/19)
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16.12.2020
Unfallversicherung: Einem Toten zu Unrecht gezahlte Unfallrente muss der Sohn erstatten
Wird eine Unfallrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf das Konto des Sohnes des Versicherten überwiesen, so kann die Berufsgenossenschaft gegen den Sohn durchsetzen, Renten zu erstatten, die über den Tod seines Vaters hinaus ausgezahlt worden sind. Der Sohn kann sich nicht darauf berufen, dass die Berufsgenossenschaft die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Zahlungen vorrangig gegenüber dem Gelinstitut geltend machen muss. Denn die Bank konnte beweisen, dass die Rente bereits anderweitig ausgegeben worden war, bevor die Rückforderung bei ihr eingegangen ist. (Es ging um insgesamt knapp 1.700 €, die der Sohn zurückzahlen muss.) (Hessisches LSG, L 3 U 73/19)
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14.12.2020
Kündigung: Ohne Abmahnung darf nicht für einen Fehltag fristlos gekündigt werden
Fehlt eine Arbeitnehmerin einen Tag unentschuldigt, so rechtfertigt das auch in der Probezeit keine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber. Ebenso erklärte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein eine 1-wöchige Kündigungsfrist für unwirksam. Eine solche Abrede könne einzelvertraglich nicht wirksam getroffen werden. In dem konkreten Fall hatte eine Rechtsanwalts- und Notargehilfin zwei Tage gearbeitet, bevor sie - vom Chef genehmigt - zwei Tage für die Eingewöhnung ihres Sohnes in einem Kindergarten frei hatte und in dieser Zeit die fristgerechte Kündigung erhielt. Am folgenden (also ihrem 3. Arbeitstag) blieb sie der Arbeit unentschuldigt fern. Der Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin fristlos - für Tag vier und fünf reichte sie schließlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Das Gericht machte deutlich, dass ein unentschuldigter Fehltag nicht den "Grad der beharrlichen Arbeitsverweigerung" erreiche. Ohne Abmahnung hätte nicht fristlos gekündigt werden dürfen. Die in Probezeiten übliche Kündigungsfrist von zwei Wochen musste eingehalten werden. (LAG Schleswig-Holstein, 1 Sa 72/20)
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11.12.2020
Umgangsrecht: Der Vater muss seine Hunde nicht einsperren, wenn der Sohnemann kommt
Die Exfrau eines Mannes, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat, kann nicht durchsetzen, dass der Mann seine (hier 7) Schlittenhunde wegsperrt, wenn sein Sohn im Rahmen des Umgangsrechts zu Besuch bei ihm ist. Sind die Tiere als "menschenfreundlich, sozial und sanftmütig" bekannt, so muss der Vater sie nicht einsperren. Allerdings habe er dafür Sorge zu tragen, dass das (hier knapp 2 Jahre alte) Kind nicht unbeaufsichtigt mit den Hunden zusammen ist. Der Mann wehrte sich erfolgreich gegen die Entscheidung des Familiengerichts, das ihm nur dann einen Umgang gewährte, wenn die Tiere nicht anwesend waren. (OLG Frankfurt am Main, 1 UF 170/20)
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10.12.2020
Umgangsrecht: Auch »gleichgeschlechtlich« dürfen Kinder nach einer Trennung beide sehen
Trennt sich eine Frau von ihrer Lebenspartnerin, nachdem sie zwei Kinder im Wege gemeinsam beschlossener Fremdinsemination zur Welt gebracht hat, so darf sie - auch wenn sie die leibliche Mutter ist - ihrer Ex den Umgang mit den (inzwischen 2 und 3 Jahre alten) Kindern nicht untersagen. Das gelte auch dann, wenn die Kinder von ihrer Partnerin nicht adoptiert worden sind. Es diene dem Kindeswohl, wenn der Umgang auch zur Lebenspartnerin erhalten bleibt, weil es den Kindern so ermöglicht werde, Klarheit über die Familienverhältnisse zu erlangen. Die Ex war an der Schaffung der Verhältnisse schließlich maßgeblich beteiligt und kann bei der Identitätsfindung sowie der "Herkunftsermittlung" der Kinder helfen. Gibt es keine ernstzunehmenden Gründe gegen einen Umgang, so darf er nicht untersagt werden. (OLG Braunschweig, 2 UF 185/19)
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09.12.2020
Kfz-Leasing: Wird das Auto gestohlen, steht auch der Versicherungsnehmerin Geld zu
Wird ein geleastes Auto gestohlen, so steht die Neupreis-Entschädigung aus einer Vollkaskoversicherung dem Kunden zu. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Fall entschieden, in dem eine Leasingnehmerin die Vollkaskoversicherung für das Auto freiwillig zum Neuwert (in Höhe von 70.000 €) abgeschlossen hatte. Das Fahrzeug wurde gestohlen und die Versicherung zahlte dem Leasinggeber (hier war das die BMW-Bank) den Ablösewert (also den Betrag, der zur vollen Amortisation des Finanzierungsaufwands einschließlich des kalkulierten Gewinns notwendig ist) in Höhe von 50.000 Euro. Die Leasingnehmerin verlangte die übrigen 20.000 Euro ausbezahlt – zurecht. Denn ein Autokäufer schließe eine Neuwert-Versicherung ab, um sich bei Verlust einen gleichwertigen Neuwagen anschaffen zu können - und nicht auf einen Gebrauchten ausweichen zu müssen. Das sei beim Leasing nicht anders. Der Kunde könne das Geld einsetzen, um zu vergleichbaren Konditionen einen anderen Neuwagen zu leasen. (BGH, VIII ZR 389/18)
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08.12.2020
Corona/Verwaltungsrecht: Schornsteinfegerarbeiten auch in der Pandemie zulassen
Auch wenn ein Ehepaar zur von der COVID-19-Pandemie besonders gefährdeten Risikogruppe zählt, muss es Schornsteinfegerarbeiten zulassen, die für das Haus der Eheleute in die Zeit der Pandemie fallen. Wird ihnen eine "Schonfrist" gewährt, die sie verstreichen lassen, so müssen die Eheleute einen kostenpflichtigen Bescheid über die erforderliche Abgaswege-Abgasleitungsüberprüfung hinnehmen. Sie können nicht argumentieren, sie hätten lediglich um eine Verlegung des Termins gebeten. Das Verwaltungsgericht Hannover hat deutlich gemacht, dass Schornsteinfegerarbeiten nicht verzichtbar seien, weil sie dem Erhalt der Betriebs- und Brandsicherheit der Anlage dienen. Der Schornsteinfeger könne für ausreichenden Infektionsschutz sorgen, wenn er mit Mundschutz und Handschuhe arbeitet. Außerdem könne organisiert werden, dass die Eigentümer "nicht anwesend" sind, wenn die Arbeiten durchgeführt werden. (VwG Hannover, 13 A 4340/20)
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07.12.2020
Geschwindigkeitsüberschreitung: Fotos dürfen angefordert werden
Ist gegen einen Autofahrer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße (hier: 150 €) sowie ein einmonatiges Fahrverbot ausgesprochen worden, und hatte die Bußgeldstelle zur Aufklärung des Falles beim Einwohnermeldeamt ein Passfoto angefordert, um den Mann im Abgleich mit dem Foto vom "Blitzer" eindeutig identifizieren zu können, so kann sich der überführte Autofahrer nicht mit der Begründung gegen die Strafe wehren, die Behörde hätte das Ausweisfoto nicht anfordern dürfen. Sein Argument, es sei nicht unmöglich gewesen, seine Identität auch auf andere Art und Weise herauszufinden (zum Beispiel durch Befragung von Nachbarn), konnte nicht durchdringen. Zwar seien die Regeln im Personalausweisgesetz streng, damit ein Passfoto nicht einfach so "von Behörde zu Behörde" wandern könne, Aber im automatisierten Verfahren der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten dürfe dieser Austausch stattfinden. (OLG Koblenz, 3 OWi 6 SsBs 258/20)
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04.12.2020
Urlaubsrecht: Auch Schwerbehinderte müssen zum Urlaub «gedrängt» werden
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat deutlich gemacht, dass Arbeitgeber ihre schwerbehinderten Mitarbeiter dazu auffordern müssen, ihren Zusatzurlaub anzutreten. Die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs, nach der Arbeitgeber zum Urlaubsantritt auffordern müssen, gilt auch für den Zusatzurlaub Schwerbehinderter. Für „normale“ Arbeitnehmer hatte der EuGH die Regelungen des (deutschen) Urlaubsrechts beanstandet, nach denen der Urlaubsanspruch dem Grunde nach zum Jahresende verfallen ist, wenn er nicht rechtzeitig vom Arbeitnehmer in Anspruch genommen wurde. Arbeitgeber haben die Pflicht, ihre Arbeitnehmer rechtzeitig „durch entsprechende Hinweise in die Lage zu versetzen, den Urlaub zu nehmen". Und das gelte auch für den (im Regelfall 5-tägigen) Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer. (LAG Niedersachsen, 2 Sa 567/18)
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30.11.2020
Tierhalterhaftpflichtversicherung: Das Frauchen muss für eine Leistungsverweigerung schon vorsätzlich handeln
Hat ein Mischlingshund ein 10jähriges Mädchen gebissen und ergeht danach gegen die Besitzerin des Hundes ein Bescheid der Kreisverwaltung, dass sie "Begegnungskontakte des Hundes mit Kindern bis ca. 14 Jahren (...) zu vermeiden" habe, so darf die Tierhalterhaftpflicht-Versicherung dennoch nicht automatisch die Leistung verweigern, wenn der Hund ein Jahr später ein 2jähriges Mädchen in einem Park mit Spielplatzanlage ins Gesicht beißt und erheblich verletzt. Es müsse erwiesen sein, dass die Hundehalterin "jedenfalls bedingt vorsätzlich" gehandelt hat. Ist es nicht nachweisbar, dass sie gewusst habe, dass das Betreten dort für sie "verboten" war (es gab kein Verbotsschild für Hunde) und macht sie glaubhaft, den Spielplatz in der Parkanlage nicht gekannt zu haben, so muss die Versicherung zahlen. (Hier hatte sich das Kind dem Hund unbemerkt genähert, als die Frau mit einer Bekannten auf einer Parkbank im Gespräch war.) (OLG Frankfurt am Main, 7 U 47/19)
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27.11.2020
Verwaltungsrecht/Nachbarrecht: Wärmepumpen dürfen Nachbarn «auf die Pelle rücken»
Das Verwaltungsgericht Mainz hat entschieden, dass Luftwärmepumpen nach dem Abstandsflächenrecht (hier in Rheinland-Pfalz) keinen vorgegebenen Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten müssen. In dem konkreten Fall konnte sich ein Grundstücksbesitzer durchsetzen, der eine solche Pumpe in einer Entfernung von etwas weniger als zwei Metern zum Nachbargrundstück errichtet hatte und dem deswegen behördlich aufgetragen worden ist, die Pumpe so zu versetzen, dass ein Abstand von drei Metern zum Nachbarn eingehalten wird. Diese Auflage musste nicht erfüllt werden. Außerhalb von Gebäuden installierte Luftwärmepumpen unterfallen nicht den Abstandsflächenregelungen. Denn sie sind weder als Gebäude einzustufen, noch gehen von ihnen im Regelfall wegen der geringen Größe Beeinträchtigungen wie von Gebäuden aus. (VwG Mainz, 3 K 750/19)
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26.11.2020
Arbeitsrecht: Nach Ende der Betriebsratstätigkeit muss das Einzelbüro geräumt werden
Grundsätzlich bestimmt der Arbeitgeber, wo die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze einnehmen. Das gilt auch für ein ehemaliges Betriebsratsmitglied, das nach Ende der Tätigkeit für die Betriebsvertretung aus einem Einzelbüro in ein Großraumbüro wechseln soll. Weigert sich der Mitarbeiter, das Einzelbüro für seinen Nachfolger im Betriebsrat frei zu geben, legt er später ein Attest vor, das empfahl, ihn nicht in ein Großraumbüro zu versetzen und wird bei einer arbeitsmedizinischen Untersuchung schließlich festgestellt, dass er in einem Büro mit maximal zwei Beschäftigten arbeiten kann, so muss er das akzeptieren. Die Weisung des Arbeitgebers sei von dessen Direktionsrecht gedeckt. Für die Zuweisung eines Arbeitsplatzes im Großraumbüro sprächen zum einen Gründe der Gleichbehandlung mit den übrigen in der Abteilung Beschäftigten. Zum anderen erleichtere das den Austausch von Informationen. (LAG Rheinland-Pfalz, 7 Sa 380/19)
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25.11.2020
Krankenversicherung: Ginseng muss nicht bezahlt werden
Ein Mann, der unter anderem an chronischer Erschöpfung, allergischem Asthma, Tinnitus und einer Nierenerkrankung leidet, kann nicht gegen seine gesetzliche Krankenversicherung durchsetzen, dass die ihm ein Nahrungsergänzungsmittel finanziert. In dem konkreten Fall ging es um Taiga-/Ginsengwurzeln, die ihm sein Arzt empfohlen und die ihm auch schon geholfen haben sollen. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel können nur in wenigen Ausnahmefällen übernommen werden. Das Argument des Mannes, dass die Präparate wegen der Schwere der Erkrankung notwendig seien, zog vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht. Die Präparate seien vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasst. Die Kassen seien auch nicht gehalten, alles zu leisten, was zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar sei. Außerdem zielten Ginseng und Zink laut Hersteller allgemein auf die Stärkung des Immunsystems
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24.11.2020
Abmahnung: Mit der Ausrede «AU» darf Amtsarzt-Termin nicht geschwänzt werden
Ist ein Schreiner immer wieder arbeitsunfähig krank (die Spitze erreichte er mit 75 Krankheitstagen in einem Jahr) und wird er vom Arbeitgeber zum Amtsarzt geschickt, um prüfen zu lassen, ob er überhaupt noch als Schreiner arbeiten kann (sein Arzt hatte ihm unter anderem attestiert, nicht mehr als 10 Kilogramm ohne Hilfsmittel heben zu dürfen), so kassiert er zu Recht eine Abmahnung, wenn er den Termin beim Amtsarzt "wegen Arbeitsunfähigkeit" nicht wahrnimmt. Zwar dürfen "krankgeschriebene" Arbeitnehmer normalerweise nicht in den Betrieb zitiert werden, wenn zum Beispiel ein Personalgespräch ansteht. Besteht aber - wie hier - ein wichtiger Grund für eine ärztliche Untersuchung, so darf dem Termin nicht mit der Begründung ferngeblieben werden, es liege eine "AU" vor. Diese Untersuchung diene ja gerade dem Zweck, zu prüfen, ob der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeit nochmal aufnehmen kann. Mit dieser Untersuchung müsse auch nicht bis zu einer möglichen Genesung gewartet werden. (LAG Nürnberg, 7 Sa 304/19)
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23.11.2020
Drogen am Steuer: Abstinenz-Aussagen müssen begutachtet werden
Das Verwaltungsgericht Würzburg hat entschieden, dass gelegentlicher Cannabiskonsum in der Vergangenheit allein kein Grund ist, einem Autofahrer den vorübergehend (zurecht) eingezogenen Führerschein nicht wieder auszuhändigen. Behauptet der Mann, künftig zwischen dem Konsum von Joints einerseits und dem Führen von Kraftfahrzeugen andererseits zuverlässig trennen zu können, so ist im Rahmen der Begutachtung zumindest zu prüfen, ob er stabil genug ist für die "selbst verordnete" Abstinenz. Dabei ist auch seine Aussage zu prüfen, dass er seit dem Einzug der Fahrerlaubnis abstinent lebe. (VwG Würzburg, 6 W 277/20)
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21.11.2020
Arbeitsrecht/Verfassungsrecht: Nicht mit geliehenen Kräften gegen Streiks angehen
Wenn Mitarbeiter streiken dürfen die bestreikten Unternehmen nicht Leiharbeitnehmer ersatzweise einsetzen. Das verbietet das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verbot für verfassungsgemäß gehalten. Die Verfassungsbeschwerde einer Kinokette wurde abgelehnt. Der Betreiber der Kinos sah sich durch das Verbot in seinem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus dem Grundgesetz verletzt. So würden die Arbeitgeber zwar tatsächlich in ihrer Entscheidung beschränkt, Leiharbeitskräfte einzusetzen, um sich gegen einen Streik zu wehren. Es handle sich dabei aber gerade nicht um ein generelles Verbot, Leiharbeitnehmer im Betrieb einzusetzen. Die Verfassungsrichter halten die AÜG-Norm daher für im engeren Sinne verhältnismäßig, weil der Gesetzgeber damit das Ziel verfolge, auch Leiharbeitnehmern ein angemessenes Arbeitsverhältnis zu gewähren und eine funktionierende Tarifautonomie zu erhalten. (BVfG, 1 BvR 842/17)
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19.11.2020
Kündigung: Wer Überstunden falsch aufschreibt, fliegt
Füllt ein Arbeitnehmer vorsätzlich Formulare zur Erfassung von Überstunden falsch aus, so ist das ein "wichtiger Grund" für eine außerordentliche Kündigung. Das gelte insbesondere dann, wenn die Formulare "im bewussten und kollektiven Zusammenwirken mit anderen Beschäftigten zulasten des Arbeitgebers" gefälscht worden sind. (BAG, 2 AZR 370/18)
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18.11.2020
Kündigung: Es kann auf die Uhrzeit des Einwurfs ankommen
Ist das Kündigungsschreiben für einen Arbeitnehmer in seinen Hausbriefkasten eingeworfen worden, so kann es für die Bestimmung des Fristendes einer Kündigungsschutzklage auf die Uhrzeit des Einwurfs ankommen. Denn es ist nicht der Zeitpunkt des Einwurfs in den Briefkasten entscheidend, sondern wann der Arbeitnehmer seinen Briefkasten leert. In dem konkreten Fall konnte der Mann plausibel machen, dass er - als Vollzeitbeschäftigter - nicht mehr noch abends nach Feierabend in den Briefkasten schaut, sondern stets erst am nächsten Morgen. Damit hatte er "einen Tag länger Zeit", gegen die Kündigung anzugehen. (BAG, 2 AZR 111/19)
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18.11.2020
Mietrecht: Fällt der Lift aus, darf die Miete gemindert werden
Ist der Lift in einem Mietshaus defekt, so muss der Vermieter schnell für die Reparatur sorgen. Andernfalls können die Mieter die Miete für die Zeit des Ausfalls mindern. Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat klar gemacht, dass der Vermieter nicht auf anstehende Modernisierungsmaßnahmen verweisen kann, wenn noch gar nicht feststeht, wann die starten oder abgeschlossen sein sollen. Die Höhe der Minderung richtet sich unter anderem nach dem Stockwerk, in dem ein Mieter wohnt. (AmG Berlin-Mitte, 10 C 104/19)
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16.11.2020
Verwaltungsrecht: «Kontaminierte» Arbeitskleidung muss der Arbeitgeber reinigen
Wird die Arbeitskleidung von Pflegepersonal in einem Heim, in dem überwiegend demente Patienten leben, auch schon mal durch Keime oder Körperflüssigkeiten erheblich verunreinigt, so kann das mit einer "Kontamination" vergleichbar sein, die die Pfleger(innen) nicht mehr selbst "auswaschen" müssen. Die Arbeitskleidung sei als "Schutzausrüstung" anzusehen. Die Anweisung, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "die Kleidung bei mindestens 60 Grad selbst zu Hause waschen" sollen, ist in solchen Fällen unzulässig. Der Arbeitgeber müsse die Kleidung waschen oder in einer dafür geeigneten Reinigung säubern lassen. (VGH Baden-Württemberg, 6 S 1589/18)
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13.11.2020
Kfz-Haftpflichtversicherung: Erwachsene Fahrgäste sind eigenverantwortlich
Hält ein Taxi in einer Einbahnstraße am linken Fahrbahnrand und steigt der Fahrgast hinten rechts aus, so muss der Gast der Kfz-Haftpflicht des Taxiunternehmens den Schaden ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein von hinten kommendes Auto mit der geöffneten Tür kollidiert. Es ging um rund 10.000 Euro. Das Oberlandesgericht Köln verurteilet den Fahrgast zur Erstattung des Schadenersatzes, weil er sich nicht so verhalten hatte, „dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist“. Diese Sorgfaltsanforderung gelte für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs. Ein Verschulden des Taxifahrers sah das Gericht nicht. Er habe den Gast nicht warnen oder das Aussteigen verhindern müssen. Ein erwachsener Fahrgast ist in erster Linie allein für sein Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich. (OLG Köln, 15 U 113/19)
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12.11.2020
Private Unfallversicherung: Wer falsch auf den Spaten tritt, ist selbst schuld
Das Thüringer Oberlandesgericht hat festgestellt, dass eine stoßartige Belastung beim Auftreten des Fußes auf einen Spaten keine Einwirkung „von außen“ ist. Das gelte jedenfalls dann, „solange der Einwirkungsgegenstand nicht in unerwartete Bewegung gerät und solange der Einwirkende nicht in seiner gewollten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung - etwa durch Straucheln oder Ausgleiten - beeinträchtigt ist“. In dem konkreten Fall hatte sich ein Mann bei der Gartenarbeit einen Bandscheibenvorfall zugezogen, weil er „falsch“ auf seinen Spaten trat. Er konnte für die Verletzung keine Leistungen aus seiner privaten Unfallversicherung erstreiten. (Thüringer OLG, 4 U 536/16)
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11.11.2020
Kündigung: Bei verbalen Angriffen auf Vorgesetzte muss stets genau hingehört werden
Arbeitnehmer(innen) dürfen Kritik - auch unternehmensöffentlich - am Arbeitgeber oder an Vorgesetzten äußern. Dabei ist immer genau zu klären, in welcher Form der kritische Beschäftigte sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit beziehungsweise -äußerung ausgelebt hat. Das sei unabhängig davon, so das Bundesarbeitsgericht (BAG), welches Medium dafür genutzt wurde. Nicht mehr durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind bewusst falsche Tatsachenbehauptungen oder etwa grobe Beleidigungen, die "die Ehre des Betroffenen erheblich" verletzen. Hier fühlte sich eine kaufmännisch Angestellte wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft durch ihren direkten Vorgesetzten diskriminiert. In einer E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden schrieb sie unter anderem, dass ihr Chef ein "unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser" sei, der "Guerilla-Aktionen" durchführe, durch die sie "zum Himmel schreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit" erlebe. Außerdem werde sie durch den Boss "an ihren Lieblingsfilm `Der Pate` erinnert" und meinte, dass "kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste" wie sie. Unterm Strich reichte das dem BAG nicht für eine Kündigung der Angestellten. (BAG, 2 AZR 240/19)
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09.11.2020
Mieterhöhung: Auch geförderte Wohnungen dürfen zum Vergleich herangezogen werden
Steht eine Mieterhöhung an, so muss der Vermieter (unter anderem) Vergleichswohnungen anführen, an denen er seine künftig verlangte Miete ausrichtet. Das dürfen auch Wohnungen sein, die öffentlich gefördert oder preisgebunden sind. Zwar sei solcher Wohnraum ausgenommen, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt wurde. Der Bundesgerichtshof ließ dennoch den Vergleich mit solchen Wohnungen zu, weil allein deren Angabe nicht bereits dazu diene, "den Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete zu führen". Es handele sich lediglich um eine "Erstinformation", mit der der Mieter in die Lage versetzt wird, das Erhöhungsverlangen ansatzweise zu verstehen. (BGH, VIII ZR 236/18)
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07.11.2020
Schmerzensgeld: 100.000 Euro für ein "«zerstörtes Leben»
Erlebt eine Frau am Steuer ihres Autos auf der Autobahn mit, wie ihr Ehemann auf dem Motorrad hinter ihr fahrend unverschuldet von einem Kleintransporter gerammt wird, vom Motorrad fällt und unter einen Sattelschlepper gerät, so kann sie ein Schmerzensgeld vom Unfallverursacher verlangen. In dem konkreten Fall entdeckte die Frau den leblosen, stark blutenden Körper ihre Ehemannes unter dem Führerhaus des Sattelzuges. Nach dem Tod des Mannes war die Frau nicht mehr in der Lage, sich um die sechs Monate und zweieinhalb Jahre alten Kinder zu kümmern, verlor den Kontakt zu ihnen, verlor den Job sowie den Kontakt zu Familienangehörigen und Freunden. Sie lebt mit einer irreversiblen posttraumatischen Belastungsstörung sowie mit einer fortdauernden Depression in einer betreuten Einrichtung. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach der Frau 100.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der Schockschaden der Frau resultiere eindeutig aus dem miterlebten Unfallgeschehen. Nicht nur ihre Gesundheit wurde stark geschädigt - ihr Leben wurde weitestgehend zerstört. (OLG Frankfurt am Main, 6 U 216/16)
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04.11.2020
Mietrecht: Vor der Schlüsselrückgabe besser keine Mauern einreißen
Erklärt sich eine Mieterin dazu bereit, für die Zeit, in der ihre Wohnung umfassend renoviert werden soll, in eine Erdgeschosswohnung zu ziehen, so darf der Vermieter nicht eigenmächtig mit den Arbeiten in der Wohnung beginnen (lassen), wenn sich die Mieterin nach Besichtigung der Ersatzwohnung weigert, wegen erheblicher Mängel dort einzuziehen. Weil die Wohnung der Mieterin verschlossen war und sie die Schlüssel nicht herausgeben wollte, verschaffte sich der Vermieter Zugang, indem er eine Wand durchbrechen ließ. Innenwände und eine Deckenkonstruktion wurden entfernt. Die Mieterin konnte sich per einstweiliger Verfügung durchsetzen. Das Gericht erkannte sowohl eine verbotene Eigenmacht des Vermieters als auch eine Besitzstörung der Mieterin. Die Frau hat Anspruch auf Schadenersatz. (AmG Köln, 222 C 84/20)
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02.11.2020
Verkehrsrecht: Wer aus dem Auto aussteigt, muss den Verkehr genau beobachten
Will eine Frau aus ihrem am Straßenrand geparkten Auto aussteigen, so muss sie dabei insbesondere „das Vorrecht des fließenden Verkehrs mit höchster Vorsicht beachten“. Dazu muss sie den Verkehr durch die Rückspiegel und gegebenenfalls durch die Fenster genau beobachten und darf die Wagentür nur öffnen, wenn sicher ist, dass niemand von hinten kommend gefährdet wird. Auf der anderen Seite müssen die Vorbeifahrenden einen Sicherheitsabstand einhalten, der je nach Gegebenheiten an der Unfallstelle und den konkreten Umständen variiert. Hat ein Vorbeifahrender lediglich einen Abstand von 30 bis 35 Zentimeter eingehalten, ohne dass es sich um ein enge Stelle handelte oder Verkehr entgegenkam, so ist der Abstand zu gering gewählt. Das Mitverschulden liegt dann zu einem Drittel bei dem Passierenden. (AmG Frankenthal, 3c C 61/19)
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30.10.2020
Auszubildendenrecht: Nur schwere Verfehlungen können Jugendvertreter die Stelle kosten
Grundsätzlich kann ein Auszubildender/eine Auszubildende nach Abschluss der Lehre mit einer Weiterbeschäftigung "auf unbestimmte Zeit" rechnen, wenn er (oder sie) Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung ist. Voraussetzung: In den letzten drei Monaten der Ausbildung wird ein entsprechender Antrag vom "Azubi" gestellt. Der Arbeitgeber kann dann - ebenfalls auf Antrag - nur eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangen, wenn er Gründe vorbringt, aufgrund derer ihm die Weiterbeschäftigung "unter Berücksichtigung aller Umstände" nicht zumutbar ist. Solche Gründe können nur schwerwiegende Verstöße sein, wie zum Beispiel Straftaten oder Tätlichkeiten, beharrliche Arbeitsverweigerung, hartnäckige unberechtigte Arbeitsversäumnisse oder schwere Verstöße gegen die betriebliche Ordnung. (BAG, 7 ABR 44/17)
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29.10.2020
Arbeitsrecht: Wer auf Beschäftigung besteht, besteht auch auf Vergütung
Wenn ein Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Versetzung auf Beschäftigung an seinem ursprünglichen Arbeitsplatz klagt, so verlangt er damit auch die für diesen Arbeitsplatz vereinbarte Vergütung. Das Bundesarbeitsgericht: "Wird die Klage auf Beschäftigung rechtzeitig eingereicht, so werden auch tarifliche Ausschlussfristen für Entgeltansprüche gewahrt." (BAG, 5 AZR 240/18)
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28.10.2020
Verbraucherrecht/Reiserecht: Eine Marketingabteilung ist kein Firmensitz
Kauft ein Deutscher im Internet bei „airfrance.de“ für "nur" rund 600 Euro ein elektronisches Ticket für einen Flug von San Francisco/USA nach Paris in der First-Class und für den Weiterflug von Paris nach London in der Business-Class, so muss er - gibt es später Streit über den Kauf - vor dem (französischen) Gericht klagen, an dem die Gesellschaft ihren Firmensitz hat. Das gelte auch dann, wenn auf dem Ticket eine Frankfurter Adresse und Telefonnummer angegeben waren. Hier hatte Air France den Systemfehler bemerkt und dem Kunden per E-Mail von der „Customer Care Europe“ auf Englisch mitgeteilt, dass das Ticket storniert und das Geld erstattet würden. Der Mann sah das nicht ein und klagte - aber vor dem falschen, weil deutschen Gericht. Seine Schadenersatzforderung in Höhe von knapp 10.500 Euro - das war in etwa der echte Preis für die gewählte Strecke - ging ins Leere. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verneinte die Zuständigkeit der deutschen Richter. Zwar könne eine Partei auch am Gerichtsstand eines anderen Mitgliedsstaates verklagt werden. Das allerdings nur dann, wenn es dort eine echte Niederlassung gibt. Und in Frankfurt befindet sich nur eine Air-France-Marketingabteilung. Weder die Bestätigung noch das Ticket seien von den dortigen Mitarbeitern ausgestellt worden. Die Unterlagen kamen „aus Paris“. (OLG Frankfurt am Main, 16 U 208/18)
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27.10.2020
Arbeitsrecht: Befristete Zeiten zählen bei der Betriebsrente voll
Bei einer Versorgungsregelung der betrieblichen Altersvorsorge, deren Eintreten vom Lebensalter bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses abhängig gemacht wird, spielt es keine Rolle, ob das Arbeitsverhältnis zunächst befristet war. In dem konkreten Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der - auf drei Jahre befristet - für ein norwegisches Staatsunternehmen tätig gewesen ist. Im Laufe des zweiten Jahres wurde ein weiterer befristeter Arbeitsvertrag geschlossen – nach insgesamt mehr als fünf Jahren stellt die Firma den Mann unbefristet ein. Die Versorgungsverordnung des Unternehmens sah vor, dass befristet Beschäftigte und solche, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, keine Versorgungszusage erhalten. Lag der Mann zu Beginn des Arbeitsverhältnisses unter der Altersgrenze und bei der unbefristeten Einstellung darüber, so hat er Anspruch auf die Versorgung. Es sei das Höchstalter bei Beginn der Betriebszugehörigkeit maßgeblich. Und das gelte auch für (zunächst) befristete Arbeitsverhältnisse. Das jedenfalls dann, wenn sich daran unmittelbar ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließt. (BAG, 3 AZR 433/19)
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26.10.2020
Unfallversicherung: Das ungewöhnliche Ende einer Schicht kostet die Witwenrente
Bricht ein Produktionsmitarbeiter seine Schicht mittendrin bei laufender Maschine ab, verlässt er seinen Arbeitsplatz, ohne die Arbeitszeiterfassung zu bedienen, und fährt er "in Richtung" seines Heimatortes, so kann seine Frau keine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten, wenn er auf dem Weg mit einem Lkw kollidiert und stirbt. Es sei nicht erwiesen, dass sich der Mann tatsächlich auf dem Heimweg nach Dienstschluss befunden hatte, so dass nicht von einem versicherten Wegeunfall ausgegangen werden kann. Auch dem Kind der Eheleute steht keine Waisenrente zu. (BSG, B 2 U 9/19 R)
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23.10.2020
Mietrecht: Die Duldung des Vormieters zählt nicht mehr
Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg hat deutlich gemacht, dass ohne Zustimmung des Vermieters ein Mieter keine baulichen Veränderungen an einer Mietsache vornehmen darf. Eine solche bauliche Veränderung kann auch schon darin liegen, wenn der Mieter ein Pavillon mit einem Stoffplanen-Dach im Vorgarten aufstellt - und das ohne die Erlaubnis des Vermieters tut. Das gelte auch dann, wenn der Pavillon bereits mehrere Jahre lang dort steht und nach dem Verkauf des Hauses der neue Eigentümer verlangt, dass er entfernt wird. Weil der Pavillon eine bauliche Veränderung darstellt, die ohne Zustimmung errichtet wurde, musste er entfernt werden. Die Duldung durch den vorherigen Eigentümer zählt nicht. (AmG Berlin-Schöneberg, 5 C 208/17)
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22.10.2020
Arbeitsrecht: Abmahnungen muss der Arbeitgeber begründen können
Behauptet ein Arbeitgeber, dass eine Mitarbeiterin (hier ging es um ein Autohaus) in drei Fällen das Bestellsystem falsch bedient habe, wodurch ihm ein finanzieller Schaden entstanden sei, so darf er dafür keine Abmahnungen aussprechen, wenn er das Fehlverhalten der Frau nicht konkret benennen beziehungsweise begründen kann. Er muss die Abmahnungen wieder aus der Personalakte entfernen. Es handelt sich bei den Einträgen um "unrichtige Tatsachenbehauptungen", die das berufliche Fortkommen der Mitarbeiterin beeinträchtigen können. Außerdem war die Warnfunktion der Abmahnungen nicht erfüllt. Denn Abmahnungen müssen üblicherweise Konsequenzen androhen, die bis zu einer Kündigung führen können. Diese "Androhungen" fehlten hier. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 2 Sa 133/19)
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21.10.2020
Sorgerecht: Regel- gegen Waldorfschule: Die Mutter entscheidet
Könne sich die geschiedenen Eltern eines sechsjährigen Kindes nicht einigen, auf welche Schule das Kind eingeschult werden soll (hier war der Vater für eine "normale" Grundschule während die Mutter eine Waldorfschule bevorzugte), so muss das Gericht dem Elternteil das Bestimmungsrecht zusprechen, welches am meisten "betroffen" ist. Dabei muss stets das Kindeswohl im Auge behalten werden. In dem konkreten Fall vor dem Amtsgericht Frankenthal durfte schließlich die Mama bestimmen, weil das Kind bei ihr lebte und sie sich "im Vorfeld tiefer mit der Frage beschäftigt hatte". Auch sei die Waldorfschule keine das Kindeswohl gefährdende Schulform. (AmG Frankenthal, 71 F 79/20 eA)
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20.10.2020
AGG: Wer in einer Absage «Kopfschmuck» erwähnt, handelt diskriminierend
Bewerben sich auf bei einem Steuerberater eine Abiturientin und eine alleinerziehenden Mutter mit abgebrochenem Studium, entscheidet sich der Arbeitgeber für die Abiturientin und sagt er der Mutter, die auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch trägt, schriftlich mit dem "freundschaftlichen Tipp" ab, bei dem "katastrophalen Lebenslauf" lieber auf das Tragen des "Kopfschmuckes" zu verzichten, so handelt er diskriminierend. Er benachteiligt die Bewerberin aufgrund ihrer Religion, was einen erheblichen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz darstellt. In dem konkreten Fall wurde der Steuerberater zu einer Entschädigungszahlung Höhe von 1.500 Euro an die gescheiterte Kandidatin verurteilt. (LAG Rheinland-Pfalz, 3 Sa 132/19)
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19.10.2020
Hartz IV: Ein internetfähiger Computer muss separat bezahlt werden
Schülerinnen und Schüler, deren Eltern Hartz IV beziehen, haben aufgrund der Corona-Pandemie einen Anspruch auf Finanzierung eines internetfähigen Computers, damit sie am digitalen Schulunterricht teilnehmen können. In dem konkreten Fall vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ging es um eine Gymnasiastin (der 8. Klasse), die aus einer Familie kommt, die Hartz IV bezieht und die einen solchen PC beim Jobcenter beantragte. Die Schulleiterin hatte bestätigt, dass sie diesen für die (Haus-)Aufgaben benötigte. Das LSG machte deutlich, dass Kosten für einen internetfähigen Computer zur Teilnahme an dem pandemiebedingten Schulunterricht im heimischen Umfeld im Regelbedarf nicht enthalten sind. Ein solcher Mehrbedarf muss vom Jobcenter getragen werden, denn es handele sich um einen grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf für Bildung und Teilhabe. (LSG Nordrhein-Westfalen, L 7 AS 720/20 B)
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16.10.2020
Mietrecht: Ohne Grund darf der Vermieter nicht «Nein» zur Markise sagen
Weil ein Mieter das Recht auf "vertragsgemäßen Gebrauch" der Wohnung hat, darf ihm der Vermieter nicht einfach pauschal verbieten, eine Markise auf dem Balkon anzubringen. Der Schutz des Mieters vor Sonne gehöre zum "sozial üblichen Verhalten" und sei somit eine "Vertragsmäßigkeit". Zwar stelle eine Markise grundsätzlich eine bauliche Veränderung dar, für die es eine Erlaubnis durch den Vermieter bedürfe. Jedoch müsste der triftige Gründe vorbringen, so das Amtsgericht Pankow/Weißensee, um die Zustimmung verweigern zu können. Der Grund "optische Beeinträchtigung" reiche nicht aus. Nur wenn diese Beeinträchtigung "über das übliche Maß" hinausgehe, könne sie als Gegenargument herangezogen werden (was hier nicht der Fall war). (AmG Pankow/Weißensee, C 367/14)
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15.10.2020
Arbeitsrecht: Auch «frei Mitarbeitende» dürfen Gehälter anderer wissen
Das so genannte Entgelttransparenzgesetz soll sicherstellen, dass "Beschäftigte" einen Auskunftsanspruch darüber haben, was andere im Betrieb verdienen. Dadurch soll unter anderem auch - eben durch Transparenz - verhindert werden, dass Frauen (im Vergleich zu männlichen Kollegen) nicht benachteiligt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein solcher Anspruch auch für freie Mitarbeiter/innen gelten kann. In dem konkreten Fall konnte sich eine Fernsehjournalistin gegen ihren Arbeitgeber (einen Sender) durchsetzen, bei dem sie als "feste Freie" im Rahmen eines unbefristeten Vertrages beschäftigt ist. Sie kann Auskunft über die "Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung gemäß dem Entgelttransparenzgesetz" verlangen. Als freie Mitarbeiterin falle sie unter den Begriff der "Arbeitnehmerin" - jedenfalls im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes. (BAG, 8 AZR 145/19)
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14.10.2020
Alkohol auf dem E-Bike: 2,2 Promille deuten auf «Trinkfestigkeit» hin
Wird ein Mann mit seinem E-Bike mit 2,2 Promille Alkohol im Blut in einen Unfall verwickelt, so ist ihm die Fahrerlaubnis auch für sein Auto zu entziehen, wenn die Ergebnisse seiner im Labor untersuchten Haarproben ergeben, dass er eine "ungewöhnliche Giftfestigkeit" besitzt. Das lässt auf "deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten" schließen. (VwG Aachen, 3 L 1216/19)
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12.10.2020
Arbeitsrecht: Wird für zwei Betriebe eingestellt, müssen beide Betriebsräte gehört werden
Wird ein neu eingestellter Arbeitnehmer in zwei Betriebe eingegliedert (hier ging es um einen IT-Experten, der für 2 Betriebe einer Firma tätig werden sollte), so reicht es nicht aus, wenn "nur" der Gesamtbetriebsrat bei der Einstellung involviert wird. Haben beide Betriebe separate Betriebsratsvertretungen, so ist die Zustimmung beider erforderlich. (BAG, 1 ABR 13/18)
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09.10.2020
Hartz IV: Unvermeidbare Doppelmiete muss übernommen werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Bezieher von Hartz IV so genannte Doppelmieten als Kosten der Unterkunft vom Jobcenter bezahlt bekommen müssen. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Aufwendungen unvermeidbar und „konkret angemessen“ sind. Für den Fall, dass beispielsweise eine Frau aus einer allein bewohnten Wohnung in ein Frauenhaus flüchtet, gelte das. Das könnte auch für den Fall gelten, wenn der Umzug in eine neue Wohnung ansteht, diese jedoch noch renoviert werden muss und die „alte“ deswegen noch nicht gekündigt werden kann. (BSG, B 14 AS 2/19 R)
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08.10.2020
Unterhalt: Das Einkommen von Teilzeitern darf geschätzt werden
Behauptet eine Mutter, die für ihren - beim Vater lebenden - Sohn, Unterhalt zahlen muss, das nicht zu können, weil sie nur einer Teilzeitbeschäftigung mit 18 Stunden pro Woche nachgehe, so muss sie belegen, sich um weitere Einkommensmöglichkeiten gekümmert zu haben. Tut sie das nicht, so darf ein fiktives Einkommen angesetzt werden, auf dessen Grundlage dann die Höhe des Unterhalts berechnet wird. Das Brandenburgische Oberlandesgericht urteilet, dass nicht das tatsächliche Einkommen ausschlaggebend sei, sondern das mögliche Einkommen. (Brandenburgische OLG, 13 UF 184/19)
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07.10.2020
Schadenersatz: Gerät ein Nordic Walking-Stock außer Kontrolle, haftet der Geher - aber...
Zwar muss ein Mann, der mit einer Sportpartnerin eine Nordic Walking-Tour macht und (durch einen "Gehfehler") sie mit einem Stock zu Fall bringt, grundsätzlich für die Folgen des Sturzes haften. Es besteht kein Haftungsausschluss, denn der Mann hat "die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen". Aber er ist nicht verpflichtet, der Agentur für Arbeit das Arbeitslosengeld zu erstatten, das diese der verletzten Frau gezahlt hat, nachdem sie ihren Job (nach langer Arbeitsunfähigkeit) verloren hat. Für die unmittelbaren Schäden müsste der Mann einstehen. Für den mittelbaren Schaden der Arbeitsagentur aber nicht, weil die Frau an der Kündigung ein Mitverschulden trifft. Denn sie ist nicht gegen die Kündigung angegangen, obwohl "alles dafürsprach", dass ihr Arbeitgeber ihr einen "leidensgerechten" Arbeitsplatz hätte zuweisen können. (Schleswig-Holsteinisches OLG, 6 U 46/18)
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06.10.2020
Verwaltungsrecht: Kinder unter 10 dürfen nicht beim «Ballern» zuschauen
Der Betreiber einer Paintballanlage kann sich nicht gegen die Verfügung des Ordnungsamtes wehren, die ihm auferlegt, Kindern unter 10 Jahren den Zutritt zu verweigern. Auch dürfen die Kinder "unter 10" sich nicht in einem Bereich aufhalten, von dem aus sie durch eine Glasscheibe Teile des "Kampffeldes" einsehen können. Es ist anzunehmen, so das Verwaltungsgericht Münster, dass schon das Zusehen - ähnlich wie das Betrachten von Kriegsfilmen - eine Gefährdung für das geistige und seelische Wohl für die jungen Kinder bedeutet. Das Kampfgeschehen erzeuge ein Bedrohlichkeitsgefühl und verstärke aggressive Überzeugungen und Einstellungen. Das dadurch dem Betreiber der Halle möglicherweise Publikum (und infolgedessen auch Einnahmen) verloren gehen, müsse hinter dem Schutz der Kinder zurücktreten. (VwG Münster, 6 L 506/20)
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05.10.2020
Verwaltungsrecht/Nachbarrecht: Nach fast zehn Jahren Betrieb kann Waschstraße nicht so schlimm sein
Ist eine Waschstraße fast zehn Jahre lang beanstandungslos in Betrieb, so ist eine behördliche "sofortige Nutzungsuntersagung" unrechtmäßig, wenn sie lediglich damit begründet wird, die Anlage stehe "in Widerspruch zu der erteilten Baugenehmigung" (hier ging es um Abstände zur nachbarlichen Wohnbebauung). Stellt sich heraus, dass die Nachbarn nicht so stark durch "Lichteffekte" beeinträchtigt werden, während auf der anderen Seite eine Schließung der Waschstraße zu erheblichen Umsatzeinbußen führt, so darf die Anlage wieder in Betrieb genommen werden. (Auch ein Schallschutzgutachten kam zu dem Ergebnis, dass keine Gesundheitsbeeinträchtigungen für die Anwohner zu erwarten sind.) (VwG Koblenz, 1 L 496/20)
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02.10.2020
Mieterhöhung: Eine Instandsetzung ist keine Modernisierung
Wird das Haus, in dem eine Frau zur Miete wohnt, in erheblichem Umfang renoviert, so muss der Vermieter bei der folgenden Mieterhöhung (die er wegen durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen verlangen darf) die Kostenpunkte rausrechnen, die auf den Bereich "Instandhaltung" entfallen. Es dürfen nur die Arbeiten in die Mieterhöhung einfließen, die tatsächlich eine Verbesserung oder eine Einsparung bringen. Arbeiten, die ohnehin notwendig sind, um die Wohnung oder das Haus in einem ordentlichen Zustand zu erhalten, gelten als Instandhaltung und gehen zu Lasten des Vermieters. (BGH, VIII ZR 81/19)
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01.10.2020
Verwaltungsrecht: Einer 4-köpfigen Familie darf keine 80-Liter-Tonne übergestülpt werden
Ist es Kommunen (hier in Nordrhein-Westfalen) erlaubt, in den Abfallsatzungen ein Mindestrestmüllvolumen festzulegen (hier wurde angenommen, dass für eine Person 20 Liter Restmüll anfallen), so darf diese Möglichkeit nicht automatisch dazu führen, dass Haushalte auch dann eine "große Tonne" nehmen und bezahlen müssen, wenn die Personen dort wesentlich weniger Restmüll produzieren (weil sie gut trennen und insgesamt wenig Müll haben) . Die Kommune darf Bürgern, die eine große Tonne verweigern, weil sie weniger Müll produzieren, nicht mit dem Hinweis abkanzeln, sie könnten sich eine Tonne mit einem Nachbarn teilen. Es darf einem 2-Peronen-Haushalt auch nicht vorgeschrieben werden, eine 60-Liter-Restmülltonne (statt einer 40-Liter-Tonne) aufstellen zu müssen. Das gelte jedenfalls dann, wenn die größere Einheit knapp 100 Euro mehr im Jahr kostet. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 9 A 2267/17)
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30.09.2020
Arbeitsrecht: Eine «24-Stunden-Pflege» kann mit einer 30 Stunden-Woche nicht funktionieren
Eine bulgarische Staatsangehörige, die von einer deutschen Vermittlungsagentur für eine "24-Stunden-Pflege zu Hause" in den Haushalt einer 96jährigen Dame vermittelt wird, muss sich nicht damit abfinden, nur 30 Stunden in der Woche bezahlt zu bekommen. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitsvertrag diese Stundenzahl vorgibt. Ist gleichzeitig in einem Betreuungsvertrag vereinbart, eine "umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten" zu bieten, ist die Kraft tatsächlich regelmäßig von 6.00 Uhr in der Früh bis mindestens 22.00 Uhr abends im Einsatz und muss sie auch nachts raus, so muss ihr die gesamte Zeit bezahlt werden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verurteilte den Arbeitgeber (der seinen Sitz in Bulgarien hat) dazu, 21 Stunden täglich zu zahlen - und zwar in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns (von derzeit knapp 11 €/Stunde). (LAG Berlin-Brandenburg, 21 Sa 1900/19)
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29.09.2020
Verwaltungsrecht: In einem Wohngebiet darf auch über «Beherbergung» keine Ferienwohnung entstehen
Auch wenn die Stadt für ein Wohngebiet eine "Klarstellung" in die Baunutzungsverordnung eingesetzt hat, nach der die Möglichkeit besteht, ausnahmsweise Ferienwohnungen in reinen Wohngebieten zu erlauben, wenn diese zu "kleinen Beherbergungsbetrieben" gehören, so kann ein Eigentümer zweier Wohnungen dennoch nicht darauf bauen, die Nutzungsänderungs-Erlaubnis zu erhalten. Die neue Möglichkeit in der Satzung dürfe nicht rückwirkend angewendet werden. In dem konkreten Fall ging es um ein Wohngebiet, das 1970 erschlossen worden ist. Es sei entscheidend, wie "die Festsetzung eines reinen Wohngebiets damals von der Gemeinde verstanden wurde und werden musste". Es sei weiterhin zu unterscheiden zwischen Ferienwohnungen und Beherbergungsbetrieben. (VwG Hannover, 4 B 2507/20)
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26.09.2020
Prozessrecht: Ein Einzelner kann VW keinen Bauplan vorschreiben
Ein Bürger kann einem Autohersteller (hier ging es um VW) nicht zivilrechtlich vorschreiben lassen, wie der Elektroautos zu bauen habe. In dem konkreten Fall beabsichtigte der Mann dem Autobauer per einstweilige Verfügung dazu zwingen, anstelle von Batterien wasserstoffbetriebene Generatoren in den Autos zu verbauen, weil durch die Batterieherstellung große Klima- und Gesundheitsschäden drohten. Ob der Mann in der Sache richtig liegt, musste das Gericht nicht entscheiden. Es ging um den Klageweg. Weil die Sache alle Autohersteller betreffe, falle die Entscheidung in den Zuständigkeitsbereich des Gesetz- und Verordnungsgebers. (OLG Braunschweig, 9 W 13/19)
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24.09.2020
Arbeitszeugnis: Entscheidend ist der Tag des Ausscheidens
Ein Arbeitszeugnis, das einem Arbeitnehmer nach Ausscheiden aus einem Betrieb zustehen kann, muss "das Datum des Tages der Beendigung des Arbeitsverhältnisses" tragen. Nur so werde Rechtssicherheit geschaffen. Außerdem werde so der Gefahr von Spekulationen vorgebeugt, ob es zwischen den Parteien Streit über die Erteilung und über den Inhalt des Zeugnisses gegeben hatte. Es besteht ein sachlicher Grund als Datum den Tag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Tag, an dem das Zeugnis geschrieben wurde, darf nicht im Kopf stehen. (LAG Köln, 7 Ta 200/19)
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23.09.2020
Rentenversicherung: Wer 21 Jahre für nur einen Arbeitgeber arbeitet, ist nicht «frei»
Arbeitet ein Programmierer in Heimarbeit für eine Firma, bei der er zuvor drei Jahre lang angestellt war und bei der er nach seinem Wegzug kündigte, "frei" im Homeoffice weiter, so kann in dieser Heimarbeit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung liegen. Das ist insbesondere für die Beitragszahlungen auf das Rentenkonto des Mannes von Bedeutung. Das Hessische Landessozialgericht hat festgestellt, dass Heimarbeiter Personen sind, die "in eigener Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung" von Firmen erwerbsmäßig arbeiten. Hat der Programmierer insgesamt 21 Jahre für die gleiche Firma gearbeitet, ihr das alleinige Nutzungs- und Vertriebsrecht für die von ihm entwickelten Programme eingeräumt und war er für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht tätig, so hat der Mann den sozialversicherungsrechtlichen Status. Dass er daheim seinen eigenen PC genutzt hatte, sei mit Blick auf die lange Vertragsdauer nicht relevant. (Hessisches LSG, L 8 RA 36/19)
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22.09.2020
Wiedereingliederung: Auch die Fahrkosten zahlt die Krankenkasse
Nimmt ein Arbeitnehmer an einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme teil, und zahlt seine gesetzliche Krankenkasse für die Dauer der Maßnahme weiterhin Krankengeld, so kann der Arbeitnehmer durchsetzen, auch die Fahrkosten zum Arbeitsort von der Krankenkassen erstattet zu erhalten. Dabei muss sich der Mann auf die Kosten für das günstigste öffentliche Verkehrsmittel beschränken. (Hier ging es um 85 €, die der Mann für 10 Tage erhielt, an denen er zur Eingliederungsmaßnahme gefahren ist.) (SG Dresden, S 18 KR 967/19)
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21.09.2020
Reiserecht: Wer den Purser betrunken «anmacht», darf nicht mitfliegen
Weist eine Frau bei Betreten eines Flugzeuges (hier sollte es von Bogota/Kolumbien nach Stuttgart gehen) alkoholbedingte Ausfallerscheinungen auf und "attackiert" sie den Chefstewart und den Flugkapitän im Streit darüber, ob sie wieder auszusteigen habe oder nicht, so kann sie später keinen Schadenersatz wegen einer "ungerechtfertigten Nichtbeförderung" durchsetzen, wenn sie nicht mitgenommen wird. Der Kapitän hat "ermessensfehlerfrei" gehandelt, indem er die Dame als "unruly passenger" im Sinn des Luftsicherheitsgesetzes aus der Maschine verwies. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 784/19 (89))
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18.09.2020
Eigentumswohnung: Gegen Geruch und Lärm darf sich der einzelne Eigentümer wehren
Eine Wohnungseigentümerin kann auch dann selbst gegen Lärm- und Geruchsbelästigung selbst gegen den Verursacher vorgehen, wenn dieses Recht im Rahmen einer Eigentümerversammlung "vergemeinschaftet" wurde. Das gelte auch dann, wenn durch die Störungen zugleich das Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird. In dem Fall vor dem Bundesgerichtshof ging es um einen Eigentümer, der seine Wohnung an so genannte Medizintouristen (überwiegend aus Saudi-Arabien) vermietet, die sich an einer (hier städtischen) Klinik in München behandeln ließen und nach Abschluss der Behandlung (das war manchmal nach ein paar Tagen der Fall, manchmal erst nach 6 Wochen) wieder abreisten. Durch die hohe Fluktuation und durch die ständigen Ein- und Auszüge gab es Sachbeschädigungen und Lärm sowie Geruchsbelästigungen durch die Verbreitung von Gerüchen von Weihrauch und ätherischen Ölen durch die Klimaanlage im ganzen Haus. (BGH, V ZR 295/16)
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17.09.2020
Schadenersatz: Ein klein wenig Mühe muss sich ein Zusteller schon machen
Zahlt eine Frau für eine wichtige Samstags-Postzustellung ein erhöhtes Porto an die Deutsche Post, so muss sie sich auch darauf verlassen können, dass die Sendung zeitig zugestellt wird. Geschieht das nicht, so kann die Post schadenersatzpflichtig sein. In dem konkreten Fall vor dem Oberlandesgericht Köln ging es um einen Brief an den Arbeitgeber der Frau, mit dem sie Ansprüche in Höhe von mehr als 20.000 Euro für Urlaub geltend machen wollte, den sie wegen Schwangerschaft und Elternzeit nicht hatte nehmen können. Am vorletzten Tag der Frist zahlte sie fast 25 Euro dafür, dass der Brief am nächsten Tag ankommen sollte - was nicht funktionierte. Tage später erst kam der Brief an, die Frist war verpasst. Die Post versuchte sich mit dem Argument herauszureden, die Frau habe die Anschrift nicht korrekt bezeichnet (es fehlte der Vermerk GmbH) und der Briefkasten des Arbeitgebers (eine Klinik) sei nicht „ausrechend beschriftet“ gewesen. Stellt das Gericht jedoch fest, dass es im Prinzip „keine Anhaltspunkte für eine Adressungenauigkeit“ gegeben hat, so sei nicht nachzuvollziehen, warum der Zusteller nicht mal an der durchgehend besetzten Pforte der Klinik nachgefragt hat. (OLG Köln, 3 U 225/19)
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16.09.2020
Mietrecht: Bei den Einkünften besser nicht schummeln
Das Landgericht Lüneburg hat entschieden, dass Mieter, die sich für eine Wohnung interessieren und beim Vermieter „bewerben“, nicht lügen dürfen, wenn sie nach ihren Einkommen- und Vermögensverhältnissen gefragt werden. In dem konkreten Fall hatte ein Single bei der Bewerbung für eine Ein-Zimmer-Wohnung, die monatlich rund 250 Euro Miete kosten sollte, angegeben, schuldenfrei zu sein und laufende Zahlungsverpflichtungen nicht zu haben. Das stellte sich als falsch heraus: Ein Jahr nach Abschluss des Mietvertrags wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters eröffnet. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen der falschen Angaben in der Selbstauskunft – zu Recht. Es dürfe keine „Bagatellgrenze“ geben, weil ansonsten „kleinere“ Vermieter benachteiligt würden. Außerdem sei das Vertrauensverhältnis zwischen Vermieter und Mieter erschüttert. (LG Lüneburg, 6 S 1/19)
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14.09.2020
Patientenrecht: Deutliche Hinweise müssten die Ärzte widerlegen
Äußern die Erben einer in einem Krankenhaus gestorbenen Patientin, dass sie in Bezug auf die Hygienemaßnahmen im Krankenhaus Fehler vermuten, so sind an einen solchen Vortrag „nur maßvolle Anforderungen“ zu stellen. Das bedeutet: Es reicht aus, dass der Vorwurf „die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite gestattet, während es dieser möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären“. In dem konkreten Fall wurde unter anderem vorgetragen, dass Händedesinfektionsgeräte nicht benutzt und Patienten ohne Handschuhe berührt wurden. (Damit war das Krankenhaus „am Zug“, zu beweisen, dass dort die Vorschriften zur Hygiene eingehalten wurden. Kann es die Vermutung der Erben nicht widerlegen, so kann ein Schmerzensgeld fällig werden.) (BGH, VI ZR 280/19)
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11.09.2020
Arbeitsrecht: Während der Freistellungsphase in Altersteilzeit gibt es keinen Urlaub
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitnehmer, die sich in der Freistellungsphase im Rahmen eines Blockmodells der Altersteilzeit befinden, keinen gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub haben. Denn im Blockmodell besteht für Arbeitnehmer während der Freistellung von vornherein keine Arbeitspflicht, von der er durch Urlaub entbunden werden kann. Liegt der Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase mitten in einem Kalenderjahr, so berechnet sich der Urlaubsanspruch anteilig aus den Monaten, in denen noch gearbeitet wird. (BAG, 9 AZR 33/19)
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10.09.2020
Reiserecht: Nachts dreieinhalb Stunden auf einen Zug warten, ist unzumutbar
Verspätet sich ein Flug erheblich, so haben die Passagiere Anspruch auf die Entschädigungszahlung nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung. Die beträgt bei Verspätungen von mehr als drei Stunden - je nach Distanz - zwischen 250 und 600 Euro pro Person. Damit sind normalerweise alle Kosten abgedeckt. In einem Fall vor dem Amtsgericht Düsseldorf war das anders. Dort verlangte eine Familie separat die Kosten für eine Hotelübernachtung vom Reiseveranstalter erstattet, weil sie ihr Ziel erst spät nachts erreichen und nur „unter großen Schwierigkeiten und mit viel Wartezeit nach Hause kommen würden“. Die Familie konnte sich durchsetzen. Denn die deutlich verspätete Maschine ging nicht – wie gebucht – nach Düsseldorf (Nachtflugverbot), sondern nach Köln/Bonn. Und weil sie dort nach der Ankunft um 22:20 Uhr noch drei Stunden auf einen Zug Richtung Heimat (hier Minden in Westfalen) hätten warten müssen, wurde ihnen die Erstattung der Hotelkosten zugesprochen. Alles andere wäre unzumutbar gewesen. (AmG Düsseldorf, 50 C 11/18)
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09.09.2020
Diebstahlversicherung: Auch in vier Metern Höhe steigen Kriminelle ein
Die Diebstahlversicherung eines Gartenbauers darf die Versicherungsleistung auch dann nicht verweigern, wenn an der Lagerhalle, aus der Fahr- und Werkzeuge des Gartenbauers gestohlen worden sein sollen, weder Einbruchspuren noch Fußspuren gefunden wurden und sie deswegen behauptet, der Diebstahl sei nur vorgetäuscht. Befindet sich nämlich in vier Metern Höhe ein Spalt von knapp 30 Zentimetern Breite und klettert der hinzugezogene Sachverständige dort hoch und öffnet von innen die Tür, so muss die Versicherung zahlen. Es sei gerade "naturgemäß", dass Einbrecher unbeobachtet bleiben wollen. Die Tatsache an sich, die Lücke in der Höhe zu belassen, sei nicht als "grob fahrlässig" zu werten. (Hier ging es um knapp 30.000 €) (OLG Braunschweig, 11 U 151/19)
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08.09.2020
Unfallversicherung: Wer ins Ausland entsandt und indirekt weiterbezahlt wird, ist versichert
Wird ein Tierpfleger von dem Zoo, bei dem er beschäftigt ist, ins Ausland entsandt (hier nach Vietnam), um dort Tierpfleger in einem Nationalpark nach westlichen Standards auszubilden, so ist er für diese Zeit auch dann gesetzlich unfallversichert, wenn er eine Freistellungsvereinbarung unterzeichnet hat. In dem konkreten Fall verlor der Mann bei einem Unfall während einer Exkursion sein linkes Bein zum Teil. Die Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab - jedoch zu Unrecht. Trotz der Freistellungsvereinbarung erhielt der Mann nämlich - indirekt über den Park in Vietnam - weiterhin "Gehalt" aus Deutschland. Außerdem hatte es sich faktisch auch deswegen um eine versicherte Entsendung gehandelt, weil die Zeit in Vietnam von vornherein auf ein Jahr beschränkt war. (Hessisches LSG, L 3 U 105/16)
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04.09.2020
Reiserecht: Bei einer Zugfahrt von zwei Stunden zehn Minuten Verspätung einkalkulieren
Das Landgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Urlauber beim Planen eines Fluges grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass die Bahn während der Fahrt zum Flughafen ihre Abfahrts- und Ankunftszeiten einhält. Eine Familie, die ihren Flug nach Thailand verpasst, weil der Zug (der sie im Rahmen von "Rail & Fly" zum Abflughafen brachte) erheblich verspätet war und unerwartet vorzeitig endet (hier am Hauptbahnhof Frankfurt statt am Flughafen), so dass sie erst 50 Minuten vor Abflug am Schalter ankommen (der Check-in war bereits geschlossen), kann die Mehrkosten vom Reiseveranstalter erstattet verlangen. Sollte die Ankunft laut Fahrplan knapp zweieinhalb Stunden vor Abflug sein (die Reisebedingungen forderten dazu auf, 120 Minuten vorher am Schalter zu stehen), so hat die Familie ausreichend Zeit eingeplant. Das Gericht ist der Meinung, dass eine Zugverspätung (hier ging es von Göttingen nach Frankfurt, wofür die Bahn normalerweise rund 2 Stunden benötigt) von lediglich zehn Minuten einkalkuliert werden müsste. Der Veranstalter musste die neu zu kaufenden Flugtickets (zu einem Preis von 2.200 €) für den nächsten Tag bezahlen. (LG Frankfurt am Main, 2-24 S 74/19)
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03.09.2020
Schönheitsreparaturen: Halbe-halbe bei unrenovierten Wohnungen
Zieht ein Mieter in eine nicht renovierte Wohnung und wurde die Pflicht zur Durchführung der Schönheitsreparaturen nicht auf ihn übertragen, so kann er den Vermieter dazu verpflichten, diese Arbeiten durchzuführen. Das gelte jedenfalls dann, wenn inzwischen eine "wesentliche Verschlechterung des Dekorationszustandes" eingetreten ist. Der Bundesgerichtshof hat aber auch entschieden, dass sich der Mieter an den Kosten dafür beteiligen muss. Denn die Renovierungsarbeiten führen schließlich dazu, dass sich der unrenovierte, aber vertragsgemäße, Zustand der Wohnung verbessert. Der Mieter habe die Hälfte der Kosten beisteuern müssen. (BGH, VIII ZR 163/18)
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02.09.2020
Verwaltungsrecht: Es ist leichter einen Nichtzugang durchzusetzen als einen verspäteten Zugang
Hat ein Mann - angeblich - einen Gebührenbescheid von der Stadt für den Anschluss an die öffentliche Entwässerung nie erhalten (und dementsprechend nicht gezahlt), so kann die Stadt (hier fast 5 Jahre) später nicht durchsetzen, die Gebühren plus Säumniszuschläge für die lange Zeit einkassieren zu dürfen. In dem konkreten Fall wurden aus ursprünglich knapp 2.100 Euro mehr als 3.300 Euro. Das Verwaltungsgericht Lüneburg sah zwar keine Gründe, warum der Bescheid der Stadt nicht zugegangen sein sollte (zumal die Bescheide davor auch alle angekommen sind). Allerdings hatte es (Rest)-Zweifel, die zu Lasten der Gemeinde gehen. Es bedürfe "keiner besonderen Substantiierung des Nichterhalts des Schriftstücks, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für einen tatsächlichen Erhalt vorliegen". (VwG Lüneburg, 3 B 6/20)
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01.09.2020
Elterngeld/Arbeitsrecht: Abgezockter Zahnarzthelferin ist der Schaden zu ersetzen
Zahlt ein Arbeitgeber (hier ein Zahnarzt) einer Angestellten die Löhne für Oktober, November und Dezember erst im März des folgenden Jahres, so muss er für den Großteil des Schadens aufkommen, der entsteht, weil diese drei Gehälter bei der Berechnung für das Elterngeld fehlen, das deswegen um knapp 70 Euro monatlich geringer ausfällt. Das gelte auch dann, wenn der Zahnarzt das - erst im September begonnene - Arbeitsverhältnis (vergeblich) angefochten hatte, weil die Mitarbeiterin ihre zu diesem Zeitpunkt schon bekannte Schwangerschaft nicht erwähnt hatte. (Hier gab die Zahnarzthelferin ihrem Chef quasi nach der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag den Mutterpass und informierte über das Beschäftigungsverbot, das im September begann.) Auch musste der Arbeitgeber die Kosten für den Steuerberater ersetzen (hier in Höhe von knapp 350 €), den die Mitarbeiterin konsultieren musste, um zu ermitteln, welcher auf den Ersatzanspruch anrechenbarer Steuervorteil sich aus der verspäteten Elterngeldzahlung im Folgejahr ergab. (LAG Düsseldorf, 12 Sa 716/19)
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31.08.2020
Mietrecht: In Zeiten der Pandemie darf Räumungsfrist verlängert werden
Läuft eine Räumungsfrist gegen einen zur Räumung der Wohnung verurteilten Mieter während der Corona-Pandemie aus, so ist diese Frist "angemessen" zu verlängern, weil es erhebliche Einschränkungen bei der Beschaffung von Ersatzwohnraum gibt. Das Landgericht Berlin hält eine Verlängerung um mindestens drei Monate für Vermieter hinnehmbar. (LG Berlin, 67 S 16/20)
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28.08.2020
Krankenversicherung: Exoskelett muss bezahlt werden
Weil ein so genanntes Exoskelett als orthopädisches Hilfsmittel die Funktion der Beine von Querschnittsgelähmten ersetzt, muss die gesetzliche Krankenkasse die Kosten dafür übernehmen. Es macht selbstständiges Stehen und Gehen möglich. Die Krankenkassen dürfen nicht einfach auf einen Aktiv- und auf einen Stehrollstuhl verweisen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Ob ein mittelbarer oder ein unmittelbarer Behinderungsausgleich angestrebt wird, ist (…) nicht entscheidungserheblich, weil in beiden Varianten nicht die Krankheitsbehandlung, sondern der Bezug zur Behinderung und seine teilhabeorientierte Begriffsbestimmung (…) im Vordergrund stehen. (Das Bundessozialgericht wird endgültig entscheiden.) (LSG Nordrhein-Westfalen, L 5 KR 675/19)
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27.08.2020
Reiserecht/Verbraucherrecht: Zusatzkosten dürfen nicht versteckt sein
Online-Vermittler von Flugreisen müssen auf ihrer Internetseite die Zusatzkosten für die Aufgabe von Gepäckstücken angeben. Das hat das Oberlandesgericht Dresden entschieden. Die Anbieter dürfen es nicht dabei belassen, lediglich darauf hinzuweisen, dass der (Flug-)Preis kein Freigepäck enthält. Die Verbraucher müssen erkennen können, wie hoch der Aufpreis für das Gepäck ist. Können sie das nicht, so liegt ein Verstoß gegen die Luftverkehrsdienste-Verordnung der Europäischen Union vor, die vorschreibt, dass bereits zu Buchungsbeginn auch die Kosten für wählbare Zusatzleistungen anzugeben sind. Einen effektiven Preisvergleich können Verbraucher nur durchführen, wenn sie über die Preise von Leistungen in Kenntnis gesetzt werden, die sie möglicherweise zum Angebot noch hinzubuchen wollen. Gerade bei niedrigen Flugpreisen fallen die Kosten für das Gepäck erheblich ins Gewicht. Auch darf der zu Buchungsbeginn genannte Preis sich nicht um eine Servicegebühr erhöhen, wenn Kunden mit einer gängigen Kreditkarte bezahlen. Rabatte dürfen nicht nur dann gewährt werden, wenn die Kunden mit der „Mastercard Gold“ des Reiseportals bezahlen. Darin liege eine verdeckte Zahlungsmittelgebühr. Kunden müssen eine kostenlose, gängige und zumutbare Zahlungsmöglichkeit erhalten. (OLG Dresden, 14 U 1885/19)
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25.08.2020
Reiserecht: Ein Kleinkind ist - ermäßigt bezahlt - ein vollwertiger Passagier
Fliegt ein Ehepaar samt Kleinkind auf dem Rückflug aus dem Sommerurlaub von Heraklion (Kreta) nicht wie vorgesehen nach Nürnberg zurück, sondern nach Karlsruhe, und kommt die Familie - per Bustransfer - knapp sechs Stunden verspätet am "Heimatflughafen" an, so steht die Entschädigungszahlung nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung zu. Diese beträgt bei Verspätungen von mehr als drei Stunden - je nach Distanz - zwischen 250 und 600 Euro. (Hier gab es 400 € pro Person.) Allerdings wollte die Fluggesellschaft nicht für das Kind zahlen, das "ermäßigt" und ohne Sitzplatzanspruch mitgeflogen war. Musste sie aber. Der Anspruch könne nur entfallen, wenn für das Kind gar kein Flugpreis gezahlt worden wäre. Hier stand allerdings unter dem Stichwort "Kinderermäßigung" in der Buchungsbestätigung: "Kleinkinder im Alter von 0 bis einschließlich 1 zahlen 15 EUR pro Flugstrecke". Das spricht eindeutig für einen reduzierten Flugpreis. (AmG Hannover, 515 C 12585/19)
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24.08.2020
Verkehrssicherungspflicht/Mietrecht: Für offensichtliche Mängel muss Vermieter nicht büßen
Befinden sich in dem Hof eines Anwesens, in dem Wohnungen vermietet werden, deutlich erkennbar aufgesprungene und hochgedrückte Pflastersteine, so muss der Vermieter für diesen "Mangel" nicht unbedingt einstehen, wenn die 9jährige Tochter eines Mieterehepaares an dieser Stelle mit dem Fahrrad stürzt und sich schwer am Knie verletzt. Ein Vermieter muss zwar "diejenigen Sicherheitsvorkehrungen treffen, die ein verständiger und umsichtiger Vermieter für ausreichend halten darf, um Mieter und Angehörige vor Schäden zu bewahren". Allerdings muss das zumutbar bleiben. Ein Mietobjekt muss nicht komplett gefahrlos und frei von allen Mängeln sein. Wohnen die Mieter bereits ein halbes Jahr dort und waren die - wenn auch mangelhaften - Steine eigentlich nicht zu übersehen, so muss der Vermieter weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld (hier wurden 20.000 € gefordert) für die Folgen des Sturzes zahlen. (LG Nürnberg-Fürth, 7 S 693/19)
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21.08.2020
Unfallversicherung: Ein Terroranschlag auf Dienstreise ist nicht gesetzlich unfallversichert
Wird ein Dienstreisender Opfer eines Terroranschlags durch einen Sprengstoff-Attentäter, als er abends in einem Altstadtlokal ein Glas Wein trinkt, so steht er dabei nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Berufsgenossenschaft muss die schweren körperlichen und seelischen Verletzungen nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Essen und Trinken seien grundsätzlich private Tätigkeiten, die nicht gesetzlich unfallversichert sind. Die Tatsache, dass er nur deswegen in der Stadt war, weil er vom Arbeitgeber zu einer Weiterbildung "entsandt" worden ist, ändere daran nichts. Die Gefahr eines Terroranschlags stellt ein allgemeines Lebensrisiko dar, das grundsätzlich an jedem Ort in Deutschland bestehe. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 3 U 124/17)
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20.08.2020
Zivilrecht: 650 Euro Strafe für nicht gekaufte 40 Euro-Vignette ist unverhältnismäßig
Vor dem Amtsgericht München ging es um eine Maut für die Benutzung einer ungarischen Schnellstraße. Ein Reisebusunternehmen hatte eine hohe Rechnung erhalten, weil es gegen die Vignettenpflicht verstoßen hatte. Den Verstoß bestätigte das Gericht
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19.08.2020
Hartz IV: Spricht vieles für einen Scheinmietvertrag, so sind die Kosten offenzulegen
Beantragt eine vierköpfige Familie, die Hartz IV-Anspruch hat, für ein von ihr gemietetes Haus die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung beim Jobcenter, so muss sie die tatsächlich anfallenden Kosten belegen, wenn Indizien dafür sprechen, dass es sich um einen Scheinmietvertrag handelt. Wird der Mietpreis zunächst mit 1.070 Euro für 120 Quadratmeter angegeben, kürzt der - in Moskau lebende - Vermieter ganz kurzfristig auf 750 Euro "für 130 Quadratmeter" (nachdem das Jobcenter den Mietern mitgeteilt hatte, dass die Kosten für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind) und stellt sich heraus, dass die Mutter der Familie das Haus im Namen des Vermieters (der gleichzeitig ihr Vater ist) gekauft hatte, so spricht vieles für ein Scheinmietverhältnis. Die Behauptung der Familie, ihr würde die Wohnung gekündigt und es drohe Obdachlosigkeit, wenn die Miete nicht direkt auf das Konto des Vermieters in Russland fließe, sei nicht nachvollziehbar. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AS 228/20 B ER)
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18.08.2020
Infektionsschutz: Die Masern-Impfpflicht für Kitas ist gerechtfertigt
Das Infektionsschutzgesetz schreibt vor, dass Kinder, die in einer Kindertagesstätte oder in der Kindertagespflege betreut werden, gegen Masern geimpft sein müssen (zumindest muss eine Immunität gegen Masern vorgewiesen werden). Eltern können sich nicht gegen diese Regelungen wehren und ungeimpfte Kinder in eine Kita geben oder sie von einer Tagesmutter betreuen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es bis auf Weiteres bei der vorgeschriebenen Impfpflicht bleibt. Das Gericht wägte ab: Welche Folgen wiegen schwerer? Wenn die Kinder ohne Impfung nicht in die Kita dürfen? Oder wenn die Kinder dies dürfen und dann unter Umständen andere anstecken? Es kam zu der Entscheidung, dass es bei der Frage um den Grundrechtsschutz einer großen Zahl von Menschen gehe. Die Impfung diene dem besseren Schutz vor einer Maserninfektion, so dass es also auch darum gehe, eine Weiterverbreitung in der Bevölkerung zu verhindern. Das sei von besonders hohem Gewicht. (Es handelt sich um eine Eilentscheidung. Das Bundesverfassungsgericht wird noch endgültig entscheiden.) (BVfG, 1 BvR 469/20 u. a.)
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17.08.2020
Verwaltungsrecht: Auch in Zeiten von Corona muss über Schulausschluss beraten werden
Ist ein Schüler einer achten Klasse vom Schulbesuch vorläufig ausgeschlossen worden, weil er im schulischen Umfeld Drogen verkauft hat, so muss die Lehrergesamtkonferenz es auch in Zeiten von Corona schaffen, über einen möglichen Schulausschluss zu beraten. Der Junge und seine ihn vertretenen Eltern dürfen nicht darauf verwiesen werden, dass es in der Schule wegen der einzuhaltenden Corona-Abstandsregeln keinen Raum gebe, der die Zusammenkunft der (41) Konferenzteilnehmer möglich machen würde. Die Konferenz müsse Ausweichräume suchen oder digital zusammenkommen. (VwG Koblenz, 4 L 229/20)
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14.08.2020
Krankenversicherung: Auch in der Notfallambulanz kann das Labor bezahlt werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Klinikambulanzen sich bei ihren Notfallbehandlungen nicht auf das Spektrum der Leistung eines niedergelassenen Arztes beschränken lassen müssen. Die gesetzlichen Krankenversicherungen dürfen es nicht pauschal ablehnen, Laborleistungen im Rahmen von Notfallambulanzen zu bezahlen. Umgekehrt muss sie aber auch nicht stets das gesamte Screening-Programm übernehmen. "In besonders begründeten Einzelfällen" oder auf Überweisung ist die Vergütung von Laborleistungen auch bei der Behandlung von Notfällen möglich. (BSG, B 6 KA 6/19 R)
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14.08.2020
Schwerbehinderung: Bei berechtigten Bedenken darf Wiedereingliederung verschoben werden
Lehnt ein Arbeitgeber den Wiedereingliederungsplan des Arztes eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ab, der nach fast 20-monatiger Arbeitsunfähigkeit zurück an den Arbeitsplatz kommen soll, weil der Einsatz des Mannes mit den in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Einschränkungen nicht möglich ist, so kann der Arbeitnehmer nicht zwingend die Vergütung für die Zeit bezahlt verlangen, in der er nicht "zugelassen" worden ist. Wird der Wiedereingliederungsplan überarbeitet und kehrt der Mann knapp fünf Monate später als ursprünglich (im ersten Plan angedacht) zurück an den Arbeitsplatz, so muss die Zeit nicht bezahlt werden. Zwar sind die Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, an solchen Wiedereingliederungen mitzuwirken. Bestehen jedoch zurecht Befürchtungen, dass der Gesundheitszustand einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters "eine Beschäftigung entsprechend dem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde", so darf die Eingliederung abgelehnt beziehungsweise (wie hier geschehen) verschoben werden.(BAG, 8 AZR 530/17)
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12.08.2020
Mietrecht: Vormieter-Arbeiten können die Miete erhöhen
Hat ein Mieter Arbeiten in der Wohnung geleistet, die den Wohnwert verbessern (hier unter anderem einen hochwertigen Stuck freigelegt, dass Parkett abgeschliffen sowie Wasser- und Elektroleitungen unter dem Putz verlegt), so können diese Verbesserungen den Wohnwert steigern und einem nachfolgenden Mieter eine Mieterhöhung einbringen. Der Mieter kann sich nicht mit dem Argument dagegen wehren, er habe dem Vormieter für die Einbauten eine hohe Abschlagzahlung geleistet. Der Vermieter kann die Verbesserungen - auch ohne eigene Leistung als Basis für künftige Mieterhöhungen berücksichtigen. Denn Vereinbarungen zwischen Mieter und Vormieter haben keine Auswirkungen auf das Mietverhältnis zwischen dem aktuellen Mieter und dem Vermieter. Weder könne ein Vermieter daraus Rechte herleiten, noch müsse er eine Verschlechterung seiner Rechte hinnehmen. (LG Berlin, 64 S 150/18)
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11.08.2020
Kfz-Haftpflichtversicherung: Auch ein Jahr Nutzungsausfall kann bezahlt werden müssen
Dauert die Reparatur eines Fahrzeugs einer Frau nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall sehr lange (hier auch deswegen, weil die Versicherung des unstrittig zu Schadenersatz verpflichteten Unfallverursachers die Vorschüsse an die Werkstatt sowie deren Rechnungen für die Reparatur des Fahrzeugs nur zögerlich bezahlte), so muss die Versicherung den kompletten Nutzungsausfall der Geschädigten begleichen. (Hier kam hinzu, dass es sich um ein „Liebhaberfahrzeug“ handelte, für das besondere Ersatzteile beschafft werden mussten.) Nachdem das Auto repariert wurde, gab die Werkstatt es wegen nicht beglichener Rechnungen nicht frei. Insgesamt musste die Versicherung schließlich Nutzungsausfall für ein knappes Jahr bezahlen – rund 17.700 Euro. Die Frau hatte keinen Ersatzwagen gemietet – war aber auf ein Fahrzeug für die Wege zur Arbeit angewiesen. (LG Bielefeld, 2 O 85/16)
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10.08.2020
Kündigung: Der Schutz für Schwangere gilt auch schon vor Tätigkeitsbeginn
Der gesetzliche Kündigungsschutz für Schwangere gilt vom Tag der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Das bedeutet, dass dieser Schutz auch schon vor Beginn der eigentlichen Beschäftigung greift - also auch schon vor dem ersten Arbeitstag. In einem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht hatte eine junge Frau einen Arbeitsvertrag unterschrieben, nach dem sie zwei Monate später bei einem Rechtsanwalt als Rechtsanwaltsfachangestellte starten sollte. Einen Monat vor Arbeitsbeginn wurde bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt und wegen einer Vorerkrankung sofort ein Beschäftigungsverbot verhängt. Der Arbeitgeber kündigte mit der für die Probezeit vereinbarte zweiwöchige Frist, weil die Arbeitnehmerin noch nicht "in einer Beschäftigung" gewesen sei. Das sah das Gericht anders. Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gilt auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme. (BAG, 2 AZR 498/19)
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07.08.2020
Arbeitsrecht: Bei Fotos auf Facebook darf Mitarbeiter mitreden
Auch wenn ein Mitarbeiter eines Pflegedienstes der Veröffentlichung eines Fotos von ihm auf der Homepage des Unternehmens und auf einem Aushang zugestimmt hatte, bedeutet das nicht, dass der Arbeitgeber das Foto auch mit Facebook "verlinken" darf. Hat der Arbeitnehmer den Betrieb verlassen und stellt er später diese Verlinkung fest, so hat er Anspruch auf eine Entschädigungszahlung wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Veröffentlichung werde nicht durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers gedeckt. (ArG Lübeck, 1 Ca 538/19)
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06.08.2020
Nachbarrecht: Kirschlorbeer muss geschnitten werden - Kirschbaum nicht
Bilden eine Kirschlorbeer-Hecke und ein Kirschbaum die Grenze zwischen zwei Grundstücken, so kann der Nachbar des Eigentümers der Pflanzen verlangen, dass die Hecken nicht über eine Höhe von zwei Metern hinauswachsen. Das konnte er allerdings nicht auch für den Baum durchsetzen. Denn wird gutachterlich belegt, dass der Baum bereits seit mehr als zehn Jahren an der Stelle steht und auch schon so lange die „angemahnte Höhe überschritten“ hat, so ist der Anspruch auf Rückschnitt verjährt. (AmG München, 155 C 6508/19)
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06.08.2020
Private Krankenversicherung: Es gibt keinen Anspruch auf ein «erbgesundes Kind»
Ist ein privat krankenversicherter Mann nicht zeugungsfähig und außerdem so genannter Anlagenträger des Zellweger-Syndroms (einer Stoffwechselstörung, die tödlich verläuft), so muss die private Krankenversicherung zwar eine künstliche Befruchtung der Frau bezahlen (die ebenfalls Zellweger-Syndrom-Anlagenträgerin ist). Allerdings muss die Versicherung nicht für die Präimplantationsdiagnostik (PID) aufkommen (die hier 4.435 € teuer war), mit der schon wenige Tage nach der Befruchtung festgestellt werden kann, ob das Embryo die Erbkrankheit hat. Die Befruchtung zählt zur medizinischen Behandlung der organisch bedingten Unfruchtbarkeit des Mannes. Die PID dient hingegen dazu, "künftiges Leiden eines eigenständigen Lebewesens zu vermeiden", was nicht zum Leistungsanspruch des privat Krankenversicherten zählt. Es gibt keinen Anspruch auf ein "erbgesundes Kind". (BGH, IV ZR 125/19)
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05.08.2020
Krankenversicherung: Wird ein Armband bezuschusst, so muss das auch für ein Handy gelten
Wirbt eine gesetzliche Krankenkasse im Rahmen ihres Bonusprogrammes damit, einen Zuschuss für den Erwerb eines so genannten Fitnessarmbandes zu zahlen, so muss die Kasse diesen Zuschuss auch einem Versicherten zahlen, der sich ein neues Smartphone gekauft hat, welches über eine Fitnesstracker-Funktion verfügt. Die Kasse kann nicht argumentieren, der Zuschuss sei nur für den Erwerb von Armbändern vorgesehen. Das Sozialgericht Dresden machte deutlich, dass es um die Erfassung der Daten an sich gehe und nicht darum, ob sie am Handgelenk oder in der Hosentasche erfasst würden. Vorrangig sei der psychische Effekt, der gesundheitsbewusstes Verhalten fördere. (SG Dresden, S 44 KR 653/17)
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03.08.2020
Scheidung: Gegen den Willen eines Elternteils den Nachnamen nur ausnahmsweise ändern
Trennen sich Eltern, so hat das Kind von da an meist seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil. Wechselt das Kind diesen Mittelpunkt (hier lebte ein Sohn zunächst bei der Mutter, bevor er zu seinem Vater und dessen neuer Ehefrau in den Haushalt zog), so kann der Vater nicht durchsetzen, dass der Junge seinen Nachnamen erhalten müsse. Das sei nur dann möglich, wenn dem Kind konkret Schäden drohen, so dass die "Einbenennung" unerlässlich wird. Um gegen den Willen des anderen Elternteils den Namen ändern zu lassen, reiche es nicht aus, dass dem Kind lediglich "Unannehmlichkeiten" erspart werden sollen. Besteht zwischen dem Kind und dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, eine tragfähige Beziehung, so muss der Nachname nicht geändert werden. (OLG Oldenburg, 3 UF 145/19)
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31.07.2020
Mietrecht: Kann der Vermieter nichts gegen den Lärm machen, darf der Mieter nicht mindern
Entsteht in der Nachbarschaft eines Mieters eine Baustelle, so darf der Mieter die Miete auch dann nicht zwingend mindern, wenn von der Baustelle erhebliche Lärmbelästigungen ausgehen. Kann der Vermieter selbst keine rechtlichen Schritte gegen den lärmenden Bauherrn unternehmen, so geht dieses Risiko der "Umfeldveränderung" nicht zu Lasten des Vermieters. (Hier forderte der Mieter vergeblich 10 % Mietminderung.) (BGH, VIII ZR 31/18)
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30.07.2020
Private Haftpflichtversicherung: Einen »Billig-Akku« nicht unbeaufsichtigt laden
Hat sich ein Mann einen Spielzeughelikopter bei einer Recycling-Börse für nur acht Euro gekauft (ohne Bedienungsanleitung und Verpackung), so darf er das Elektrogerät nicht unbeaufsichtigt zum Aufladen der Akkus in einem "brennbaren Umfeld" seines gemieteten Hauses lassen. Explodiert der Akku und kommt es zu einem Hausbrand, so kommt für den Schaden zwar die Feuerversicherung aus der Wohngebäudeversicherung auf (hier ging es um knapp 15.000 €). Diese darf allerdings Regress gegen die private Haftpflichtversicherung des Mieters nehmen, wenn sich herausstellt, dass der fahrlässig gehandelt hatte. Er hätte den Akku nicht (hier unter anderem in der Nähe einer Holzsauna) unbeaufsichtigt liegen lassen dürfen, ohne über den Zustand des Geräts informiert gewesen zu sein. (LG Coburg, 23 O 464/17)
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29.07.2020
Arbeitsrecht: Betriebsrat kann vom Gericht aufgelöst werden
Weigert sich ein Betriebsrat beharrlich, mit dem Personalleiter zusammenzuarbeiten, der vom Arbeitgeber benannt worden ist, so kann die Arbeitnehmervertretung vom Arbeitsgericht aufgelöst werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat die Weigerungshaltung förmlich beschlossen hat und über einen langen Zeitraum umsetzt. Damit verstößt er grob gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Selbst, wenn die Behauptung des Betriebsrates stimmte, dass der Personalleiter in bestimmten Punkten gegen das Betriebsverfassungsrecht gehandelt habe, sei eine solche Verweigerung nicht tragbar. (LAG Düsseldorf, 14 TaBV 75/19)
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28.07.2020
Mietrecht: Ein Schweigen ist keine Verweigerung
Schweigt ein Vermieter zu einer Terminanfrage des Mieters, der Belege der Betriebs- und Nebenkostenabrechnung einsehen möchte, so liegt darin keine "Verweigerung der Belegeinsicht" vor. Der Mieter darf die Bezahlung der ihm in Rechnung gestellten Betriebskosten nicht verweigern. In dem konkreten Fall ging es um einen Mieter, der mehr als 1.600 Euro Betriebskosten nachzahlen sollten. Weil die Vermieterin auf eine Terminanfrage nicht reagiert hatte, verweigert der Mieter die Nachzahlung - zu Unrecht. Dem Mieter stehe ein Zurückbehaltungsrecht wegen einer „verweigerten Belegeinsicht“ nicht zu. Kommt eine Vereinbarung über einen Termin im ersten Versuch nicht zustande, so muss der Mieter - nach einer entsprechenden Ankündigung beim Vermieter - zu den üblichen Geschäftszeiten dort erscheinen. Nur, wenn dann die Unterlagen nicht vorgelegt werden, liege eine Verweigerung seitens des Vermieters vor, die den Mieter berechtigen könnte, nicht zahlen zu müssen. (LG Berlin, 63 S 255/18)
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27.07.2020
Reiserecht: Wer sich nicht helfen lassen will, muss fühlen - erhält aber Schmerzensgeld
Hat eine Frau eine Pauschalreise nach Teneriffa gebucht, in der fünf Massageanwendungen enthalten sind, so kann sie Schmerzensgeld vom Reiseveranstalter verlangen, wenn sie nach Abschluss einer solchen Anwendung beim Abstieg von der (mobilen) Massagebank stürzt (weil die Bank umkippt) und sie sich unter anderem einen Bruch des Handgelenks zuzieht. Allerdings muss sie sich einen Teil der Schuld selbst zusprechen lassen, wenn sie die angebotene Hilfestellung des Masseurs aus Scham ablehnt, weil sie am Oberkörper unbekleidet war. Ein Drittel der Schuld sprach das Landgericht Frankfurt am Main der Dame zu. Außerdem konnte sie 50 Prozent des Reisepreises erstattet verlangen, sowie eine Ersatzzahlung für die nutzlos aufgewandte Urlaubszeit verlangen - jeweils für die restlichen Tage nach dem Unfall. (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 28/18)
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24.07.2020
Verbraucherrecht: Für Grundlegendes darf beim Basiskonto nichts extra verlangt werden
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der monatliche Grundpreis für ein Basiskonto nicht zu hoch sein darf. Der Verbraucherzentrale Bundesverband konnte sich gegen die Deutsche Bank durchsetzen, die neben dem monatlichen Grundpreis in Höhe von 8,99 Euro zusätzlich noch eine Gebühr in Höhe von 1,50 Euro pro Überweisung verlangt, wenn diese von einem Mitarbeiter in der Filiale oder am Telefon durchgeführt wird. Grundlegende Kontofunktionen wie Ein- und Auszahlungen oder Überweisungen müssen in der Grundgebühr enthalten sein. Es müsse berücksichtigt werden, dass ein Basiskonto „insbesondere auch einkommensarmen Verbrauchern den Zugang zu einem Zahlungskonto“ ermöglichen soll. (BGH, XI ZR 119/19)
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23.07.2020
Verkehrsrecht: Auf einem Parkplatz nicht im Wohnmobil übernachten
Ist eine Frau mit ihrem Wohnmobil nach Sankt Peter-Ording gereist, findet sie dort auf den Stellplätzen keinen Platz mehr, auf denen über Nacht Wohnmobile abgestellt werden dürfen, so begeht sie eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie ihr Wohnmobil auf einem normalen Parkplatz abstellt und dort übernachtet. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat die Verurteilung zu einer Geldbuße in Höhe von 100 Euro bestätigt. Das Verhalten der Frau sei durch die Nutzung des Wohnmobils zu Wohnzwecken nicht mehr vom straßenrechtlichen Gemeingebrauch gedeckt, sondern stelle eine "unzulässige Sondernutzung" dar. (Schleswig-Holsteinisches OLG, 1 Ss OWi 183/19)
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22.07.2020
Krankengeld: Ist der Arzt schlecht organisiert, trifft das den Patienten nicht
Eine gesetzliche Krankenkasse darf einem Versicherten nicht das Krankengeld vorenthalten, wenn es nicht das Verschulden des Patienten war, dass der Arzt die Verlängerung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mangels Schreibkraft nicht direkt am Untersuchungstag ausstellen, sondern diese erst sechs Tage später zuschicken konnte. Reicht der Arbeitnehmer diese noch am selben Tag an die Krankenkasse weiter, so hat er seine Pflicht erfüllt. Die Kasse muss auch für diesen ersten Zeitraum Krankengeld zahlen. Schließlich bedienen sich die Kassen ausdrücklich dafür zugelassener Kassenärzte. Eine unzureichende Büroorganisation eines solchen Arztes liege in der Risikosphäre der Krankenkasse. (SG München, S 7 KR 1719/19)
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19.07.2020
Arbeitsrecht: Auch bei «Verliehenen» darf der Betriebsrat mitsprechen
Auch bei neu eingestellten Arbeitnehmern hat der Betriebsrat des Arbeitgebers ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Arbeitszeit. Das gilt auch für kurzzeitige Tätigkeiten von Leiharbeitern. Dem Betriebsrat im Entleiherbetrieb steht ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen zu. (BAG, 1 ABR 17/18) – vom 22.10.2019
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15.07.2020
Schadenersatz/Baurecht: Ein Bauträger darf sich auf Schornsteinfeger-Auskunft verlassen
Plant ein Bauträger für einen Bauherrn die Errichtung eines Pflegeheimes und wird dabei von einem Bezirksschornsteinfeger der Abstand für einen Kamin (für einen Pelletofen) zum Nachbarn durch Messungen ermittelt, so muss der Schornsteinfeger die Kosten für ein nachträgliches Umsetzen des Kamins erstatten, wenn sich der von ihm gemessen Abstand als falsch herausstellt. Der Bundesgerichtshof: "Auskünfte, die ein Amtsträger erteilt, müssen dem Stand seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend sachgerecht, das heißt vollständig, richtig und unmissverständlich sein". (Über die genaue Höhe des Schadenersatzes muss die Vorinstanz noch entscheiden. Im Raum standen rund 50.000 €). (BGH, III ZR 367/16) – vom 26.04.2018
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14.07.2020
Mietrecht: Auch ohne Beschwerden darf nicht beharrlich gegen die Hausordnung verstoßen werden
Die Kündigung eines Mietvertrages kann rechtens sein, wenn Mieter gegen die Hausordnung verstoßen, Hunde im Außenbereich auf der Grünfläche frei und ohne Leine laufen zu lassen. Das gelte insbesondere dann, wenn der Vermieter deswegen schon mehrfach abgemahnt hatte. Es handelt sich um eine beharrliche Pflichtverletzung der Mieter. Das könne sogar dann gelten, wenn sich andere Mieter nicht beschwert haben und nicht festgestellt werden konnte, dass die Tiere Verunreinigungen hinterlassen haben. (BGH, VIII ZR 328/19) – vom 02.01.2020
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14.07.2020
Verwaltungsrecht/Führerschein: 26 Jahre ohne Praxis gehen nur mit MPU
Ist einem Mann drei Jahre nach dem Bestehen seiner Führerscheinprüfung für ein Pkw die Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt abgenommen worden, so kann er nicht verlangen, dass er sie nach 26 Jahren zurückbekommt, ohne dass er ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegt. Auch die Tatsache, dass er seit mehr als 25 Jahren keine Fahrpraxis mit einem Auto hat, lässt keine andere Entscheidung zu. Er muss eine Fahreignungsprüfung absolvieren inklusive "MPU". Sein Mofaführerschein, den er seit mehreren Jahren besitzt, spiele dabei keine Rolle. (VwG Trier, 1 K 2868/19) – vom 10.03.2020
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11.07.2020
Arbeitsrecht: Hat sich der alte Chef "geirrt", wird daraus keine betriebliche Übung
Wendet ein Arbeitgeber einen Tarifvertrag irrtümlich an, so kann daraus nicht eine betriebliche Übung entstehen. In einem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um eine Beschäftigte in einem Klinikum, die aufgrund eines - eigentlich nicht für sie geltenden, jedoch vom Arbeitgeber angewendeten – Tarifvertrag zu viel Lohn bezog. Ein neuer Betreiber des Klinikums bemerkte das und stufte die Frau „korrekt“ ein. Weil die Mitarbeiterin jedoch mehr als fünf Jahre lang das höhere Gehalt bezog, sprach sie von einer „betrieblichen Übung“, die für sie weiter gelten müsste. Das Gericht sah das nicht so. Der Frau stehe der Anspruch auf höheren Lohn nicht zu. Eine betriebliche Übung entstehe nicht, „wenn sich der Arbeitgeber irrtümlich aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte“. (BAG, 4 AZR 443/17)
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09.07.2020
Wettbewerbsrecht: Eine eigener Zahnarzt-Notdienst muss auch als "eigen" gekennzeichnet sein
Bietet eine zahnärztliche Praxisgemeinschaft einen eigenen Notdienst "täglich von 7.00 Uhr bis 22.00 Uhr" (auch Wochenenden und Feiertagen) an, so muss ausreichend deutlich darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei nicht um den offiziellen öffentlich-rechtlichen Notdienst handelt. Eine Zahnärztekammer, die den öffentlichen Notdienst organisiert, kann erfolgreich auf Unterlassung klagen, wenn der Internet-Auftritt der Praxis Patienten, die nach dem allgemeinen Notdienst suchen, "erheblich in die Irre" führt. Grundsätzlich sei das Bekanntmachen eines eigenen Notdienstes allerdings erlaubt
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07.07.2020
Sozialhilfe: Auch "Eingeschränkte" benötigen kein Extra-Geld für "Hamsterkäufe"
Auch wenn ein schwerbehinderter Sozialhilfeempfänger nicht in der Lage ist, wegen seiner chronischen Behinderung einkaufen gehen zu können und auch in der Zeit der Corona-Pandemie auf Lebensmittellieferungen angewiesen ist, so kann er keinen Mehrbedarf durchsetzen, um sich einen Vorrat für Lebensmittel und Hygieneartikel zusammenstellen zu lassen. In dem konkreten Fall vor dem Hessischen Landessozialgericht verlangte der Mann 1.000 Euro als "Pandemie-Hilfe" und eine Erhöhung seiner monatlichen Regelleistung um 100 Euro, weil er einen Zusammenbruch der Lieferketten befürchtet. Vergeblich. Es liege kein akuter Mehrbedarf vor. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe habe lediglich eine Bevorratung für 10 bis 14 Tage empfohlen. Von einer größeren Menge werde ausdrücklich abgeraten.
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06.07.2020
Hartz IV: Ein Gesichtsschutz ist auch in Krisenzeiten selbst zu bezahlen
Hartz IV-Empfänger haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen das Jobcenter in der Zeit, in der während der Corona-Pandemie ein Mundschutz in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens getragen werden muss, einen solchen Schutz unentgeltlich zur Verfügung stellt oder bezahlt. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen machte klar, dass die - lediglich erforderlichen - Gesichtsbedeckungen aus dem Regelsatz finanziert werden müssen. In dem konkreten Fall scheiterte ein Hartz IV-Bezieher mit der Forderung, 349 Euro separat zu erhalten, um sich Schutzmasken gegen das Coronavirus zu kaufen. Alternativ sollte ihm die Behörde solche Masken bereitstellen. Zu Unrecht. Die Masken stellen keinen unabweisbaren Mehrbedarf dar. Außerdem seien lediglich Textile Mund-Nase-Bedeckungen vorgeschrieben, wie Schals oder Tücher.
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04.07.2020
Unfallversicherung: Auch weitere Arbeitswege vom "dritten Ort" aus sind versichert
Grundsätzlich sind Arbeitnehmer nur auf dem direkten Weg zwischen daheim und dem Ort der Tätigkeit gesetzlich unfallversichert. Das Bundessozialgericht hat die strenge Auslegung etwas „gelockert“. Das wird durch zwei Urteile deutlich, nach denen es keine Rolle mehr für den Unfallschutz spielt, dass der Weg von einem anderen Ort zur Arbeit deutlich länger ist. Im ersten Verfahren ging es um einen Auslieferungsfahrer, der eigentlich nur einen Arbeitsweg von zwei Kilometern hatte, jedoch immer wieder bei seiner Freundin übernachtete, die 44 Kilometer vom Arbeitsort entfernt wohnte. Auf einer Fahrt erlitt der Mann einen Autounfall. Die Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall nicht als versicherten Wegeunfall an - musste sie aber. Die Wohnung der Freundin sei als so genannter dritter Ort anzusehen, an dem Arbeitnehmer mehr als zwei Stunden verbringen müssen, damit Unfallschutz besteht. Es komme nicht (mehr) darauf an, ob der Weg vom „dritten Ort“ unverhältnismäßig weit ist. Im zweiten Fall ging es um einen Mann, der Personen zu einer Werkstatt für behinderte Menschen fährt und nachmittags wieder abholt. An einem Tag fuhr er nach seiner ersten Tour zu einem Freund und hielt sich dort länger als zwei Stunden auf. Nachmittags auf dem Weg zur Werkstatt verunglückte er. Weil der Weg dreimal länger als der übliche Arbeitsweg war, verweigerte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung des Wegeunfalls. Die Fahrt sei privat gewesen. Aber auch hier konnte sich der Arbeitnehmer durchsetzen. (BSG, B 2 U 2/18 R u. a.) – vom 31.01.2020
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03.07.2020
Reiserecht: Auch mit Umstiegen zählt das "große Ganze"
Das Landgericht Hannover hat entschieden, dass Flugpassagiere, die wegen einer Verspätung eine Entschädigung bei der Airline geltend machen, für die Höhe der Zahlung die Entfernung zwischen Start und Ziel der gesamten Flugreise ansetzen dürfen. Bei Verbindungen mit Anschlussflügen ist darunter die Distanz zwischen erstem Abflugort und Zielort zu verstehen. Es ist unerheblich, ob einer der Flüge pünktlich war, wenn der Passagier erheblich verspätet am Endziel ankommt. In dem konkreten Fall konnte sich ein Passagier gegen eine Airline durchsetzen, die ihm lediglich 250 Euro Ausgleichszahlung zugestand, weil der erste Flug pünktlich gegangen war. Die Fluggesellschaft berücksichtigte für die Berechnung nur die Distanz des zweiten Abschnitts. Das Gericht sprach dem Mann jedoch 600 Euro für die gesamte Strecke zu (die von Hannover nach Schanghai ging). Die aus zwei Flügen bestehende Flugreise ist wie ein Direktflug hinsichtlich der Entfernung zu bewerten, so das Gericht. (Bei Strecken bis zu 1.500 km gibt es 250 €, zwischen 1.500 und 3.500 km 400 € und wenn die Strecke mehr als 3.500 km ausmacht, gibt es 600 € - immer eine Verspätung von mindestens 3 Stunden vorausgesetzt.) (LG Hannover, 5 S 107/18) – vom 21.03.2019
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01.07.2020
Verwaltungsrecht: Für einen "Fehlalarm" zahlt der Hausbesitzer
Ist ein Ehepaar auf einer Reise und erhält es von der - mit dem Handy des Mannes gekoppelten - Alarmanlage am daheim leer stehenden Haus eine Meldung, so muss der Hausbesitzer den Polizeieinsatz bezahlen, der nach einem Gespräch zwischen Hausbesitzer und Polizeiinspektion stattfand, und sich herausstellt, dass es sich um einen "falschen Alarm" gehandelt hat. Finden die Beamten weder Einbruchs- oder Einbruchsversuchsspuren noch sonstige Umstände, die den Alarm ausgelösten haben könnten (was der Herstellerfirma später auch nicht gelang), so muss der Hausbesitzer die Gebühr für den Einsatz (hier ging es um 170 €) zahlen. Das gelte auch dann, wenn die Polizei selbst vorgeschlagen hatte, das Haus aufzusuchen. Denn sein Anruf bei der Polizei habe schließlich den Zweck gehabt, um Schutz zu ersuchen. Es hat sich "das in der Alarmanlage begründete Risiko verwirklicht". (VwG Koblenz, 3 K 1063/19) – vom 15.04.2020
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30.06.2020
Krankenversicherung: Trotz eines "Fehlers im System" muss die Kasse nicht zahlen
Ist eine Frau als Mann geboren worden, und hat sie eine operative Geschlechtsangleichung durchführen lassen, so kann sie von ihrer Gesetzlichen Krankenkasse nicht verlangen, dass die eine Barthaarentfernung per Nadelepilation in einem Kosmetikstudio bezahlt. In dem Fall vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen blieben nach der - von der Kasse bezahlten - Laserepilation beim Hautarzt ein paar weißhaarige Bereiche. Diese konnten nur mit einer Elektronadel entfernt werden, was jedoch Ärzte im Regelfall nicht durchführen. Dennoch unterliege eine Kostenübernahme dem Arztvorbehalt. Darin ist durchaus ein "Systemversagen" zu erkennen, dennoch führt das nicht zu einer Bezahlung durch die Krankenkasse.
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29.06.2020
Arbeitsrecht/Elternzeit: Verpasst der Chef die Frist, ist die Teilzeit genehmigt
Ist eine Frau aus ihrem Vollzeitjob in die Elternzeit gegangen, wobei sie angekündigt hatte, insgesamt zwei Jahre nehmen zu wollen, und dabei nach einem Jahr in Teilzeit wieder einzusteigen, so steht ihr das grundsätzlich zu. Führt sie vor ihrer geplanten Rückkehr zwei Gespräche mit dem Arbeitgeber, in denen der nicht auf den Teilzeitwunsch eingeht, und bekommt die Frau schließlich drei Monate danach die schriftliche Ablehnung ihres Teilzeitwunsches, so muss sie diese nicht hinnehmen. Das gelte jedenfalls dann, wenn sie alle formalen Voraussetzungen eingehalten hat. Denn Arbeitgeber haben - stellen Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer aus der Elternzeit heraus den Wunsch auf Teilzeit - vier Wochen Zeit, um den Antrag schriftlich abzulehnen. Und das geht nur, wenn der Teilzeit wichtige betriebliche Gründe entgegenstehen. Mit Ablauf der Frist gilt der Teilzeitwunsch als "genehmigt". (Hessisches LAG, 10 SaGa 738/19) – vom 17.07.2019
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27.06.2020
Ärztebewertungsportal: Ist es keine Schmähkritik, so ist ein Urteil in Ordnung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Mediziner Nutzerbewertungen auf Ärztebewertungsportalen hinnehmen müssen, wenn die Meinungsäußerungen die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreiten und die Bewertung jeweils nach Praxisbesuchen abgegeben wurden. In dem konkreten Fall ging es um eine Augenärztin, die eine negative Bewertung löschen lassen und den Namen des Urhebers wissen wollte. Der Portalbetreiber verweigerte das - zu Recht. Sie könne weder die Löschung ihrer Basisdaten durchsetzen noch die Löschung der einzelnen Bewertung. Auch ohne die Zustimmung der Ärztin liege eine rechtmäßige Datenverarbeitung vor. Ein Ärztebewertungsportal erfülle „eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion“. Auch die Löschung der Bewertung dürfe sie nicht verlangen. Die Ärztin werde nicht rechtswidrig in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.
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25.06.2020
Tierhalterhaftung: Wer eine Beißerei schlichten will, "greift" in die Gefahr
Greift eine Hundebesitzerin in den Streit zwischen ihrem Tier und einem anderen Hund ein und wird sie vom "gegnerischen" Tier in den Unterarm gebissen, so trägt sie die überwiegende Schuld an dem Vorfall (der sich an einem beliebten Hundestrand abspielte, an dem die Tiere "von der Leine" gelassen werden dürfen). Zwar wiege die Tiergefahr des Hundes, der gebissen hat, schwerer als die des eigenen. Allerdings hat die Frau "in hohem Maße leichtfertig" gehandelt, indem sie in die brenzlige Auseinandersetzung zweier angriffslustiger Hunde ohne Schutzvorrichtung eingegriffen hatte. Das von ihr geforderte Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro reduzierte das Oberlandesgericht Oldenburg auf 800 Euro. Damit wurde ihre Mitschuld auf 80 Prozent festgesetzt. (OLG Oldenburg, 5 U 114/19) – vom 03.09.2019
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24.06.2020
Reiserecht/Verbraucherrecht: 3.000 Euro Strafe ist zu hoch gegriffen
Kunden von Fluggesellschaften dürfen nicht mit Ticketzuschlägen von bis zu 3.000 Euro „bedroht“ werden, wenn die Passagiere ihre Flüge nicht vollständig oder nicht in der gebuchten Reihenfolge antreten. Das Landgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass die Vorgabe zwar grundsätzlich zulässig ist, wenn ein Onlineticketpreis nur für Flüge gelten soll, die vollständig und in der gebuchten Reihenfolge angetreten werden. Damit dürfen sich Airlines vor „Preissystem-Missbrauch“ seitens der Kunden schützen, die beispielsweise statt eines teuren One-Way-Tickets einen günstigeren Hin- und Rückflug kaufen und dann einen der Flüge verfallen lassen. Die Höhe der Zuschläge ließ das Gericht allerdings nicht durchgehen. In den konkreten Fällen hatten Airlines für Flüge innerhalb Europas je nach gebuchter Klasse 250 bis 500 Euro verlangt. Für Langstreckenflüge betrug die Strafgebühr sogar bis zu 3.000 Euro. Die Zuschläge für den Nichtantritt sollen Schnäppchenjäger "abschrecken", was im Grunde in Ordnung ist. Allerdings darf der Zuschlag „zum Schutz der Tarifgestaltung“ höchstens die Differenz zu dem höheren Flug-preis ausmachen, den der Kunde am Buchungstag für die tatsächlich geflogene Strecke hätte zahlen müssen.
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23.06.2020
Schwerbehinderung/Arbeitsrecht: Früherer Renteneinstieg darf kein Nachteil sein
Endet das Arbeitsverhältnis für einen Schwerbehinderten im Rahmen eines Sozialplanes mit einer Abfindung, deren Höhe sich nach dem frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente berechnet, so darf es nicht zum Nachteil werden, dass Schwerbehinderte früher in Rente gehen können als "normale" Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Abfindungen für Schwerbehinderte in solchen Fällen genauso hoch sein müssen, wie die Zahlung an Menschen ohne Behinderung, die im Rahmen eines Sozialplanes aus dem Arbeitsleben ausscheiden. (BAG, 1 AZR 537/17) – vom 16.07.2019
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22.06.2020
Verbraucherrecht: Widerrufsklausel muss prägnant sein
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Darlehensverträge klare und für Verbraucher verständliche Hinweise auf den Beginn von Widerspruchsfristen enthalten müssen. In dem konkreten Fall ging es um einen Verbraucher, der einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100.000 Euro aufgenommen hatte. Weil Pflichtangaben in der Widerrufsbelehrung fehlten, widerrief der Mann den Vertrag vier Jahre nach Abschluss. Der Kreditgeber widersprach mit dem Argument, er habe im Vertrag auf "weitere deutsche Rechtsvorschriften" verwiesen. Das reichte aber nicht. Kreditverträge müssen klar und prägnant die Bedingungen für die Widerrufsfrist darlegen. Eine "Kaskadenverweisung" auf unterschiedliche Paragrafen im nationalen Recht bietet diese Klarheit nicht. (EuGH, C-66/19) – vom 26.03.2020
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18.06.2020
Verbraucherrecht: Waren die Schweine nur im Stall, darf nicht mit Wiese geworben werden
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat entschieden, dass ein Foto von Schweinen auf grüner Wiese auf einer Verpackung mit Schweinefleisch aus konventioneller Stallhaltung wegen Irreführung der Verbraucher unzulässig ist. Der Hersteller darf nicht mit einem solchen Bild werben - auch nicht, wenn daneben das korrekte Tierhaltungskennzeichen (mit der niedrigsten Stufe 1 = Stall) abgedruckt ist. Die Abbildung der Schweine im Freiland verleite einen normal verständigen Verbraucher zu der Annahme, die verarbeiteten Tiere hätten zumindest zeitweise Zugang zu einem Außengehege erhalten. (LG Nürnberg-Fürth, 19 O 5336/19) – vom 31.01.2020
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17.06.2020
Zivilrecht: E-Bikes haben ein erhöhtes Gefahrenpotenzial
Das Amtsgericht Cloppenburg hat entschieden, dass ein E-Bike ein höheres Gefahrenpotenzial hat als ein herkömmliches Fahrrad. In dem konkreten Fall war ein "E-Biker" mit einem Mitglied einer ihm entgegenkommenden Gruppe jugendlicher Fahrradfahrer kollidiert. Der Mann hielt zunächst in einer Bucht, fuhr aber wieder an, bevor ihn der letzte Radler aus der Kolonne passiert hatte - mit diesem kam es schließlich zur Kollision. Der E-Biker behauptete, der - seiner Wahrnehmung auch betrunkene - Jugendliche habe ihn schlicht und einfach übersehen. Er forderte Schadenersatz und Schmerzensgeld. Der Jugendliche warf dem Mann hingegen vor, zu schnell gewesen zu sein und nicht genügend Abstand eingehalten zu haben. Letztlich stand Aussage gegen Aussage. Mangels neutraler Zeugen konnte der tatsächliche Hergang nicht rekonstruiert werden, weswegen die erhöhte Betriebsgefahr eines E-Bikes zum Tragen kam. Die Tatsache, dass der Mann aus dem Stand „motorisiert“ beschleunigt hatte, gereichte ihm zum Nachteil. Seine Klage wurde zurückgewiesen. (AmG Cloppenburg, 21 C 778/19) – vom 05.03.2020
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16.06.2020
Verbraucherrecht/Versorgungsvertrag: Ist der Eigentümer nicht Abnehmer, so muss er nicht zahlen
Ist eine Rechnung für Gaslieferungen in eine vermietete Wohnung offen, so kann das Versorgungsunternehmen nicht vom Eigentümer der Wohnung verlangen, dass er sie begleicht, wenn der Mieter selbst den Vertrag mit dem Lieferanten "abgeschlossen" hat. Ist tatsächlich ein Vertrag mit dem (Haus-)Eigentümer nicht zustande gekommen, sondern handelte es sich um eine so genannte Realofferte des Versorgungsunternehmens (vereinfacht ausgedrückt ist das ein Angebot, bei dem der Abnehmer keinen schriftlichen Vertrag abschließt, sondern durch die Annahme signalisiert, dass er mit dem Angebot einverstanden ist), so muss der Eigentümer nicht zahlen. Allerdings muss er dem Gaslieferanten den Mieter nennen. (AmG Berlin-Schöneberg, 106 C 400/18) – vom 21.11.2019
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16.06.2020
Mietrecht: Einen zweiten Hund darf der Vermieter verbieten
Ein Vermieter ist nicht grundsätzlich verpflichtet, der Haltung eines zweiten Hundes in der Wohnung zuzustimmen. Er hat das Recht, die Genehmigung zu verweigern, wenn die Wohnung für zwei Hunde zu klein ist. In dem konkreten Fall ging es um eine lediglich 50 Quadratmeter große Wohnung, in der eine Frau eine Hündin hielt. Die Frau bat den Vermieter um Genehmigung für einen zweiten Hund, weil die Hündin alt und krank war und bald versterben konnte. Der Vermieter verweigerte das mit der Begründung, dass durch einen zweiten Hund die Belastung in der Wohnung, in dem Haus und in unmittelbarer Umgebung steigen würde, weil Miteinander-Balgen oder gegenseitiges Anbellen zusätzlich Geräusche und eine verstärkte Benutzung der Wohnung erwarten ließen - zu Recht. (LG Berlin, 66 S 310/19) – vom 24.01.2020
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13.06.2020
Kfz-Kaskoversicherung: Grobe Fahrlässigkeit kostet 75 Prozent
Lässt ein Autofahrer den Zündschlüssel im Auto stecken, so dass das Fahrzeug unverschlossen in einer Einfahrt steht (hier hatte der Mann das Auto kurz geparkt, um einen Waschsalon aufzusuchen), so handelt er grob fahrlässig. Wird das Auto in dieser Zeit gestohlen, so kann die Kfz-Kaskoversicherung die Regulierung des Schadens kürzen - allerdings nicht auf „0“. Denn das Auto stand nicht auf der Straße und die Fenster waren verschlossen. Es sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass viele Fußgänger an dem Wagen vorbeigehen würden - außerdem war seine Abwesenheit nur für die kurze Zeit im Waschsalon geplant. Das Oberlandesgericht Dresden hielt deswegen eine Kürzung auf 25 Prozent für angemessen. Auf 75 Prozent des Schadens blieb der Autobesitzer sitzen. (OLG Dresden, 4 U 2082/19) – vom 21.11.2019
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10.06.2020
Zivilrecht: Wenn das Sozialamt in die Sparbücher der Enkel guckt...
Spart eine Großmutter für ihre zwei Enkelkinder regelmäßig (hier jeweils 50 € monatlich), und wird sie pflegebedürftig und muss ins Heim, so kann das Geld zurückverlangt werden, wenn die Oma nicht über ausreichende Mittel verfügt, die Heimkosten zu tragen und das Sozialamt für sie einspringen muss. Das Sozialamt hatte hier das angesparte Kapital der Enkelkinder eingefordert, weil der Rückforderungsanspruch nach dem Gesetz auf den Sozialhilfeträger übergegangen ist. Schenkungen können grundsätzlich dann zurückgefordert werden, wenn "der Schenker seinen angemessenen Unterhalt nicht mehr selbst bestreiten kann und die zuvor geleisteten Schenkungen keiner sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen haben." Und das traf hier zu, weil das Geld allein der Kapitalbildung diente (es ging insgesamt um etwas mehr als 11.000 €). (OLG Celle, 6 U 76/19) – vom 13.02.2020
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09.06.2020
Verwaltungsrecht: Lässt sich ein Lehrer fotografieren, so gehört er auch ins Jahrbuch
Ein Studienrat kann nicht verhindern, dass er auf einem Foto seiner Abschlussklasse in einem Jahrbuch der Schule abgedruckt wird. Das gelte jedenfalls dann, wenn er sich für das Gruppenfoto mitaufgestellt hatte. Dass er zu dem Foto von einer Kollegin "überredet" worden sei, sei unerheblich. Auch kann sein Argument nicht durchdringen, er habe nicht gewusst, wofür das Foto verwendet werden sollte. Denn derartige Fotos wurden von der Schule in der Vergangenheit in jedem Jahr für die Jahrbücher verwendet - das konnte ihm nicht entgangen sein. Außerdem seien die Fotos weder unvorteilhaft noch verfänglich. Darüber hinaus besteht ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch bei Veranstaltungen von regionaler oder lokaler Bedeutung. (OVG Rheinland-Pfalz, 2 A 11539/19) – vom 02.04.2020
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09.06.2020
Verwaltungsrecht: Ein gewalttätiger Erzieher ist keiner
Wurde ein Erzieher wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung jeweils zu Geldstrafen verurteilt, so kann ihm die staatliche Anerkennung entzogen werden. Das Verwaltungsgericht Berlin hat einem Mann den Status des Erziehers entzogen, der seine ehemalige Lebensgefährtin unter den Augen des gemeinsamen Kindes an die Wand geschleudert und gewürgte sowie bei einem späteren Zwischenfall - ebenfalls im Beisein des Kindes - ihr mit dem Tod gedroht hatte. Die schweren Verfehlungen begründen seine "Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs als Erzieher". Die Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit zeigen "die mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, sich selbst in Anwesenheit von Kindern in schwierigen Situationen adäquat zu verhalten". (VwG Berlin, 3 K 924/18) – vom 28.01.2020
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05.06.2020
Sozialversicherung: Detektive in einer Detektei sind nicht selbstständig
Personen, die als Supermarkt-Detektive von einer Detektei nach Stunden bezahlt und im Namen der Detektei tätig werden, können nicht als "Selbstständige" durchgehen. Das gelte insbesondere dann, wenn die Detektive kein Unternehmerrisiko tragen, die Aufträge delegiert bekommen und weder Betriebsmittel noch Betriebsräume selbst unterhalten. Die Detektei muss für die Detektive Sozialversicherungsbeiträge abführen. Sie kann nicht argumentieren, sie hätte die Aufträge einfach nur "durchgereicht". Das Hessische Landessozialgericht hat festgestellt, dass die Detektive in Wahrheit in den Betrieb eingegliedert sind und den Weisungen des Inhabers unterliegen. Deswegen seien Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung abzuführen. (Hessisches LSG, L 1 BA 27/18) – vom 06.04.2020
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03.06.2020
Reiserecht/Zivilrecht: Nicht reservierte Plätze berechtigen nicht zum Upgrade
Hat ein Mann für sich, seine Frau und dem Sohn für eine Flugreise, die er im Economy-Tarif gebucht hatte, XL-Sitze reserviert (zu einem Preis in Höhe von insgesamt 360 €), so kann er nicht auf Kosten der Airline ein Upgrade in die Business-Class verlangen, wenn er drei Tage vor Abflug bemerkt, dass die reservierten Plätze gar nicht zur Verfügung stehen. Bucht er eigenständig auf die Kategorie Business um (zu einem Preis in Höhe von 350 € pro Ticket), so beleibt er auf den Kosten sitzen. Sein Schaden, so das Amtsgericht Frankfurt am Main, umfasse nicht mehr als die Reservierungskosten, die er von der Fluggesellschaft auch erstattet bekommen hat. Denn bei der Beförderung im Business-Bereich handele es sich - insbesondere mit Blick auf Verpflegung und Service - um eine andere als die geschuldete Leistung. Eine solche "Selbstvornahme" ist nicht erstattungsfähig. (AmG Frankfurt am Main, 29 C 2618/19)
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29.05.2020
Ärztlicher Kunstfehler: Drohen dem Ungeborenen schwere Schäden, so muss das gesagt werden
Hat eine Frau in der Vergangenheit schon einmal ein Ungeborenes wegen eines Hirnschadens abgetrieben und zeigen sich bei einer zweiten Schwangerschaft wieder Hinweise auf einen möglichen Hirnschaden bei dem Ungeborenen, so müssen die Ärzte die Mutter auf dieses Risiko ausdrücklich hinweisen. Tun sie dies nicht, und bringt die Frau das schwerbehinderte Kind zur Welt (das kein Augenlicht hat, nicht richtig schlucken, laufen und greifen kann und an Epilepsie leidet), so müssen sie der Mutter Schadenersatz leisten. Das gelte insbesondere für die hohen Kosten der sehr aufwändigen Pflege für das Kind. Auch Schmerzensgeld steht der Mutter zu, die seit der Geburt an schwerwiegenden psychischen Folgen leidet. Die Information über das Risiko der schweren Behinderung durfte den Eltern nicht vorenthalten werden. (Zwar wurden die Eltern hier in einem Arztgespräch auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung aufgeklärt, nicht aber über das Risiko schwerer Schädigungen.) (OLG Karlsruhe, 7 U 139/16)
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28.05.2020
Verfassungsrecht: Ein Recht auf Sterbehilfe gibt es, einen Anspruch nicht
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland nicht verboten werden darf. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben müsse auch die Möglichkeit bieten, dafür Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen zu können. Und zwar nicht nur dann, wenn ein Mensch unheilbar krank ist. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe in jeder Lebensphase eines Menschen. Der Gesetzgeber könne Suizidprävention betreiben und palliativmedizinische Angebote ausbauen, so das Gericht. Allerdings gebe es für die Menschen keinen Anspruch auf Sterbehilfe. Es könne kein Arzt verpflichtet werden, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe leisten zu müssen. (BVfG, 2 BvR 2347/15 u. a.)
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28.05.2020
Eigentumswohnung: Die Altglasentsorgung muss auch in gehobenen Wohngebieten laufen
Hat sich ein Ehepaar eine Eigentumswohnung in einem gehobenen Wohnviertel (hier in Düsseldorf) gekauft, so kann sie später nicht gegen den Bauträger eine nachträgliche Kaufpreisreduzierung durchsetzen, wenn gegenüber der Wohnung eine Containeranlage für Altglas und Altpapier errichtet wird. Das Ehepaar fordert eine Kaufpreisreduzierung in Höhe von insgesamt 30.000 Euro für die 550.000 Euro teure 140-Quadratmeter-Wohnung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf entsprach dem nicht. Eine Abfallentsorgung gehöre zum urbanen Leben. Das gelte auch für Wohnviertel mit gehobenen Preisen. (OLG Düsseldorf, 21 U 46/19)
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26.05.2020
Krankentagegeldversicherung: Auch in der Freistellung besteht das Arbeitsverhältnis
Arbeitnehmer, die sich in der Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit befinden, haben Anspruch auf Leistungen aus ihrer privaten Krankentagegeldversicherung. Denn auch in der Freistellungsphase liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Wird ein Versicherter in der Freistellungszeit krank, zahlt die Versicherung zunächst Krankentagegeld und erfährt sie später, dass der Mann gar nicht „arbeitete“, so kann sie die gezahlten Gelder dennoch nicht zurückfordern. Die Versicherungsgesellschaft konnte nicht mit dem Argument durchdringen, dass eine Versicherungsfähigkeit nicht (mehr) vorlag, weil mit der Leistung vor Verdienstausfall durch Arbeitsunfähigkeit geschützt werden sollte. Der Bundesgerichtshof widersprach dem. Versichert sei eine im Voraus bestimmte pauschalierte Entschädigung entsprechend den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für jeden Tag Arbeitsunfähigkeit ohne Rücksicht darauf, „welchen Verdienstausfall er tatsächlich erlitten hat“. (BGH, IV ZR 314/17)
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26.05.2020
Mietrecht: Uralt Wertloses kann nicht beschädigt werden
Übergibt ein Vermieter einem Mieter ein Haus und erklärt er, er könne renovieren, „wie er möchte“ (womit der Mieter auch begann), so hat der Vermieter später keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn sich herausstellt, dass das Haus verkauft werden soll, und der Mieter die Renovierungsarbeiten abbricht. Der Vermieter forderte etwas mehr als 9.000 Euro, weil er Wände vorfand, an denen (uralte) Tapeten halb abgerissen herunterhingen. Der Vermieter argumentierte, der Mieter hätte entweder die Renovierungsarbeiten beenden oder den vorherigen Zustand wiederherstellen müssen. Zwar bestätigte der Bundesgerichtshof, dass der Mieter grundsätzlich eine Pflichtverletzung begehe, wenn er, ohne anschließend neue Tapete anzubringen, in der Wohnung vorgefundene Tapeten ganz oder teilweise entfernt. Der Vermieter dürfe aber nicht unabhängig von Alter und Zustand der entfernten Tapetenteile einen Schaden in Höhe von 80 Prozent der Kosten geltend machen, die für eine Neutapezierung der Wände erforderlich wären. (Hier reduzierte der BGH den Schaden sogar auf „0“, weil die Tapeten mehr als 30 Jahre alt waren und - obwohl nicht zum Überstreichen geeignet - schon mehrfach bepinselt worden sind. Mit Blick auf den desaströsen Zustand der Tapete konnte sie gar nicht „beschädigt“ werden. (BGH, VIII ZR 263/17)
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20.05.2020
Tierquälerei: Rohes Rindertreiben kostet 2.000 Euro
Liefert ein Mann Schlachtvieh bei einem Schlachthof ab, wo die Tiere zunächst eingestallt und vom Amtstierarzt in Augenschein genommen werden (bevor sie dann durch einen Treibgang zur so genannten Tötebox getrieben werden), so muss der Mann wegen Tierquälerei eine Geldstrafe zahlen, wenn er einem Bullen unvermittelt und grundlos mit einem Treibstock direkt auf das rechte Auge schlägt, das innerhalb von wenigen Minuten stark anschwillt. 2.100 Euro Geldstrafe musste der Lieferant zahlen. Er hatte „roh und ohne jedes Empfinden für das Leiden des Tieres“ gehandelt. Denn Bullen seien im Bereich des Auges besonders schmerzempfindlich. Sein Argument, es handele sich um eine „absolute Bagatelle“ und Rinder könnten „viel aushalten“ sei nicht nachvollziehbar. (OLG Oldenburg, 1 Ss 93/19)
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19.05.2020
Geschwindigkeitsüberschreitung: Auch am Karfreitag gilt das Tempolimit vor einer Schule
Ist ein Tempolimit-Verkehrsschild mit den Zusätzen "Mo-Fr", "7.00 - 16.00 Uhr" und "Schule" versehen, so gilt die Geschwindigkeitsbegrenzung immer von Montag bis Freitag - und zwar auch an gesetzlichen Feiertagen. Wird ein Autofahrer an einem Karfreitag vor einer Schule geblitzt, so kann er sich nicht mit der Begründung gegen das Bußgeld (hier im Übrigen in Höhe von 15 € wegen Überschreitens des Tempolimits "30" um 9 km/h) wehren, die Zusatzschilder stellten einen eindeutigen Zusammenhang zum Schulbetrieb her, so dass am schulfreien Karfreitag das Tempolimit nicht gelten dürfe. Aus Gründen der Verkehrssicherheit sei es nicht zulässig, so das Brandenburgische Oberlandesgericht, einzeln darüber entscheiden zu lassen, ob ein Tempolimit aufgrund der Besonderheiten vor Ort für Feiertage gilt oder nicht. Auch das Zusatzschild "Schule" ändere das nicht, denn es habe keinen eigenen Regelungsgehalt, sondern sei nur ein Hinweis auf den Grund des Tempolimits. Die Beurteilung, ob Schulen an einzelnen Werktagen wegen Feiertagen, Schulferien, Ausflügen oder sonstigen Gründen geöffnet haben oder nicht, könne nicht den einzelnen Verkehrsteilnehmern überlassen werden. (Brandenburgisches OLG, (2 Z) 53 Ss - OWi 488/19 (174/19))
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18.05.2020
Verkehrssicherungspflicht: Im Wald ist der Wanderer grundsätzlich auf sich gestellt
Ist ein Wanderer in einem Wald unterwegs, so muss die Stadt, auf deren Gebiet das Waldstück liegt, nicht dafür haften, wenn der Mann von einem umstürzenden Baum getroffen wird und er eine Querschnittslähmung davonträgt. Das gelte auch dann, wenn die Route (hier ging es um den "Harzer-Hexen-Stieg" in Thale/Sachsen-Anhalt) touristisch beworben wird. Der Wanderer forderte 200.000 Euro Schmerzensgeld von der Stadt, weil die gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen habe. Der Baum war offensichtlich abgestorben, was bei einer Baumschau ersichtlich gewesen wäre, so dass er als "Gefährdungsbaum" hätte gefällt werden müssen. Das Landgericht Magdeburg machte aber deutlich, dass Waldbesucher mit waldtypischen Gefahren rechnen müssen. Es handele sich dabei um ein Lebensrisiko, dass entschädigungslos hinzunehmen ist. Das gelte auch, wenn die Waldnutzung im Laufe der letzten Jahre zugenommen hat. Würde eine völlige Gefahrlosigkeit der Wanderwege gefordert, so müsste auf reizvolle Routen in den Bergen oder eben auch auf Waldpfade im Flachland verzichtet werden. (LG Magdeburg, 10 O 701/19)
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15.05.2020
Waffenrecht: Wer im Wohngebiet auf Tauben schießt, hat den Schuss nicht gehört
Schießt ein Mann in einem Wohngebiet mit seinem - rechtmäßig angemeldeten - Gewehr auf Tauben, die seine Solaranlage auf dem Dach seines Hauses mit Kot verunreinigen, so kann ihm die Behörde die Waffenbesitzkarte "wegen Unzuverlässigkeit" entziehen. Das gelte auch dann, wenn er argumentiert, vor den Schüssen jeweils die Kugel aus der Patrone zu entfernen und somit die Tauben weder verletze noch töte, sondern sie mit den Schreckschüssen lediglich vergräme. Weil es aber nicht erlaubt ist, ein Gewehr - auch nur mit Platzpatronen - in einem Wohngebiet abzufeuern, musste er den Waffenschein abgeben. Denn es könne passieren, dass der Schütze Patronen übersieht (zum Beispiel im Lauf des Gewehres) oder dass er beim Präparieren der Patronen nicht sorgfältig genug vorgeht. (VwG Karlsruhe, 10 K 6804/19)
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13.05.2020
Krankenversicherung: Auch die Mobiltelefonie darf für nahezu Taube verbessert werden
Hat ein Mann, der unter - an Taubheit grenzender - Schwerhörigkeit leidet, ein Hörgerät, so kann er von seiner gesetzlichen Krankenkasse verlangen, dass die ihm ein Bluetooth-Hörverstärker bezahlt, mit dem eine deutliche Hörverbesserung erreicht werden kann, wenn der Mann mit seinem Handy telefoniert. Die Kasse kann nicht dagegenhalten, dass der Mann das Festnetz nutzen könne. Denn ein Hörgerät dient unstrittig dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Ist ein für das Gerät passendes Zubehörteil relativ günstig zu beziehen, so steht einer Kostenübernahme nichts entgegen. (SG Düsseldorf, S 8 KR 1441/15)
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12.05.2020
Unfallversicherung: Explodiert der E-Zigaretten-Akku, so ist das nicht dienstlich
Geht eine Arbeitnehmerin über das Betriebsgelände, um Müll in einen Container auf dem Firmenhof zu werfen (was durchaus zu ihren regelmäßigen Tätigkeiten gehört), so kann sie keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verlangen, wenn der in ihrer Hosentasche mitgeführte Akku ihrer E-Zigarette explodiert, in Brand gerät und sie verletzt. Das gelte auch dann, wenn sie behauptet, dass der Akku nur deswegen in Brand geraten ist, weil ein Kontakt zum Dienstschlüssel in der Hostentasche zum Kurzschluss geführt habe. Das Sozialgericht Düsseldorf machte klar, dass "das Mitführen des E-Zigaretten-Akkus nicht betrieblich veranlasst" war, sondern dem "persönlichen Verantwortungsbereich" zuzuordnen ist. (SG Düsseldorf, S 6 U 491/16)
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07.05.2020
Verbraucherrecht: Per Fernabsatz bestellter Treppenlift darf zurückgeschickt werden
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat entschieden, dass auch für einen individuell angepassten Treppenlift das gesetzliche Widerrufsrecht von 14 Tagen gilt, wenn der Kunde den Lift im Fernabsatz bestellt hatte - also per Telefon, Fax, E-Mail oder Brief. Der Verkäufer darf dieses Widerrufsrecht nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausschließen. Zwar sehe auch das Fernabsatzgesetz vor, das Recht auf Widerruf ausschließen zu können, wenn es sich um individuell angepasste Ware handelt. Bei einem Treppenlift stehe aber nicht der Kauf im Vordergrund, sondern der Einbau eines Lifts - sprich der Werkvertrag. Und für einen solchen gelte die Ausnahme vom Widerrufsrecht nicht. (LG Nürnberg-Fürth, 7 O 5463/18)
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06.05.2020
Krankenversicherung: Auch wenn nur eine Brust direkt betroffen ist, sind beide zu behandeln
Hat eine Frau seit einer Brustkrebserkrankung ein Implantat und wurde seinerzeit auch die andere Brust angepasst, so muss die gesetzliche Krankenversicherung der (inzwischen 76-jährigen) Dame auch dann eine Rekonstruktion und Anpassung beider Brüste bezahlen, wenn die Patientin nach zehn Jahren stürzt und ein Implantat dabei beschädigt wird. Die Kasse kann sich nicht darauf beschränken, nur das beschädigte Implantat zu finanzieren. Die Rekonstruktion beider Brüste sei medizinisch indiziert, um negative Folgen einer asymmetrischen Belastung zu verhindern. (SG Düsseldorf, S 8 KR 392/18)
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05.05.2020
Krankenversicherung: Wer voreilig in einer Privat-Klinik unterschreibt, zahlt selbst
Spricht ein (67-jähriger) Mann mit Knieproblemen in einer Privatklinik vor und unterzeichnet er dort eine Kostenübernahmevereinbarung (hier über fast 6.500 €) für eine Knieteilprothese, so hat er keinen Anspruch auf Kostenübernahme gegen seine gesetzliche Krankenkasse, wenn er den Antrag erst nach seiner Unterschrift im Krankenhaus bei der Kasse einreicht. Er hat den gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweg schlicht und einfach nicht eingehalten. Grundsätzlich besteht gegen die Krankenkasse ein so genannter Sachleistungsanspruch auf Versorgung in einem zugelassenen Vertragskrankenhaus - nicht jedoch in einer privaten Klinik. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Kasse die Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt und somit die Kosten quasi selbst verursacht hat oder die Operation "unaufschiebbar" gewesen ist. Beides war hier nicht der Fall. (SG Düsseldorf, S 8 KR 1011/18)
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01.05.2020
Immobilienhandel: Große Differenz zwischen An- und Verkaufspreis muss keine Systematik sein
Zwar könne eine große Differenz zwischen An- und Verkaufspreis eines Grundstücks bei kurz aufeinanderfolgenden Verträgen ein Anhaltspunkt dafür sein, dass mit dem Immobilienhandel sittenwidrige oder unredliche Geschäfte gemacht werden, an denen der beurkundende Notar nicht mitwirken sollte. Dafür, dass ein Käufer, der sich vom Verkäufer über den tatsächlichen Wert einer Immobilie getäuscht fühlte (weil der Investor die Immobilie um ein Vielfaches günstiger erworben hatte), den Notar zu Schadenersatz heranziehen könnte, reicht ein solches Indiz aber nicht. Dem Notar sei trotz der auffällig hohen Differenz zwischen An- und Verkaufspreis nicht vorzuwerfen, an systematischen Kettenkaufverträgen mitgewirkt zu haben, die zum Nachteil der Erwerber geplant worden seien. Es könne viele Gründe haben, sich von einer Immobilie zu einem niedrigen Preis zu trennen, so dass die Spanne für den Weiterverkäufer dann hoch ausfällt. (BGH, III ZR 112/18)
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29.04.2020
Mieterhöhung: Bleibt die Miete unterhalb des Üblichen, darf auch falsch gemessen werden
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Mieter auch dann an eine Mieterhöhung gebunden sind, wenn ihre Wohnung tatsächlich kleiner ist als vom Vermieter zugrunde gelegt. Die höhere Miete muss also weitergezahlt werden, obwohl sie mit einer falschen Rechengrundlage ermittelt worden ist. Das gelte jedenfalls solange sie unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete bleibt. In dem konkreten Fall war die Wohnung mit 114 Quadratmetern ausgewiesen, in Wahrheit war sie nur 102 Quadratmeter groß. Damit betrug die Differenz mehr als 10 Prozent, was einer Mieterhöhung eigentlich entgegensteht. Aber weil auch die „neue“ Miete unter Berücksichtigung der wahren Fläche unterhalb der in dem Wohnbereich üblichen Quadratmetermiete lag, musste sie weiterhin gezahlt werden. (Etwas anderes könne gelten, wenn die Mieterhöhung auf Grundlage einer zu hoch angesetzten Wohnfläche und einer Quadratmetermiete, die bereits der ortsüblichen Vergleichsmiete entspricht, vereinbart werde.) (BGH, VIII ZR 234/18)
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28.04.2020
Arbeitsrecht: Auch die erste Fahrt am Morgen ist für Außendienstler Fahrzeit
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Fahrzeiten von Außendienstlern, die daheim zum ersten Termin des Tages fahren, als Arbeitszeit vergütet werden muss. Die Arbeitgeber können nicht einfach argumentieren, dass der direkte Weg zur Arbeitsstelle ja auch nicht bezahlt würde. Eine betriebliche Regelung, die nur eine pauschalierte Bezahlung dieser Zeit erlaubt, ist rechtswidrig, wenn der Manteltarifvertag der Branche aussagt, dass „sämtliche Tätigkeiten abzugelten sind“. Die Vergütungspflicht von Fahrtzeiten dürfe nicht durch Betriebsvereinbarungen eingeschränkt werden. (Hier ging es um einen Servicetechniker, der sich erfolgreich gegen diesen Punkt in der Betriebsvereinbarung wehrte: „Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zählen nicht zur Arbeitszeit, wenn sie 20 Minuten nicht übersteigen. Sobald die An- oder Abreise länger als 20 Minuten dauert, zählt die 20 Minuten übersteigende Reisezeit zur Arbeitszeit.“) (BAG, 5 AZR 36/19)
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27.04.2020
Arbeitsrecht: Wenn zwei Flaschen Wein 39.500 Euro kosten
Hat ein Direktionsassistent eines Hotels seinem Arbeitgeber zwei wertvolle Flaschen Wein aus dem Keller gestohlen und weiterverkauft, so muss er nicht nur die fristlose Kündigung hinnehmen, sondern seinem ehemaligen Arbeitgeber auch den Schaden ersetzen, der dem durch die Ersatzbeschaffung entstanden ist. Entstehen dem Kosten in Höhe von fast 39.500 Euro, so muss der Ex-Mitarbeiter diese Summe erstatten. Er kann nicht argumentieren, der Kaufpreis sei überteuert, da der ursprüngliche Preis nur knapp 13.700 Euro ausgemacht habe und er die beiden Flaschen "unter der Hand" auch nur für 18.000 Euro verkaufen konnte (es ging um zwei 6-Liter Flaschen Chateau Petrus Pommerol, Jahrgang 1999). Bestätigt ein Gutachter den Preisanstieg auf dem Markt für das Produkt, so muss der auch beglichen werden. (LAG Schleswig-Holstein, 1 Sa 401/18)
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24.04.2020
Mietrecht: Eine Nebenkostenabrechnung darf einfach gehalten werden
An Nebenkostenabrechnungen im Rahmen eines Mietvertrages dürfen keine hohen formalen Anforderungen gestellt werden. Es reiche eine "geordnete Zusammenstellung" der Einnahmen sowie auf der anderen Seite der Ausgaben. Auch sämtliche Rechnungen und Belege seien vorzulegen. Die Erläuterung eines vom Vermieter angewandten Verteilerschlüssels mit Blick auf die Heizkosten ist nur dann nötig, wenn das "zum Verständnis der Abrechnung erforderlich" ist, so der Bundesgerichtshof. Der Verteilungsmaßstab "Fläche" müsse nicht weiter erläutert werden. (BGH, VIII ZR 244/18)
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21.04.2020
Zivilrecht: Ein «Hundegetümmel» ist eine typische Tiergefahr
Das Oberlandesgericht Koblenz hat entschieden, dass ein „unkontrollierte Umherlaufen von Hunden als Reaktion auf das Zusammentreffen mit anderen Hunden“ eine „typisch tierische Verhaltensweise“ darstellt. Kommt durch ein solches „Hundegetümmel“ ein Frauchen zu Schaden, dass zwei Jack-Russel-Terrier an der Leine spazieren führt, weil diese wegen eines heranstürmenden Hundes „nervös“ wurden. Die Frau verfing sich so unglücklich in den Leinen und stürzte, so dass sie sich einen Arm brach. Sie verlangte Schmerzensgeld - und konnte dieses zu einem kleinen Teil durchsetzen. Grundsätzlich habe sich zwar nur eine Tiergefahr verwirklicht, die eigentlich keinen Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld nach sich ziehen könne. Weil aber auch der andere Hund dazu beigetragen hat, treffe dessen Herrchen eine Teilschuld. (Hier sprach das Gericht rund 4.500 € zu, statt der geforderten „mindestens 6.000 €.) (OLG Koblenz, 12 U 249/18) – vom 09.12.2019
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18.04.2020
Beamtenrecht: Nur bei gesonderter Diagnose gibt es Heilbehandlung und «Geräte» bezahlt
Werden einer Beamtin Heilbehandlungen von Ärzten verordnet, so kann sie nur dann sämtliche Rechnungen für die an einem Tag in Anspruch genommenen Leistungen (Krankengymnastik am Gerät, manuelle Therapie, Krankengymnastik einzeln und Massage) beim Dienstherrn als beihilfefähig einreichen, wenn es für die Notwendigkeit der "Geräte-Gymnastik" eine separate Diagnose vom Arzt gibt. Es müsse eine "eigenständige ärztliche Verordnung" dafür vorgelegt werden. Die beihilferechtliche Regelung spreche eindeutig von einer Leistung "aufgrund" gesonderter Diagnosestellung. (VwG Koblenz, 5 K 742/19) – vom 21.01.2020
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16.04.2020
Beamtenrecht: Ab 50 darf die Unterstützung bei der Befruchtung wegfallen
Eine (hier 34 Jahre alte) verbeamtete Lehrerin kann nicht verlangen, dass sie Beihilfe für mehrere Versuche einer künstlichen Befruchtung erhält (hier verlangte sie knapp 4.200 €), wenn ihr Ehemann bereits 64 Jahre alt ist. Der (Landes-)Gesetzgeber benachteilige das Ehepaar nicht wegen des Alters, so das Verwaltungsgericht Düsseldorf, wenn er die Grenze dafür für die Männer bei 50 Jahren gezogen hat. Mit dieser Grenze soll das Kindeswohl gewahrt werden. Ihr liege die Erwägung zugrunde, dass "unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Lebenserwartung das Kind in der Regel seine Schul- und Berufsausbildung noch zu Lebzeiten seines Vaters abschließen werde". Die Grenze "50" ist als typisierende und pauschalierende Regelung nicht zu beanstanden. (VwG Düsseldorf, 10 K 17003/17) – vom 17.02.2020
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15.04.2020
Autokauf: Wer sich bewusst für einen «Skandal-Diesel» entscheidet, muss damit leben
Entscheidet sich ein Autokäufer bewusst für ein Auslaufmodell aus einer Modellreihe (hier für ein Fahrzeug, das vom Dieselskandal betroffen war), so kann er später nicht im Rahmen der Gewährleistung ein Fahrzeug aus der dann aktuellen Produktionsserie nachgeliefert verlangen. Zwar liege ein Sachmangel vor, der in dem Einbau des mit der "Umschaltlogik" versehenden Motors begründet ist. Dennoch kann der Käufer einen Umtausch nicht durchsetzen. Maßgeblich ist „der Umfang der vertraglich vereinbarten Beschaffenheitspflicht des Verkäufers“. Und diese war hier erfüllt, weil der Kunde sich bewusst für das - vom Hersteller subventionierte und deswegen für den Käufer preislich sehr interessante - Auslaufmodell entschieden hatte. (OLG Koblenz, 12 U 773/18) – vom 09.09.2019
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09.04.2020
Blindengeld: Auch ein Rentner in Spanien kann Anspruch haben
Ein in Spanien wohnender deutscher Staatsangehöriger, der eine Witwerrente erhält, kann Anspruch auf Blindengeld haben, wenn er im Ausland einen akuten Glaukom-Anfall erleidet und erblindet. Zwar erhalten nach dem "Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose" (GHBG) nur Blinde Blindengeld, die im Land (hier ging es um Nordrhein-Westfalen) ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder dort einer Beschäftigung nachgehen beziehungsweise eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Die Rentenleistung (auch wenn sie nur aus der Rente des verstorbenen Partners resultiert) bewirke, dass das Blindengeld "exportierbar" sei - so wie eine berufliche Tätigkeit. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 12 B 108/19) – vom 20.12.2019
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09.04.2020
Sozialhilfe: Für die Schule kann ein Gebärdendolmetscher bezahlt werden müssen
Das sächsische Landessozialgericht hat entschieden, dass das Sozialamt einem gehörlosen Schüler einer weiterführenden Schule einen unterrichtsbegleitenden Gebärdendolmetscher bezahlen muss, wenn damit eine (Grund-)Voraussetzung geschaffen werden kann, um "überhaupt lernen zu können". Das Sozialamt darf die Kostenübernahme nicht mit dem Argument verweigern, die Schule sei verpflichtet, Lehrkräfte mit Gebärdensprache-Kenntnissen zu stellen. Auch wenn das der Fall sein mag, müsse das Amt vorübergehend Abhilfe schaffen, damit der Schüler dem Unterricht folgen kann. Das gelte jedenfalls dann, wenn er selbst die Gebärdensprache ausreichend beherrscht. (Sächsisches LSG, L 8 SO 94/19 B ER) – vom 03.12.2019
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08.04.2020
Verbraucherrecht: Facebook darf sich nicht zu dumm anstellen
Hat ein Internetnutzer gegen Facebook eine einstweilige Verfügung erwirkt (mit der der Internetplattform untersagt worden war, den Mann für das Einstellen eines bestimmten Textes zu sperren), so kann Facebook nicht verlangen, eine ins Englische übersetzte Verfügung zu erhalten, um den Inhalt zu verstehen. Denn Facebook verfügt in Deutschland über eine Vielzahl von Nutzern, denen die Plattform vollständig in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt wird. Dabei sind alle Vertragsdokumente in deutscher Sprache gehalten. Es ist nicht ersichtlich, warum Facebook die einstweilige Verfügung auf Deutsch nicht verstehen könnte. (OLG Düsseldorf, 7 W 66/19) – vom 18.12.2019
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06.04.2020
Verbraucherrecht: Internet-Inkassounternehmen dürfen für Mieter tätig werden
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Dienstleister im Internet die Interessen von Mietern mit Blick auf Mieterhöhungen, Mängeln in der Wohnung oder Schönheitsreparaturen durchsetzen dürfen. Die Tätigkeit des Unternehmens (einschließlich Klage bei Gericht) sei als Inkassodienstleister durch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) gedeckt und sei nicht als unzulässige Rechtsberatung einzuordnen. Eine treuhänderische Abtretung vom Mieter auf das Unternehmen sei rechtlich nicht zu beanstanden. (Das Gericht machte aber auch deutlich, dass das Portal - hier ging es um "wenigermiete.de" - seine Dienstleistungsbefugnis nicht überschreiten darf.) (BGH, VIII ZR 285/18) – vom 27.11.2019
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03.04.2020
Private Pflegeversicherung: Nur, wenn die Pflege erleichtert wird, zahlt die Kasse
Lebt eine Pflegebedürftige mit dem Grad 4 in ihrem Einfamilienhaus und hat sie im Keller einen kleinen "Sportbereich" eingerichtet, der ihr helfen soll, ihre schwere Schädigung des Rückenmarks und die damit einhergehende erhebliche Bewegungseinschränkung zu kompensieren (in dem Keller gab es einen Massagesessel, der täglich 15 Minuten genutzt wurde, eine Hängeschaukel und einen Fahrradergometer), so muss ihre private Pflegeversicherung nicht für einen Lift aufkommen, der sie unbeschwerter in den "Fitness-Bereich" bringt. Das gilt auch dann, wenn sie nur über eine steile Treppe in den Keller gelangen kann, was eigenständig nicht möglich ist - mit dem Lift hingegen schon. Weil der Lift nicht wirklich dazu beiträgt, die "Pflege zu erleichtern", da die "Sportgeräte" im Keller keine echten Pflegemaßnahmen sind, müsse die Kasse ihn nicht bezahlen. (Hier verlangte die pflegebedürftige Dame knapp 5.500 € von der Versicherung - ohne Erfolg.) (SG Osnabrück, S 14 P 9/17) – vom 28.05.2019
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01.04.2020
Verkehrssicherungspflicht: Die Kontrolle von Handläufen hat Grenzen
Eine Stadt, die für den Zustand und für die Verkehrssicherung eines U-Bahnhofs verantwortlich ist, muss auch die vorhandenen Handläufe an den Treppen regelmäßig dahingehend prüfen, ob sie beschädigt sind. Weist sie das protokolliert und per schlüssiger Zeugenaussage einer Mitarbeiterin nach, die diese Kontrollgänge regelmäßig durchführt, so kann ein Mädchen, das sich an einer beschädigten Stelle an einem Handlauf den Finger fast abreißt, keine Entschädigungszahlung durchsetzen. Nicht jeder Bahnhof kann täglich geprüft werden. Ist die letzte Kontrolle drei Tage vor dem Unfall durchgeführt worden, so reiche das aus. "Eine Verkehrssicherungspflicht, die jede Schädigung ausschließt, wäre im praktischen Leben nicht erreichbar." (AmG München, 182 C 11189/18) – vom 19.03.2019
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30.03.2020
Verwaltungsrecht: Wenn ein paar E-Mails 40.000 Euro kosten...
Hat ein Mann über seine E-Mail-Adresse drei Amokläufe angedroht (an 2 Schulen und auf einem Sommerfest), was größere Polizeieinsätze zum Schutz der Lehrer, Schüler und der öffentlichen Sicherheit auslöste, so muss er die Kosten dafür tragen. Sieht das Gebührengesetz (hier des Landes NRW) Gebühren zwischen 50 und 100.000 Euro vor, wenn es "zu einem Tätigwerden der Polizei aufgrund einer vorgetäuschten Gefahrenlage kommt", so nützt es dem Täter nichts, wenn er das seinerzeitige Geständnis (was wohl auch aufgrund einer erdrückenden Beweislage gemacht worden ist) widerruft, nachdem er den Gebührenbescheid erhalten hat. (VwG Aachen, 6 K 292/18) – vom 20.01.2020
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27.03.2020
Arbeitsrecht: Ist die Arbeitnehmerin noch nicht gleichgestellt, muss Umsetzung nicht gemeldet werden
Hat eine Arbeitnehmerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und beantragt sie die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen (ab Gdb 50), so muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung im Haus nicht informieren, wenn die Mitarbeiterin während des laufenden Antrags für die Dauer von sechs Monaten in ein anderes Team versetzt wird. Das gilt auch dann, wenn der Antrag rückwirkend genehmigt wird und sie damit auch schon während der Zeit der vorübergehenden Umsetzung theoretisch als einer Schwerbehinderten gleichgestellt galt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung "vorsorglich über eine Umsetzung zu unterrichten und sie zu dieser anzuhören". (BAG, 7 ABR 18/18) – vom 22.01.2020
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25.03.2020
Unfallversicherung: Wer streunende Katzen füttert, ist tierlieb - aber nicht versichert
Eine Frau, die ehrenamtlich für einen Tierschutzverein tätig ist, ist nicht gesetzlich unfallversichert, wenn sie nach der Fütterung städtischer Streunerkatzen auf dem Heimweg einen Verkehrsunfall erleidet. Das Füttern von streunenden Katzen gehört nicht zu den "mitgliedschaftlichen" Tätigkeiten des Tierschutzvereins. Auch handele es sich bei der Tätigkeit nicht um eine "Wie-Beschäftigte"-Tätigkeit, die Versicherungsschutz bringen würde. Die Frau hatte aus Tierliebe gehandelt - aber nicht im Rahmen ihrer ehrenamtlichen "Aufgaben". (SG Dortmund, S 18 U 452/18) – vom 06.06.2019
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24.03.2020
Unfallversicherung: Nur Gemeldetes bringt Verletztengeld
Wird ein Arbeiter auf einer Großbaustelle durch eine einstürzende Decke verletzt und erkennt die Berufsgenossenschaft den Vorfall als Arbeitsunfall an, so bemisst sich die Höhe des Verletztengeldes nach dem Arbeitsentgelt, das per Lohnabrechnung nachgewiesen wird. Sind so 20 Stunden pro Woche belegt, so berechnet sich auch das Verletztengeld danach. Legt der Mann einen Arbeitsvertrag über 40 Stunden vor und wird festgestellt, dass es auf der Baustelle üblich gewesen sei, 20 Stunden "schwarz" zu arbeiten, so kann er damit sein Verletztengeld nicht erhöhen. Entscheidend sind die Stunden, die sozialversicherungspflichtig gemeldet worden sind. (Hessisches LSG, L 9 U 109/17) – vom 25.10.2019
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20.03.2020
Mietrecht: Für beschädigte Tapete ist der Vermieter zuständig
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Mieter nicht einen Nachbarn dafür belangen können, dass die Tapeten in der Wohnung nach einem Wasserschaden beschädigt sind. Das gelte auch dann, wenn der Nachbar den Schaden verschuldet hat. Denn die Tapeten sind als „wesentliche Bestandteile“ des Gebäudes anzusehen, für das der Mieter keinen Anspruch auf Schadenersatz für sich geltend machen kann. Schäden an Tapeten sind als Wohnungsmängel einzustufen, die ein Mieter nur direkt beim Vermieter anzeigen könne. Dieser habe dann gegebenenfalls die Möglichkeit, sich beim Mieter schadlos zu halten, der den (Wasser-)Schaden verschuldet hat. (OLG Frankfurt am Main, 10 U 8/18) – vom 07.09.2018
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17.03.2020
Änderungskündigung: Der Arbeitnehmer muss das Angebot genau prüfen können
Will ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Beschäftigten unter geänderten Voraussetzungen fortsetzen, so kann er das mit einer so genannten Änderungskündigung in die Tat umsetzen. Das setzt vorausgesetzt, dass der Mitarbeiter das Angebot verlässlich prüfen kann, bevor er es annimmt. Ein solches Änderungsangebot ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, "die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss". Dem Beschäftigten muss klar sein, welche Vertragsbedingungen nach der Änderungskündigung gelten sollen. Nur so kann er "abgewogen entscheiden", ob er annimmt oder ablehnt. (BAG, 2 AZR 26/19) – vom 21.05.2019
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16.03.2020
Verfassungsrecht: Der Weg einer Blinden darf nicht «bevormundend» vorgegeben werden
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es einer blinden Frau von einer Arztpraxis nicht untersagt werden darf, ihren Blindenführhund auf dem Weg zu ihrem Physiotherapeuten mitzuführen, der durch das Wartezimmer des Arztes führt. Das gelte auch dann, wenn die Praxis hygienische Gründe anführt. Die Frau wird durch ein solches Verbot wegen ihrer Behinderung benachteiligt. Zwar sei das Verbot hier „neutral formuliert“ (da es für alle gelte). Tatsächlich benachteilige es die blinde Frau aber in besonderem Maße. Den ohne ihren Hund müsse sie sich Unbekannten anvertrauen, sich anfassen und führen lassen. Das komme einer Bevormundung gleich. (Auf den alternativen Weg über einen Hof und über eine Treppe müsse sie sich nicht verweisen lassen, wenn der Hund diese Treppe ängstlich meidet, seitdem er sich dort einmal mit seinen Krallen in den Gittern verfangen und verletzt hatte.) (BVfG, 2 BvR 1005/18) – vom 30.01.2020
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13.03.2020
Arbeitsrecht: Überstunden müssen eindeutig belegt werden
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass Überstunden, die ein Mitarbeiter gemacht hat (oder gemacht haben will) dann nicht vom Chef zu zahlen sind, wenn die Überstundenberechnung allein auf den Eintragungen des Arbeitnehmers beruht. Der bleibt bei einem Streit in der Beweispflicht. Kann er die Mehrarbeit nicht zweifelsfrei belegen, so geht er leer aus. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sich der Arbeitgeber die Aufzeichnungen "zu eigen gemacht hat" oder wenn er selbst das Arbeitszeitkonto führt. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 5 Sa 73/19) – vom 05.11.2019
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13.03.2020
Verwaltungsrecht: Für den Fehler eines Mitarbeiters muss Friedhofsgärtner nur bedingt einstehen
Hebt ein Mitarbeiter eines Friedhofsgärtners im Rahmen von Vorbereitungsarbeiten zu einer Beerdigung in einem Familiengrab aus Versehen die falsche Seite aus und entsorgt er nicht verrottete Sarg- und Leichtenteile in einem Müllcontainer, so darf dem Gärtner der Vertrag vom Auftraggeber (hier von einer Kirchengemeinde) nicht fristlos gekündigt werden. Das gelte insbesondere, wenn der Gärtner seit 25 Jahren unbeanstandet für die Gemeinde tätig ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf urteilte, dass lediglich hätte gefordert werden können, den Mitarbeiter nicht mehr auf diesem Friedhof einzusetzen, bis eine fristgerechte Kündigung wirke. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte dem Gärtner die Vergütung zugestanden. In welcher Höhe das rückwirkend möglich ist, muss die Vorinstanz entscheiden. (OLG Düsseldorf, 21 U 38/19) – vom 26.11.2019
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11.03.2020
Kfz-Haftpflichtversicherung: Ein halber Meter Sicherheitsabstand reicht
Fährt eine Autofahrerin an einem am rechten Fahrbahnrand geparkten Auto mit einem Abstand von mehr als einem halben Meter vorbei, und öffnet sich plötzlich die Fahrertür des geparkten Autos, so liegt die alleinige Schuld für einen Zusammenstoß beim Aussteigenden. Ergibt die Beweisaufnahme, dass die Tür um mindestens 60 bis 80 Zentimeter in die Fahrbahn hineingeragt haben muss, so trifft die Vorbeifahrende keine Schuld. Der Schaden (hier in Höhe von knapp 2.500 €) ist allein von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters des stehenden Autos zu regulieren. (LG Hagen, 3 S 46/17) – vom 20.12.2017
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10.03.2020
Sozialrecht: Für Eheleute darf es keine Doppelbescheidung geben
Lebt die Ehefrau eines Rentners wegen ihrer Demenz in einem Pflegeheim und reichen die Einnahmen der Eheleute nicht, um die Heimkosten zu decken, so darf das Sozialamt (das in solchen Fällen einspringt) nicht den Mann noch zur Zahlung heranziehen, wenn es zuvor bereits das Familieneinkommen abgezogen hatte. In dem konkreten Fall ergab sich ein anrechenbares Einkommen in Höhe von rund 890 Euro und es verlieben ungedeckte Heimkosten in Höhe von rund 430 Euro. Diese Summe bewilligte das Amt - erließ aber gleichzeitig einen "Heranziehungsbescheid". Zu Unrecht, so das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen. Es würden Leistungen nur in Höhe des Betrages gezahlt, der bestimmte Einkommensgrenzen überschreitet. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 8 SO 109/18) – vom 16.01.2020
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09.03.2020
Unfallversicherung: Was langsam im Körper schlummert, ist nicht unfallbedingt
Hebt ein Maler und Lackierer eine (30 Kilo schwere) Leiter an, um sie auf einem Gerüst eine Stufe nach oben zu hieven, spürt er dabei plötzlich einen stichartigen Schmerz und einen Kraftverlust in der rechten Schuler, und fällt ihm die Leiter auf die Hüfte, so ist von der Berufsgenossenschaft nur der Schaden an der Hüfte als Arbeitsunfall anzuerkennen. Stellt sich heraus, dass die Schädigung der Sehne in der Schulter (die den plötzlichen Schmerz hervorgerufen hatte) bereits degenerativ (also Schritt für Schritt) in der Zeit vor dem Unfall entstanden sein muss, so ist diese (und entdeckte) Verletzung der Schulter nicht als Unfallfolge anzuerkennen. Das gelte auch dann, wenn der Mann an der Schulter zuvor weder Funktionsbeeinträchtigungen verspürt noch ärztliche Behandlungen in Anspruch genommen hatte. Derartige "Schadensanlagen" können lange Zeit klinisch stumm verlaufen. (SG Karlsruhe, S 1 U 3580/18) – vom 27.06.2019
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06.03.2020
Grundsicherung: Gibt es keine Alternative, so müssen auch unangemessene Kosten übernommen werden
Leben 75jährige Eheleute von Grundsicherung im Alter („Sozialhilfe für Rentner“), so dass auch die Kosten für die Unterkunft vom Amt übernommen werden, so kann das auch für eigentlich unangemessen hohe Kosten gelten, wenn eine Kostensenkung für die Eheleute nicht möglich ist. In dem konkreten Fall vor dem Sozialgericht Mannheim ging es um eine 62 Quadratmeter große Wohnung mit einer Bruttokaltmiete in Höhe von 580 Euro. Es stellte sich heraus, dass den Umständen und dem Umfeld angepasst lediglich 461 Euro als angemessen gelten können. Weil die Frau gehbehindert ist und sich in der Wohnung mit Gehstock und Rollator bewegt, sie außerdem einen Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) besitzt, ist eine Kostensenkung mit Blick auf einen Wohnungswechsel schwierig bis unmöglich. Auch die Tatsache, dass die Töchter des Ehepaares extra in die Nähe gezogen sind, um die Eltern pflegerisch zu unterstützen, sei ein weiteres Argument dafür, dass das Amt die - eigentlich überhöhten - Kosten für die Wohnung weiterhin voll übernimmt. (SG Mannheim, S 2 SO 184/18) – vom 04.06.2019
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05.03.2020
Kündigung: Nach einem dummen Böllerwurf darf es nicht direkt die rote Karte geben
Zündet ein Arbeitnehmer in einer Raucherpause an einem Silvestertag morgens um 07.30 Uhr einen Böller auf dem Betriebsgelände, so muss er auch dann nicht eine fristlose Kündigung hinnehmen, wenn ein anderer (Leih-)Arbeitnehmer angibt, durch den Knall ein Knalltrauma erlitten zu haben und der Arbeitgeber behauptet, es habe sich um einen nicht zugelassenen Böller gehandelt, mit dem der Mann darüber hinaus gegen Brandschutzvorgaben verstoßen habe. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf urteilte, dass eine Abmahnung für diesen Pflichtverstoß ausgereicht hätte, wenn die Aussage des Beschäftigten nicht hinreichend zu wiederlegen ist, dass er den Leiharbeitnehmer nicht gesehen hatte und der Böller handelsüblich gewesen sei. (Hier wurde die fristlose Kündigung letztlich in eine ordentliche umgewandelt und eine Abfindung von 13.000 € ausgehandelt.) (LAG Düsseldorf, 13 Sa 551/19) – vom 13.02.2020
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04.03.2020
Zivilrecht/Eigentumswohnung: Ohne Genehmigung nicht an Feriengäste vermieten
Vermietet eine Eigentümerin ihre Wohnung in einer deutschen Großstadt (hier in der Mainmetropole Frankfurt), obwohl sie dafür keine Genehmigung der Stadt eingeholt hatte (beziehungsweise diese ihr verwehrt worden waren), so muss sie ein Bußgeld (hier: in Höhe von 6.000 €) wegen unerlaubter Vermietung als Ferienwohnung bezahlen. In dem konkreten Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte die Frau ihre Wohnung in (nachgewiesenen) vier Fällen über die Internetplattform Airbnb an Feriengäste vermitteln lassen. Durch diese Vermietung hat sie gegen die (auf Grundlage des Hessischen Wohnungsaufsichtsgesetzes) von der Stadt erlassene Ferienwohnungssatzung verstoßen Die Eigentümerin kassierte Mietpreise zwischen 125 und 150 Euro pro Nacht, obwohl ihr dieses Gewerbe nicht erlaubt worden war (ihre mehrfach gestellten Anträge auf Erteilung einer Genehmigung über die Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnung wurden zurückgewiesen.) (OLG Frankfurt am Main, 2 Ss OWi 438/19) – vom 02.08.2019
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03.03.2020
Schwarzarbeit: Auch über WhatsApp kann illegale Abrede getroffen werden
Hat ein Bauunternehmer große Sanierungsarbeiten für einen Auftraggeber angenommen und erledigt, zwischendurch auch Abschlagszahlungen erhalten (ohne dafür eine Rechnung auszustellen) und verlangt er nach Abschluss der Arbeiten weitere Gelder (hier in Höhe von rund 275.000 €), so kann er diesen Werklohn nicht einklagen, wenn eine Kommunikation über WhatsApp zwischen ihm und dem Auftraggeber bekannt wird, in der zu einer weiteren Abschlagszahlung stand, diese per Überweisung auf verschiedene Konten aufzuteilen, "damit nicht so viel an die Augen von F. kommt". Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah darin eine Schwarzgeldabrede, in der sich die beiden einigten, die Arbeiten ohne Rechnung mit verkürztem Werklohn (nämlich ohne Mehrwertsteuer) abzuwickeln. Der Unternehmer konnte nicht plausibel darlegen, wer mit "F." anderes gemeint gewesen sein sollte als das Finanzamt oder der Fiskus. (OLG Düsseldorf, 21 U 34/19) – vom 21.02.2020
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28.02.2020
Verbraucherrecht: «Äpfel aus Deutschland» dürfen nicht aus Südtirol kommen
Bewirbt ein Lebensmitteldiscounter Bio-Äpfel mit dem Zusatz „aus Deutschland“, so werden die Verbraucher irregeführt, wenn das Obst tatsächlich aus Italien kommt. Das hat das Landgericht Freiburg entschieden. In dem konkreten Fall ging es um falsch ausgezeichnete Bio-Äpfel in Aldi-Märkten. Während das Preisschild am Regal Äpfel „aus Deutschland“ versprach, wurden die Äpfel laut Angaben auf der Packung allerdings in Italien (Südtirol) geerntet und lediglich in Deutschland verpackt. (Sollte der Händler künftig wieder für Bio-Äpfel aus Deutschland werben, obwohl dem Verbraucher Ware aus anderen Ländern zum Kauf angeboten wird, droht ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000 €). (LG Freiburg, 12 O 88/19 KfH) – vom 14.01.2020
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27.02.2020
Adoption: Scheitert die Familienzuführung, zahlen die überforderten Adoptiveltern
Geht ein Ehepaar eine Adoption mit einem Kind aus Thailand ein, obwohl dem „Adoptionsvorschlag“ des Jugendamtes entnommen werden konnte, dass das Kind „Angst vor Fremden und fremdartigen Sachen hat“ (was sich durch Schreien und Beißen bestätigte), und haben sie das Kind auch vor Ort in Thailand besucht, so können sie es nicht bereits einen Monat später zurück in die Obhut des Jugendamtes geben, wenn sie sich überfordert fühlen. Jedenfalls nicht, ohne die Kosten für die Unterbringung zu übernehmen. Das Oberlandesgericht Köln konnte nicht feststellen, dass das Amt pflichtwidrig gehandelt habe, indem es ein psychisch gestörtes Kind vorgeschlagen habe. Das Paar hätte die Probleme selbst erkennen können. (OLG Köln, 7 U 151/18) – vom 11.07.2019
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26.02.2020
Erwerbsminderungsrente: Gibt es keinen «Teilzeit-Markt», muss es volle Rente geben
Ist ein Arbeitnehmer (hier ging es um einen Bauzeichner im öffentlichen Dienst, der psychisch erkrankte) nur noch reduziert arbeitsfähig und besteht für ihn gleichzeitig keine Aussicht auf eine entsprechende Teilzeitarbeit, so muss die Rentenversicherung ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestehen. Er muss bei seinem Noch-Arbeitgeber (bei dem das Arbeitsverhältnis ruht) nicht eine Reduzierung der Arbeitszeit beantragen (ihm wurde bescheinigt, noch zwischen 3 und 6 Stunden täglich arbeiten zu können). Dennoch darf die Rentenversicherung ihm nicht nur eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zusprechen. Kann der Arbeitgeber keine entsprechende Teilzeitstelle anbieten und ist auch nicht damit zu rechnen, dass der Arbeitsmarkt eine leidensgerechte Stelle hergibt, so steht die volle Rente zu. (Hessisches LSG, L 5 R 226/18) – vom 23.08.2019
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25.02.2020
Unfallversicherung: Wer Säge und Werkzeug mitbringt, handelt unternehmerisch
Sägt ein Mann für seine Nachbarin Brennholz und verletzt er sich dabei erheblich, so kann er keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verlangen. Er kann nicht argumentieren, er sei "wie ein Arbeitnehmer" tätig geworden und habe deswegen Anspruch auf Leistungen "wie für einen Arbeitsunfall". Zwar hat der Mann für seine Nachbarin "eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert verrichtet". Jedoch hat er selbstbestimmt und frei verantwortlich gearbeitet. Er musste keine zeitlichen Vorgaben beachten und er hatte eigene Werkzeuge und Sägen mitgebracht. Es sei eher von einer "unternehmerischen Tätigkeit" auszugehen. (Thüringer LSG, L 1 U 165/18) – vom 05.09.2019
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24.02.2020
Kündigung: Wer in Katar arbeitet, sollte zu Hause regelmäßig die Post checken (lassen)
Hat ein Arbeitnehmer trotz seines dauerhaften Aufenthaltes im Ausland einen Briefkasten mit seinem Namen in Deutschland behalten, so verletzt der Arbeitgeber seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht, wenn er eine Kündigung in diesen Briefkasten einwerfen lässt. Der Arbeitnehmer muss dafür sorgen, dass er von der Post, die dort landet, rechtzeitig erfährt. Versäumt er die Frist für die Kündigungsschutzklage, so hat es damit sein Bewenden. (Hier ging es um einen Chefarzt einer Klinik, der eine Beschäftigung in Katar aufgenommen, sein Wohnhaus vermietet und dem Mieter aufgegeben hatte, die dort für ihn ankommende Post monatlich in den Wüstenstaat zu schicken.) Der Arzt konnte eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht durchsetzen. Durch das Vorhalten des Briefkastens mit seinem Namen an seinem Wohnhaus habe er eine Zugangsmöglichkeit aufrechterhalten. Die Anweisung an den Mieter, einmal im Monat die Post nach Katar zu senden, war angesichts der erheblichen Postlaufzeiten von Deutschland nach Katar unzureichend. (BAG, 2 AZR 493/17) – vom 25.04.2018
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21.02.2020
Verwaltungsrecht/Fahrerlaubnisentzug: Epileptiker muss Anfallsfreiheit darlegen
Ist ein Mann nach einer Operation zunächst frei von epileptischen Anfällen, und erhält er eine Fahrerlaubnis, stellt sich später aber heraus, dass er in einem anderen Zusammenhang beim Gesundheitsamt angegeben hat, etwa einmal im Monat wieder an Krampfanfällen zu leiden, so ist ihm die Fahrerlaubnis wieder zu entziehen. Das gelte auch dann, wenn es ihm ohne Führerschein sehr schwer fällt, einen Job zu bekommen. Denn eine Fahrerlaubnis ist "ohne Berücksichtigung privater Nachteile" zwingend zu entziehen, wenn sich der Inhaber zum Führen eines Kraftfahrzeugs als ungeeignet erweist. (VwG Mainz, 3 L 1067/19) – vom 22.11.2019
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13.02.2020
Krankenversicherung: Fehler, die nicht «ins Auge springen», müssen nicht korrigiert werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Krankenhäuser gerade bei Leistungen mit individuell vereinbarter Vergütung auf die Genauigkeit ihrer Rechnung achten müssen. Sie können später – ist die eigentliche Frist für eine Korrektur abgelaufen – die fehlerhafte Abrechnung nicht mit dem Argument korrigieren, dass der Fehler der Krankenkasse hätte „ins Auge springen müssen“. In dem konkreten Fall hatte eine Klinik einen Patienten wegen einer chronischen Infektion am Herzen operiert – den dabei eingesetzten „Excimer-Laser“ jedoch nicht abgerechnet. Die Klinik stellte sich auf den Standpunkt, aus den anderen übermittelten Daten zu dem Eingriff sei „klar hervorgegangen“, dass ein solcher Laser zum Einsatz gekommen sein musste. War die Rechnung jedoch „in sich schlüssig“ und habe es „zusätzlicher spezieller Kenntnisse“ über die krankenhausindividuelle Vereinbarung eines Zusatzentgelts für den Einsatz eines solchen Lasers bedurft, um den Abrechnungsfehler zu erkennen, so sei der Fehler eben nicht „offensichtlich“. (BSG, B 1 KR 10/19 R) – vom 19.11.2019
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12.02.2020
Sozialhilfe: Die Verbesserung des schulischen Lernens übernimmt das Amt
Die Kosten für eine Autismustherapie für ein Grundschulkind muss das Sozialamt als "Hilfe zur angemessenen Schulbildung" bezahlen, wenn die - neben sozialen und lebenspraktischen Fähigkeiten - auch das schulische Lernen fördert. Es handele sich nicht (nur) um das Erlernen der Teilhabe im Leben der Gemeinschaft. Trägt die Therapie zu einem erfolgreichen Schulbesuch bei, weil sie die Vermittlung von Unterrichtsinhalten, Sprachverständnis und Sozialverhalten verbessern kann, dann ist sie vom Amt zu übernehmen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 8 SO 240/18) – vom 28.11.2019
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11.02.2020
Unfallversicherung: Besuch der «Wasen» ist nicht geschützt - auch, wenn der Chef bezahlt
Nimmt ein Arbeitnehmer an einer von seinem Arbeitgeber organisierten Fortbildung teil und lädt der Chef anschließend auf ein Volksfest ein (hier auf die Bad Cannstatter "Wasen"), so steht der Beschäftigte dort nicht (mehr) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Stürzt er nach Verlassen der Festwiese auf dem Weg zum Taxi, und bricht er sich beide Füße, muss die Berufsgenossenschaft nicht leisten. Es handelt sich nicht um einen Arbeitsunfall. Der Besuch des Festes hatte den alleinigen Zweck, gesellig zusammen zu sein und keinen betrieblichen. Dass der Arbeitgeber die Kosten dafür übernommen hatte und in der Einladung zur Fortbildung auch auf den Besuch der "Wasen" hingewiesen worden ist, ändere nichts daran, dass dem Mann keine Leistungen aus der Berufsgenossenschaft zustehen. (Thüringer LSG, L 1 U 1590/18) – vom 21.11.2019
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08.02.2020
«Privatknöllchen»: Pauschales Bestreiten reicht nicht (mehr)
Allein die Behauptung, das eigene Auto nicht selbst auf einem Privatparkplatz abgestellt zu haben, kann die Halterin eines falsch geparkten Pkws nicht davor schützen, ein „erhöhtes Parkentgelt“ zahlen zu müssen. Zwar handele es sich bei solch erhöhten Parkgeldern (hier von einem Krankenhaus ausgesprochen) rechtlich nicht um Bußgelder, sondern um Vertragsstrafen. Der Parkplatzbetreiber schließt nämlich mit dem Fahrer einen Vertrag - und kann dann auch nur diesen „bestrafen“. Kann er ihn nicht ausfindig machen, so bleibt es dabei. Der Bundesgerichtshof hat das in Frage gestellt und den Fall mit der Aufforderung an die Vorinstanz zurückverwiesen, die Frau (nochmal) dazu zu befragen, wer das Fahrzeug gesteuert hatte (hier wurde das Auto zweimal auf Mitarbeiterparkplätzen abgestellt – und einmal länger als erlaubt.) (BGH, XII ZR 13/19) – vom 18.12.2019
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06.02.2020
Reiserecht: Für eine Einreise nach Südafrika müssen Kinder neue Reisepässe haben
Verweigert eine Fluggesellschaft einer vierköpfigen Familie mit zwei minderjährigen Kindern die Mitnahme auf einen Flug nach Johannesburg/Südafrika, weil die Reisepässe der Kinder nicht neu für die Reise ausgestellt, sondern lediglich verlängert worden sind, so kann die Familie für die Verweigerung keine Ausgleichszahlung fordern. Gelten für Minderjährige in Südafrika strenge Einreiseanforderungen (neben einem neuen Pass muss auch die Originalgeburtsurkunde vorgelegt werden), die das Auswärtige Amt auch bekannt gibt, so sind die Reisenden selbst dafür verantwortlich, die Anforderungen einzuhalten. Anders als die Veranstalter von Pauschalreisen müssen Fluggesellschaften die Passgiere nicht über die Einreiseformalien aufklären. (Hier konnte die Familie erst einen Tag später - gegen Aufpreis - den Flug antreten.) (AmG Frankfurt am Main, 32 C 1268/19 (88)) – vom 20.09.2019
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05.02.2020
Arbeitsrecht: Bei unrechtmäßiger Versetzung steht Schadenersatz zu
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitnehmern nach einer vom Arbeitgeber veranlassten unwirksamen Versetzung die Erstattung der Reisekosten für die wöchentlich angefallenen Heimfahrten zusteht. In dem konkreten Fall wurde ein Metallbaumeister aus Südhessen zu Unrecht an eine Betriebsstätte des Arbeitgebers 480 Kilometer entfernt nach Sachsen versetzt. Obwohl gerichtlich bereits bestätigt war, dass die Versetzung nicht rechtmäßig war, musste er sie noch vier weitere Monate "mitmachen". Dafür sprach ihm das Gericht Schadenersatz zu: 30 Cent für jeden gefahrenen Kilometer, den er zwischen seinem Wohn- und seinem Arbeitsort „abgerissen“ hat - und zwar einmal pro Woche. (BAG, 8 AZR 125/18) – vom 28.11.2019
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04.02.2020
Zivilrecht: Eine Nachbesserungsfrist darf nicht zu kurz gesetzt werden
Hat ein Hauseigentümer in sein Mietshaus eine neue Heizungsanlage einbauen lassen und stellt er zum wiederholten Mal Mängel fest (die er auch gutachterlich belegt), so darf er für die Nachbesserung (auch wenn es schon die 2. Reklamation kurz nach dem Einbau ist) dem Heizungsmonteur nicht eine zu kurze Frist setzen. Gibt er ihm nur acht Tage Zeit, um die Probleme zu beheben, und beauftragt er danach einen anderen Heizungsbauer, so bleibt er auf den Kosten dafür sitzen. (Hier ging es um 61.000 €.) Das Oberlandegericht Düsseldorf hat dazu folgendes gesagt: „Die Frist muss so bemessen sein, dass der Schuldner in der Lage ist, den Mangel zu beseitigen. Angemessen ist die Frist, wenn während ihrer Dauer die Mängel unter größten Anstrengungen des Unternehmers beseitigt werden können. Maßgeblich sind hierbei sämtliche Umstände des Einzelfalles, die insgesamt für die Beurteilung der Angemessenheit nach diesem Bewertungskriterium von Bedeutung sind.“ (OLG Düsseldorf, 21 U 118/15) – vom 10.05.2016
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03.02.2020
Eigentumswohnung: Auch gegen Mängel am Gemeinschaftseigentum solo angehen
Stellt sich heraus, dass in einer neu errichteten Eigentumswohnungsanlage Mängel vorhanden sind, so muss - wurden die Fehler am Gemeinschaftseigentum gefunden - üblicherweise im Rahmen eines Eigentümerbeschlusses entschieden werden, ob und wie gegen den Bauträger angegangen wird. Können die Mängel (hier ging es um Hellhörigkeit in manchen Zimmern von 3 Eigentümern) nicht behoben werden, weil eine nachträgliche Dämmung die Zimmer verkleinert hätte, so haben die Eigentümer jeweils das Recht, solo Ausgleichszahlungen wegen einer Wertminderung gegen den Bauträger durchzusetzen. (OLG München, 9 U 4327/15) – vom 23.08.2016
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02.02.2020
Arbeitsrecht: Nur wenn der Chef Mitarbeiter absichtlich verletzt, muss er dafür haften
Rutscht eine Arbeitnehmerin (hier eine Pflegekraft eines Seniorenheimes) auf einer eisglatten Stelle auf dem Weg zwischen Parkplatz und Heim aus, und bricht sie sich einen Knöchel, so haftet nicht der Arbeitgeber (hier der Betreiber des Heimes) für die Folgen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt hatte, den die gesetzliche Unfallversicherung entschädigt. Die Frau konnte weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld gegen den Pflegeheimbetreiber durchsetzen. Weil zugunsten des Arbeitgebers das so genannte Haftungsprivileg gelte, habe er nur für Folgen einzustehen, wenn er einen Unfall und die Verletzungen absichtlich herbeigeführt hätte. (BAG, 8 AZR 35/19) – vom 28.11.2019
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28.01.2020
Krankenversicherung: Auch Rente aus Pensionskasse wird bei "Freier" mitgezählt
Eine ehemals bei einem Radiosender frei arbeitende Journalistin, die Mitglied der "Pensionskasse Rundfunk" war und eine Zusatzrente aus dieser Pensionskasse bezieht, kann sich nicht dagegen wehren, dass die Zusatzrente zur Bemessung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hinzugezogen wird. Das gelte auch dann, wenn sie "nur" frei für den Sender tätig war und nicht in einem Arbeitsverhältnis stand. Solche Einnahmen haben "Einkommensersatzfunktion" und seien daher mit den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar. (Hessisches LSG, L 8 KR 482/17) – vom 24.10.2019
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24.01.2020
Reiserecht: Schlapper Biker-Guide und ungewisse Routen bringen keine Preisminderung
Auch wenn Mountainbiker eine über eine Agentur gebuchte Tour für zu wenig anspruchsvoll hielten, von dem Guide enttäuscht waren und insgesamt der Meinung waren, dass die ganze Tour nicht das gehalten hatte, was in der Ausschreibung versprochen worden ist, so können sie nicht den Reisepreis nachträglich mindern (hier gefordert in Höhe von 40 %), wenn sich in der Gesamtheit nicht feststellen lässt, dass „die Reise mit Fehlern behaftet war, die den Wert und die Tauglichkeit nach dem gewöhnlichen Nutzen gemindert haben“. Gerade die Art der Reiseleistung enthalte stets eine gewisse Ungewissheit über die Route. Auch, dass Höhenmeter „fehlten“ und viel Strecke über Asphalt (von 364 km knapp 85 km) ging, sei verkraftbar gewesen. (Weitere Beschwerden, die ins Leere gingen, waren, dass der Führer der Radreise eine schlechte Kondition gehabt und außerdem Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger angepöbelt habe.) (AmG München, 191 C 7612/19) – vom 28.10.2019
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23.01.2020
Reiserücktrittsversicherung: Psychische Erkrankungen dürfen ausgeschlossen werden
Hat eine Frau für sich, ihren Ehemann und für ihre beiden Töchter (im Alter von 14 und 15 Jahren) eine Pauschalreise nach Thailand gebucht und gleichzeitig eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen, so muss die Versicherung nicht leisten, wenn eines der Mädchen am Tag vor dem Abflug eine psychische Dekompensation erleidet, die Reise storniert wird - und die Versicherung jedoch in ihren Geschäftsbedingungen "psychische Erkrankungen" ausgeschlossen hat. Ein solcher Ausschluss ist nicht überraschend - auch wenn andere Versicherer ihn nicht haben. Auch fehle es nicht an Transparenz. Das Oberlandesgericht Düsseldorf: "Der Begriff psychische Erkrankung ist für sich genommen aus dem Alltagssprachgebrauch des durchschnittlichen Versicherungsnehmers hinreichend klar und verständlich." (OLG Düsseldorf, 4 U 90/16) – vom 22.09.2017
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22.01.2020
Mietrecht: Der Ausgleich der Mietschulden rettet die Wohnung nicht immer
Allgemein gilt, dass ein Mieter, der "mindestens zwei Monatsmieten" in Rückstand ist und deswegen vom Vermieter die fristlose Kündigung des Mietvertrages erhält (was rechtlich zulässig ist), durch Ausgleich der Mietschulden den drohenden Verlust der Wohnung abwenden kann. Aber: Der Bundesgerichtshof hat bereits 2005 entschieden, dass damit "nach Abwägung aller Umstände" zwar die fristlose, nicht aber eine hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung auch vom Tisch sein muss. In einem aktuellen Fall ist das wieder in Erinnerung geraten. Das Landgericht Berlin segnete die ordentliche Kündigung ab, obwohl die Mieterin die Mietrückstände begleichen konnte. Damit sei die "erhebliche schuldhafte Pflichtverletzung" der Mieterin nicht vergessen. Hatte sie auch in den Jahren zuvor immer wieder mal Rückstände und hielt sie sich nicht an mit dem Vermieter vereinbarten Ratenzahlungen, so lässt das keine positive Zukunftsprognose zu. (LG Berlin, 65 S 223/18) – vom 27.03.2019
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21.01.2020
Schmerzensgeld: Einen großen Schritt muss eine Bahnkundin schon machen können
Verletzt sich eine Frau beim Einstieg in einen Waggon einer Regionalbahn, weil sie den Höhenunterschied zwischen dem Bahnsteig und dem Boden des Waggons nicht richtig eingeschätzt hatte und "ins Leere trat", so kann sie gegen den Betreiber der Bahn kein Schmerzensgeld durchsetzen. Die Bahnkundin forderte 25.000 Euro für eine nötig gewordene Operation an der Halswirbelsäule. Das Landgericht Hildesheim stufte den Tritt jedoch noch als ungefährlich ein. Höhendifferenzen von bis zu 20 Zentimetern müssen Bahnkunden mit Haltegriffen und Hinweisschildern bewerkstelligt bekommen (hier wurde ein Abstand von 18 cm gemessen). (LG Hildesheim, 5 O 97/16) – vom 07.12.2016
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20.01.2020
Verwaltungsrecht: ADHS im Erwachsenenalter kann das Studium kosten
Weil eine ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung)-Erkrankung im Erwachsenenalter als Dauerleiden einzustufen ist, können einem Studenten, der daran leidet und deswegen die nötigen Prüfungen nicht absolvieren konnte, neue Prüfungschancen nicht gewährt werden. Trifft die Krankheit einen Erwachsenen, so ist sie als „persönlichkeitsbedingte Eigenschaft“ zu bewerten, die die Leistungsfähigkeit des Prüflings bestimme. Und weil davon auszugehen ist, dass - im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen, die heilbar sind - das so bleibt, er also nicht „symptomfrei“ oder gar „gesund“ werden wird, gibt es für ihn keine neuen Prüfungschancen. (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, 14 A 2071/16) – vom 07.11.2019
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17.01.2020
Unfallversicherung: Ein Treiber als Jagdgast ist nicht versichert
Nimmt ein Jäger auf Einladung einer Forstverwaltung (der er nicht unterstellt ist) als Hundeführer und Treiber an einer Gesellschaftsjagd teil (hier, um einer Wildschweinproblematik Herr zu werden), so ist er dabei nicht gesetzlich unfallversichert. Rutscht er in einem Brombeerfeld aus und verdreht er sich das Knie, so ist seine Krankenversicherung leistungspflichtig. Er hat keine "fremdbestimmte Arbeit" verrichtet, war also weder als Beschäftigter noch als "Wie-Beschäftigter" der Forstverwaltung tätig. Zwar gebe es im Rahmen einer solchen Treibjagd mit vielen Teilnehmern Rollenanweisungen. Die seien aber nicht als Weisungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zu verstehen, sondern dienten lediglich der Sicherheit und dem Gelingen der privatnützigen Jagd "als Ganzes". (Hessisches LSG, L 3 U 45/17) – vom 27.09.2019
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16.01.2020
Erwerbsminderungsrente: Auch bei fehlender Therapie muss die Rente fließen
Auch wenn ein (hier: 37-jähriger) Mann, der wegen einer psychischen Erkrankung seit knapp 2 Jahren nicht mehr arbeiten kann, (noch) nicht alle möglichen Therapien ausgeschöpft hat, so hat er dennoch Anspruch auf Zahlung einer vollen Rente wegen Erwerbsminderung - allerdings befristet. Die Deutsche Rentenversicherung Bund kann nicht dagegen halten, dass es sich um einen so genannten Behandlungsfall handele, für den eine "länger anhaltende quantitative Leistungsminderung nicht angenommen werden kann". Steht - ärztlich belegt - fest, dass der Mann außerstande ist, am allgemeinen Arbeitsmarkt unterzukommen, so ändere eine fehlende Behandlung nichts an dieser Tatsache. Das könne nämlich auch an der (mangelhaften) Beratung durch Ärzte liegen oder daran, dass Therapieplätze nicht vorhanden sind. (SG Dresden, S 4 R 876/18) - vom 27.09.2019
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15.01.2020
Elterngeld: Auch monatliche Umsatzbeteiligungen müssen eingerechnet werden
Bezieht eine angestellte Zahnärztin ein Grundgehalt sowie von Monat zu Monat schwankende Umsatzbeteiligungen, so darf die Elterngeldstelle (nachdem die Ärztin Mutter geworden ist und Elterngeld beantragt hat) die Umsatzbeteiligungen bei der Berechnung der Höhe des Elterngeldes nicht außen vor lassen. Die Behörde kann nicht argumentieren, dass dieser Teil des Einkommens steuerlich als "sonstige Bezüge" - und nicht als "laufende Bezüge" (das ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Elterngeld) behandelt werde. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat jedoch klargestellt, dass die Beteiligungen auf einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung beruhen und somit als regelmäßiger (also laufender) Lohn zu bewerten sei - wenn auch in unterschiedlichen Höhen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 2 EG 7/19) – vom 06.11.2019
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13.01.2020
Eigentumswohnung: In einem «Laden mit Lager» dürfen auch Familien wuseln
Auch wenn ein Bereich im Erdgeschoss eines Hauses in der Teilungserklärung als "Laden mit Lager" bezeichnet ist, darf dort ein Eltern-Kind-Zentrum betrieben werden. Nachbarn, die in einer Eigentumswohnung direkt darüber wohnen und sich von dem Kinderlärm und dem Betrieb an sich (auch am Wochenende) gestört fühlten, können nicht durchsetzen, dass der Betreiber das Zentrum schließt. Nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sind Geräusche durch Kitas, Spielplätze oder vergleichbare Einrichtungen normalerweise keine "schädlichen Umwelteinwirkung". Nur, wenn die Teilungserklärung den Betrieb einer solchen Einrichtung ausgeschlossen hätte, wäre die nicht zuzulassen. (BGH, V ZR 203/18) – vom 13.12.2019
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11.01.2020
Krankenversicherung: Auch bei starker Beinbehaarung nicht auf Kosten der Kasse lasern
Auch wenn eine junge Frau (hier 17 Jahre alt) psychisch unter ihrem ausgeprägten Haarwuchs an den Beinen leidet und in psychiatrischer Behandlung ist, muss ihre gesetzliche Krankenversicherung nicht die Kosten für eine Laser-Epilation übernehmen. Die Versicherte muss sich darauf verweisen lassen, die Haare "temporär" durch Rasur, Wachs oder Cremes zu entfernen - oder eben die Laser-Epilation selbst zu bezahlen. Ist sie nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt, so ist sie auch nicht von der Kasse zu übernehmen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 457/16) – vom 29.10.2019
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09.01.2020
Verbraucherrecht: Will der Kaminbauer von Zusagen nichts mehr wissen, muss er gar nicht mehr kommen
Schließt ein Ehepaar mit einem Ofenbauer einen Werkvertrag über Lieferung und Montage eines (hier 9.000 € teuren) Marmorkamins, den das Paar in seinen Neubau eingebaut haben möchte, so können die beiden vom Vertag zurücktreten, wenn sie glaubhaft machen, dass der Kaminbauer eine mündlich gemachte Zusage (die für das Paar mit kaufentscheidend war) später nicht einhalten wollte. Bestätigt er dem Paar vor Baubeginn diese Zusage nicht mehr (hier ging es darum, dass der Kamin raumhoch sein sollte und den gleichen Putz wie die Wand tragen sollte), so dürfen die Eheleute vom Vertrag zurücktreten, ohne den vereinbarten Lohn (abzüglich ersparter Aufwendungen) bezahlen zu müssen. Dazu ist allerdings ein „sehr detailreicher und nachvollziehbarer" Vortrag nötig gewesen. Letztlich stellte es einen „den Vertragszweck gefährdendes Verhalten“ des Kaminbauers dar, dass er nicht auf ein Schreiben der Frau reagiert hatte, in dem sie dargelegt hatte, wie der Kaminofen aussehen sollte. (AmG München, 159 C 13909/18) – vom 19.03.2019
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08.01.2020
Fitness-Studio: Der Kunde muss schon genau beschreiben, wo es zwickt
Auch wenn der Kunde eines Fitness-Studios ein ärztliches Attest vorlegen kann, das ihm bescheinigt, "aus gesundheitlichen Gründen" nicht in der Lage zu sein, das Studio weiterhin zu nutzen, so reicht das nicht aus, um den Vertrag mit dem Betreiber des Studios fristlos kündigen zu können. Der Kunde müsse schon belegen, was ihm genau fehle. Kann er das nicht, so muss er die Mitgliedsbeiträge bis zum Ablauf der vertraglichen Laufzeit bezahlen. (Hier ging es um knapp 1.500 € an offenen Mitgliedsentgelten.) (AmG Frankfurt am Main, 31 C 2619/19) – vom 25.09.2019
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07.01.2020
Arbeitsrecht: Auch für einen Mädchen-Sport-Kurs darf ein Mann nicht außen vor bleiben
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine Schule - beziehungsweise der Schulträger - nicht berechtigt ist, eine Sportlehrer-Stelle nur „weiblich“ auszuschreiben. Das gelte auch dann, wenn es sich um eine Stelle für eine reine Mädchenklasse in der Oberstufe handelt. Ausschreibungen dürfen nicht derart einseitig sein - auch dann nicht, wenn es "das Schamgefühl von Schülerinnen beeinträchtigen könne, weil es bei Hilfestellungen im Sportunterricht" zu Berührungen der Schülerinnen kommen kann. Das reiche nicht dafür aus, ein geschlechtsbezogenes Merkmal als berufliche Anforderung hervorzuheben. (BAG, 8 AZR 2/19) – vom 19.12.2019
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20.12.2019
Handy am Steuer: Auch zum Abkühlen nicht in die Hand nehmen
Auch wenn das Handy nicht zum Telefonieren oder Nachrichten schreiben benutzt wird, darf ein Autofahrer es nicht während der Fahrt am Steuer in den Händen halten. Hält ein Autofahrer das Gerät an die Lüftung, weil es durch das parallel geführte Gespräch – über Freisprecheinrichtung – heiß gelaufen sei, so muss er das Bußgeld (inzwischen kostet das Vergehen „Handy am Steuer“ 100 €) berappen und einen Punkt im Flensburger Fahreignungsregister hinnehmen. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob das Handy zur Benutzung in der Hand gehalten wird. Maßgeblich sei vielmehr, ob das Handy tatsächlich in der Hand liegt. Das gelte auch dann, wenn das technisch – eben wegen einer vorhandenen Freisprecheinrichtung - gar nicht notwendig ist. (KG Berlin, 3 Ws (B) 50/19 – 162 Ss 20/19) – vom 13.02.2019
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18.12.2019
Mieterhöhung: Ein 20 Jahre alter Mietspiegel ist nicht geeignet
Ein Vermieter darf grundsätzlich die Miete erhöhen, wenn der Mietzins unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Dabei darf aber nicht ein allzu „alter“ Mietspiegel zum Vergleich genommen werden. Ist der vom Mieter herangezogene Mietspiegel fast 20 Jahre alt, so kann damit eine höhere Miete nicht begründet werden. In dem konkreten Fall beabsichtigte ein Vermieter im Jahr 2017 die Miete von 300 auf 360 Euro zu erhöhen und legte dazu einen Mietspiel aus dem Jahr 1998 vor. Daran könne aber nicht abgelesen werden, so der Bundesgerichtshof, ob die Erhöhung berechtigt sei oder nicht. Der Wert sei „schon im Ansatz nicht geeignet, das Erhöhungsverlangen zu begründen“. (BGH, VIII ZR 340/18) – vom 16.10.2019
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17.12.2019
Eigentumswohnung: Gibt es mehr als zwei Verwalter-Anwärter, muss einzeln gewählt werden
Gibt es zur Wahl des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft mehrere Kandidaten, so ist die Wahl ungültig, wenn ein Kandidat zwar die meisten Ja-Stimmen bekommen, aber nicht die absolute Mehrheit erzielen konnte. In einem solchen Fall muss der Versammlungsleiter über jeden Bewerber einzeln abstimmen lassen. (Hier bekam eine Bewerberin im ersten Wahlgang 46 % der Stimmen. 38 % stimmten mit "Nein" und 9 % enthielten sich.) In dieser Konstellation sei es nicht auszuschließen, dass all diejenigen, die sich enthalten oder gegen die Frau gestimmt haben, sich für einen anderen Kandidaten entschieden hätten und auf diesen dann mehr Stimmen entfallen wären. Jedenfalls durfte der Leiter die Wahl nach dem 1. Durchgang nicht für beendet erklären. (BGH, V ZR 324/17) – vom 18.01.2019
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17.12.2019
Nachbarrecht: Eine Senioren-WG darf in einem Wohngebiet eingerichtet werden
Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat entschieden, dass eine Wohngemeinschaft von Senioren in einem Einfamilienhaus mit jeweils eigenen Miet- und Pflegeverträgen in einem reinen Wohngebiet eine zulässige Wohnform ist. Eine solche Konstellation ist nicht mit einem Altenpflege- oder Seniorenheim vergleichbar und kann von den Nachbarn nicht unterbunden werden. In dem konkreten Fall lebten acht bis neun ältere - teilweise auch an Demenz erkrankte - Menschen in dem Haus, wobei jede Person über ein eigenes, möbliertes Zimmer verfügte und die Gemeinschaftsräume wie Küche, Wohnzimmer und Bad von allen benutzt werden durften. Nachbarn forderten ein „bauaufsichtliches Einschreiten der Behörden“, weil dieser „Heimcharakter“ nicht ins Wohngebiet passe. Das Gericht sah das anders: „Eine intensive Nutzung eines Einfamilienhauses durch mehrere, teilweise an Demenz erkrankte Senioren wahrt die Eigenart des reinen Wohngebietes". Natürlich müssen die Grenzen für die nachbarliche Belastung (wie zum Beispiel bei Kinderlärm) eingehalten werden. Das war hier aber noch gegeben. (VwG Neustadt an der Weinstraße, 3 K 575/17) – vom 18.06.2018
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14.12.2019
Hundehalterhaftpflicht: Welcher Hund im Gemenge zubeißt, ist egal - wenn der Auslöser bekannt ist
Geht ein Mann mit seiner angeleinten Bulldogge spazieren und werden die beiden von einem Terrier angegriffen, der direkt aus dem Auto seiner Halterin gesprungen kam, als die den Kofferraum öffnete, so muss die unvorsichtige Frau für den Schaden aufkommen, der bei dem "Beißgemenge" entstanden ist. Stürzt der Hundehalter und wird er am Ohr und unter dem Auge durch Bisse verletzt, so ist es unerheblich, ob er vom Terrier oder von seinem eigenen Hund getroffen wurde. Stellt sich heraus, dass die Hundehalterin von der Aggressivität ihres Tieres wusste (weil er ein paar Wochen zuvor einer anderen Halterin in die Hand gebissen hatte), so muss sie sowohl Schmerzensgeld (hier: 2.000 €) als auch Schadenersatz für Verdienstausfall (hier: 3.100 €) an den Mann zahlen. (OLG Karlsruhe, 7 U 86/18) – vom 10.10.2019
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12.12.2019
Verkehrsrecht: Auf einem «Kombiweg» muss das Segway zurückstecken
Fährt eine Frau mit einem Segway auf einem kombinierten Rad- und Fußweg, so muss sie ihre Fahrweise und das Tempo so anpassen, dass es „nicht zu einer Behinderung oder Gefährdung“ von Fußgängern kommt. Sie muss auf sich aufmerksam machen - oder sogar anhalten, wenn sie auf einen Fußgänger zurollt. In dem konkreten Fall stand ein Mann auf dem Kombiweg und machte Fotos. Dabei trat er ein paar Schritte zurück und lief der Segway-Fahrerin in die Spur. Die Frau stürzte, verletzte sich erheblich und verlangte Schadenersatz sowie Schmerzensgeld von dem Mann - vergeblich. Die Frau hatte ihre Sorgfaltspflicht verletzt, weil sie - obwohl sie nicht sicher sein konnte, ob der Mann sie bemerkt hatte - weiterfuhr statt anzuhalten. Somit trägt sie ein hohes Verschulden am Unfall, das dem Verschulden des Mannes weit überwiegt. (OLG Koblenz, 12 U 692/18) – vom 06.03.2019
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11.12.2019
Mietrecht: Das Zweckentfremdungsverbot hat nichts mit dem Mietpreisdeckel zu tun
Das Land Berlin darf den Abriss eines Wohnhauses nicht mit der Begründung verbieten, dass die Mieten in dem an selber Stelle geplanten Neubau höher sein werden als der "Mietpreisdeckel" (hier: 7,92 € pro qm). Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und diese in der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung festgelegte Grenze für Ersatzwohnraum in solchen Fällen für nichtig erklärt. Denn das Zweckentfremdungsverbot schütze Wohnraum nicht um seiner selbst willen und es diene auch nicht dem Schutz der Mieter. Vielmehr solle es den Wohnraumbestand vor Nutzungen zu anderen als Wohnzwecken bewahren und hierdurch die Wohnraumversorgung sichern. (VwG Berlin, 6 K 452/18) – vom 27.08.2019
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09.12.2019
Beamtenrecht: Auch Unverheiratete hat Anspruch auf eine künstliche Befruchtung
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass eine Beamtin, die an einer „organisch bedingten Unfruchtbarkeit“ (und damit an einer Krankheit) leidet, auch dann beihilfeberechtigt für die ärztliche Behandlung ist, wenn sie nicht verheiratet ist. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung muss der Dienstherr (hier das Land Hessen) also übernehmen. Eine Krankheit müsse unabhängig davon behandelt - und dementsprechend bezahlt - werden, ob die Beamtin verheiratet ist oder nicht. (Hessischer VGH, 1 A 731/17) – vom 24.09.2019
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08.12.2019
Führerscheinentzug: Schneller als die Behörde schreiben kann
Sammelt ein Autofahrer innerhalb von weniger als 10 Monaten 14 Punkte im Flensburger Fahreignungsregister und fordert ihn die Fahrerlaubnisbehörde auf, seine Fahreignung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nachzuweisen, so kann ihm der Führerschein entzogen werden, wenn er der Aufforderung nicht nachkommt. (Üblicherweise wird die Fahrerlaubnis bei 8 Punkten entzogen. Das setzt aber voraus, dass der Fahrer erst schriftlich ermahnt und dann verwarnt worden ist. Diese Hinweise fehlten hier, weil die Behörden in der Kürze der Zeit, in der der Autofahrer immer wieder geblitzt worden ist, die entsprechenden Schreiben nicht zustellen konnte - wobei es zusätzlich Probleme mit der Zustellung gab.) Das Verwaltungsgericht Düsseldorf: "Bei unverbesserlichen Rasern ist es im Ausnahmefall allerdings auch möglich, diese ohne vorherige Warnung zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu verpflichten." (VwG Düsseldorf, 6 K 4482/18) – vom 23.10.2019
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04.12.2019
Beamtenrecht: Auch ein Sketch kann einem Polizeianwärter die Karriere verderben
Stellt ein junger Polizeianwärter ein als Sketch gedachtes Video ins Internet, in dem er in einem Cafè einer Angestellten vorgaukelt, ihren Geschäftsführer am Telefon zu haben, und unter dem Vorwand einer Absprache mit ihm Bestellungen aufgibt, ohne diese später zu bezahlen, so bestehen „Zweifel an seiner charakterlichen Eignung“ für den Polizeidienst. Er darf entlassen werden. (Hier kamen noch weitere Verfehlungen hinzu.) Der Mann habe mit seinem Verhalten gegen eine Kernpflicht des Polizeiberufs verstoßen. Das „Werben“ im Internet für eine vermeintliche Betrugsmasche - selbst in Form eines Sketches verpackt - sei eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung. (OVG Berlin-Brandenburg, 4 S 44/19) – vom 24.10.2019
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03.12.2019
Radfahr-/Autounfall: Sicherer, ortskundiger Achtjähriger darf alleine radeln
Das Landgericht Osnabrück hat entschieden, dass Eltern eines 8-jährigen Jungen ihre Aufsichtspflicht nicht verletzen, wenn sie den Filius unbeaufsichtigt mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen lassen und er vor ein (an einer roten Ampel stehendes) Auto fährt. Kennt der Junge die Verkehrsregeln, fährt er sicher und hat er das auch schon über eine gewisse Zeit gezeigt, so ist auf einem ihm bekannten und geläufigen Weg davon auszugehen, dass er "nach seinen Fähigkeiten grundsätzlich in der Lage ist", das Fahrrad ohne Begleitung zu führen. Der Autofahrer kann keinen Schadenersatz durchsetzen, weil Kinder bis zum zehnten Lebensjahr im Straßenverkehr nicht schuldfähig sind. (LG Osnabrück, 4 S 172/18) – vom 28.02.2019
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30.11.2019
Kfz-Haftpflichtversicherung: In einer Waschanlage gibt es keine Betriebsgefahr
Das Oberlandesgericht Koblenz hat entschieden, dass ein Fahrzeughalter nicht für Unfallschäden in einer automatisierten Waschanlage haften muss, wenn ihn keine Schuld trifft. Die Autos, die bei ausgeschalteten Motoren durch die Anlage gezogen werden, sind nicht „in Betrieb“. In dem konkreten Fall hatte ein Mann in seinem Auto sitzend innerhalb der Anlage gebremst, weil sich an einem Auto vor ihm am Hinterrad eine der Vorrichtungen löste, die das Fahrzeug durch die Waschstraße zog. Zwar konnte er dadurch verhindern, auf den Vordermann aufzufahren. Weil dadurch aber der Rhythmus der Waschstation durcheinander geriet, drückte sich die Gebläsetrocknung auf das Heck seines Autos und richtete einen Schaden in Höhe von 4.500 Euro an. Diesen Schaden forderte er vom Vordermann erstattet - vergeblich. Denn das Auto war vollständig von den automatisierten Transportvorgängen innerhalb der Waschstraße abhängig. Es gingen keine typischen Betriebsgefahren wie Gewicht oder Geschwindigkeit von dem Wagen aus. (OLG Koblenz, 12 U 57/19) – vom 03.07.2019
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27.11.2019
Krankenversicherung: Technik kann auch für Kranke mehr Freiheiten bringen
Leidet ein 19-jähriger Mann an einem Down-Syndrom mit geistiger Behinderung und Weglauftendenz, so kann seine gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet sein, die von seinem Arzt verordnete GPS-Uhr mit Alarmfunktion als Hilfsmittel zu bezahlen. Die Kasse könne nicht darauf verweisen, dass es sich bei der Uhr nicht um ein Mittel zum Ausgleich der Behinderung handele, sondern eine Patientenüberwachung darstelle. Das sah das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anders und urteilte, dass die herkömmlichen Maßnahmen wie verschlossene Türen oder ständige Begleitung den Mann mehr isolierten als das GPS-Armband. Erst dadurch erhielte er überhaupt Bewegungsfreiheit und Mobilität. Das sei auch besser mit dem "neuen Behinderungsbegriff" zu vereinbaren, der das Ziel der "gesellschaftlichen Teilhabe" in den Vordergrund rückt. (Die Uhr schlägt nur Alarm, wenn ein definierter Aufenthaltsbereich verlassen wird.)
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26.11.2019
Krankenversicherung: Bei hoher Sterbewahrscheinlichkeit muss teure OP genau geprüft werden
Leidet eine (74-jährige) Frau an Leukämie und entscheidet sich die Klinik, in der sie behandelt wird, zu einer Stammzelltransplantation, so muss über die Möglichkeiten und Risiken aller möglichen anderen Behandlungswege diskutiert und informiert werden. Dazu können auch palliative Versorgungswege zählen. Jedenfalls darf es keinen Automatismus in die Richtung geben, dass auch nicht anerkannte Methoden angewendet werden dürfen, wenn damit "eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht" auf Heilung oder Linderung besteht. Beträgt das Sterberisiko bei der Transplantation 30 Prozent und das Risiko eines tödlichen Rückfalls 35 Prozent, so hätte auch eine palliative Behandlung in Erwägung gezogen werden müssen. Das insbesondere dann, wenn eine solche einen zeitlich "größeren Überlebensvorteil eröffnet". (BSG, B 1 KR 3/19 R u. a.) – vom 08.10.2019
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25.11.2019
Mietminderung: 30 Prozent für unvorhersehbare Großbaustelle
Entsteht in der Nachbarschaft eines Mietshauses eine Großbaustelle, so können die Mieter die Miete mindern (hier in Höhe von 30 %). Das gelte jedenfalls dann, wenn beim Einzug in die Wohnung in Großstadtlage "keine erkennbaren Baulücken in der Nachbarschaft" zu erkennen waren. Das Amtsgericht Nürnberg: Es wurde bei Bezug der Wohnung "keine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend geschlossen, dass mit Baumaßnahmen zu rechnen war". (AmG Nürnberg, 28 C 6191/18) – vom 12.12.2018
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23.11.2019
Pferdelebensversicherung: Lahm und nicht genießbar sinkt der Wert eines Friesen auf «0»
Hat der Besitzer eines Pferdes (hier eines "Friesen") für das Reit- und Sportpferd 7.500 Euro bezahlt und eine Pferdelebensversicherung gegen das Risiko der Nottötung abgeschlossen, so kann der Besitzer auch dann leer ausgehen, wenn das Pferd medikamentös eingeschläfert werden muss. Wurde das Tier bereits zu Lebzeiten wegen arthrosebedingter Lahmheit mit einem Medikament behandelt (hier: Phenylbutazon), das das Fleisch ungenießbar macht, so ist der Verkehrswert (der laut Versicherungspolice auch die Versicherungssumme darstellt) auf "0" gesunken. Denn das Tier war sowohl als Sportpferd als auch für den Schlachter unbrauchbar geworden. (AmG Frankfurt am Main, 32 C 1479/18) – vom 06.03.2019
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22.11.2019
Reiserecht: 7 Stunden können 40 Prozent bringen
Ändert ein Reiseveranstalter knapp fünf Monate vor Beginn einer (knapp 1-wöchigen) Reise die Ankunftszeit (hier für die Landung auf Palma de Mallorca) von 12.35 Uhr auf 20.00 Uhr, und gelingt es dem Veranstalter nicht, die Forderung des Reisenden zu erfüllen, einen adäquaten Abflug zu besorgen, so muss er eine nachträgliche Reisepreisminderung geben. Das Amtsgericht Bad Homburg sprach eine Minderung in Höhe von 40 Prozent auf den Tagesreisepreis zu. Es sah in der Verschiebung eine „ungünstige Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit“. Der Amtsrichter merkte aber an, dass auch bei einem planmäßigen Abflug kein kompletter Urlaubstag vor Ort hätte wahrgenommen werden können. Deswegen gab es keinen vollen Tagessatz. (AmG Bad Homburg, 2 C 2090/17) – vom 02.04.2019
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20.11.2019
Unfallversicherung: Eigene Erfahrungen lösen nicht zwingend ein Trauma aus
Wird ein Straßenwärter im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit mit vielen tödlichen Unfällen konfrontiert (unter anderem musste er Verkehrsunfälle aufnehmen und am Unfallort bleiben, bis Notarzt, Feuerwehr und Polizei ihre Arbeit beendet haben), so ist eine - wohl auch aus diesen Erlebnissen resultierende posttraumatische Belastungsstörung - nicht zwingend als Berufskrankheit anzuerkennen. Der Mann kann keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beziehen. Denn es lägen nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand keine gesicherten Ergebnisse dafür vor, dass "allein die wiederholte Erfahrung der Ersthelfer mit traumatischen Ereignissen bei anderen Personen generell geeignet ist", eine solche psychische Störung zu verursachen. (Hessisches LSG, L 3 U 145/14) – vom 13.08.2019
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20.11.2019
Hartz IV: Täglich zehn Kilometer sind einem jungen, gesunden Mann per Rad zuzumuten
Von einem gesunden 28-jährigen Hartz IV-Empfänger kann verlangt werden, dass er täglich knapp zehn Kilometer Arbeitsweg mit dem Fahrrad absolviert und den Rest mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Jedenfalls muss das Jobcenter dem Mann keinen Zuschuss für den Kauf eines gebrauchten Autos zahlen. Im Detail ging es um einen Lehrling, der in einem Einkaufszentrum in 35 Kilometer Entfernung von zuhause tätig war und den Weg zunächst mit dem Auto seines Vaters absolvierte, der den Wagen dann aber nicht mehr entbehren konnte. 4.500 Euro verlangte er - vergeblich. Weil der nächste Bahnhof mit guten Anschlüssen nur 5,5 Kilometer entfernt ist, sei es ihm zuzumuten, dorthin zu fahren. Entweder mit dem Rad oder im Rahmen einer Fahrgemeinschaft. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 15 AS 200/19 B ER) – vom 18.09.2019
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19.11.2019
Kfz-Versicherung: Auch ohne Bestätigung gilt eine Kündigung als angenommen
Hat eine Frau die Kfz-Haftpflicht- sowie Vollkaskoversicherung für ihren Wagen gekündigt, so kann diese Kündigung auch ohne Bestätigung der Versicherungsgesellschaft wirksam sein. Hätte die Frau Zweifel daran gehabt, dass die Kündigung akzeptiert worden ist, so hätte sie selbst bei der Gesellschaft nachfragen müssen. In dem konkreten Fall beabsichtigte die Autofahrerin rund anderthalb Jahre nach der Kündigung einen Verkehrsunfall über die Versicherung regulieren zu lassen. Sie habe nicht erkennen lassen, das Versicherungsverhältnis trotz der Kündigung weiter führen zu wollen. Denn Beiträge hatte sie nicht mehr bezahlt. (OLG Braunschweig, 11 U 103/18) - vom 02.09.2019
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17.11.2019
Unfallversicherung: Wer freiwillig beim Anlanden hilft, ist nicht unfallversichert
Leistet ein Teilnehmer einer Floßfahrt Hilfe beim Anlanden der Flöße und verletzt er sich dabei am Sprunggelenk, so ist er nicht "wie ein Arbeitnehmer" gesetzlich unfallversichert. Es war nicht ersichtlich, dass "die von dem Teilnehmer der Floßfahrt geleistete Hilfe beim Anlegen dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Flößereiunternehmers entsprach". (Thüringer LSG, L 1 U 1261/17) – vom 22.08.2019
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14.11.2019
Wettbewerbsrecht: Mit Selbstverständlichkeiten nicht werben
Ein E-Zigarettenhersteller darf seine Produkte nicht mit dem Slogan „Genuss ohne Reue“ bewerben. Das ist eine gesundheitsbezogene Angabe, die in der Werbung verboten ist. Denn die Aussage suggeriere dem Verbraucher, dass die Kapseln mit Flüssigkeiten (so genannten Liquids) völlig unschädlich seien. Auch dürfen die Kapseln nicht als „apothekenreine Liquids“ angepriesen werden. Denn die Liquids müssten gesetzlich ohnehin einen bestimmten Reinheitsgrad vorweisen - die Aussage sei also eine Selbstverständlichkeit. Und Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist nicht erlaubt. (LG Essen, 41 O 13/19) – vom 25.10.2019
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13.11.2019
Befristetes Arbeitsverhältnis: Auch nur einen Tag zu viel kann viel ausmachen
Auch wenn die Beschäftigung in einem sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis die gesetzlich zulässige Höchstdauer von zwei Jahren nur um einen Tag überschreitet, ist zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden. Das gelte auch dann, wenn die Grenze wegen einer Dienstreise überschritten worden ist. (Hier ging es um einen Juristen, der sich so einen unbefristeten Arbeitsvertrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erstritten hat.) (LAG Düsseldorf, 3 Sa 1126/18) – vom 09.04.2019
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12.11.2019
Verkehrssicherungspflicht: Auch ein alter Baum darf selbst inspiziert werden
Der Eigentümer eines sehr alten Baumes (hier ging es um eine ungefähr 200 Jahre alte Eiche) muss nur dann bei einem Sturmschaden haften (hier stürzte der Baum auf das Nachbarhaus), wenn er die „rechtlich gebotene Verkehrssicherung“ verletzt hat, wobei diese nur „diejenigen Maßnahmen umfasst, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren“. Nicht jeder abstrakten Gefahr könne vorbeugend begegnet werden - es kann nicht jeder mögliche Schaden abgewendet werden. Die Kontrolle des privat unterhaltenen Baumes kann der Eigentümer selbst durchführen. Er muss dafür keinen Fachmann engagieren. Fällt der Baum bei einem Sturm mit Windstärke 11, so hat sich ein Lebensrisiko verwirklicht. Der Eigentümer des Baumes hat nicht schuldhaft gehandelt. (OLG Düsseldorf, 9 U 38/13) – vom 23.07.2013
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11.11.2019
Heimrecht/Krankenkasse: Auch demente alte Menschen haben eine Intimsphäre
Stürzt eine 83 Jahre alte Heimbewohnerin, als sie versucht, bei einem Toilettengang ohne Hilfe aufzustehen und erleidet sie einen Oberschenkelhalsbruch, so kann ihre gesetzliche Krankenkasse nicht vom Pflegeheim Schadenersatz für die Kosten der Behandlung mit der Begründung durchsetzen, es habe seine Sorgfaltspflicht verletzt und die Patientin hätte dauerbeaufsichtigt werden müssen. Das gelte auch dann, wenn die Frau an Demenz litt. Sie müsse trotz der Demenz nicht lückenlos beaufsichtigt werden. Zwar bestehe grundsätzlich eine Verpflichtung des Heims, Patienten nach Möglichkeit vor Stürzen zu bewahren. Dabei ist aber auch - neben dem Schutz des Patienten vor Stürzen - die Intimsphäre der Bewohner zu achten. Und hier stellte sich heraus, dass die Dame nicht außergewöhnlich sturzgefährdet war. (OLG Karlsruhe, 7 U 21/18) – vom 18.09.2019
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08.11.2019
Maklerrecht: Automatische Verlängerung benachteiligt die Kunden
Sehen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Maklers vor, dass sich der Vertrag mit seinen Kunden "nach einer Mindestlaufzeit von sechs Monaten automatisch um jeweils drei Monate verlängert, sofern der Maklervertrag nicht gekündigt wird", so ist der Passus ungültig. In dieser Klausel sieht das Oberlandesgericht Stuttgart eine "unangemessene Benachteiligung des Maklerkunden". (OLG Stuttgart, 3 U 146/18) – vom 06.02.2019
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08.11.2019
Mietrecht: «Fräulein» im Aushang muss betagten Vermietern nachgesehen werden
Wird eine Mieterin von ihren betagten Vermietern (einem Ehepaar, 92- beziehungsweise 89-jährig) in Aushängen im Treppenhaus (zum Beispiel im Putzplan für den Hausflur) mit "Fräulein" bezeichnet, so kann sie nicht per Unterlassung fordern, dass sie nicht mehr so genannt wird. Zwar sei es unfreundlich, dass die Vermieter dem Wunsch der alleinstehenden Frau nicht nachkommen. Eine Ehrverletzung liege aber nicht vor. Zwar ist die Bezeichnung in der Bundesrepublik bereits 1972 aus den öffentlichen Registern gestrichen worden. International werden aber Begriffe wie "Mademoiselle" (in Frankreich) oder "Miss" (in Großbritannien) nicht als problematisch empfunden. Auch das hohe Alter des Vermieterehepaares sei zu berücksichtigen. (AmG Frankfurt am Main, 29 C 1220/19) – vom 27.06.2019
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05.11.2019
Wettbewerbsrecht: Ein Kater nach Alkoholkonsum ist eine Krankheit
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass für ein Nahrungsergänzungsmittel nicht geworben werden darf, wenn es dazu beitragen soll, einen "Alkoholkater" (Kopfschmerzen und Übelkeit) zu lindern. Denn bei den Symptomen handelt es sich um Erscheinungen, die "außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite des menschlichen Körpers" liegen. Sie treten nicht als Folge des natürlichen "Auf und Ab" eines Menschen ein, sondern infolge des Konsums von Alkohol - also einer schädlichen Substanz. Und weil Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften zuschreiben dürfen, die der "Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit" dienen, sind Werbeaussagen für das Produkt unlauter. (OLG Frankfurt am Main, 6 U 114/18) – vom 12.09.2019
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04.11.2019
Reiserecht: Eigentlich könnte die Fluggesellschaft einfach einen Beweis liefern...
Behaupten Flugpassagiere, dass sie noch vor Abschluss des Boardings vor dem Flug (hier von Frankfurt über Madrid nach Cali) am Gate angekommen seien, ihnen aber trotzdem der Einstieg vom Bodenpersonal verweigert worden ist (mit der Begründung, "die Flugzeugtüren seien zu"), so müsste die Fluggesellschaft Zeugen dafür benennen, dass der Zugang tatsächlich nicht mehr möglich gewesen war - andernfalls muss sie wegen Nichtbeförderung Entschädigung leisten. Die Fluggesellschaft müsste im Rahmen der "sekundären Darlegungslast" mit Hilfe des Boardpersonals (das ja alleine der Sphäre der Fluggesellschaft zuzuordnen ist) darlegen, dass ihre Version stimmt. Denn die Passagiere konnten die Flugzeugtüren nicht sehen. Weil die Gesellschaft hier diesen Beweis nicht bringen konnte, musste sie die Ticketpreise für den verpassten Flug erstatten. (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 25/18) – vom 22.05.2019
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02.11.2019
Arbeitslosengeld I: Die Sperrzeiten müssen individuell erklärt werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I (ALG I) bewilligt bekommen haben, Sperrzeiten für diese Zahlung nur für bis zu maximal drei Wochen hinnehmen müssen, wenn sie eine „Pflichtverletzung“ begangen haben. Für längere Sperrzeiten ist die von der Bundesagentur für Arbeit verwendete Rechtsfolgenbelehrung nicht konkret genug. In dem konkreten Fall hatte ein Arbeitsloser drei Vermittlungsvorschläge von der Agentur für Arbeit erhalten – und alle abgelehnt, weil es sich nur um Teilzeitstellen gehandelt hatte beziehungsweise die Stellen nicht seinen Interessen und Fähigkeiten entsprach und - aus einer Sicht - zu schlecht bezahlt wurden. Die Arbeitsagentur setzte direkt drei Sperrzeiten fest: drei Wochen für die erste, sechs für die zweite und zwölf für die dritte abgelehnte Stelle - was den Mann knapp 1.000 Euro Arbeitslosengeld I kosten sollte – aber nicht musste. Denn vor dem BSG stellte sich heraus, dass die Rechtsfolgenbelehrung im Bescheid der Arbeitsagentur nicht konkret genug war. Denn es sei nicht ersichtlich, wann eine Sperrzeit von drei, sechs oder zwölf Wochen eintritt. Es müsse konkret bezogen auf den individuellen Fall belehrt werden. (BSG, B 11 AL 14/18 R u. a.) – vom 27.06.2019
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28.10.2019
Reiserecht: Fehlt die Fotoausrüstung, kann das 25 Prozent ausmachen
Muss eine Urlauberin knapp sechs Tage auf einen Koffer warten (hier: in Madagaskar) und sind in dem Gepäckstück unter anderem das Ladegerät sowie die Ersatzakkus für ihre Fotoausrüstung enthalten, so kann sie für diese Unannehmlichkeit eine nachträgliche Minderung des Reisepreises verlangen. Das Landgericht Frankfurt am Main hält eine Minderung in Höhe von 25 Prozent angemessen dafür, dass die Frau und ihr Ehemann an den ersten Tagen des Urlaubs Eindrücke von Land, Natur und Sehenswürdigkeiten nur in der Erinnerung festhalten und hierüber keine Fotografien machen konnten. Ein etwaiges Mitverschulden der Frau (eigentlich durfte sie die Akkus gar nicht im Koffer transportieren) ist zu vernachlässigen, weil ein Gepäckverlust auch ohne Verschulden des Veranstalters von diesem zu entschädigen ist. (LG Frankfurt am Main, 2-24 O 20/19) – vom 19.06.2019
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26.10.2019
Mietrecht: Mitvermieteter Teppich ist vom Vermieter auszutauschen
Ist ein mitvermieteter Teppichboden in einer Wohnung (hier nach 18 Jahren) abgewohnt und weigert sich der Vermieter, den Bodenbelag auszutauschen, so darf der Mieter den Vermieter "in Verzug setzen", selbst einen neuen Teppich legen und die Kosten dafür vom Vermieter erstattet verlangen. Im Regelfall sei bei einem Teppichboden von einer Lebensdauer von 10 Jahren auszugehen. Dass der Teppich bereits vom Vormieter übernommen worden ist, spiele keine Rolle. Entscheidend ist, dass der Bodenbelag vom Vermieter überlassen worden ist. (LG Berlin, 64 S 184/17) – vom 07.03.2018
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24.10.2019
Reiserecht: Norddeich ist nicht Sylt - Geld zurück
Bucht ein Mann online ein Ferienhaus auf Sylt und bekommt er ein „Fährhaus“ mit dem Zusatz „Norddeich“ elektronisch bestätigt, so muss der ortsunkundige Kunde das nicht als neues Angebot verstehen. Weil aus der Bestätigung nicht zu erkennen war, dass es sich um einen ganz anderen Ort auf dem Festland (in Ostfriesland) handelte – weit entfernt von Sylt -, konnte der Mann die Erstattung des vollen Reisepreises durchsetzen. Nach Ansicht des Landgerichts Frankfurt am Main sei einem durchschnittlichen Reisenden ohne Ortskenntnis nicht klar, dass Norddeich nicht etwa die genaue Lage des Ferienhauses auf Sylt beschreibt, sondern einen ganz anderen Ort - zumal in der Reisebestätigung keine Postleitzahl angegeben war. Ein Anbieter müsse demnach in der Reisebestätigung klar und deutlich machen, wenn sich die Herberge an einem anderen Ort als gebucht befindet. Ein abweichendes Angebot müsse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben klar und unzweideutig als solches gekennzeichnet sein. (LG Frankfurt am Main, 2-24 S 32/18) – vom 27.02.2019
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24.10.2019
Pflegeversicherung: Eine Ersatzkraft aus Thailand muss nicht bezahlt werden
Die gesetzliche Pflegeversicherung muss im Rahmen der so genannten Verhinderungspflege die Kosten für Anreise und Unterkunft einer thailändischen Pflegekraft nicht übernehmen. In einem Fall vor dem Sozialgericht Nürnberg ging es um einen pflegebedürftigen Mann (mit Pflegegrad 2), dessen Pflegeperson verhindert war. Er besorgte sich eine Pflegekraft aus Thailand und verlangte die Erstattung der Reise- und Unterkunftskosten aus der Pflegekasse - vergeblich. Im Pflegeversicherungsrecht gelte, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich sein müssen und das „Maß des Notwendigen nicht übersteigen dürfen“. Das jedoch sei bei den Kosten für eine Kraft aus Thailand der Fall. (SG Nürnberg, S 21 P 144/18) – vom 15.02.2019
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23.10.2019
Krankenversicherung: Trotz Depressionen muss eine gesunde Brust nicht operiert werden
Werden bei einer (hier: 45 Jahre alten) Frau wiederholt gutartige Knoten in der Brust entdeckt, so kann sie nicht verlangen, dass ihre gesetzliche Krankenkasse die operative Entfernung der Brustdrüsen mit Rekonstruktion durch Silikonimplantate bezahlt. Auch wenn die Frau durch die große Angst vor einer Krebserkrankung an Depression erkrankt ist, darf die Krankenkasse die Bezahlung der Operation ablehnen, da bei gutartigen Knoten ein Überwachungs-, aber kein Operationsbedarf bestehe, so das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Das Argument der Frau, die Entwicklung habe bei ihr zu einer erheblichen psychischen Belastung geführt, zog nicht. Auch die Unsicherheit darüber, ob sich nicht doch bereits ein bösartiger Tumor gebildet habe und die dadurch entstandene ständige Angst können den Eingriff nicht rechtfertigen. Eine Behandlung psychischer Erkrankungen durch körperliche Eingriffe komme grundsätzlich nicht in Betracht. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 73/19) – vom 04.09.2019
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17.10.2019
Mietrecht: Für die Kautionsabrechnung gibt es keine feste Frist
Die von einem Mieter vor Beginn des Mietverhältnisses geleistete Zahlung der Kaution muss der Vermieter nach Ende der Laufzeit des Mietvertrages abrechnen. Der Bundesgerichtshof: Der Vermieter muss das in einer "angemessenen, nicht allgemeine bestimmbaren Frist gegenüber dem Mieter tun und erklären, ob und welche aus dem beendeten Mietverhältnis stammenden Ansprüche er gegen den Mieter erhebt". (BGH, VIII ZR 141/17) – vom 24.07.2019
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16.10.2019
Unfallversicherung: Im Rahmen von Vereinsarbeit wird ein Baum unversichert gefällt
Wird im Rahmen der Winterarbeit eines Segelvereins auf dem Vereinsgelände ein Baum gefällt, so stehen die Mitglieder dabei nicht "wie Arbeitnehmer" unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Wird ein Mann von einem dicken Ast getroffen, so kann er dafür keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erwarten. Es habe sich nicht um einen "Arbeitsunfall" gehandelt, weil es zu den "normalen Aufgaben" der Vereinsmitglieder gehöre, im Rahmen der jährlichen Arbeitsstunden laut Satzung "Platz- und Wegearbeiten" zu absolvieren - und dazu zählen der Rückschnitt von Büschen und das Fällen und Zersägen von Bäumen. Nur für Sonderaufgaben, die über die geregelten Arbeiten hinausgingen, könnte etwas anderes gelten. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 6 U 78/18) – vom 28.08.2019
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14.10.2019
Unfallversicherung: Auto und Schlüssel werden vor Dienstbeginn versichert abgeholt
Ist eine Frau nach der Rückkehr aus dem Urlaub wegen einer erkrankten Kollegin direkt wieder aufgerufen, zur Arbeit zu kommen, so ist sie auf dem Weg zum Elternhaus, (wo Schlüssel für die Arbeitgeber und für das Auto während der Urlaubszeit deponiert waren) gesetzlich unfallversichert. Stürzt sie auf dem Weg dorthin und verletzt sie sich (hier im Schulter-Arm-Bereich), so kann sie Leistungen aus der Berufsgenossenschaft durchsetzen. Die Frau war auf einem "versicherten Betriebsweg", als sie sich zum Haus der Eltern begab. Sie hatte eine arbeitsvertraglich geschuldete Dienstpflicht befolgen wollen, wozu sie Schlüssel und Fahrzeug, mit dem sie (als Hauswirtschafterin auf einem Gutshof) Einkäufe für den Arbeitgeber tätigte, benötigte. (BSG, B 2 U 7/17 R) – vom 27.11.2018
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12.10.2019
Verbraucherrecht: Verweis auf die Hersteller-Homepage reicht nicht
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Inhaltsstoffe von Naturkosmetika bei Angeboten in Online-Shops im Internet für Verbraucher "klar ersichtlich" sein müssen. Bei den Bestandteilen handele es sich um wesentliche Informationen, welche dem Kunden nicht vorenthalten werden dürfen. Es reiche zum Beispiel nicht aus, wenn der Verkäufer mit Blick auf die Inhaltsstoffe lediglich auf die Internetseite des Herstellers verweist, damit sich potenzielle Käufer dort erkundigen. (OLG Karlsruhe, 6 U 84/17) – vom 26.09.2018
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11.10.2019
Kindergeld: Nur regelmäßiger Unterhalt zählt, einmalige Leistungen nicht
Kindergeld wird für jedes Kind nur einem Berechtigten ausgezahlt. Eine Aufteilung des Kindergeldes auf die Eltern (zum Beispiel bei Geschiedenen) ist nicht möglich. Die Zahlung geht üblicherweise an denjenigen, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat. Lebt das Kind nicht im Haushalt des oder der Berechtigten, so geht es an denjenigen, der dem Kind Unterhalt zahlt. Zahlen beide Elternteile Unterhalt, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind den höchsten Unterhalt zahlt. Der Bundesfinanzhof hat in einem solchen Fall festgestellt, dass zum Unterhalt in diesem Sinne nur regelmäßige monatliche Zahlungen gehören. Zahlungen, die in größeren Zeitabständen geleistet werden oder einzelne große Sachleistungen (wie beispielsweise die Überlassung einer Wohnung) sind nicht zu berücksichtigen. (BFH, III R 45/17) – vom 11.10.2019
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09.10.2019
Arbeitsrecht: Bei sensiblen Daten darf nicht pauschal automatisch weitergeleitet werden
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass bei der Frage, welche Informationen an den Betriebsrat weitergegeben werden dürfen, gerade in Zeiten immer strengerer Datenschutzvorschriften jeder Einzelfall genau geprüft werden muss, ob eine automatische Weitergabe dieser arbeitnehmerbezogenen Infos haltbar ist. Hier ging es darum, ob Schwangerschaften von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen automatisch dem Betriebsrat mitgeteilt werden dürfen. Dazu erhalten die schwangeren Arbeitnehmerinnen ein Musteranschreiben, in dem ihnen eine Zwei-Wochen-Frist zwecks etwaigen Widerspruchs eingeräumt wird. Dadurch sah sich der Betriebsrat in seinen Mitwirkungsrechten eingeschränkt und vertrat die Auffassung, dass er Anspruch auf die vollständige Unterrichtung über alle bekannt werdenden Schwangerschaftsfälle habe - und zwar zu deren Schutz. Das BAG folgte dem nicht und verwies den Fall an die Vorinstanz. Die wird endgültig entscheiden. (BAG, 1 ABR 51/17) – vom 09.04.2019
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09.10.2019
Betriebskosten: 5-Jahres-Zeitraum statt 12-Jahres-Zeitraum zahlt der Mieter nicht
Zwar darf ein Vermieter die Kosten für eine Dichtigkeitsprüfung der Gasleitungen grundsätzlich als Betriebskosten auf die Mieter umlegen. Das trotz der Tatsache, dass die Prüfungen turnusmäßig nach den technischen Regelungen nur alle zwölf Jahre vorgenommen werden müssen. Lässt der Vermieter die Dichtungen jedoch alle fünf Jahre kontrollieren, so kann er die Kosten nicht auf die Mieter umlegen. Damit verstößt er gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. (AmG Münster, 48 C 361/18) – vom 15.03.2019
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06.10.2019
Unfallversicherung: Auch ein Probearbeitstag ist versichert
Stürzt ein Arbeitsloser an einem Probearbeitstag bei der Müllabfuhr vom Lkw und verletzt er sich, so steht er unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zwar sei er nicht als Beschäftigter versichert, jedoch als "Wie-Beschäftigter". Denn der Probetag war nicht nur im Interesse des Arbeitsuchenden, eine dauerhafte Beschäftigung zu erlangen. Vielmehr diente er auch dem Entsorgungsunternehmen bei der Auswahl eines geeigneten Bewerbers - und damit wirtschaftlichen Zwecken. (BSG, B 2 U 1/18 R) – vom 20.08.2019
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02.10.2019
Arbeitsrecht: Auch Heimarbeiter können Anspruch auf Lohnfortzahlung haben
Auch wenn ein Arbeitnehmer in Heimarbeit tätig ist, stehen ihm während seiner Kündigungsfrist Lohnzahlungen zu. Das gelte auch dann, so das Bundesarbeitsgericht, wenn er vom Arbeitgeber keine Aufträge mehr bekommt. Auch dürfe Urlaubsabgeltung verlangt werden. In dem konkreten Fall ging es um einen Bauingenieur und Programmierer, der jahrelang Projekte für seinen Auftraggeber in Heimarbeit erledigt hatte. Ihm wurde gekündigt und er besaß - wegen der langen Dauer seiner Tätigkeit für den Auftraggeber - eine Kündigungsfrist von sieben Monaten. Für diese Zeit kann er Fortzahlung des Entgelts in der Höhe verlangen, das er „im Durchschnitt der letzten 24 Wochen vor der Kündigung durch die Heimarbeit erzielt hat“. (BAG, 9 AZR 41/19) – vom 20.08.2019
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01.10.2019
Krankenversicherung: Auch «einfache» Arbeiten müssen bezahlt werden
Eine gesetzliche Krankenkasse darf den Bewohnern von Senioren- und Demenzgruppen nicht die Leistungen der Behandlungspflege verweigern. Dabei geht es um „einfache“ Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, wie beispielsweise Blutzuckermessungen, Medikamentengabe oder das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Hier gab es vor Ort zwar einen Betreuungsdienst. Der Heimvertrag sah aber nur vor, dass die Kräfte dieses Dienstes vor allem psychosozial betreuen. Aus diesem Grund müssten die Bewohner die Hilfe des Pflegedienstes in Anspruch nehmen. Und das habe die Krankenkasse zu bezahlen. (Bayerisches LSG, L 5 KR 402/19 u.a.) – vom 20.08.2019
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30.09.2019
Verwaltungsrecht: Ein Mädchen darf nicht im Knabenchor singen
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass ein (hier 9jähriges) Mädchen nicht durchsetzen kann, zum Staats- und Domchor (einem Knabenchor in Berlin) zugelassen zu werden. Die Aufnahmen dürfe mit Blick auf den „spezifischen Klang eines reinen Knabenchores“ abgelehnt werden, wenn ihre Stimmen nicht dem geforderten Klangbild entsprächen. In einem solchen Fall sei eine Ungleichbehandlung des Geschlechts zulässig. Das Recht auf Kunstfreiheit wiege hier schwerer als das Diskriminierungsverbot.
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29.09.2019
Reiserecht: «Ohne Grund» genommenen Anwalt muss die Airline nicht bezahlen
Ein Fluggast hat wegen einer Flugannullierung, Verspätung oder Beförderungsverweigerung nur dann auch Anspruch auf Erstattung der (außergerichtlichen) Rechtsanwaltskosten, wenn die Fluggesellschaft mit der Ausgleichszahlung in Verzug ist oder der Kunde nicht ordnungsgemäß auf seine (Fluggast-)Rechte hingewiesen worden ist. Hier hatte eine Reisende noch bevor der Rechtsstreit startete - und letztlich über 3 Instanzen ging - einen Anwalt konsultiert. Das war aus Sicht des Bundesgerichtshofs aber nicht nötig. Die Kosten, die während des Prozesses angefallen sind, muss die Airline komplett tragen. (BGH, X ZR 77/18) – vom 12.02.2019
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27.09.2019
Kündigung: Wissentlich falsche Einträge kosten den Job
Trägt eine Pflegekraft in die Pflegedokumentation ein, dass sie in der Wohnung einer Patientin gewesen sei und diese (hier von 22.55 Uhr bis 23.06 Uhr) versorgt hätte, so kann sich die Pflegerin nicht wirksam gegen die fristlose Kündigung wehren, wenn sie an dem Abend lediglich kurz mit der pflegebedürftigen Dame telefoniert hatte. Ein vorsätzlicher Verstoß eines Arbeitnehmers gegen die Verpflichtung, "die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren", ist geeignet, um einen "wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darzustellen". Der Vertrauensmissbrauch ist zu groß, um es bei einer Abmahnung zu belassen. (ArG Siegburg, 3 Ca 992/19) – vom 07.08.2019
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24.09.2019
Pflegeversicherung: Für die Pflege im Krankenhaus gibt es kein Geld
Betreut die Mutter eines schwerstbehinderten Mädchens ihre Tochter in der Zeit, in der sie stationär im Krankenhaus liegt, so hat das Mädchen in dieser Zeit keinen Anspruch auf Pflegegeld aus der Pflegeversicherung. Pflegegeld wird nur dann bezahlt, wenn der Pflegebedürftige von seiner Pflegeperson "in häuslicher Umgebung" gepflegt wird. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung von Pflegegeld für pflegende Angehörige erreichen wollen, dass die Bedürftigen möglichst lange "zu Hause" bleiben können. Deswegen könne bei Aufenthalt in einem Krankenhaus nicht gezahlt werden. Das Argument der Mutter, dass "auch aufgrund der Personalsituation in den Krankenhäusern" ohne ihren Einsatz die Pflege der Tochter nicht ausreichend in gleicher Qualität sichergestellt gewesen wäre, zog nicht. (SG Nürnberg, S 18 P 37/19) – vom 05.06.2019
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21.09.2019
Sozialrecht: Wer beim Amt Theater macht, erhält Hausverbot
Wird ein Hartz IV-Empfänger im Jobcenter während eines Streits mit dem Sachbearbeiter über den Antrag für Heizkostenhilfe aggressiv und gewalttätig (hier warf er ein Telefon in Richtung des Mitarbeiters und verrückte dessen Schreibtisch), so muss er ein Hausverbot hinnehmen. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bestätigte die Maßnahme des Jobcenters, das ein 14-monatiges Hausverbot gegen den Mann ausgesprochen hatte. Es habe sich bei dem Verhalten des Mannes nicht mehr nur um eine Grenzüberschreitung, sondern um eine strafbare Handlung gehandelt. Künftig müsse er seine Anträge schriftlich oder telefonisch stellen. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 11 AS 190/19 B ER) – vom 16.06.2019
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20.09.2019
Arbeitsrecht: Nach 22 Jahren darf nochmal sachgrundlos befristet werden
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber Arbeitsverträge in besonderen Fällen sachgrundlos befristen dürfen - auch, wenn der Arbeitnehmer bereits zuvor bei ihnen beschäftigt war. In dem konkreten Fall ging es um eine Frau, die zunächst als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld und später dann als Telefonserviceberaterin eingesetzt worden ist. Liegt das erste Arbeitsverhältnis „sehr lange zurück“, so darf nochmal sachgrundlos befristet werden. (Hier lagen 22 Jahre zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen). Üblicherweise ist die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Vertrag bestand. Das gelte aber nicht nach einer so langen Zeit. (BAG, 7 AZR 452/17) – vom 21.08.2019
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17.09.2019
Krankenversicherung: Bei einer Frau gleicht Haarausfall einer Behinderung
Eine gesetzliche Krankenkasse muss bei Haarausfall die Kosten für ein Echthaarteil übernehmen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden. In einem solchen Fall reiche eine Perücke aus Kunsthaar nicht. Ein partieller Haarausfall sei als Behinderung einzustufen. Das gelte jedenfalls bei einer (hier 55 Jahre alten) Frau. Die Höhe der Kostenübernahme hängt von der medizinischen Notwendigkeit ab. In dem Fall litt die Frau an einer Schuppenflechte, die zu kreisrundem Haarausfall führte. 1.200 Euro verlangte sie für die "Kopfbedeckung" aus echten Haaren - zu Recht. Hilfsmittel, die eine Behinderung ausgleichen, müssen von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Und eine Behinderung sei hier anzunehmen, weil sie ansonsten ohne Haare nicht am gemeinschaftlichen Leben teilhaben könnte. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 50/16) – vom 26.03.2019
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16.09.2019
Krankenversicherung: Bei sturer Klinikleitung darf zur Selbsthilfe gegriffen werden
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Krankenkassen Erstattungsansprüche gegen eine Klinik mit einer Sammelüberweisung verrechnen dürfen. Dabei muss die Kasse nicht genau bestimmen, mit welchem konkreten Honoraranspruch der Klinik verrechnet werden soll. (Hier hatte die Kasse die Kosten für einen stationären Aufenthalt schon bezahlt, bevor der Medizinische Dienst Krankenversicherung eine Überzahlung feststellte und die Kasse das Geld - 830 Euro - vergeblich zurückforderte. Die Krankenkasse durfte dann diese Rückforderung mit einer späteren Sammelüberweisung verrechnen.) (BSG, B 1 KR 31/18 R) – vom 30.07.2019
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13.09.2019
Kündigung: Wenn Vertrauliches die Ehre verletzt, darf es an die Öffentlichkeit
Verbreitet eine Angestellte über den "Kommunikationszweig" WhatsApp die falsche Nachricht, dass ein Arbeitskollege ein verurteilter Vergewaltiger sei, so kann das für sie mit einer fristlosen Kündigung enden. Eine solche Nachricht gehört nicht mehr zur geschützten Meinungsfreiheit, denn das Recht der persönlichen Ehre des Mannes wurde erheblich eingeschränkt. In dem Fall vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wurde die Kündigung wegen übler Nachrede bestätigt. Die Frau konnte sich nicht mit dem Argument wehren, die Nachricht wäre vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. (Hier hatte die Empfängerin - ebenfalls eine Mitarbeiterin - mit dem Chef über die Nachricht gesprochen.) (LAG Baden-Württemberg, 17 Sa 52/18) – vom 14.03.2019
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11.09.2019
Heimrecht: Vor Verbrühungen müssen Bewohner geschützt werden
Verbrüht sich eine 50jährige intelligenzgeminderte Frau in einem Wohnheim für geistige Behinderte bei einem Bad, so kann der Träger der Einrichtung zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtet werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn in dem Heim nicht sichergestellt ist, dass das Wasser - nehmen die Bewohner selbstständig ein Bad - nicht mehr als 43 Grad Celsius erreichen kann. Der Heimträger habe die Pflicht, die ihn anvertrauten Bewohner vor Gefahren zu schützen, die sie "aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht beherrschen können". (Hier verbrühte sich die Frau dermaßen stark, dass mehrere Hauttransplantationen nötig wurden. Über die Höhe der Zahlungen muss die Vorinstanz entscheiden.) (BGH, III ZR 113/18) – vom 22.08.2019
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06.09.2019
Arbeitsrecht: Für Feiertags- oder Sonntagszuschläge gibt es kein Gesetz
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine Frau, die auch an Sonn- und Feiertagen (hier in einem Altenheim) arbeitet, neben ihrem Anspruch auf Mindestlohn nicht auch Zuschläge für die Arbeit an den Sonn- und Feiertagen beziehen kann. Diese Zuschläge seien geeignet, den Mindestlohnanspruch zu erfüllen. Es gebe keine "besondere gesetzliche Zahlungsverpflichtung für Sonn- und Feiertagsarbeit". Festgelegt im Arbeitszeitgesetz werde nur eine Mindestzahl beschäftigungsfreier Sonntage und Ersatzruhetage als Ausgleich für Arbeit an Sonn- und Feiertagen. (BAG, 5 AZR 69/17) – vom 17.01.2018
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05.09.2019
Krankenversicherung: Gibt es nichts anderes, können 10.000 Euro wirtschaftlich sein
Verletzt sich ein Mann an der Halswirbelsäule und leidet er seitdem an einer so genannten Fußheberteillähmung, so muss ihm seine gesetzliche Krankenkasse die Kosten für ein Hilfsmittel bezahlen, das (vereinfacht ausgedrückt) mit elektrischen Impulsen in der Wadenmuskulatur dafür sorgt, dass der Fuß angehoben werden kann. Dabei handelt es sich um eine „WalkAide-Myo-Orthese“. Die Kasse könne nicht argumentieren, so das Hessische Landessozialgericht, eine solche Orthese sei nicht wirtschaftlich. Das gelte auch dann, wenn sie recht teuer ist (hier ging es um rund 10.000 €) und der Gemeinsame Bundesausschuss Krankenversicherung keine Empfehlung für das Gerät ausspricht. Das Gericht: „Die Krankenkasse muss dem Versicherten die Kosten für die Orthese erstatten, weil sie dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient. Eine positive Bewertung des Bundesausschusses ist dabei keine Anspruchsvoraussetzung. Das Hilfsmittel ist durchaus auch wirtschaftlich, weil ein gleichwertiges, aber günstigeres Produkt nicht zur Wahl steht“. (Hessisches LSG, L 1 KR 262/18) – vom 13.05.2019
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03.09.2019
Reiserecht: Urlaubern muss vom Gericht unter die Arme gegriffen werden
Begründet ein Elternpaar, dessen 7-jähriger Sohn in einem Urlaubshotel in Spanien vor eine Glastür gelaufen ist und sich verletzt hat, den Anspruch auf Schadenersatz (und damit die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf Seiten der Reiseveranstalters) damit, dass die für den Unfall ursächliche Anlage in dem gebuchten Hotel "nicht den örtlichen Sicherheitsvorschriften entspricht", so darf das Gericht diese Meinung nicht ignorieren. Das gelte auch dann, wenn der Richter der Meinung ist, sich um den Inhalt der spanischen Vorschrift deswegen nicht kümmern zu müssen, weil die Tür ausreichend gekennzeichnet gewesen sei. Der Bundesgerichtshof kam zu der Auffassung, dass die Eltern des Kindes einen "hinreichend konkreten Sachverhalt vorgetragen hatten", dass Bauvorschriften eventuell nicht eingehalten worden sind. Das Gericht müsse den Inhalt der dafür maßgeblichen in- und ausländischen Vorschriften in eigener Zuständigkeit ermitteln. (Die Vorinstanz entscheidet nun nochmal endgültig.) (BGH, X ZR 166/18) – vom 25.06.2019
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02.09.2019
Verbraucherrecht: Ein Stromtarif darf nicht nur per Lastschrift angeboten werden
Ein Energieversorger hat nicht das Recht, einen bestimmten online-Tarif für Strom nur Kunden anzubieten, die bereit sind, vor der Bestellung am Lastschriftverfahren teilzunehmen (erst nach Vertragsabschluss wurden auch andere Zahlungsmöglichkeiten zugelassen). Dadurch sei das online-Angebot diskriminierend, weil es faktisch nur eine einzige Zahlungsmöglichkeit zulasse. Ferner schließe es sämtliche Verbraucher aus, die nicht über ein Bankkonto verfügen. Der Anbieter muss sein Angebot ändern. (BGH, VIII ZR 56/18) – vom 10.04.2019
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29.08.2019
Krankenversicherung: Ein Nierenkatheter ist ein Implantat
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass ein Krankenhaus berechtigt ist, einen Nierenkatheter, der bei einem Patienten einen Harnwegsinfekt ausgelöst hat, als „Infektion und entzündliche Reaktion durch (…) Implantat (…)" abzurechnen. Die gesetzliche Krankenkasse darf das nicht verweigern und darauf verweisen, dass lediglich eine „Harnwegsinfektion“ abgerechnet werden dürfe. Ein solcher Katheter gelte als Implantat und müsse entsprechend bezahlt werden (was hier rund 1.500 € mehr kostete). (BSG, B 1 KR 27/18 R) – vom 09.04.2019
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27.08.2019
Krankenversicherung: Entstellen Knötchen nicht, müssen sie nicht operiert werden
Leidet eine Frau an Einlagerungen von Cholesterin, wodurch Flecken und Knötchen im Bereich der Augenlieder entstehen, so kann sie nicht gegen ihre gesetzliche Krankenkasse durchsetzen, dass diese die Entfernung der Knötchen bezahlt. Solange - objektiv betrachtet - keine Entstellung vorliegt, muss die gesetzliche Krankenversicherung eine solche „Schönheits-OP“ nicht übernehmen. Das gelte auch dann, wenn sie unter ihrem Aussehen leide und eine „soziale Phobie entwickelt“ habe. Liegt aus Sicht des medizinischen Dienstes der Krankenkassen also eine medizinische Notwendigkeit nicht vor, so kann die Frau den Anspruch nicht durchsetzen. Mögliche psychische Beschwerden seien mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln. (SG Osnabrück, S 42 KR 489/17) – vom 28.05.2019
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24.08.2019
Verkehrsrecht: Nicht auf den Abstandshalter verlassen
Fährt ein Autofahrer auf einer Autobahn und wird er dort wegen eines zu geringen Mindestabstands "geblitzt" (hier ergab die Messung einen Wert von weniger als 3/10 des halben Tachowertes), so muss er ein Bußgeldbescheid (hier ging es um 240 €) und ein (einmonatiges) Fahrverbot hinnehmen. Er kann sich nicht mit dem Argument daraus winden, dass sein Abstandspilot eingeschaltet war und er sich auf den Abstandswarner als Teil des Fahrerassistenzsystems verlassen habe. Das Oberlandesgericht Bamberg wies ihn zurück. Es sei mit den Sorgfaltspflichten eines Fahrzeugführers nicht vereinbar ist, sich auf ein automatisches Fahrerassistenzsystem - wie beispielsweise einen Abstandswarner - zu verlassen. Der Fahrer hat vielmehr die Pflicht mit eigenen Augen die Situation zu beurteilen und entsprechend zu reagieren. (OLG Bamberg, 3 Ss OWi 1480/18) – vom 06.11.2018
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